Wolfgang Huber spricht vor der ÖRK-Vollversammlung

Option für die Armen mit wirtschaftlichem Sachverstand ergreifen

Die Globalisierung habe viele Gesichter, positive wie negative, erklärte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, auf der 9. Vollversammlung des Ökumenischen Rates der Kirchen (ÖRK) in Porto Alegre am Donnerstag, 16 Februar. In seiner Einführung zur Plenarsitzung über wirtschaftliche Gerechtigkeit warnte Huber davor, die Diskussion über Fragen der Globalisierung allein auf wirtschaftliche Aspekte zu beschränken. "Wir dürfen uns als Christen und als Vertreter der Kirchen nicht der Ökonomisierung des Denkens ausliefern, die sich um uns her ausbreitet", sagte Huber vor den rund 700 Delegierten aus weltweit 348 Mitgliedskirchen. Wirtschaftliche Gerechtigkeit sei nur dann möglich, wenn die Zivilgesellschaft ihre eigenständige Bedeutung behalte und neue Kraft entwickele. Der Staat müsse geeignete politische Rahmenbedingungen schaffen, um sozialen Ausgleich und gesellschaftlichen Zusammenhalt zu ermöglichen.

Seit der letzten ÖRK-Vollversammlung in Harare (Simbabwe) habe die ökumenische Bewegung intensiv über den Prozess der Globalisierung diskutiert. "Jetzt warten viele darauf,  dass wir über die Proklamationen hinauskommen und alternative Handlungsmöglichkeiten aufzeigen." Die Leitfrage dabei müsse sein, wie die biblische Option für die Armen und wirtschaftlicher Sachverstand sinnvoll aufeinander bezogen werden könnten. Vor allem junge Menschen drängten auf die Entwicklung solcher alternativen Handlungsmöglichkeiten. "Auch Christen, die selbst wirtschaftliche Verantwortung tragen oder in internationalen Institutionen arbeiten, hoffen in dieser Hinsicht auf die Stimme ihrer Kirchen. Denn sie wollen sich beteiligen an einer Globalisierung der Gerechtigkeit und der Solidarität."

Die wachsende Armut in vielen Teilen der Welt sei für jeden Christen ein Skandal, so der Ratsvorsitzende. Afrika und Osteuropa seien für die Menschen in Europa besonders bedrückende Beispiele. Der Skandal der Armut "muss umso mehr aufrütteln, als wir, wie noch keine Generation vor uns, die Möglichkeit dazu haben, strukturelle Armut zu überwinden und die Welt gerechter zu gestalten." Der christliche Glaube sei in Fragen der wirtschaftlichen Gerechtigkeit nicht neutral, sondern richte sich an Gottes Gebot aus, sagte Huber. "Menschenwürde, Menschenrechte und soziale Gerechtigkeit sind die elementaren Werte, an denen wirtschaftliches Handeln heute und morgen zu messen ist." Eine Globalisierung, die diesen Namen verdiene, schließe alle Menschen ein und spalte die Menschheit nicht in Gewinner und Verlierer. "Wir sind im Ökumenischen Rat der Kirchen nicht ein global player, sondern ein global prayer", betonte Huber. "Aus der Kraft des Gebets arbeiten wir für wirtschaftliche Strukturen, die allen zu Gute kommen."

Der EKD-Ratsvorsitzende wandte sich gegen eine einseitige Bewertung der Globalisierung. "Wer die Zeichen der Zeit deuten will, muss beide Seiten sehen: die Chancen wie die Gefahren der gegenwärtigen Weltentwicklung." Durch die Vernetzung der Menschheit sei es möglich geworden, Hass weltweit zu organisieren und zu verbreiten, wie im Streit um die Mohammed-Karikaturen deutlich werde. Es sei aber auch möglich geworden, innerhalb weniger Stunden eine weltweite Hilfsaktion für die Opfer des Tsunami rund um den Indischen Ozean aufzubauen. Zu den Gesichtern der Globalisierung gehöre, "dass Wirtschaftsbeziehungen Wohlstand fördern und Menschen eine auskömmliche Arbeit ermöglichen. Zu ihnen gehört aber auch, dass wirtschaftliche Macht egoistisch eingesetzt und dadurch wirtschaftliche Gerechtigkeit verhindert wird."

Porto Alegre / Hannover, 17. Februar 2006

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi

Einführung von Bischof Huber zur Plenarsitzung über wirtschaftliche Gerechtigkeit im Wortlaut