Kock: Am Anfang steht der Unterschied

Grußworte zu Männer- und Frauenarbeit der EKD

In einem Grußwort anlässlich der Jahrestagung der Männerarbeit der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) hat der Ratsvorsitzende der EKD, Manfred Kock, am 8. Mai in Hannover die ermutigenden Zeichen gewürdigt, die aus der kirchlichen Männerarbeit entstanden seien. Bei einer weiteren Ansprache am 8. Mai in Goslar zur Einführung der neuen Leitenden Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Deutschland hob Kock die Bemühungen der Frauenhilfe hervor, in ihrem gesellschaftlichen Engagement immer wieder neue Wege zu erproben.

Das Jahresthema der evangelischen Männerarbeit aus der biblischen Schöpfungsgeschichte "und schuf sie als Mann und Frau..." erlebte der EKD-Ratsvorsitzende an diesem Donnerstag in ganz besonderer Form. Während er bei seinem Grußwort auf der Jahrestagung der Männerarbeit im hannoverschen Stephansstift getrost mit der Anrede "Sehr geehrte Herren, liebe Brüder" beginnen konnte, standen am Nachmittag in Goslar die Frauen im Mittelpunkt. Dort wurde Dagmar Althausen als Leitende Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Deutschland eingeführt, ebenso die beiden neuen Vorstandsmitglieder Elke Schmidt und Malise Walz.

In seiner Ansprache in Hannover wies Kock darauf hin, dass sich heute auch Männer mit dem Wunsch nach Gleichberechtigung zu Wort meldeten. "Das wirkt auf den ersten Blick skurril", so der Ratsvorsitzende. Doch müssten Männer trotz bestehender rechtlicher Rahmenbedingungen einen Anspruch auf Erziehungsurlaub "gegen Widerstände und Verständnismangel in der Umgebung durchsetzen" - während die These, ein Kind brauche in erster Linie seine Mutter, weiterhin gesellschaftlicher Konsens sei. Dies habe zur Folge, dass bundesweit nicht mehr als 2 Prozent der berechtigten Männer Erziehungszeit in Anspruch nähmen. Teilnehmerzahlen an Aktionen der Evangelischen Männerarbeit, wie am Himmelfahrtstag 2002 mit 30.000 Menschen, ließen ihn hoffen, "dass die in manchen Regionen beispielhafte Zusammenarbeit der Männerarbeit mit den evangelischen Tageseinrichtungen für Kinder weitere Früchte trägt", sagte Kock.

Bei der Amtseinführung der neuen Leitenden Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe, Dagmar Althausen, erklärte Kock, es gäbe kaum eine Institution, die sich in den vergangenen Jahren so sehr um neue Impulse bemüht habe. "Nicht mehr nur nachmittägliche Unterhaltung anbieten, sondern dem Engagement und der Kompetenz der Frauen zu Entfaltung zu verhelfen", dazu habe die Frauenhilfe neue Wege eröffnet. In ihrer Arbeit könne das Bild vom guten Hirten als Leitmotiv dienen: "Unsere Welt, die trotz aller Rationalisierung und Planung so chaotisch und wirr ist, braucht den guten Hirten."  In der Sprache dieses Hirten könne es gelingen, das Zerstreute und Verirrte zusammen zu bringen. "Vor allem brauchen Sie auch die schwarzen Schafe nicht auszusondern", sagte Kock. "Denn die hat Jesus besonders lieb."

Hannover, 7. Mai 2003
Pressestelle der EKD 
Silke Fauzi

Hinweis: Die Männerarbeit der EKD ist der als Arbeitsgemeinschaft organisierte Zusammenschluss aller Einrichtungen der Männerarbeit in 23 Gliedkirchen der EKD. Die Hauptgeschäftsstelle in Kassel organisiert und koordiniert gemeinsame Angebote und gibt eigene Materialien heraus. Weitere Infos zur Männerarbeit: http://www.maenner-online.de/
Die Evangelische Frauenhilfe vernetzt und fördert als Dachverband die kirchliche Frauenarbeit in 15 Gliedkirchen. Mit 12000 Frauengruppen ist sie die mitgliederstärkste Basisorganisation innerhalb der EKD. Weitere Infos zur Frauenhilfe: http://www.frauenhilfe.de/


Die Ansprachen im Wortlaut:

Grußwort des Ratsvorsitzenden der EKD bei der Haupttagung der Männerarbeit der EKD am 08. Mai 2003 in Hannover

Sehr geehrte Herren, liebe Brüder,

Sie haben sich die Botschaft eines biblischen Kernsatzes zum aktuellen Jahresthema gewählt „... und schuf sie als Mann und Frau“.

Am Anfang also steht der Unterschied. Unterschiedliche Lebenserfahrungen und unterschiedliche Interessen bestimmen seitdem die Geschichte des Menschengeschlechts. Freilich: die biblische Schöpfungsgeschichte hatte es über mehr als 2 Jahrtausende sehr schwer, aus der Verschiedenheit von Frauen und Männern die Gleichwertigkeit der Geschlechter abzuleiten. Die Auffassung, dass Mann und Frau absolut gleichwertig in ihrer Verantwortung und Machtausübung gegenüber der Schöpfung sind, ist angesichts der langen Wirkungsgeschichte patriarchaler Auslegung der Bibel eine sehr moderne Interpretation. Daran haben die von der feministischen Bewegung angestoßenen theologischen Diskussionen der letzten Jahrzehnte großen Anteil, aber auch die Aufbrüche in der Männerarbeit.

Da gab es viele Weichenstellungen und markante Wendepunkte. Vor allem erinnern möchte ich an die EKD-Synode in Bad Krozingen 1989. Nach Jahrzehnten des Aufbegehrens der Frauen gegen jegliche Formen ihrer Unterdrückung auch in den Kirchen hat sich die Evangelische Kirche verpflichtet, auf eine erneuerte Gemeinschaft von Frauen und Männern in der Kirche hinzuwirken. Seitdem ist im Hinblick auf eine solche Erneuerung der Gemeinschaft eine Menge geschehen.

Gesamtgesellschaftlich ist ein hohes Maß an rechtlicher Gleichstellung für Frauen erreicht, und auch in unserer Kirche wächst die Zahl von Frauen in Leitungsämtern und Führungspositionen. Das Anliegen von Frauen wird in fast allen Institutionen durch hauptamtliche Referentinnen vertreten und die feministische Theologie hat den einen und anderen Lehrstuhl unserer Fakultäten erobert. Doch bei alledem ist eine entscheidende Frage bis heute nicht wirklich gelöst: Wie sind berufliche Partizipation und Kindererziehung in Einklang zu bringen? Die nach wie vor verbreitete falsche Alternative, entweder Karriere oder Kindererziehung, kann uns weder im Blick auf Geschlechtergerechtigkeit, noch im Blick auf die demographische Entwicklung unserer Gesellschaft, noch hinsichtlich unseres christlichen Familienbildes zufrieden stellen. Das liebevolle wechselseitige Ehren und Achten, das Männer und Frauen nach biblischer Ermahnung einander angedeihen lassen sollen, muss heute ebenso an Christus orientiert geschehen, wie damals, freilich unter anderen Lebens- und Arbeitsbedingungen. Es gibt noch zu viele Bereiche - auch in unserer Kirche -, in denen von einer umfassenden Gleichstellung von Frauen und Männern nicht gesprochen werden kann.

Inzwischen melden sich auch Männer zu Wort und fordern in vielen Bereichen ihre Gleichstellung. Das wirkt auf den ersten Blick skurril, doch gerade beim Beispiel der Vereinbarkeit von Familie und Beruf scheint dies nicht ganz unberechtigt zu sein. Während sich die Frage für Frauen scheinbar „naturgemäß“ stellt, muss der Mann seinen Anspruch auf Erziehungszeit trotz aller rechtlichen Vorgaben gegen Widerstände und Verständnismangel in seiner Umgebung durchsetzen. Obgleich es arbeitsrechtliche Rahmenbedingungen gibt, die es beiden Elternteilen ermöglichen, beispielsweise Erziehungsurlaub zu nehmen, wagen bundesweit gegenwärtig nicht mehr als 2% der Männer diesen Schritt. Dafür gibt es eine ganze Reihe von Gründen, sicher liegt es auch am fehlenden gesellschaftlichen Konsens, der gegen die hartnäckig vertretene These, ein Kind brauche in erster Linie seine Mutter, nicht recht wachsen will. Im Ergebnis lassen sich nur wenige Männer ermutigen, tatsächlich mit der Gleichberechtigung ernst zu machen.

Ich empfinde es in diesem Zusammenhang als ein ermutigendes Zeichen, dass von der evangelischen Männerarbeit in vielen Landeskirchen die Arbeit mit jungen Vätern als Schwerpunkt wahrgenommen wird. An der EKD-weiten Aktion der Evangelischen Männerarbeit zum Himmelfahrtstag 2002 haben sich mehr als 30.000 Menschen beteiligt. Dies blieb in der EKD und auch darüber hinaus nicht unbeachtet. Ich hoffe, dass die in manchen Regionen beispielhafte Zusammenarbeit der Männerarbeit mit den evangelischen Tageseinrichtungen für Kinder weitere Früchte trägt und auch in anderen Bereichen Schule macht. Weitaus mehr Männer als bisher könnten zu größerem Engagement in Familien und Partnerschaften motiviert werden.

Im Untertitel Ihres Jahresthemas, das zu mehr Gerechtigkeit im Zusammenleben von Frauen und Männern aufruft, führen Sie den sperrigen Begriff des „Gender Mainstreaming“ ein. Ich halte diesen Anglizismus für ausgesprochen unglücklich, denn mit einer fachwissenschaftlichen Vokabel gelingt es nur selten, diejenigen, um die es geht, wirklich für die Sache einzunehmen. Selbst Gutwilligen und Überzeugten, die sich für eine neue Qualität der Gleichstellungspolitik einsetzen wollen, scheitern kommunikativ spätestens dann, wenn bei dem Versuch, andere Menschen für dieses Ziel zu gewinnen, mit der Vokabel „Gender-Mainstreaming“ hantieren, als wäre die Sache, um die es geht, nicht schon kompliziert genug. Einer Kirche des Wortes dürfte es doch sicher gelingen, unverkrampft und schöpferisch auf die Suche nach klaren Worten zu gehen, um die Berücksichtigung der besonderen Lebensumstände von Frauen und Männern.

Jede Gemeinschaft lebt aus einem klaren Verständnis von Gerechtigkeit. Um der Gerechtigkeit Gottes willen, sollten wir auch genau hinschauen, wie Frauen und Männer in unserer Mitte leben, was sie sich wünschen, was sie ärgert und was sie brauchen, um Kirche als ihre Heimat zu begreifen. Dann wird auch im kirchlichen Raum eine neue Qualität der Gemeinschaft von Frauen und Männern angestrebt, die die Ziele von Bad Krozingen aufgreift und ihrer Realisierung näher bringt.

Die Arbeit an der Verbesserung der Geschlechtergerechtigkeit darf nicht nur als eine Aufgabe für die Leitungsebenen unserer Kirche verstanden werden, die Auseinandersetzung mit den Fragen sollte auch nicht nur den in der Frauen- und der Männerarbeit in unserer Kirche engagierten ein Anliegen sein. Doch sie sind diejenigen, die entscheidende Impulse setzen müssen, die an die unerledigten Aufgaben erinnern und die beharrlicher als andere für neue Sensibilität bei allen in der Kirche werben müssen. Denn wer sollte für einen gerechten Ausgleich der Interessen und die Anerkennung der spezifischen Bedürfnisse von Männern und Frauen eintreten, wenn nicht Sie?

Dazu ist eine neue Gemeinsamkeit zwischen den Frauen und Männern und ihren Verbänden ebenso wichtig, wie das jeweilige Arbeiten in Räumen, in denen Frauen und Männer unter sich sind, um eine gemeinsame Sprache zu finden. Ich glaube, dass dies vor allem für Männer sehr wichtig ist, deren religiöse Sprachfähigkeit und Erfahrungsdimension mit vielen Tabus behaftet sind. Das Reden über Gott und Glauben gehört offensichtlich nicht unbedingt zum männlichen Selbstverständnis. Hier wartet noch viel Arbeit, um die Männer wieder für unser kirchliches Leben zu begeistern und ihre Präsenz in unseren Gemeinden, Kreisen und Gottesdiensten zu fördern. Ich möchte Sie als unsere evangelische Männerarbeit ermutigen, nicht nachzulassen in Ihrem Bemühen, den Männern in unserer Kirche eine Zukunftsperspektive zu vermitteln.

Es geht um die Frage, ob es gelingt, aus dem Glaubens heraus Antworten auf jene Fragen zu formulieren, die Männern und Frauen heute auf den Nägeln brennen. Die Männerarbeit beruft sich in der Fortschreibung ihrer Konzeptionen auf die Echzeller Richtlinien von 1946: „Die Kirche steht unter dem Gebot, durch ihre Männerarbeit die Männer in der Wirklichkeit ihres Lebens aufzusuchen, sie zur Gemeinde zu rufen, unter Wort und Sakrament zu sammeln, ihnen zu rechter christlicher Bruderschaft zu verhelfen und sie für den Dienst in Kirche und Volk nach Schrift und Bekenntnis auszurüsten. Dabei ist ihre Losung:

„Sammlung der Männer unter dem Wort,
Ausrüstung der Männer mit dem Wort,
Sendung der Männer durch das Wort.“

Gewiss werden Sie Ihre Ziele heute nicht mehr so formulieren, aber es geht damals wie heute um das gleiche, um die geistliche Begleitung von Männern in sich wandelnden Lebenswelten.

Männer in ihrer Lebenswirklichkeit in Beruf und Familie aufzusuchen, ihr Vertrauen zu gewinnen, damit sie Wege finden, über das zu sprechen, was sie vielleicht gerne glauben möchten, woran sie aber - wie der biblische Thomas - zweifeln und was sie bedrückt - das ist eine der anspruchsvollsten Herausforderungen für Seelsorge und Mission. Die Kunst des Zuhörens ist gefragt und die Gabe des rechten Wortes zur Rechten Zeit, damit Kritik als Ermutigung angenommen und nicht als zusätzlicher Leistungsdruck empfunden wird. Mir ist nach wie vor Ernst Langes packende Vision von der Kirche als Sprachschule des Glaubens wichtig, wenn es darum geht, gemeinsam das Evangelium zu entdecken und das eigene Leben daraus verantwortlich zu gestalten- eben auch im Blick auf den Umgang und die Kooperation mit Frauen.

Ich danke Ihnen, der Arbeitsgemeinschaft der Männerarbeit der EKD dafür, dass Sie den Dialog mit den Männern in unserer Kirche nicht abreißen lassen und das Gespräch mit den Männern suchen, also jener „Sorte Mensch“, die der Kirche besonders distanziert und skeptisch gegenübersteht. Für diese wichtige Arbeit wünsche ich Ihnen einen langen Atem und von Herzen Gottes Segen.



Ansprache zur Einführung von Frau Pfarrerin Dagmar Althausen als Leitender Pfarrerin der Evangelischen Frauenhilfe in Deutschland und der neu gewählten Vorstandsmitglieder Elke Schmidt und Malise Walz in ihre Ämter am 8. Mai 2003

Liebe Schwester Althausen,

liebe Damen des Vorstands der Evangelischen Frauenhilfe in Deutschland, liebe Gemeinde,

der Segen Gottes wird Ihnen heute zugesprochen für Ihren Dienst. Sie stehen in der Wirkkraft des Bildes vom Hirten. In dessen Bild hat sich Jesus gestellt, mit dem Satz, der unser Wochenspruch ist: "Jesus sagt, ich bin der gute Hirte. Meine Schafe hören meine Stimme, und ich kenne sie, und sie folgen mir; und ich gebe ihnen das ewige Leben". (Joh 10,11-16)

Das Bild des Hirten aus der Tradition Israels, mit dem z.B. der 23. Psalm den Gott Israels beschreibt: "Der Herr ist mein Hirte, mir wird nichts mangeln". Er setzt sich ein, lässt leben, kümmert sich. Wir sind geborgen, finden Orte zum Leben, grüne Weide, frisches Wasser. Wir sind geschützt von einem, der umgehen kann mit dem Lebendigen. Er ist einer, der wacht und kämpft. Sein Stecken und Stab trösten. Alle Sehnsüchte sind in das Bild gemalt. Im Angesicht der Feinde hat Gott den Tisch bereitet. Er schenkt voll ein.

Ob Sie Ihr Amt in dieser Kraft ausfüllen können? Der Weg der Kirche ist kompliziert. Rezepte und Ratschläge gibt es in Hülle und Fülle, so viele, dass man gar nicht durchblicken kann. Auch in Ihrem Amt geht es ja um den Dienst der Kirche für die Menschen. Auswandern aus dieser Kirche, und sei es unter Berufung auf die Freiheit der kirchlichen Werke und Verbände, für die ja auch die Evangelische Frauenhilfe steht, würde keinen Sinn machen. Das wird auch letztlich niemand wollen. Was immer Sie anregen und ermöglichen in Ihrem Verantwortungsbereich, das Wichtigste wird sein, dass Menschen das Bild des Hirten nicht verlieren und nicht verfälschen. Dafür werden Sie sich einsetzen.

Das Bild vom Hirten vermittelt sich uns zunächst in einer alten Sprache. Sie wirkt fremd, wie der Berufsstand des Hirten in der technischen Gesellschaft fremd wirkt. Auch die Verben sind ungewohnt für den heutigen Umgang: "Mir wird nichts mangeln", "ich kenne die Meinen und ich bin bekannt bei den Meinen" - im Alltag reden wir nicht so. Wir brauchen die Botschaft in heutiger Sprache. Viel Mühe werden Sie aufs Dolmetschen verwenden müssen. Die alten Texte und Bilder dürfen nicht einfach wiederholt werden, sie brauchen Vergegenwärtigung. Darum hat sich unsere Kirche immer bemüht, darum hat sich auch die Frauenhilfe immer wieder bemüht - nicht nur sprachlich. Ich glaube, es gibt überhaupt keine Institution, die sich vor allem in den letzten 60 Jahren so sehr bemüht hat, neue Wege zu gehen. Nicht mehr nur beruhigen, auch aufrüttelnd wirken; nicht mehr nur nachmittagstägliche Unterhaltung anbieten, sondern dem Engagement und der Kompetenz der Frauen zur Entfaltung verhelfen; nicht mehr Staatsmacht und Führergestalten stützen, sondern kritisch begleiten; nicht mehr "absegnen", was Mächtige beabsichtigen, sondern Widerstand leisten gegen leichtfertigen Umgang mit Gottes Welt. Dazu hat es Reformen der Gruppenarbeit gegeben. Dazu wird der Gottesdienst verändert und alle kirchlichen Strukturen. Deshalb denken wir neu nach über Moral und Geschwisterlichkeit. All das ist immer in Bewegung, muss auch in Bewegung sein, muss nach vorn weisen.

Aber dennoch: Was könnten wir denn heute sprechen, wenn es nicht getragen und geprägt würde durch die Sprache, die uns überliefert ist? Durch die Bilder, die uns aus unserer Tradition geschenkt werden? Unser Gesicht bekommen wir nicht, wenn wir in den Spiegel schauen. Unsere Sprache erfinden wir nicht in uns selbst. Das Bild vom Hirten ist zwar alt aber klar. Unsere rationale geplante Welt, die trotz aller Rationalisierung und Planung so chaotisch und wirr ist, braucht den guten Hirten.

Die Stimme des Hirten hören wir durch die alten Geschichten hindurch. Sie ist das einzige, was Widerstand leistet gegen die Dummheit und Angst, gegen Hass und Gerissenheit.

Eine Bekenntnisschrift der Reformation, der Heidelberger Katechismus, beginnt mit der Frage 1 so: "Was ist dein einziger Trost im Leben und im Sterben?" Die Antwort lautet: "Dass ich mit Leib und Seele im Leben und im Sterben nicht mein, sondern meines getreuen Heilandes Jesus Christi eigen bin". Das ist auch alte Sprache, ja. Aber sie verbindet mit denen, die vor uns waren mit ihren Hoffnungen und Träumen. Es ist alte Sprache, aber es ist Sprache der Menschen mit ihren Erfahrungen. Die Sprache führt uns dahin, woher der Glaube kommt, führt uns dahin, wo wir noch nicht sind, aber hinmüssen. Wir brauchen Väter und Mütter, Lehrerinnen und Lehrer - auch Geschichten, die wir nachlesen und weitererzählen können. Wie wir auch unsere Geschwister brauchen auf der Suche nach Wahrheit, die trägt und den Glauben schafft. Ich gehöre nicht mir, sondern bin Jesu Eigentum - alte Sprache, altes Bild. Aber der einzige Weg, nicht in mir selber zu versinken, in meiner dürftigen Machart; ein Bild, das den Weg weist zu den andern hin, zu denen, mit denen wir durchs finstere Tal wandern, mit denen wir gemeinsam im Angesicht der Feinde leben, aber mit denen wir um den gedeckten Tisch versammelt sind, der mit guten Gaben übervoll ist.

Der Glaube an das Leben wächst von denen her, die dieses Bild vom Hirten und andere Bilder für ihre Hoffnungen gefunden und weitergegeben haben.

Es gehört zu den Aufgaben Ihres Amtes für die Verbände und Gruppen innerhalb unserer ganzen EKD Sorge zu tragen. Das ist kein Selbstzweck. Das hat nur Verheißung, sofern es die Menschen, die suchenden, fragenden Menschen im Blick behält und ihnen dient. Darum ist mein wichtigster Wunsch für Sie und Ihre Arbeit: Dass Sie selber die Sprache des Hirten immer besser lernen, die das Zerstreute und Verirrte zusammenbringt.

Dass Sie nicht aufhören, im Vertrauen dieses Hirten sprechen zu können, etwas weniger angstvoll, etwas mutiger, etwas behutsamer als andere. Und dann, da bin ich sicher, gehen Sie immer besser um mit Ihren Stärken und Ihren Schwächen. Dann können Sie auch etwas freier und etwas gelassener sein gegenüber denen, die viel von Ihnen erwarten. Und schließlich können Sie auch noch geduldiger mit denen umgehen, die der Stimme des guten Hirten nicht zu folgen scheinen, können besser hinhören auf die, die sonst nicht sprechen. Vor allem brauchen Sie auch die schwarzen Schafe nicht auszusortieren, denn die hat Jesus besonders lieb.

So wünsche ich Ihnen viel Kraft für Ihren Dienst und Gottes Segen.

Manfred Kock
Ratsvorsitzender der EKD