Ökumenische Dimension der Lutherdekade bekräftigt

Stellungnahme des Catholica-Beauftragten der VELKD, Landesbischof Prof. Dr. Friedrich Weber (Wolfenbüttel)

Mit großem Interesse habe ich die Predigt von Karl Kardinal Lehrmann anlässlich des Reformationsgottesdienstes in der Bonner Kreuzkirche nachgelesen. Einen Aspekt der Predigt möchte ich gerne besonders hervorheben und weiter bedenken.

Kardinal Lehmann geht auch auf die letzten Monat von der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ausgerufene Lutherdekade ein, also jene 10-jährige Vorbereitung zur Erinnerung an die 95 Ablassthesen, deren 500. Jubiläum wir im Jahre 2017 feiern. Der Mainzer Erzbischof bot an, dass „wir gemeinsam in den nächsten Jahren bis 2017 das Vorhaben realisieren zu beschreiben, wie wir die Reformation beurteilen und bewerten“. Er sei „fest überzeugt, dass wir beim Reformationsjubiläum 2017 neue Türen auftun können und bis dorthin wohl auch einige Aufgaben miteinander klären konnten“.

Zuvor hat Kardinal Lehmann auf den renommierten Historiker Prof. Hartmut Lehmann verwiesen, der in einem größeren Zeitungsartikel dargestellt hatte, wie stark vergangene Lutherjubiläen politisch und kirchenpolitisch instrumentalisiert worden sind. Auch der Leitende Bischof der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Landesbischof Dr. Johannes Friedrich, hat letzten Monat in seinem Bericht vor der Generalsynode der VELKD die kritischen Anfragen Prof. Lehmanns aufgegriffen und gefordert, präzise zu benennen, welche Einsichten und Überzeugungen es sind, die wir von Luther empfangen haben. Ein Lutherjubiläum brauche sich zwar nicht vornehm aus allen gesellschaftlichen Bezügen herauszuhalten, sondern müsse sich im Kontext der jeweiligen Zeit artikulieren. Jedoch genauso wenig reicht es für Landesbischof Friedrich aus, nur die Stärken des deutschen Protestantismus zu demonstrieren.

In der Tat wird es im Hinblick auf die gerade begonnene Lutherdekade wichtig sein zu zeigen, dass ökumenisches Engagement zu unserem evangelischen Selbstverständnis gehört. Natürlich ist solch eine Dekade ein guter und hilfreicher Anlass für uns evangelische Christinnen und Christen, uns unserer Wurzeln zu vergewissern, Kraft zu schöpfen aus den Ideen der Reformation und mit dankbarer Freude daran zu erinnern, welche Gaben die reformatorischen Kirchen in die eine Kirche Christi einbringen können. Aber Selbstgenügsamkeit und Desinteresse an anderen Christen dürfen keinesfalls Kennzeichen der Dekade werden. Ich glaube, dies kann auf doppelte Weise vermieden werden:

- Zum einen indem wir unser Gespräch mit der römisch-katholischen Kirche weiter vertiefen und klären, welche Rolle ihr in der Dekade zukommt. Insofern bin ich sehr dankbar, dass Kardinal Lehmann und viele andere Vertreter der römisch-katholischen Kirche ihre Bereitschaft signalisiert haben, hier mitzuarbeiten und mitzudenken.
- Zum anderen sollten wir m. E. nicht vergessen, dass Luther uns Deutschen nicht allein gehört; vielmehr bezieht sich ein weltweites Luthertum auf den Wittenberger Reformator. Deshalb ist die konsequente Einbindung unserer Schwesterkirchen im Lutherischen Weltbund (LWB) für die kommenden 10 Jahre nötig.

Diese Doppelbewegung kann der spezifische und besondere Beitrag der VELKD innerhalb der Vorbereitungen der EKD auf das Jahr 2017 sein.

An Hand von vier Beispielen lässt sich aufzeigen, wo an dieser Doppelaufgabe bereits gearbeitet wird:

1) Mit der Beteiligung der VELKD am LWB-Zentrum-Wittenberg haben wir deutlich gemacht, dass es uns um ein internationales Miteinander in Wittenberg geht. Das Zentrum schafft als Ort der Begegnung und des Lernens die institutionellen Voraussetzungen, dass wir mit unseren nicht-deutschen Schwestern und Brüdern aus den LWB-Mitgliedskirchen gemeinsam nach einer Vertiefung des Verständnisses der lutherischen Identität auch in Bezug auf die anderen Konfessionen im je eigenen ökumenischen Kontext suchen. Die Kenntnis der eigenen Tradition ist Vorbedingung für einen fruchtbaren, förderlichen Dialog mit anderen Konfessionen, Glaubensrichtungen und Weltanschauungen.

2) Kardinal Lehmann wünscht sich, dass sich bis 2017 neue Türen auftun und beide Kirchen bis dorthin in der Klärung noch offener Probleme weiterkommen. Ein wichtiger Ort hierfür ist für mich das offizielle Lehrgespräch zwischen unseren Kirchen. Seit über 30 Jahren führen wir als VELKD theologische Gespräche mit der römisch-katholischen Deutschen Bischofskonferenz, um so hoffentlich weitere Annäherungen in kontroversen Fragen zu finden und der Überwindung der Kirchenspaltung näherzukommen. Letzten Monat haben nun beide Kirchen eine neue Runde der Bilateralen Arbeitsgruppe beschlossen. Die neue Kommission wird sich dem Thema „Gott und die Würde des Menschen“ zuwenden. Die Themenwahl soll einen Beitrag dazu leisten, die Gründzüge des Menschenbildes bei Lutheranern und Katholiken aufzuzeigen und gegebenenfalls bestehende Differenzen aufzuarbeiten.

3) Auch auf internationaler Ebene verantworten der Lutherische Weltbund und der päpstliche Einheitsrat einen gemeinsamen Dialog. An ihm sind katholische und lutherische Dialoge aus allen Kontinenten beteiligt. Gerade hat der Rat des LWB auf seiner Tagung in Arusha, Tansania, die 5. Runde dieser Lutherisch/Römisch-katholische Kommission für die Einheit beschlossen. Sie wurde beauftragt, nicht nur ein Dokument zum Thema „Taufe und das Wachsen in Gemeinschaft“ zu erarbeiten, sondern speziell auch einen Text zum Reformationsjubiläum in Jahr 2017. Ich bin mir sicher, hier wird auch das Anliegen Kardinal Lehmanns aufgegriffen werden, gemeinsam zu beschreiben, wie wir die Reformation beurteilen.

4) Auf ein weiteres interessantes Projekt möchte ich hinweisen: Im September 2008 haben das katholische Johann-Adam-Möhler-Institut in Paderborn und das Institut für Ökumenische Forschung in Strasbourg das Projekt einer „Ökumenischen Kommentierung der 95 Ablassthesen Martin Luthers“ begonnen. Ein Team von evangelischen und katholischen Theologen untersucht im Gespräch miteinander die Ablassthesen in ihrem historischen Kontext. Hier geht es nicht um einen Konsenstext über ein heutiges Ablassverständnis. Vielmehr soll Lesern, die die Thesen historisch und theologisch tiefer verstehen wollen, die nötigen Informationen gegeben und eine umfassende, gemeinsam verantwortete Interpretation vorgestellt werden.

Die 95 Thesen lassen mich nochmals auf Kardinal Lehmanns Bonner Predigt zum Reformationstag zurückzukommen: „In jeder Kirchenspaltung versagen wir. Sie ist und bleibt ein Skandal, ein Ärgernis“ – gerne stimme ich dieser Überzeugung Kardinal Lehmanns zu, ebenso wie seinem Hinweis, dass gerade am Reformationstag an die erste Ablassthese zu erinnern ist: immer wieder gilt es zu entdecken, wie wichtig die Umkehr der Kirchen ist und dass wir wirklich nur einen Herrn und Meister, nämlich Jesus Christus, haben.

Hannover, 05. November 2008

Udo Hahn
Pressesprecher