„Theologie ist unverzichtbar für die Gesellschaft“

Vortrag des Ratsvorsitzenden an der Universität Bochum

Gute Theologie sei unverzichtbar für die Kirche, für die Universität und für die Gesellschaft. Das erklärte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in einem Vortrag anlässlich des vierzigjährigen Jubiläums der theologischen Fakultäten der Universität Bochum am Mittwoch, 16. November. Die theologischen Fakultäten trügen zum friedlichen und toleranten Zusammenleben in der Gesellschaft bei und unterstützten die Religionsfreiheit. Theologie orientiere sich an einem Menschenbild, das diesen nicht über seine Leistung definiert, sondern ihn als Ebenbild Gottes sieht und sei damit eine besondere Herausforderung für die Gesellschaft. Huber würdigte die Diskussion der EKD-Synode über das Thema Toleranz in der vergangenen Woche als „Beispiel dafür, welch wichtige Rolle gute Theologie für die Gesellschaft wahrnehmen kann.“

Kirche und Theologie seien wechselseitig aufeinander angewiesen. Theologie habe für die Freiheit des Glaubens einzutreten. Aufgabe der Kirchenleitung sei es, für die Freiheit der Theologie einzustehen. Bei allem konstruktiv-kritischen Miteinander von Theologie und Kirchenleitung sei doch nicht zu übersehen, dass diese beiden Seiten institutionell auseinander treten. So könnten beide Bereiche in Dialog treten. „Gerade durch dieses institutionelle Auseinandertreten kann die Theologie zur unverzichtbaren, weil kritischen Instanz der kirchlichen Praxis werden – und sie wird es hoffentlich auch bleiben“, erklärte der Ratsvorsitzende. „Gerade dadurch kann umgekehrt auch die Kirchenleitung zur kritischen Instanz der Theologie werden – und es hoffentlich bleiben.“

Dieses Modell von Freiheit und wechselseitiger Verantwortung halte er auch für die Ökumene der christlichen Kirchen für „hilfreich, ja für wegweisend.“ Er sei der Auffassung, „dass wir unterschiedliche konfessionsbestimmte Ausprägungen kirchlichen Selbstverständnisses wie theologischer Arbeit nicht verschweigen, sondern ausdrücklich thematisieren sollten.“ Der Weg zu größerer ökumenischer Gemeinschaft setze geradezu voraus, dass diese unterschiedlichen konfessionellen Ausprägungen wahrgenommen und respektiert werden. Versöhnte Verschiedenheit bleibe ein Grundzug des ökumenischen Miteinanders. Zum wechselseitigen Respekt zwischen ökumenischen Partnern, „den Respekt vor den kirchlichen Ämtern des anderen eingeschlossen“,  gebe es keine Alternative.

Für die Universitäten sei Theologie nicht nur aus historischen Gründen unverzichtbar. „Die Theologie erinnert die Gesamtheit der Wissenschaften und darum auch die Universität daran, dass sie mehr ist als ein Durchlauferhitzer für bestimmte Berufe, wie es von Teilen auch der politischen Öffentlichkeit heute immer massiver gefordert wird.“ Man müsse zwar auf die Berufschancen und ihren Wandel achten, das dürfe aber nicht einziges Kriterium der Einschätzung von Studiengängen sein. Schon der evangelische Theologe Friedrich Schleiermacher habe einen solchen Bildungsbegriff im 19. Jahrhundert für unchristlich erklärt. „Die Theologie darf deshalb nicht versuchen, ihre Unverzichtbarkeit für die Universität dadurch zu begründen, dass sie sich auf eine bloße Berufsvorbereitung reduzieren lässt oder in vorauseilendem Gehorsam selbst reduziert.“

Theologie trage dazu bei, die bleibende Bedeutung von Religion auch in aufgeklärten Gesellschaften wahrzunehmen und angemessen zu begreifen. Nach dem 11. September 2001 sei auf „beschämende Weise deutlich geworden, dass in den Bildungseinrichtungen unserer Gesellschaft und bei den politischen Entscheidungsträgern Urteilskraft in Fragen der Religion fehlt.“ Theologie sei ein Archiv des Wissens, „ein Institut zur Pflege des kollektiven Gedächtnisses“, ohne dadurch zur „Museumshüterin von Vergangenem“ zu werden. Vielmehr setze das Verständnis der Gegenwart das Verständnis der Vergangenheit voraus: „Seinen eigenen Ort findet nur, wer Erinnerungsorte kennt.“ Der wichtigste gesellschaftliche Beitrag der Theologie liege in der Frage nach den Kriterien und Maßstäben für die kritische Beurteilung gelebter und gelehrter Religion.

Hannover, 16. November 2005

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi

Der Vortrag des EKD-Ratsvorsitzenden an der Universität Bochum