EKD-Ratsvorsitzender zur Frage nach „guter Religion“

Mündigkeit und Freiheit

Gute Religion müsse „den Sinn für Mündigkeit wecken und den Geschmack von Freiheit in sich tragen“, schreibt der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in einem Beitrag in der Reihe „Was ist eine gute Religion?“ der Neuen Zürcher Zeitung (Montagsausgabe). Heutzutage seien verschiedene Formen fundamentalistischer Religiosität zu beobachten, die diese beiden Leitmotive missachteten. Huber nannte als Beispiele dafür eine kreationistische Weltanschauung oder die religiöse Legitimierung von Gewalt.

Wichtig sei die Unterscheidung zwischen der Wirklichkeit Gottes und der Religiosität des Menschen. „Wenn Religion selbst zu einer letzten Wirklichkeit erklärt und die Wirklichkeit Gottes nicht mehr von dem religiösen Handeln des Menschen unterschieden wird, dann ist eine für jede Religion notwendige Unterscheidung aufgegeben.“ Das Christentum könne und wolle nicht mehr auf die Erkenntnisse der Aufklärung verzichten: „Jede gute Religion steht vor der Anforderung, sich den Anfragen der Aufklärung zu stellen.“

Zu einer guten Religion gehört nach Auffassung des Ratsvorsitzenden auch die Achtung und Förderung der Menschenrechte. Der „Geschmack der Freiheit“, von dem der Theologe Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher Anfang des 19. Jahrhunderts gesprochen hat, dürfe nicht zur Unfreiheit der anderen werden. „Der Streit um die Wahrheit kann nur mit dem Wort, dem Argument – und damit im wechselseitigen Hören – ausgetragen werden. Weder staatliche Autorität noch religiöse Machtansprüche können heute die Pluralität religiöser Wahrheitsansprüche aufheben.“ Die freiheitliche Demokratie antworte darauf, indem sie in der Freiheit der Religion „geradezu das Fundament der Menschenrechte erblickt.“

In der Konfrontation mit einem gewaltbereiten, religiös verbrämten Fundamentalismus sei die „Kraft zur kritischen Unterscheidung“ notwendig. „Das schließt die Forderung ein, sich von Hasspredigern zu trennen und Indoktrinationen, die sich gegen die freiheitliche offene Gesellschaft richten, zu verhindern.“ Der Prüfstein sei die Frage, ob Menschen Gott die Ehre geben und eben deshalb die gleiche Würde aller Menschen achteten. „Nur wo beides sich miteinander verbindet, vermag ich gute Religion zu erkennen.“

Hannover, 27. März 2006

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi

Der Beitrag in der Neuen Zürcher Zeitung im Wortlaut