Bischof Huber zu den Folgen der Terroranschlägen in Madrid:

Kein Generalverdacht – keine Verharmlosung

Der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland und Bischof der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz, Wolfgang Huber hat sich am heutigen Samstag, 27. März, in der regelmäßigen Sendereihe „Wort des Bischofs“ auf RBB 88,8 zu den Folgen des Terroranschlags in Madrid geäußert. Der Terror dieser Tage fordere die Einsicht heraus, dass es Überzeugungen und Werte gibt, für die es sich einzutreten lohnt. Dazu biete das Zuwanderungsgesetz, das zur Zeit diskutiert werde, eine wichtige Chance, solche Grundsätze zu bewähren.

Nachfolgend der Text im Wortlaut:

Bischofswort für den 27. März 2004 / RBB 88,8

"Guten Morgen, liebe Hörerinnen und Hörer!

Es war ein Morgen, wie es viele gibt. Sie verabschiedet sich von ihren Kindern an der Haustür. Ihre beiden Söhne trotten – noch etwas verschlafen – mit Rucksack und Sportbeutel zur Schule. Es ist Donnerstag. Sie schaut noch flüchtig auf ihre beiden Kleinen, die gerade betont lässig einen Schulkameraden aus der Nachbarschaft begrüßen. Bald sind Osterferien. Dann wollen sie zusammen ans Meer fahren. Der Blick auf die Uhr reißt sie aus ihren Gedanken. Sie muss zum Zug, sonst kommt sie zu spät ins Büro.

Der 11. März war ein Morgen, wie es viele gibt. In Madrid wurde der 11. März 2004 zum Todesdatum für unschuldige Menschen, die in den Pendlerzügen saßen und auf dem Weg zur Arbeit waren.

Auch in Berlin pendeln Tag für Tag Zehntausende zu ihren Arbeitsplätzen. Auch in unserer Region ist die Angst zum täglichen Begleiter auf dem Weg zur Arbeit und nach Hause geworden. Ein schwer zu ortendes Gefühl der  Ohnmacht und Unsicherheit hat sich eingestellt.

Viel wird jetzt über die mögliche Bedrohung durch den Terrorismus auch in unserem Land geredet. Diese Debatte ist von dem Bemühen geprägt, dem nicht Greifbaren etwas Handfestes entgegenzusetzen. Die Abstimmung auf europäischer Ebene ist dabei genauso nötig wie die intensive Ermittlungsarbeit der Sicherheitskräfte in Deutschland.

Pauschale Verdächtigungen sind dabei unangebracht. Es ist verkehrt, arabisch aussehenden Personen von vornherein zu unterstellen, sie könnten einem Terrornetzwerk angehören. Ein solcher Generalverdacht schürt den Hass und vergiftet das friedliche Miteinander in unserer Gesellschaft. Der Schutz vor möglichem Terror schlägt dann in pauschale Diskriminierung um.

Aber Verharmlosung ist genauso unangebracht. Ob eine Ausweisung auf Verdacht möglich sei, wird inzwischen gefragt. Das Ausländergesetz gibt schon jetzt eine eindeutige Antwort. Ein Ausländer kann des Landes verwiesen werden, „wenn sein Aufenthalt die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder sonstige erhebliche Interessen der Bundesrepublik Deutschland beeinträchtigt“. Dass dabei rechtsstaatliche Grundsätze beachtet werden müssen, sollte sich von selbst verstehen. Alles andere wäre ein indirekter Sieg des Terrors selbst. Ihm würden wir uns nämlich unterwerfen, wenn wir um seinetwillen die Stärke unserer demokratischen Gesellschaft aufgeben würden. Das Ja zu den Grundsätzen der Rechtsstaatlichkeit ist eine unserer zentralen Errungenschaften. Der Terror dieser Tage fordert zu allererst die Einsicht heraus, dass es Überzeugungen und Werte gibt, für die es sich einzutreten lohnt. Das anstehende Zuwanderungsgesetz bietet eine wichtige Chance dazu, solche Grundsätze zu bewähren. Von diesem Weg sollte unser Land sich nicht abbringen lassen. Sicherheit und Freiheit dürfen nicht zu Gegensätzen werden. Auch was wir für die Sicherheit der Menschen tun, muss ihrer Freiheit dienen.

Einen gesegneten Sonntag wünsche ich Ihnen. Bleiben Sie behütet!"

Für die Richtigkeit

Hannover/Berlin, 25. März 2004

Pressestelle der EKD
Christof Vetter