Säkularisierung oder Wiederkehr der Religion?

Wolfgang Huber zur „Ortsbestimmung“ reformatorischer Kirchen

Zwei Zeitdiagnosen seien hinsichtlich der Rolle der Religion gegenwärtig zu hören: Säkularisierung oder die Wiederkehr der Religion, stellte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, am Dienstag, 4. April, in einem Vortrag in Karlsruhe zum 450jährigen Reformationsjubiläum in Baden fest. Zum Thema „Kirche der Reformation am Beginn des 21. Jahrhunderts – eine Ortsbestimmung“ sagte Huber, evangelisches Christsein sei „der stellvertretende Weg, einen aufgeklärten Glauben unter den Bedingungen der modernen Welt zu bezeugen.“

Die Säkularisierung der politischen Ordnung sei eine Bedingung der Freiheit und damit auch der Religionsfreiheit. „Diese Säkularisierung entspricht einem Motiv des christlichen Glaubens selbst: dem Respekt vor der gleichen Freiheit jedes Menschen“, so der Ratsvorsitzende. Wer sich hingegen auf die Säkularisierung der Gesellschaft beziehe, meine häufig einen Bedeutungsverlust der Religion festzustellen. Es gebe aber eine Betrachtungsweise, die die Säkularisierung der Gesellschaft vor allem als eine „Umdeutung christlicher Gehalte zu Themen weltlicher Verständigung“ wahrnehme. Diese Umdeutung weise auf die nach wie vor gültige Kraft christlicher Glaubensinhalte, wie zum Beispiel die Unantastbarkeit der menschlichen Würde oder der Gedanke einer herrschaftsfreien Kommunikationsgemeinschaft, hin. Diese Glaubensinhalte müssten allerdings immer wieder in ihrem ursprünglichen, jede Säkularisierung überschreitenden Gehalt erkennbar gemacht werden. Es sei „ein Trugschluss, wenn die Kirche selbst auf die Säkularisierung der ihr anvertrauten Glaubensgehalte mit einer Selbstsäkularisierung antwortet, statt unter der Asche der Säkularisierung die Glut der ursprünglichen Glaubensmotive freizulegen.“

Auf der anderen Seite sei festzustellen, dass die Begegnung mit der Religion wieder auf der Tagesordnung stehe: „Menschen fragen wieder weiter.“ Es entstehe ein neues Gespür dafür, dass ein „komplett diesseitiges, rein wirtschaftstaumeliges und radikal konsumzentriertes Leben zu banal, zu äußerlich und zu oberflächlich ist.“ Es sei wahrzunehmen, dass nach Gegenkräften zu Markt und Finanzkraft, Lohnnebenkosten und Konkurrenzkampf gefragt werde. „Mit der Rückkehr der Religion rebelliert die Seele der Menschen gegen ihre kommerzielle Reduktion.“ Kirchen und Gemeinden sollten darauf mit einer Konzentration auf die Wirklichkeit Gottes reagieren. „Entwickeln wir Zutrauen zu den neuen und überraschenden Wegen, auf denen das geschieht.“

Hannover, 03. April 2006

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi

Der Vortrag des EKD-Ratsvorsitzenden „Kirche der Reformation am Beginn des 21. Jahrhunderts – eine Ortsbestimmung“