Menschenrechte und Kirchen

Gemeinsames Kommuniqué der Tagung von Experten der russisch-orthodoxen Kirche und der Kommission Kirche und Gesellschaft der Konferenz Europäischer Kirchen

Deutsche Übersetzung der Abschlusserklärung:

Auf Einladung der russisch-orthodoxen Kirche trafen am 20. und 21. März 2007 Experten der Kommission Kirche und Gesellschaft der Konferenz Europäischer Kirchen und Experten der russisch-orthodoxen Kirche in Moskau zu einem Dialog über Menschenrechtsfragen zusammen. Die Delegation der Konferenz Europäischer Kirchen möchte ihre Dankbarkeit ausdrücken und sich für die Einladung sowie für die Gastfreundschaft der russisch-orthodoxen Kirche bedanken. Die beiden Delegationen wurden geleitet von Metropolit Kyrill von Smolensk und Kaliningrad (Vorsitzender der Abteilung für kirchliche Außenbeziehungen der russisch-orthodoxen Kirche) und Oberkirchenrätin Antje Heider-Rottwilm (Leiterin der Europaabteilung der EKD und Co-Moderatorin der Kommission Kirche und Gesellschaft der KEK).

Die Dialogtagung war Teil eines Prozesses innerhalb der russisch-orthodoxen Kirche, der anstrebt, ein grundlegendes Dokument zu der Betrachtungsweise der Menschenrechte durch die russisch-orthodoxe Kirche zu verabschieden. Der Prozess begann 2006 mit einer Erklärung des Weltrates des russischen Volkes. Der offene und aufrichtige Dialog, der in herzlicher Atmosphäre stattfand, konzentrierte sich auf Fragen der Beziehungen zwischen Kirche und Staat, der Einstellung zu den Menschenrechten und der Verwirklichung der Glaubensfreiheit, nicht nur für Einzelpersonen, sondern auch für Kirchen und Religionsgemeinschaften in unseren jeweiligen Gesellschaften. Beide Delegationen verständigten sich darüber, dass die Folge der gegenwärtigen Debatte über Menschenrechte innerhalb der russisch-orthodoxen Kirche und unter den europäischen Kirchen sein wird, das Bekenntnis der Kirchen zu den Menschenrechten zu verstärken, wie sie zum Beispiel in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, der Europäischen Menschenrechtskonvention, der Europäischen Sozialcharta sowie in den Dokumenten der Anschlusskonferenzen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa festgehalten sind:

„Als Vertreter der europäischen Kirchen betrachteten wir Menschenrechte aus der Perspektive des christlichen Glaubens. Unsere Betrachtungsweise der Menschenrechte sollte nicht in erster Linie durch sogenannte östliche oder westliche Vorstellungen der Menschenrechte beeinflusst werden. Als christliche Kirchen betrachten wir Menschenrechte vom Standpunkt der christlichen Grundlagen aus. Wir werden durch den Glauben an den dreieinigen Gott geleitet, Gott den Schöpfer, den Erhalter und Erlöser aller Menschen und aller Kreaturen.

Als christliche Kirchen glauben wir, dass jedes menschliche Wesen in der Ebenbildlichkeit Gott geschaffen ist. (Gen 1,26) Jedes menschliche Wesen hat folglich einen von Gott vorgegebenen unabdingbaren Wert, der vor Verletzungen jeglicher Art geschützt werden muss. Wir sind jedoch überzeugt, dass die Menschenrechte nicht ein Ziel an sich sind. Sie sind ein Instrument, um den Raum zu schützen, in dem alle Menschen, ob einzeln oder in Gemeinschaft mit anderen, das „Leben in Fülle“ erfahren können (Joh 10,10) und in dem alle Menschen geistig wachsen und ihren ethischen Werten gemäß leben können. Als Kirchen müssen wir folglich jeder möglichen Instrumentalisierung der Menschenrechte für politische oder wirtschaftliche Zwecke widerstehen. Wir betonen die Unteilbarkeit der Menschenrechte und die Wichtigkeit sowohl der zivilen und politischen Rechte als auch der sozialen, ökonomischen und kulturellen Rechte.

Als Vertreter der europäischen Kirchen legen wir besonderen Wert auf die Verknüpfung von Rechten und Freiheiten einerseits und sozialer und ethischer Verantwortlichkeit andererseits als zwei Seiten derselben Medaille.

Unsere Dialogtagung betonte den Wert der Glaubensfreiheit für Einzelperson wie für Glaubensgemeinschaften als grundlegendes Recht, das es Anhängern einer Religion oder eines Glaubens erlaubt, ihre Religion oder ihren Glauben durch Gottesdienst, Unterricht oder das Praktizieren von Bräuchen und Riten zu bekennen (Europ. Menschenrechtskonvention Art. 9) sowie in der Möglichkeit, einen in ihrer Religion verwurzelten Lebensstil zu führen. Insbesondere möchten wir die Dimension der Glaubensfreiheit hervorheben, die den Glaubensgemeinschaften Raum im öffentlichen Leben gewährleistet. Kirchen und Glaubensgemeinschaften tragen in allen europäischen Ländern maßgeblich zu den Wertgrundlagen unserer Gesellschaften bei. In vielen Fällen bringen Kirchen eine prophetische Stimme zum Ausdruck. Viele Kirchen tragen ebenso beträchtlich zur sozialen Wohlfahrt bei. Folglich widerstehen wir jedem möglichem Versuch, Glaubensfreiheit auf den privaten Bereich zu begrenzen und die Teilnahme der Kirchen am öffentlichen Leben einzuschränken.

In Europa existieren unterschiedliche Modelle der Beziehung und Zusammenarbeit zwischen Kirchen, Staat und Zivilgesellschaft nebeneinander, resultierend aus der Geschichte und den Traditionen der unterschiedlichen Länder. Wir sehen jedoch eine Annäherung der europäischen Staat-Kirche-Verhältnisse. Die Staaten verpflichten sich, nicht in interne Angelegenheiten der Kirchen einzugreifen, während die Kirchen nicht versuchen, staatseigene Aufgaben und Verantwortlichkeiten zu übernehmen. Stattdessen arbeiten Staat und Kirchen in den meisten europäischen Ländern zum Gemeinwohl unserer Gesellschaften fruchtbar zusammen.

In Übereinstimmung mit dem vor kurzem abgefassten Verfassungsvertrag der Europäischen Union möchten wir, dass diese unterschiedlichen Modelle der Beziehungen zwischen Kirche und Staat durch internationale Rechtsmittel erkannt werden und respektiert werden. Welches Modell auch immer angewandt wird, es sollte die grundlegenden Rechte der religiösen Mehrheits- wie der Minderheitsgemeinschaften respektieren und auf dem Prinzip der Nichtdiskriminierung basieren. Es sollten für alle Glaubensgemeinschaften, die ihre Religion ausüben möchten, grundsätzliche Maßstäbe der Menschenrechte angewendet werden. Religiöse Mehrheits- und Minderheitsgemeinschaften sollten angeregt werden, sich in gegenseitigem Respekt zu begegnen und sich in ihrem Beitrag zum Aufbau gerechter, friedlicher und nachhaltiger Gesellschaften gegenseitig zu unterstützen.

Unsere Dialogtagung in Moskau berührte eine Anzahl weiterer auf die Menschenrechte bezogene Themen, die es lohnen würden, in naher Zukunft einen weiteren Dialog zu führen. Wir verpflichten uns deshalb, diesen Dialog fortzusetzen, während die russisch-orthodoxe Kirche mit dem Vorbereitungsprozess für ihr Dokument über Menschenrechte fortfährt und wir uns gemeinsam auf die dritte Europäische Ökumenische Versammlung vorbereiten, die vom 4. bis 9. September 2007 in der rumänischen Stadt Sibiu stattfinden wird.“

Für die Richtigkeit
Hannover, 22. März 2007

Pressestelle der EKD
Christof Vetter