Gesellschaft braucht gemeinsame Werte

Leitender Bischof der VELKD hielt Festvortrag zum 850-jährigen Bestehen Schwerins

Individualismus, Pluralismus, die Dominanz des Ökonomischen sowie die Beschleunigung aller Lebensprozesse sind nach den Worten des Leitenden Bischofs der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands (VELKD), Landesbischof Dr. Johannes Friedrich (München), die „großen Herausforderungen“ unserer Zeit. In seinem Festvortrag anlässlich des 850-jährigen Bestehens der Stadt Schwerin sagte er am 19. März: „Die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Probleme sind groß. Die Kirche maßt sich nicht an, für alle Probleme Lösungen zu haben. Das ist auch nicht die Aufgabe der Kirche. Aber in unserer lutherischen Tradition sind Maßstäbe und Einstellungen enthalten, die uns auf unserem Weg durch das 21. Jahrhundert sehr hilfreich sein können.“ Jede gesellschaftliche und politische Ordnung setze Wertvorstellungen voraus, die das Zusammenleben der Menschen tragen. Ohne gemeinsame Werte könne ein Zusammenleben nicht wirklich gelingen. Zu dem Wertehorizont, der das Leben in Deutschland bestimmt habe, gehöre der christliche Glaube, auch wenn manche Zeitgenossen meinten, die Zeit des Christentums, des Luthertums sei vorbei. „Ich bin fest davon überzeugt, dass uns die lutherische Fassung des christlichen Glaubens in die Lage versetzt, den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts auf eine gute Weise zu begegnen“ so Friedrich. Diese Tradition enthalte wertvolle Schätze, die aber von jeder Generation neu gehoben werden müssten.

Unser Gemeinwesen brauche auch in Zukunft Menschen, die ihre Freiheit nicht zur Beliebigkeit und zum eigenen  Gewinn gebrauchten, sondern die zum Dienst an der Gemeinschaft, zum Engagement für andere bereit seien. Ein im christlichen Glauben, in lutherischer Spiritualität gegründetes Freiheitsethos könne das 21. Jahrhundert davor bewahren, in einem bloßen Beliebigkeits-Pluralismus zu verfallen.

Für die lutherische Tradition stehe der Gottesdienst im Mittelpunkt, erläuterte der Leitende Bischof. Nicht eine imposante und öffentlichkeitswirksame Hierarchie, nicht eine beeindruckende traditionsreiche Struktur, auch nicht eine in der politischen Öffentlichkeit einflussreiche Kirche stehe im Mittelpunkt, sondern ein immerwährendes und sich immer wieder neu ereignendes Gespräch mit den Zeugnissen des Glaubens, dem biblischen Wort. Der Glaube erwachse, werde lebendig gehalten und korrigiert durch das Gespräch mit der Bibel. Deshalb sei eine behutsame Pflege der gottesdienstlichen und anderen Formen der Begegnung mit dem Wort eine wichtige Aufgabe auch für unsere Zeit.

Friedrich hält die lutherische Ausprägung des christlichen Glaubens für sehr gut geeignet, das Gespräch mit der Moderne zu führen. „Es ist kein Zufall, dass Martin Luther von Beginn der Reformation an, der Bildungsthematik besondere Aufmerksamkeit gewidmet hat. Mit der so genannten Katechismusfamilie, also verschiedenen Veröffentlichungen, die jeweils die Kenntnis vom christlichen Glauben befördern sollen, hat die VELKD seit Jahrzehnten dazu beigetragen, den religiösen Bildungsstand zu pflegen.“

Der lutherischen Ausprägung des Christentums werde oft vorgeworfen, sie sei kopflastig und individualistisch. Das sei im Kern nicht zutreffend. Der Glaube führe zur Gemeinschaft der Kirche. Wenn die stützende Kraft bürgerlicher Gemeinschaftsformen wie Familie oder Dorfgemeinschaft sich tendenziell abschwächten oder gar ausfielen, dann sei die gemeinschaftsbildende Kraft des Glaubens selbst umso mehr gefragt. „Unsere Kirchengemeinden und kirchlichen Strukturen sind in einem höheren Maße gemeinschaftsfördernd, als es uns selbst häufig klar ist.“ In lutherischen Minderheitskirchen und im Lutherischen Weltbund (LWB) könne  man etwas davon erleben, wie Gemeinschaft auch unter ganz verschiedenen soziokulturellen Bedingungen lebendig sein könne. „Manchmal frage ich mich bei der Rückkehr von Besuchen aus kleinen Kirchen, warum wir eigentlich bei den relativ guten Bedingungen, unter denen  wir leben, oft so verzagt sind.“ Glaube werde nicht zuletzt als Gemeinschaft erfahren und „die lutherische Weltfamilie bildet dafür einen weiten, inspirierenden und beglückenden Horizont“, hob der Leitende Bischof der VELKD hervor.

Schwerin, 19. März 2010

Gundolf Holfert
stellv. Pressesprecher der VELKD