"Als hätten wir das alles selbst erlebt"

Bischof Wolfgang Huber predigt in Versöhnungskirche Dachau


Die Scham über die von Deutschen verübte Gewalt und die Solidarität mit ihren Opfern müsse fest im kulturellen Gedächtnis verankert bleiben. Das forderte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, in seiner Predigt im Gedenkgottesdienst anlässlich des 60. Jahrestages der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau am 1. Mai. Wie nach dem biblischen Gebot die Eltern im Volk Israel ihren Kindern von der Befreiung aus Ägypten erzählen sollten, müsse die "Erinnerungsarbeit einen festen Platz in unserer Gesellschaft" haben. "Von der Befreiung Europas aus der Sklaverei menschenverachtender Gewalt haben wir zu berichten, wenn unsere Kinder uns fragen."

Das Volk Israel sei aufgefordert worden, sich in der Erinnerung an die Gefangenschaft in Ägypten in die Tradition der Mütter und Väter zu stellen: "Die kommenden Generationen sollen sich so verstehen, als hätten sie all das selbst erlebt." Heute, sechzig Jahre nach der Befreiung der Konzentrationslager und der Befreiung des europäischen Kontinents von der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft "stellen wir uns in die Tradition unserer Mütter und Väter." Mit ihnen stellen wir uns in die Geschichte von Gewalt und Verfolgung und der Erfahrung millionenfachen Mordens, sagte der Ratsvorsitzende. "Wir verstehen uns so, als hätten wir das alles selbst erlebt."

Mit vielen europäischen Freunden verbinde die Deutschen heute die feste Überzeugung, dass "die Unrechtsgeschichte, die in den Abgrund führte, sich nicht wiederholen darf." Der Rat der EKD habe am 27. Januar 2005 aus Anlass des Gedenktages an die Opfer des Nationalsozialismus erklärt: "Allen Formen des Antisemitismus und Rassismus muss widerstanden werden." Dazu bekenne er sich auch persönlich, so der Ratsvorsitzende.

In Dachau könne man spüren, wohin es führe, wenn "der Allmachtswahn des Menschen an die Stelle von Gottes Allmacht rückt" und die Verachtung des andern die Liebe zum Nächsten verdränge. "Wir erinnern uns derjenigen, die, abgemagert bis auf die Knochen, ihrer Jugend beraubt, wieder den Weg ins Leben finden konnten. Und wir erinnern uns der anderen, für die der Tag der Freiheit zu spät kam."

Hannover, den 29. April 2005

Pressestelle der EKD
Silke Fauzi

Hinweis: Die Predigt im Wortlaut können Redaktionen bei der Pressestelle der EKD anfordern.