Reformatorisch-theologischen Grundwasserspiegel hoch halten

VELKD feiert 60-jähriges Bestehen in Wittenberg

Die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands (VELKD) fühlt sich nach den Worten ihres Leitenden Bischofs, Landesbischof Dr. Johannes Friedrich (München), der Aufgabe verpflichtet, den „reformatorisch-theologischen Grundwasserspiegel in den Gemeinden hoch zu halten“. Beim Festakt zum 60-jährigen Bestehen der VELKD unterstrich Johannes Friedrich am 2. März in Wittenberg die Bedeutung dieses Zusammenschlusses von acht lutherischen Kirchen. So hätten die lutherischen Kirchen in ihrem Bekenntnis die Kraft erkannt, „welche die Kirchen bei ihrer Sache hält und zugleich die Möglichkeit bietet, Gemeinsamkeit im Bekenntnis über territoriale Grenzen hinweg zu konstituieren“. Die den Blick weitende Wirkung des Bekenntnisses hätte nicht nur innerhalb Deutschlands funktioniert, so der Leitende Bischof, sondern weit darüber hinaus. So habe das Luthertum ein Gespür für seine internationale Dimension gewonnen. 1947 wurde der Lutherische Weltbund 1947 gegründet, die VELKD am 8. Juli 1948 in Eisenach.

Wie stark der Wille zum Zusammenwirken innerhalb der VELKD ausgeprägt sei, könne man an der Herausgabe agendarischer Ordnungen für Gottesdienste ablesen, an der Entwicklung einer kirchlichen Lebensordnung (heute „Leitlinien kirchlichen Lebens“) sowie an einem gemeinsamen Pfarrerdienstrecht ablesen. Hinzu kämen die Gründung eines Theologischen Studienseminars, eines Gemeindekollegs und eines Liturgiewissenschaftlichen Instituts. Eine große Wirkung habe die VELKD durch ihre gemeindepädagogischen Aktivitäten erlangt, unter anderem durch die Herausgabe des „Evangelischen Erwachsenenkatechismus“, des Kinderkatechismus „Erzähl mir vom Glauben“ und des „Handbuchs Religiöse Gemeinschaften und Weltanschauungen“. Als Bekenntniskirche habe sich die VELKD stets dem ökumenischen Gespräch „in besonderer Weise“ verpflichtet gefühlt und den Dialog mit der römisch-katholischen Kirche, mit den Methodisten und den Altkatholiken voran getrieben und zu ökumenischen Verabredungen geführt.

Hannover, 02. März 2008

Udo Hahn
Pressesprecher
 

Grußwort des Leitenden Bischofs der VELKD,
Landesbischof Dr. Johannes Friedrich,
beim Jubiläumsempfang am 2. März 2008 in Wittenberg
aus Anlass des 60-jährigen Bestehens der VELKD

Es gilt das gesprochene Wort!


Anrede,

 

Vor wenigen Jahren wollten manche die Vereinigte Evangelisch-Lutherische Kirche Deutschlands totsagen oder ihr nur noch eine kurze Lebenserwartung bescheinigen. Aber sie lebt und wird dieses Jahr 60 Jahre alt – nicht wirklich ein Alter, in dem man ans baldige Totenglöcklein denken müsste.

 

Gegründet wurde sie im Jahr 1948 in Eisenach, im Schatten der Wartburg, mit einem Beschluss über ihre Verfassung. Damit fanden verschiedene geschichtliche Erfahrungen und Entwicklungen des 19. und 20. Jahrhunderts ihre institutionelle Realisierung. Drei von ihnen sollen hier genannt werden:

 

  • Im 19. Jahrhundert vollzog sich eine Entwicklung in Theologie und Kirche, die bei manchen die Frage auslöste, ob das Luthertum sich ins Heidentum reformiere und der christliche Glaube gefährdet sei[1]. Wenn heute mancherorts von Selbstsäkularisierung der Kirche gesprochen wird, ist wohl ein verwandtes Phänomen im Blick. Demgegenüber schrieben sich lutherische Vertreter eine Rückbesinnung auf die Schrift und das Bekenntnis wie auch die Erneuerung des kirchlichen Lebens auf ihre Fahnen.

 

  • Das  evangelische Kirchentum in Deutschland war stets eng verknüpft mit den politischen Territorien. Auch die Unionsbildung überwand diese territoriale  Logik nicht, sondern blieb ganz ihrer Logik verhaftet.[2] Gegenüber einer rein territorialen Begründung sahen die lutherischen Kirchen im lutherischen Bekenntnis die Kraft, welche die Kirchen bei ihrer Sache hält und zugleich die Möglichkeit bietet, Gemeinsamkeit im Bekenntnis über territoriale Grenzen hinweg zu konstituieren. Die den Blick weitende Wirkung des Bekenntnisses funktionierte nicht nur innerhalb Deutschlands, sondern weit darüber hinaus. Das Luthertum gewann ein Gespür für seine internationale Dimension[3], nach manchen Vorstufen wurde 1947 der Lutherische Weltbund in Lund gegründet[4], letztes Jahr durften wir dessen 60jährigen Geburtstag feiern.

 

  • Auch im 20. Jahrhundert machte die Kirche Erfahrungen, die für einen lutherischen Zusammenschluss sprechen. Der enorme Anpassungsdruck an politische Unwerte während der nationalsozialistischen- Zeit hat das Bewusstsein dafür wieder wachsen lassen, wie wichtig es für eine Kirche ist, das Bekenntnis als Steuerungsinstrument[5] zu haben. Der Staat hat nicht das Recht, in die Freiheit der Kirche einzugreifen. Die Kirche ist ihm um ihres Kirche seins willen  nicht verpflichtet. Gemeinschaft vollzieht sich  auf der Grundlage des gemeinsamen Bekenntnisses. Nicht zuletzt die sich intensivierende Gemeinschaft im Lutherischen Weltbund macht das erfahrbar.

 

Gelegentlich wird gefragt, ob es sachgemäß sei, im Namen einer Kirche den Namen einer geschichtlichen Person zu tragen. Manche lutherische Kirchen nennen sich ja auch „Kirche Augsburgischen Bekenntnisses“. Die Frage ist nicht unberechtigt. Gleichwohl: Lutherische Kirche gründet sich nicht auf Luther als noch so eindrucksvolle Person  – zur Gründung der Kirche auf Personen hat Paulus im Korintherbrief das Notwendige gesagt – , sie gründet sich sehr wohl auf eine Weise das Evangelium zu verstehen, wie sie mit Luther in besonders klarer Weise ans Licht getreten und im kollektiven Gedächtnis der Kirche verankert +ist. Aus der Religionsphänomenologie wissen wir, dass höchste Güter, wie eine religiöse Überzeugung, der Artikulation bedürfen und dass solche Artikulation nicht geschehen kann, „ohne eine bestimmte Lesart ihrer Genese zu verfechten“[6]. Das gilt besonders dann, wenn eine Überzeugung (in diesem Fall: die spezifisch evangelische Auffassung vom christlichen Glauben) sich durch die Überwindung einer anderen Überzeugung (in diesem Fall: der römisch-katholischen) entwickelt hat[7].

 

Die Entwicklung der VELKD nach ihrer Gründung zeigt, wie stark der Wille zum Zusammenwirken war:

 

  • In einer ersten Phase[8] bis 1952 entstanden in rascher Folge die Perikopenordnung, erste Agenden, die kirchliche Lebensordnung, die Lehrordnung mit Lehrbeanstandungsgesetz, eine Revision des Kleinen Katechismus und  das Verfassungs- und Verwaltungsgericht. Es war das Bestreben spürbar, nach einer Zeit der Rechtlosigkeit und Unordnung endlich das kirchliche Leben einer kirchlichen Ordnung zuzuführen.
  • Auch in einer zweiten Phase war diese Tendenz noch deutlich spürbar. Pfarrergesetz (1963),  Amtszuchtgesetz (heute: Disziplinargesetz, 1965) und Kirchenbeamtengesetz (1968) sollten der VELKD eine rechtliche Festigkeit geben. Der inhaltlichen Arbeit dienten nun das zunächst noch wandernde Pastoralkolleg (1956) und dann das Theologische Prediger- und Studienseminar in Pullach (1960).
  • In den folgenden Jahren lassen sich mehrere Schwerpunkte und Entwicklungslinien benennen:  1975 erschien zum ersten Mal der Evangelische Erwachsenenkatechismus, der immer neue Auflagen erlebte und heute zum „Flaggschiff“ einer umfassenden Katechismusfamilie geworden ist. Darin kommt der gemeindepädagogische Gestaltungswille der VELKD zur Erscheinung.
  • Von den „Spandauer Thesen“ zum missionarischen Gemeindeaufbau (1958)[9] über die Schriftenreihe „ Missionierende Gemeinde“ bis hin zur Doppelstrategie von 1983[10] und der Gründung des Gemeindekollegs Celle 1986 führt eine weitere Linie der Aktivitäten der VELKD.

 

  • Die intensive Arbeit an den agendarischen Ordnungen der Gottesdienste wurde ergänzt durch die Gründung eines Liturgiewissenschaftlichen Instituts in Leipzig. Schließlich ist hier die Arbeit am „Handbuch Religiöse Gemeinschaften“ zu erwähnen. Die Confessio Augustana nötigt ja auch, die Grenze des Kircheseins und der Abendmahlsgemeinschaft zu beachten. Dem dient in hervorragender Weise die apologetische Arbeit am „Handbuch“, das mittlerweile die 6. Auflage erreicht hat.

 

Die VELKD hat sich als Bekenntniskirche stets dem ökumenischen Gespräch in besonderer Weise verpflichtet gefühlt: Mit der Pastoraltheologischen Handreichung zur gastweisen Einladung zum Abendmahl von 1974/75[11] wurde ökumenisches Neuland betreten. In Bilateralen Arbeitsgruppen mit der römisch-katholischen Kirche (1976-1983 und 1987 –1997) wurden wichtige Gesprächsergebnisse erzielt[12] und vor allem das wechselseitige Vertrauen gestärkt. Die Dokumente „Lehrverurteilungen – kirchentrennend“ und die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigung“ setzen diese Bemühungen auf anderer Ebene fort. Neben die ökumenischen Verabredungen mit der römisch-katholischen Kirche treten solche mit anderen Kirchen wie mit den Altkatholiken[13] und den Methodisten[14] hinzu. Ich freue mich, an dieser Stelle mitteilen zu können, dass die 3. Bilaterale Arbeitsgruppe der römisch-katholischen Kirche und der VELKD bald ihre Arbeit aufnehmen wird.

 

Die VELKD hat stets die Beziehungen zu lutherischen Kirchen in aller Welt und zum Lutherischen Weltbund intensiv gepflegt. Gemeindenah und weltoffen zugleich, das war und ist die VELKD.

 

Sozialethische Fragen und institutionelle Beziehungen zur staatlichen Öffentlichkeit werden in Deutschland von der EKD für alle ihre Gliedkirchen, damit auch für die Gliedkirchen der VELKD kompetent wahrgenommen, so dass die VELKD sich in diesem Bereich in der Regel zurückgehalten hat[15].

 

In den letzten Jahren ist die VELKD in eine neue Phase eingetreten. Ausgelöst durch einen Impuls[16], der letztlich auf die Auflösung der VELKD hinausgelaufen wäre, wurde das sog. Verbindungsmodell entwickelt. Das Verbindungsmodell verknüpft in sich zwei Motive:

 

  • Es will eine engere Zusammenarbeit von VELKD und EKD als bisher. (Der alte Zustand wurde von manchen als Nebeneinander aufgefasst.) 
  • Aber es soll eine Zusammenarbeit von zwei Subjekten sein, eben eine Verbindung und keine Verschmelzung oder Auflösung. In einer Verbindung hofft man nicht offen oder insgeheim, dass es den Partner möglichst bald nicht mehr geben möge, in einer Verbindung freut man sich über den Reichtum, der darin besteht, dass der Partner anders ist als ich selbst.

 

Die VELKD als Bekenntniskirche will eine Kirche ganz vom Evangelium her sein. Sie ruht in der göttlichen Gabe von Wort und Sakrament. Menschliches Tun  in der Kirche gilt nur im Rückbezug auf diese Gabe. Eine Kirche lebt nicht von dieser oder jenen Tagesmode, die VELKD fühlt sich der Aufgabe verpflichtet, den reformatorisch-theologischen „Grundwasserspiegel“ in den Gemeinden hoch zu halten. Das ist eine Aufgabe, der sich auch über den Tag hinaus nicht nur einzelne Theologinnen und Theologen verpflichtet fühlen, sie ist eine Verpflichtung der ganzen Kirche.  Die VELKD ist bis heute institutioneller Ausdruck dieses Willens. Sie wird das auch in Zukunft sein.      

 

Ich wünsche der VELKD ein weiteres, langes Leben. In Israel sagt man beim 60. Geburtstag: „Bis 120!“ Mit Konrad Adenauer, der auf den Wunsch bei seinem 90. Geburtstag, er möge 100 Jahre werden, antwortete: „Legen Sie doch der Güte Gottes keine solch engen Grenzen an!“ traue ich auch der VELKD unter Gottes Güte und Segen ein noch weitaus längeres Leben zu. Was wir dazu tun können, wollen wir tun.

 

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.                                                                    

 



[1]  Vgl. Claus Harms 1817 in These 3 seiner  95 Thesen : „Mit der Idee einer fortschreitenden Reformation, so wie man die Idee gefasst hat und vermeintlich an sie gemahnt wird, reformiert man das Luthertum ins Heidenthum hinein und das Christentum aus der Welt hinaus.“

[2]  Vgl. V.  Weymann, Zur „Landschaft“ der evangelischen Landeskirchen in Deutschland – und ihrer Zusammenschlüsse in EKD, AKf, EKU und VELKD, Texte aus der VELKD 111/2002, S. 43.

[3]  Vgl. dazu F.-O. Scharbau, Kleine Geschichte der VELKD, in: F. Hauschildt/U.Hahn, Bekenntnis und Profil, Hannover 2003, S. 175f.

[4]  J. Track, Art. Lutherischer Weltbund, in: Evangelisches Staatslexikon, Neuausgabe  2006, Sp. 1465

[5]  Zur These von der Selbststeuerung der Kirche durch Auslegung ihrer Lehre vgl. R. Preul, Kirchentheorie, Berlin – New York 1997, S. 43f

[6]   So H. Joas, Die Entstehung der  Werte, Frankfurt 1997, S. 212:  Man kann die höchsten Güter nicht artikulieren, „ohne eine bestimmte Lesart  ihrer Genese  zu verfechten“   Vgl. auch H. Joas, Braucht der Mensch  Religion, Freiburg 2004, S. 148  .

[7]  Vgl. zum weiteren Hintergrund Ch. Taylor, Quellen des Selbst, Frankfurt 1994,  S. 141.

[8] Phaseneinteilung nach Scharbau, a.a.O., S. 201ff.

[9] Vgl. Synodenband VELKD 1958

[10] Zur Entwicklung von Kirchenmitgliedschaft, Texte aus der VELKD 21/1983

[11] Texte aus der VELK 15

[12] „Kirchengemeinschaft in Wort und Sakrament“ 1983 und  „Communio Sanctorum“ 2000

[13] 1986

[14] 1987

[15] Vgl. aber doch H. Chr. Knuth/ W. Lohff (Hg.), Schöpfungsglaube und Umweltverantwortung. Eine Studie des Theologischen Ausschusses der VELKD. Hannover 1985; Der Mensch: Geschöpf oder Schöpfer: Biotechnologie und christlicher Schöpfungsglaube, Texte aus der VELKD 41/1991; Stellungnahme der Bischofskonferenz zur Fragen der Bioethik, Texte aus der VELKD 106/2001.

[16]  Eckhart von Vietinghoff, Reform ist nötig – Reform ist möglich, Texte aus der VELKD 111/2002, S. 8-19..