"Die Welt hat einen großen Menschen verloren"

Huber kondoliert Kardinal Lehmann zum Tod von Papst Johannes Paul II.

In einem Brief an Kardinal Karl Lehmann, den Vorsitzenden der Deutschen Bischofskonferenz, drückte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, der katholischen Kirche sein Beileid aus:

"Die Evangelische Kirche in Deutschland trauert mit ihren katholischen Brüdern und Schwestern um Papst Johannes Paul II. Stellvertretend für viele evangelische Christen spreche ich Ihnen, sehr verehrter Herr Kardinal, und den katholischen Christen in Deutschland unser tiefes Mitgefühl aus und bestärke Sie in der gemeinsamen Hoffnung im Bekenntnis zur Auferstehung Jesu Christi von den Toten.

Johannes Paul II. wird als einer der bedeutendsten Päpste in die Kirchengeschichte eingehen. Unter seinem ungewöhnlich langen Pontifikat hat die römisch-katholische Kirche weltweit an öffentlicher Präsenz und Ansehen gewonnen. Seine charismatische Persönlichkeit, seine Menschlichkeit und Frömmigkeit haben den Papst aus Polen zu einem geistlichen Führer und einer moralischen Instanz gemacht und dem Papsttum über die Grenzen der katholischen Kirche hinaus eine außerordentliche Popularität verschafft.

Als Papst wollte der ehemalige Bischof von Krakau nicht nur Bischof von Rom sein, sondern er präsentierte sich als Bischof der Weltkirche, wenn er auf seinen Pastoralreisen regelmäßig die Eucharistie mit den Gläubigen feierte. Das Anliegen des Friedens fand in Johannes Paul II. einen für alle Machtpolitiker unbequemen Fürsprecher. Obwohl er die Diktatur des Kommunismus aus eigener Erfahrung kannte und das Seine zu ihrer Überwindung beigetragen hatte, blieb er auf Distanz auch zum Westen und konnte niemals als „westlicher Papst“ vereinnahmt werden. Die über hundertjährige Tradition der päpstlichen Soziallehre setzte er getreulich fort; Personalität, Solidarität und Subsidiarität blieben auch für ihn die bestimmenden Prinzipien.

Die römisch-katholische Kirche präsentierte sich unter Johannes Paul II. – nicht zuletzt aufgrund seiner persönlichen Ausstrahlung, aber auch infolge eines wachsenden vatikanischen Zentralismus – in voller Eindeutigkeit als Papstkirche. In Deutschland wurde das am Streit um die Beteiligung der katholischen Kirche an der staatlichen Schwangerschaftskonfliktberatung auf besondere Weise deutlich. Wenn heute in der evangelischen Kirche mit größerer Klarheit gesehen wird, dass sie ein eigenes evangelisches Profil in die ökumenische Gemeinschaft einbringen muss, ist dies auch auf die Herausforderung durch das Wirken dieses Papstes zurückzuführen.

Johannes Paul II. hat als Person ein hohes und glaubwürdiges Engagement für die Ökumene gezeigt. Kennzeichnend für seine Haltung war ein aus tiefer Überzeugung kommendes ökumenisches Engagement bei einem zugleich unbeirrten Festhalten an den römisch-katholischen Prämissen kirchlicher Einheit, wie es vor allem an Fragen des Amtsverständnisses und der Eucharistie deutlich wurde.

Wer über diesen Papst nachdenkt, erinnert sich besonderer Begebenheiten. Wer das Glück hatte, ihm persönlich zu begegnen, wird das nicht vergessen. So kommen mir zuerst die beiden Zusammenkünfte in Paderborn und Berlin während des Deutschlandbesuchs 1996 oder das Gespräch unter vier Augen in Castel Gandolfo im August 2004 in den Sinn. Aber daneben treten eindrückliche Szenen, die unauslöschlich im Gedächtnis bleiben. Zu diesen Bildern gehört für mich der Weg des Papstes nach Yad Vashem, in die Gedenkstätte der Shoah, des Mordes am europäischen Judentum. Daran wird für mich die Größe dieses Papstes erkennbar: an den großen zeichenhaften Handlungen, an der unvergleichlichen Präsenz seiner Person, auch noch in der Zeit körperlicher Hinfälligkeit.

Mit Papst Johannes Paul II. hat die Welt einen eindrücklichen Zeugen des Evangeliums verloren. Er lebte und lehrte aus der Gewissheit der Gegenwart Gottes, die in der christlichen Kirche verkündigt und gefeiert wird. Er tat dies in gewinnender Menschlichkeit und in großer Solidarität mit den heutigen Menschen und ihren Fragen. Seine Enzykliken vermieden das Wort „ich“ keineswegs; er konnte von seinen persönlichen Glaubenserfahrungen sprechen, auch vom Schweigen Gottes und vom Rätsel des Leidens. „Die Kirche glaubt an den Menschen“, rief er einer an sich selbst zweifelnden Menschheit zu. Dass der „Streit um den Menschen“ geführt werden müsse, war ihm als Seelsorger im kommunistischen Polen aufgegangen. Gegen ein totalitäres System die Würde des Menschen zu bekräftigen, bildete für ihn einen unaufgebbaren Kern des authentischen christlichen Zeugnisses; im Prinzip der unverlierbaren Personwürde als Ursprung der Menschenrechte sah Johannes Paul II. die für heute und morgen gültige Übertragung des Christlichen in säkulare Kategorien. Für sein Wirken als Bischof der katholischen Kirche, als christlicher Philosoph und als zeitgenössischer Intellektueller fand Johannes Paul II. eine theologische Programmformel in den von ihm häufig zitierten Sätzen des II. Vatikanischen Konzils: „Tatsächlich klärt sich nur im Geheimnis des fleischgewordenen Wortes das Geheimnis des Menschen wahrhaft auf. Christus, der neue Adam, macht in der Offenbarung des Geheimnisses des Vaters und seiner Liebe dem Menschen den Menschen selbst voll kund und erschließt ihm seine höchste Berufung.“

Dass er in seinen letzten Lebensjahren die Würde des kranken und alten Menschen vertrat, zeigte nicht nur seine Reise nach Lourdes im Jahre 2004, wo er Kranker unter Kranken sein wollte, sondern auch das mitunter erschütternde Bild seiner körperlicher Hinfälligkeit, die ihm großes Mitgefühl und Achtung einbrachten. Durch seinen Tod ist die Welt ärmer geworden, sie hat einen großen Menschen verloren. Gott schenke seiner Seele Frieden in der Freiheit von allem körperlichen Leid."

Für die Richtigkeit
Silke Fauzi
Pressestelle der EKD
Hannover, 3. April 2005