Manfred Kock fordert Mut zu Reformen in der Sozial- und Arbeitsmarktpolitik

15. Januar 2003

Eine Lanze für mehr Mut zu Reformen brechen - das möchte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Präses Manfred Kock. In einem Vortrag vor Politikern von Bundestag und Bundesministerien fordert er die Politik auf, "die Angst vor den Bürgern zu überwinden." Es sei unverantwortlich, erforderliche Strukturreformen hinauszuschieben, bis die sozialen Sicherungssysteme zusammenbrächen. Er wolle bewusst in den öffentlichen Raum hineinwirken und um Kredit für eine mutige Politik werben.

"Wir brauchen keine medial aufgeschäumten Parolen, sondern seitens unserer gewählten Volksvertreter den schlichten Mut zur Wahrheit und das Zutrauen in die Einsichtsfähigkeit mündiger Bürgerinnen und Bürger", so der Ratsvorsitzenden Kock in seinem Vortrag am 15. Januar um 18 Uhr im Haus der EKD in Berlin. Zwar seien sich die Fachleute und die Spitzenrepräsentanten über die Grundrichtung des Reformbedarfs einig. Aber keiner traue sich, als erster darüber zu sprechen.

Politische Handlungsfähigkeit beweisen

Der Begriff "Reform" bedeute in der gegenwärtigen Situation, dass Alle auf einen Teil der ihnen lieb gewordenen Ansprüche verzichten müssten - und zwar nicht, um den Sozialstaat abzuschaffen, sondern um ihn erhalten zu können. Es erfordere Mut, Reformen nicht nur anzukündigen, sondern auch konkrete Schritte zu beschließen. Bei den Menschen setze dies Vertrauen in die Handlungsfähigkeit der Politik voraus. "Es geht um das Vertrauen, dass es später nur wieder aufwärts gehen kann, wenn man jetzt auf einen Teil der Ansprüche verzichtet."

Was Zukunftsvertrauen bedeute, sei der Kirche auch aus Geschichten der Bibel vertraut. Christen sollten in Umbruchsituationen zu denen zählen, die einen Aufbruch wagen, auch wenn sie manches Gewohntes hinter sich lassen müssten.

Um zu einem bezahlbaren Sozialstaat zurückzukehren, sei eine regelrechte "Reformation des Sozialen" erforderlich. "Wir müssen einen von Grund auf erneuerten Zustand erreichen, in dem das Gemeinwesen die Verpflichtung zur Daseinsvorsorge finanzieren kann und dabei das Gebot der Verantwortung gegenüber den Schwachen wahrt." Wirklich durchgreifende Reformen seien in wichtigen Politikfeldern wie der Alterssicherung und dem Gesundheitswesen nicht erfolgt. Die demographische Entwicklung sowie der medizinische Fortschritt machten unverzügliches Handeln notwendig.

Mit Lösungsvorschlägen bereits zu Wort gemeldet

Die EKD habe sich in der Vergangenheit bereits ausführlich zu Problemen im Gesundheits- und Sozialwesen öffentlich geäußert. So plädiere sie etwa nach wie vor dafür, die Mehrkosten bei der Finanzierung der Renten weniger den Jüngeren aufzuladen, als vielmehr die demographischen Veränderungen bei der Rentenformel so früh wie möglich wirksam werden zu lassen.

Um einem Ausufern der Gesundheitsausgaben entgegenzuwirken, seien neben mehr eigenverantwortlichem Handeln auch strukturelle Veränderungen angezeigt. So müsste etwa mehr Wettbewerb unter den Krankenkassen zugelassen werden. Dies sowie weitere konkrete Schritte habe die EKD in ihrer Schrift "Solidarität und Wettbewerb" vom vergangenen Jahr ausgeführt.

Dringender Reformbedarf bestehe bei der Arbeitsmarktpolitik. "In den letzten Jahren haben die Kirchen immer wieder vergeblich an die politisch Verantwortlichen appelliert, Entscheidendes zum Abbau der unverantwortlich hohen Arbeitslosigkeit zu tun," erinnert Kock. Aber nicht einzelne Maßnahmen und Regelungen könnten den gewünschten Erfolg bringen, auch die Wirtschaft müsse umdenken. Es sei eine naive Argumentation, dass Wachstum automatisch Arbeitsplätze schaffe. "Die Wirtschaft braucht eine Umkehr dieser Unternehmensphilosophie. Es müssen Arbeitsplätze geschaffen werden, um Wachstum zu bilden."

Grundsätzlich gehe es den Kirchen nicht darum, selbst Politik zu machen, sondern Politik zu ermöglichen. "Wir alle sind aufgerufen, diesen Prozess konstruktiv zu begleiten und nicht in erster Linie darauf zu achten, ob eigene Besitzstände gefährdet werden." Nüchternheit und konstruktive Alternativideen seien gefragt - und nicht Schlagzeilen, die einer Katastrophenstimmung verstärken.

Hannover, 15. Januar 2003

Pressestelle der EKD
Anita Hartmann

Redetext in vollem Wortlaut