Ratsbericht

Digitale 2. Tagung der 13. Synode der EKD, 7.-10. November 2021

Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD

Video: Ratsbericht zur EKD-Synode 2021 in Bremen, Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm

©Foto:

Ihre Cookie-Einstellungen verbieten das Laden dieses Videos

Bericht des Rates der EKD (mündlich) zum Download
Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD

Bericht des Rates der EKD (mündlich)

„Sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch“ (Lk 17,21)

Es gilt das gesprochene Wort

Liebe Schwestern und Brüder,

es wäre so schön gewesen! Es wäre so schön gewesen, wenn wir uns heute hier in Bremen alle miteinander hätten versammeln können, so wie wir es seit Monaten erhofft, ja ersehnt haben. Denn dass wir nun – entgegen allen Erwartungen – die Synodentagung erneut digital abhalten müssen, ist hart. Begeisterung über die tolle digitale Tagungsweise empfindet jetzt vermutlich niemand, bestenfalls vielleicht eine stille Dankbarkeit, dass die Tagung nicht komplett ausfallen muss. Aber es wäre jetzt Zeit gewesen, sich endlich physisch zusammenfinden zu können, ein Jahr nach den Wahlen, erst recht jetzt, da so wichtige personelle Zukunftsentscheidungen wie die Wahlen in den Rat der EKD stattfinden werden.

Es hilft nichts. Wir müssen die Situation jetzt so annehmen, wie sie ist und sie nach Kräften gestalten. Vielleicht ist es deswegen kein visionärer Aufbruchston, mit dem wir das Wort aus Lk 17,21 mitsprechen können, das ich über meinen letzten Bericht als Ratsvorsitzender der EKD gestellt habe. Mit einem trotzigen Hoffnungston können wir es vielleicht aber doch mitsprechen.

„Sehet, das Reich Gottes ist mitten unter euch“ dieses Wort hat mich in den letzten Wochen besonders begleitet. Zuletzt am vorletzten Wochenende als wir in der evangelischen Akademie Bad Boll Grund zum Feiern hatten. Wir feierten den 95. Geburtstag von Jürgen Moltmann, diesem großen Theologen des 20. Jahrhunderts. Die 19 Ehrendoktortitel, die er in aller Welt verliehen bekommen hat, sind nur ein äußerer Ausdruck der Bedeutung seiner Theologie, die Generationen von Theologinnen und Theologen geprägt hat. Wie kein anderer steht er für eine Theologie des Reiches Gottes, die die schon in der Gegenwart wirksame messianische Kraft Gottes ernstnimmt und durchdenkt. 

1. Kreuz und Hoffnung – das Reich Gottes unter uns

Zwei Buchtitel unter Moltmanns unzähligen Büchern, deren letztes vor wenigen Wochen erschienen ist und sich unter anderem mit der Corona-Pandemie beschäftigt, drücken aus, warum seine Theologie so hochaktuell ist. Das eine ist die 1964 erschienene „Theologie der Hoffnung“, die ihn mit einem Schlag weltberühmt gemacht hat und ihn zum weltweiten Inspirator der wenig später sich weltweit entwickelnden Befreiungstheologien gemacht hat. Und das andere ist das 1972 erschienene Buch „Der gekreuzigte Gott“.

Wer heute von Theologie der Hoffnung spricht, setzt sich zumal in Zeiten noch immer nicht überwundener Pandemie - schnell dem Verdacht aus, einen billigen Optimismus verbreiten zu wollen, den schon Dietrich Bonhoeffer kritisiert hat, der über die Abgründe menschlichen Leids hoffnungstrunken hinweggeht und die Verhältnisse damit krampfhaft beschönigt. Dass ein solch billiger Optimismus nichts zu tun hat mit der christlichen Hoffnung, wird deutlich, wenn wir den zweiten Buchtitel in den Blick nehmen: „Der gekreuzigte Gott“. Drastischer kann man die spezifisch christliche Sicht auf Hoffnung nicht zum Ausdruck bringen als durch diesen Titel. Denn er zeigt, dass es für den christlichen Glauben schlicht unmöglich ist, Hoffnung durch die Verdrängung von Leiden, Unrecht, Gewalt und Naturzerstörung zu erkaufen.

Wir glauben als Christ*innen an einen Gott, der dieses Leiden in seiner menschlichen Gestalt selbst erfahren hat. Wir glauben an einen Gott, der da ist, wenn Menschen auf den Covid-19-Stationen ersticken und sich für ihre Angehörigen Abgründe auftun. Wir glauben an einen Gott, der die Peitschenschläge auf die Rücken wegen ihres Glaubens verfolgter Menschen im Iran oder in Pakistan kennt. Wir glauben an einen Gott, der die Gewalt kennt, die sexuellem Missbrauch ausgesetzte Kinder erleiden. Wir glauben an einen Gott, der die Schläge mit Polizeiknüppeln gegen verzweifelte Geflüchtete an der bosnisch-kroatischen Grenze kennt, die sie vom Betreten Europas abhalten sollen. Wir glauben an einen Gott, dessen menschliche Gestalt Jesus mit einem Schrei der Gottverlassenheit am Kreuz gestorben ist. Das ist der Gott, an den wir glauben, den wir manchmal nicht verstehen können, von dem wir aber nicht lassen können.

Wie könnten wir an diesen Gott glauben und über all das Leiden in dieser Welt hinwegsehen? Und zugleich glauben wir, dass dieses Leiden nicht das letzte Wort ist. Realismus heißt deswegen nicht, die Macht des Bösen zu akzeptieren, fatalistisch zu resignieren oder einen Zynismus zu entwickeln, der sich ins Negative verliebt. Sondern Realismus heißt für uns, mit Gott zu rechnen. Mit seinem Heiligen Geist zu rechnen. Mit der Auferstehung Jesu Christi zu rechnen. Realismus heißt, in der Perspektive des Reiches Gottes zu leben. Realismus heißt, zu sehen, dass das Reich Gottes mitten unter uns ist, dass es schon im Hier und Jetzt wirkt und uns Kraft gibt, so zu handeln, dass das Reich Gottes schon jetzt zeichenhaft sichtbar wird.

Vor drei Wochen hat das Präsidium des Deutschen Ev. Kirchentags (DEKT) Thomas de Maiziere als Kirchentagspräsident 2023 gewählt und die Losung für den Kirchentag 2023 in Nürnberg festgelegt, für den wir in Bayern Gastgeber sein dürfen. Sie spricht genau diese Sprache: „Jetzt ist die Zeit“ (Mk 1,15). Jesus vertröstet nicht auf ein Jenseits nach der Erdenzeit. Jesus teilt im Horizont des Kommenden die Kraft aus, jetzt neu zu leben, die Welt jetzt neu zu gestalten, die Erde jetzt so zu behandeln, dass auch zukünftige Generationen gut in ihr leben können. Die Worte, mit denen die Kirchentagslosung weitergeht, lauten in der Lutherübersetzung: „Die Zeit ist erfüllt, und das Reich Gottes ist nahe herbeigekommen. Tut Buße und glaubt an das Evangelium!“ Um Glauben und um Handeln geht es!

Das war die theologische und geistliche Grundlage für meine Arbeit als Ratsvorsitzender in den letzten 7 Jahren und wird es weiter sein in den zwei Jahren, die noch als Landesbischof vor mir liegen.

Ausgeklappten Text schließen
2. Das Reformationsjubiläum 2017 als zentrale Wegstation

Das Gefühl des besonderen Moments, das Feiern als Reich-Gottes-Erfahrung, aber auch die Erfahrung von Buße und Selbstbesinnung, und eine besondere Impulskraft für Zukunftsprozesse, das alles hat sich konzentriert in dem so besonderen Reformationsjubiläumsjahr 2017.

Ich will an dieser Stelle keinen nostalgischen Rückblick auf ein Jahr halten, das auf allen Ebenen unserer Kirche so viele Höhepunkte enthielt, dass es sich durchaus lohnen würde, sie nochmal in Erinnerung zu rufen. Sondern ich will zwei Aspekte noch einmal aufgreifen, auf die ich als Wirkung dieses besonderen Jahres immer wieder stoße, die sich für meine Arbeit als Ratsvorsitzender als besonders folgenreich erwiesen haben und die auch für die Zukunft unserer Kirche von besonderer Bedeutung sind: die Ökumene und die Konsequenzen für die Kirchenentwicklung.

2.1.Ökumenische Impulse

Die Höhepunkte dieses Jahres waren für mich in ganz besonderer Weise bestimmte kraftvolle und prägende Gottesdienste. Unter ihnen sticht der ökumenische Gottesdienst „Healing of Memories“ am 11, März 2017 im Hildesheimer Dom besonders heraus. Der Moment, in dem Jugendliche die Panzersperre aus Stahl, die vor dem Altar lag, aufgerichtet und in die Halterung gehoben haben, so dass daraus ein in alle vier Himmelrichtungen zeigendes Kreuz wurde, war für mich einer der intensivsten Momente des ganzen Jubiläumsjahres, ja meiner gesamten Amtszeit. Wir haben dabei symbolisch erfahren: Es ist möglich, aus Sperren und Abgrenzungen neue Zugänge zu Christus zu machen, sich von Christus selbst dazu hinführen und erneuern zu lassen. Und darin zeichenhaft Reich-Gottes-Erfahrungen zu machen.

Wir haben uns in diesem Gottesdienst gegenseitig feierliche Verpflichtungen gegeben, an die ich heute erinnern möchte. Sie haben uns in den Jahren seitdem die ganze Zeit begleitet. Bei einigen hat es große Fortschritte gegeben. Andere erfordern noch viel Engagement. Im Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes“ – so haben wir gesagt – „verpflichten wir uns, gemeinsam in dieser Welt Zeugnis von Gott abzulegen. Wir verpflichten uns, wo immer es möglich ist, gemeinsam zu handeln und einander aktiv zu unterstützen, nicht zuletzt in Fragen der Caritas und Diakonie, der sozialen Gerechtigkeit, der Friedenssicherung und der Wahrung der Menschenrechte. Im Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes verpflichten wir uns, die Kultur des Dialogs und der Zusammenarbeit auf allen Ebenen des kirchlichen Lebens zu fördern und zu intensivieren. Im Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes verpflichten wir uns, den konfessionsverbindenden Ehen alle Hilfestellungen zu leisten, die ihren gemeinsamen Glauben stärken und die religiöse Erziehung ihrer Kinder fördern. Wir verpflichten uns, die ökumenische Grundhaltung in den konfessionsverbindenden Ehen in unseren Kirchen fruchtbar werden zu lassen. Im Vertrauen auf die Kraft des Heiligen Geistes verpflichten wir uns, nach Kräften darauf hinzuwirken, dass Schritte auf dem Weg zur sichtbaren Einheit der Kirchen gegangen werden können. Wir verpflichten uns, den theologischen Dialog noch intensiver als bisher in den Dienst dieser Aufgabe zu stellen.“

Die Selbstverpflichtung ist klar: Wir wollen mit dem theologischen Dialog Schritte auf den Weg zur sichtbaren Einheit ermöglichen.  Nicht immer in den letzten Jahren war den Debattenbeiträgen anzumerken, dass sie nicht zuerst nach Unterschieden und Unvereinbarkeiten suchen, sondern nach Wegen zur Einheit. Umso wichtiger sind wechselseitiges Kennenlernen, menschliche Beziehungen und im besten Falle Freundschaft. Dass die größten Ermutigungen auf dem ökumenischen Weg so oft gerade von den konfessionsverbindenden Ehepaaren kommen, ist ja kein Zufall. Dass sie ihr Bett miteinander teilen, aber nicht ganz selbstverständlich das Mahl des Herrn, zeigt die ganze Absurdität unserer noch immer aufrecht erhaltenen Trennungen. Und es ist ein eindringlicher Auftrag an uns alle in kirchenleitender Verantwortung, nicht locker zu lassen, uns nicht entmutigen zu lassen, uns nie an die in der fehlenden Abendmahlsgemeinschaft noch immer zum Ausdruck kommende Trennung der Kirchen zu gewöhnen.

Jüngst hat der ökumenische Kirchentag, wie wir beim Catholica-Bericht von Volker Jung noch näher hören werden, auf der Basis eines Papiers des Ökumenischen Arbeitskreis Katholischer und Evangelischer Theologen die Tür dafür geöffnet, dass auch evangelische Christ*innen nach Prüfung ihres Gewissens an der katholischen Eucharistie teilnehmen konnten. Dass unsere katholischen Geschwister, allen voran der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Georg Bätzing, hier den Weg mit uns trotz aller Einsprüche von außen weitergegangen sind, war alles andere als selbstverständlich und wäre ohne die ökumenischen Impulse des Reformationsjubiläums vermutlich so nicht geschehen. Ich danke ihm und seinen dabei ebenfalls engagierten Amtsbrüdern von Herzen für den damit verbundenen Mut und für die dadurch zum Ausdruck kommende gelebte ökumenische Geschwisterlichkeit.

Vielleicht darf ich an dieser Stelle die Gedanken zur Ökumene auch noch um eine interreligiöse Dimension erweitern. Der Vorsitzendes des Zentralrats der Juden in Deutschland Dr. Josef Schuster hat in seiner Rede bei der Reformationsfeier der Ev. Kirche in Hessen und Nassau am 31. Oktober dieses Jahres in der Lutherkirche in Wiesbaden ausdrücklich das Reformationsjubiläum und den dabei deutlich gewordenen selbstkritischen Umgang mit den Hetzreden Martin Luthers gegen die Juden als einen der Gründe dafür genannt, dass das Verhältnis zwischen Judentum und Evangelischer Kirche noch nie so gut gewesen sei wie jetzt. Darüber habe ich mich sehr gefreut. Nicht zuletzt dank der Synode und ihrer Präses Irmgard Schwaetzer war es möglich, uns dieser Schattenseite Luthers und der Reformation als Evangelische Kirche in großer Breite zu stellen.

Der gemeinsame Besuch der KZ-Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau mit Josef Schuster und dem Zentralratsvorsitzenden der Sinti und Roma in Deutschland Romani Rose gehört für mich zu den bewegendsten Erfahrungen meiner gesamten Amtszeit. Die freundschaftliche Verbundenheit, die dabei zum Ausdruck kam, ist uns zugleich Verpflichtung, allen Tendenzen von Antisemitismus und Antiziganismus, die wir leider gegenwärtig immer noch, und zum Teil verstärkt erleben, entschieden entgegenzutreten. Wir werden nie zulassen, dass die Erinnerung an die Verbrechen der Vergangenheit beiseitegeschoben wird. Und wir werden uns als Konsequenz dieser Erinnerung immer dafür einsetzen, dass Toleranz, Achtung und Respekt unser gesellschaftliches Zusammenleben prägen und alle Intoleranz und Menschenfeindlichkeit überwunden werden.

Auch mit dem Koordinationsrat der Muslime in Deutschland ist viel Vertrauen gewachsen – ein Vertrauen, das es auch ermöglicht über schwierige Fragen, wie dem Umgang mit Einflüssen aus der Politik in der Türkei umzugehen. Es ist für mich eine Grundbedingung zukünftigen Zusammenlebens, nicht zuerst auf die extremistischen Haltungen zu schauen, sondern auf die große Mehrheit der hier lebenden Muslime, die wie wir friedlich, solidarisch und verantwortlich für die Gemeinschaft leben wollen. Sie machen immer wieder klar, dass Ereignisse wie die bestürzende Schändung einer evangelischen Kirche in Nordhausen nicht Ausdruck des Charakters des Islam ist, sondern seiner Pervertierung. Es ist unsere gemeinsame Aufgabe, solchen Formen von Intoleranz entschieden entgegenzutreten. Es hat mich sehr gefreut, dass der gegenwärtige Vorsitzende des Koordinationsrats Erol Pürlü in einem Video-Gruß zu meinem Abschied im Kirchenamt der EKD das gewachsene Vertrauen ausdrücklich bekräftigt hat und auch andere Mitglieder des Koordinationsrats ausdrücklich die Sitzung 2017 als Meilenstein dafür genannt haben, zu der wir den Koordinationsrat nach Wittenberg eingeladen haben, um ihnen die Geburtsstätte der Reformation näher zu zeigen.

Ausgeklappten Text schließen
2.2. Impulse zur Kirchenentwicklung

Das Zweite Herausragende, was wir aus dem Reformationsjubiläum in die dann folgenden Jahre mitgenommen haben und was die Arbeit der EKD auch mit dem neuen Rat in den nächsten Jahren mitprägen wird, sind die Impulse zur Kirchenentwicklung. Die Leitsätze der EKD sind wesentlich auch Frucht der Auswertung der Erfahrungen des Reformationsjahres. Der erste Schritt, mit dem die Arbeit des von der Synode beauftragten Z-Teams begonnen hat, war eine gründliche Auswertung der Erfahrungen des Reformationsjahres vor Ort. Eine wesentliche Erkenntnis unserer Auswertung war der besondere Erfolg von Veranstaltungen, die nicht im binnenkirchlichen Bereich stattfanden, sondern mit Partnern außerhalb der Kirche wie Theater, Museen, Kommunen oder Schulen.

Da präsent zu sein, wo sich das Leben der Menschen abspielt, anstatt darauf zu warten, dass die Menschen sich in die vorgegebenen Strukturen begeben, das war eine unserer Schlussfolgerungen. Dazu ist es notwendig, zuerst einmal den Sozialraum, in dem wir uns als Kirche bewegen, wahrzunehmen, seine Vielfalt zu sehen und sich nicht damit zufriedenzugeben, dass in unseren gemeindlichen Strukturen häufig ein großer Teil dieser Vielfalt schlicht fehlt.

Im vierten Leitsatz, an den ich heute noch einmal erinnern möchte, heißt es deswegen: „…es wird immer wichtiger, nach geeigneten Partnern aus der Zivilgesellschaft Ausschau zu halten und Themenkoalitionen einzugehen. Die Liebe zu den Menschen verbindet uns mit vielen; das Zeugnis für die Liebe Gottes macht unseren Dienst besonders. Wir öffnen bestehende kirchliche Strukturen für Kooperationen. Kirchengemeinden, Regionen und diakonische Einrichtungen richten ihre Aktivitäten zunehmend gemeinwesen- und sozialraumorientiert aus. Wo eine nachhaltige Abstimmung gelingt, werden wir eigene Angebote profilieren, konzentrieren und gegebenenfalls reduzieren. Das Reformationsjubiläum hat gezeigt, wie durch Kooperationen neue Kontaktflächen und Allianzen entstehen. Sie werden lebendig in gemeinsamen Projekten, herausragenden Events und persönlichen Begegnungen. Im Zugehen auf andere wird die evangelische Kirche nicht nur ihrer eigenen Sendung gerecht. Sie findet Gehör und leistet einen wichtigen Beitrag in der Gesellschaft. Zugleich kommen Menschen in Berührung mit Glauben und christlicher Gemeinschaft.“

In diese Richtung wollen wir weitergehen. Und - ich bin ungeheuer dankbar dafür, dass wir dabei endlich auch so viele junge Leute an Bord haben. Und zwar nicht nur als Matrosinnen und Matrosen, sondern – v.a. mit Anna Heinrich – auch auf der Brücke. Diese Präsenz junger Menschen gehört zu den Entwicklungen der letzten Jahre, für die ich am meisten dankbar bin. Und sie gehört zu den stärksten Aktivposten für eine ausstrahlungsstarke Kirche der Zukunft. Schon die entscheidenden Impulse, die junge Leute uns für die Weiterentwicklung der digitalen Präsenz unserer Kirche gegeben haben, haben das gezeigt. Ohne sie wäre die blitzschnelle Schaffung digitaler Gottesdienst-Formate und die massive Weiterentwicklung unserer digitalen Kommunikationskanäle zu Beginn der Lockdowns nicht möglich gewesen. Als Rat der EKD haben wir zum Abschied ein Büchlein gewidmet bekommen haben, das auch Sie als Synodale erhalten werden, in dem lauter unter 30-Jährige geschrieben haben und das folgenden Titel trägt: „Glauben, Leben, Zukunft. Wie die Generation Y Kirche 2030 denkt.“ Das war, das schönste Geschenk, das Ihr uns machen konntet. Danke dafür! Einfach toll!

Zur Kirchenentwicklung der nächsten Jahre gehört auch, dass wir als Landeskirchen in der EKD und als EKD-Leitungsebene bei den anstehenden Aufgaben weiterhin an einem Strang ziehen. Endlich an einem Strang ziehen. Dass das Verbindungsmodell zwischen EKD, VELKD und UEK nun zu einer echten Verbindung geworden ist, gehört zu den großen Fortschritten der vergangenen Ratsperiode, über die man angesichts der historisch gewachsenen Hindernisse gar nicht dankbar genug sein kann. Darin zeigt sich, dass mit viel guter Kommunikation und wechselseitiger Hörbereitschaft, aber auch dem Ernstnehmen des Auftrags zum Einssein, den Jesus Christus uns gegeben hat, tatsächlich Veränderung möglich ist. Genau das brauchen wir. In den Landeskirchen finden überall große Umbauprozesse statt. Die EKD-Ebene kann koordinieren, Erfahrungsaustausch organisieren und hilfreiche Impulse geben. Voran kommen wir nur gemeinsam.

Und die Veränderungen verdanken sich eben nicht allein der Notwendigkeit, mit weniger Geld auszukommen. Sie haben vor allem inhaltliche theologische Gründe. Wir wollen Kirche für und mit anderen sein. Wir wollen ernstnehmen, dass Gott in Christus die Welt mit sich versöhnt hat, nicht nur die Kirche. Denn er ist „mitten unter uns“ keineswegs nur in unseren eigenen Reihen, sondern überall dort, wo Menschen die Liebe Gottes erfahren und erfahrbar machen.

3. Sexualisierte Gewalt

Umso schlimmer ist es, wenn im Raum der Kirche selbst von Liebe nicht nur nichts zu spüren ist, sondern sie in unfassbarer Weise mit Füßen getreten wird, indem Seelen tief verletzt und Leben zuweilen unheilbar beschädigt oder gar zerstört werden.

Ein Thema, das uns als EKD weiter intensiv beschäftigen muss und wird, ist das Thema der sexualisierten Gewalt, das auch bei dieser Synodentagung großes Gewicht hat.

Verheiratet mit einer Frau die als Psychotherapeutin seit Jahrzehnten mit von Missbrauch Betroffenen arbeitet, begleitet mich das Thema persönlich seit langem. Und es kann mich nicht zufrieden sein lassen, wenn ich merke, wie schwer es uns trotz aller Bemühungen fällt, Menschen gerecht zu werden, denen im Raum der evangelischen Kirche und Diakonie tiefe Verletzungen mit manchmal lebenslangen Folgen zugefügt wurden.
Und so hat das Thema mich und den gesamten Rat durch unsere Amtszeit begleitet.

Wir sind manchen Schritt vorangekommen, aber dennoch muss ich an dieser Stelle auch selbstkritisch sagen: Wir sind noch nicht so weit gekommen, wie wir wollten.

Umso mehr gilt: Als evangelische Kirche dürfen wir nicht nachlassen in dem Bemühen, erschüttertes Vertrauen zurückzugewinnen.

Der Beauftragtenrat der EKD hat seit seinem Bestehen mit Engagement, ehrlicher Empathie und großem zeitlichen und persönlichem Einsatz dazu beigetragen, dass wir verschiedene Schritte weitergekommen sind. So ist der auf der Synode in Dresden am 14. November 2018 beschlossene 11-Punkte-Plan entweder umgesetzt oder die Umsetzung ist auf den Weg gebracht worden – und dies nun ganz bewusst nicht, um einen Maßnahmenplan „abzuarbeiten“, sondern im Gegenteil: um darauf aufbauend weitere Verbesserungen anzugehen. Wir sind mitten in einem umwälzenden Lernprozess, nichts weniger, und es liegt noch ein langer Weg vor uns. Ein Weg, bei dem wir verstärkt auf Unterstützung von außerhalb der Kirche hoffen. Für all die bisher geleistete Arbeit sage ich den Mitgliedern des Beauftragtenrates und dessen bisherigen Sprecher*innen Kirsten Fehrs und Christoph Meyns, aber auch der Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt im Kirchenamt der EKD ganz herzlich Dank.

Dass die Kirchen unter den betroffenen gesellschaftlichen Organisationen hier in den vergangenen Jahren besonders im Zentrum der Aufmerksamkeit gestanden haben, war nachvollziehbar – so sehr eine Verbreiterung der gesellschaftlichen Diskussion jetzt notwendig ist. Zu groß ist die moralische Fallhöhe, wenn das mit sexualisierter Gewalt verbundene Unrecht in einer Institution geschieht, deren ureigener Auftrag es ist, das Doppelgebot der Liebe zu leben – Gott lieben und den Nächsten und die Nächste lieben.

Das, was Martin Luther als den Kern der Sünde beschrieben hat, die Verkrümmung des Menschen in sich selbst – homo incurvatus in seipsum -, kann auch für eine Institution gelten. Auch die Kirche kann verkrümmt sein in sich selbst – ecclesia incurvata in seipsam. Im Hinblick auf sexualisierte Gewalt sind wir das über viele Jahrzehnte gewesen. Viel zu oft ist das damit verbundene Unrecht in unseren eigenen Reihen nicht gesehen worden oder man wollte es nicht sehen.

Und wo es gesehen worden ist, oft nicht in seinem wirklichen Ausmaß. Und auch die seit mindestens zwei Jahrzehnten andauernden Bemühungen, damit besser umzugehen, sind eine Lerngeschichte, die andauert. Wer dazugelernt hat, hat Fehler gemacht. Fehler, die den Betroffenen weiteres Leid zugefügt haben.

Umso mehr wollen, müssen wir diesen Weg weitergehen, in der Hoffnung, dass Lernerfahrungen auch neue Türen öffnen. Dass es etwa gelingt, aus dem gescheiterten ersten Anlauf einer Betroffenenbeteiligung zu lernen und gemeinsam mit den betroffenen Menschen eine neue Form der Partizipation zu entwickeln, in der ihre kritischen Impulse noch stärker zu Veränderungen in unserer Institution führen. Ich bin gespannt auf das morgige Gespräch und das, was die Betroffenen, die reden werden, uns mit auf den Weg geben.

Ausgeklappten Text schließen
4. Umgang mit der Pandemie

In meinen letzten beiden Berichten habe ich ausführlich über die Pandemie, ihre theologische Interpretation und die Kraftquellen im Umgang damit gesprochen. Im Herbst 2021 gibt es Anlass, eines der schon früher behandelten Themen noch einmal aufzugreifen. Zu den größten Defiziten im Umgang mit der Pandemie weltweit gehört der extrem ungerechte Umgang mit der Verteilung des Impfstoffs. Während wir hierzulande fast verzweifelt dafür werben, dass mehr Menschen sich impfen lassen, weil das die einzig wirklich wirksame Möglichkeit ist, die Pandemie zu bekämpfen, hat ein großer Teil der Menschheit noch immer gar nicht die Möglichkeit dazu. Die Impfrate in Afrika liegt noch immer erst knapp über 5 %. Natürlich sind die Gründe vielfältig. Skepsis gegenüber dem Impfstoff aus dem Norden und Fehlinformation über seine Wirksamkeit gehören ebenso dazu wie schlechte Regierungsführung und mangelnde Verteilungskapazitäten. Der wichtigste Grund bleibt aber der Mangel an Impfstoff.

Was sagt das eigentlich über die Ernsthaftigkeit unserer auf der jüdisch-christlichen Tradition gründenden Überzeugung, dass jeder Mensch gleichermaßen geschaffen ist zum Bilde Gottes? Kann eine Kultur, die sich auf diese Überzeugungen gründet, mit der Verteilung von Impfstoff nach der Devise „Das Hemd ist mir näher als der Rock“ handeln?

Um Afrika und andere ärmere Länder mit dem Impfstoff zu versorgen, muss genug Geld zur Verfügung gestellt werden, um Produktion und Verteilung sicherzustellen. So wichtig die COVAX Initiative ist, so bestürzend ist die vergleichsweise geringe Summe an Geld und damit an Impfstoff, die bisher bereitgestellt wurde. Es ist ermutigend, dass inzwischen Pläne der Unternehmen Biontech aus Mainz und Moderna aus den USA fortgeschritten sind, in Afrika eigene Produktionsstätten für Impfstoffe zu errichten.

Allerdings werden ihre Kapazitäten nicht ausreichen. Und sie kommen spät. Um die Menschen in Afrika und vor der Pandemie zu schützen, bedarf es einer deutlich größeren Anstrengung aller: der reichen Staaten, um mehr Mittel bereit zu stellen, der betroffenen Staaten, um die Verteilung zu verbessern und vor allem auch der Unternehmen selbst, um alles zu tun, damit der Impfstoff in qualifizierten Produktionsstätten zu günstigen Bedingungen vor Ort hergestellt werden kann. Dass die Unternehmen so rasch wirksame und sichere Impfstoffe bereitgestellt haben, war und ist beeindruckend.

Aber das Ziel des Schutzes aller Menschen weltweit, verlangt nochmals größte Anstrengungen aller, insbesondere auch das Teilen des Wissens und des Know-Hows der Unternehmen selbst.

In unserem eigenen Land wird die Frage besonders heftig diskutiert, welche Beschränkungen der Freiheitsrechte noch legitim sind und welche nicht. Und vor allem: für wen. Dass Geimpfte bzw. Genesene, Getestete und Ungeimpfte je unterschiedlich behandelt werden, hat – jedenfalls, wenn sich nicht falsche Untertöne daruntermischen - nichts zu tun mit Ausgrenzung oder Diskriminierung, sondern es ist schlicht den je unterschiedlichen faktischen Risikolagen geschuldet. Wer sich gegen eine Impfung entscheidet, stellt nach der klaren wissenschaftlichen Erkenntnis ein deutlich höheres Risiko für andere dar. Das ist ein schlichtes Faktum. Deswegen ist es legitim, wenn der Staat durch entsprechende Maßnahmen andere schützt.

Ich habe in einem Interview bewusst dafür geworben, die Menschen, die sich bisher gegen eine Impfung entschieden haben, nicht alle in einen Topf zu werfen, Ihnen allen gleichermaßen ein Egoismus-Etikett aufzukleben. Für das Ziel, dass so viele Menschen wie möglich sich impfen lassen, plädiere ich allerdings mit großem Nachdruck und appelliere an alle, die jetzt noch zögern: Geben Sie sich einen Ruck. Auch um Ihrer selbst willen! Das Risiko, dass Sie selbst schwer an Covid19 erkranken, ist bei weitem höher als jedes Impfrisiko! Die Krankenhäuser beginnen schon wieder überfüllt zu sein. Pflegekräfte kommen bereits wieder an ihre Grenzen. Umso weniger Verständnis bringen sie für Impfverweigerung auf, denn die erdrückende Mehrheit der schwer Erkrankten sind Ungeimpfte. Deswegen: Diejenigen, die sich jetzt endlich dazu durchringen, sich impfen zu lassen, helfen sich selbst, uns allen, aber ganz besonders den Kindern und den Menschen, die sich nicht impfen lassen können. Sie helfen, die Risiken zu begrenzen und zu einer Entwicklung zu kommen, in der die noch immer bestehenden Freiheitseinschränkungen endlich ganz überwunden sind.

Ausgeklappten Text schließen
5. Reife der Demokratie in Pandemiezeiten

Die Diskussionen um das Impfen und den Umgang mit der Pandemie fallen in eine Zeit des politischen Umbruchs in Deutschland. Nach der Bundestagswahl laufen nun die Koalitionsverhandlungen zur Bildung einer neuen Regierung. Unabhängig davon, wie man den Wahlausgang im Einzelnen beurteilt, kann man doch sagen, dass sich darin etwas gezeigt hat, was alles andere als selbstverständlich ist.

Unsere Demokratie hat sich als stärker erwiesen als viele – mich eingeschlossen - das zu Beginn befürchtet haben. Dass autoritäre Systeme mit Notsituationen besser umgehen können als Demokratien, hat sich nicht bestätigt. Wenn man sich noch einmal das Ausmaß der Freiheitseinschränkungen vor Augen führt, die notwendig geworden sind, um das Allerschlimmste zu verhindern, wenn man sich klarmacht, wie massiv das alles ins höchst persönliche private Leben der Menschen eingegriffen hat und welche seelischen Inzidenzen daraus für viele Menschen erwachsen sind, dann kann man – trotz aller manchmal auch sehr nervösen Diskussionen und nicht zu leugnenden Spaltungstendenzen - insgesamt eigentlich nur dankbar staunend darauf schauen, wie besonnen und kooperativ die Menschen in unserem Land damit umgegangen sind.

Die Bundestagswahl, die der harten Phase der Pandemie ja direkt folgte, hat die Reife unserer Demokratie bestätigt. Die Wahlbeteiligung ist auf einem - trotz grundsätzlicher Institutionenskepsis als gesellschaftlichem Trend - vergleichsweise hohen Niveau von 76,6 % geblieben und damit zum dritten Mal in Folge gestiegen. Die extremen Parteien haben in Deutschland insgesamt nicht zugelegt, sondern sogar abgenommen.

Natürlich verfolgen wir auch als Kirche mit Spannung den Prozess der Regierungsbildung. Denn sehr viel hängt davon ab, welche Weichenstellungen in den Sondierungen und nun in den Koalitionsverhandlungen vorgenommen werden. Dass wir als Kirche keinem politischen Programm einen Heiligenschein geben, galt im Hinblick auf die bisherige Bundesregierung und es wird auch für eine zukünftige Bundesregierung gelten. Aber natürlich hat der Versuch, dem Doppelgebot der Liebe zu folgen, das Jesus uns mit auf den Weg gegeben hat, Gott lieben und den Nächsten lieben, auch klare politische Implikationen.

Ausgeklappten Text schließen
6. Klimawandel

Wieviel empathische Energie bringen wir für die Menschen auf, die in 50 oder 80 Jahren leben werden? Die meisten von ihnen sind heute schon geboren! Und wir haben in der Flutkatastrophe in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen schmerzlich vor Augen geführt bekommen, welches Leid angerichtet wird, wieviele Menschenleben verloren gehen, wenn jetzt nicht grundlegend umgesteuert wird. „Alles, was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen das tut ihnen auch.“ Die Goldene Regel Jesu aus der Bergpredigt (Mt 7,12) gilt ganz sicher gegenüber Menschen, die heute in anderen Teilen der Welt leben und durch Wetterextreme ihre Existenz verlieren. Aber sie gilt auch für die Menschen, die hier oder anderswo auf der Welt in Zukunft leben werden. Wer die wissenschaftliche Faktenlage nicht völlig ignoriert kann aus dem Liebesgebot und der Goldene Regel nur entschiedene Maßnahmen ableiten, die sicherstellen, dass auch unsere Kinder und Enkelkinder, die jetzt schon leben und die wir lieben, mindestens genauso gut leben können wie wir selbst.

Schon als ich 2009, damals noch an der Universität, ein Buch herausgab mit dem Titel „Und Gott sah, dass es gut war… Schöpfung und Endlichkeit im Zeitalter der Klimakatastrophe“, diagnostizierte der Sozialwissenschaftler Udo Kuckartz in einem der Beiträge auf der Basis von empirischen Studien zum Umweltbewusstsein in Deutschland hierzulande eine hohe ökologische Sensibilität. Diese Sensibilität - so stellte er dar - sinke aber rapide, wenn es um den Geldbeutel geht. Dieses Gefälle können wir uns spätestens jetzt nicht mehr leisten. Wir haben hoffentlich verstanden, dass es um konkrete Menschenleben geht, die wir in der Zukunft opfern, wenn uns die notwendigen Maßnahmen zur Begrenzung des Klimawandels heute zu teuer sind. Die finanziellen und v.a. die menschlichen Kosten müssen in jedem Fall bezahlt werden. Nur dann von anderen und das in noch viel höherem Maße.

Das darf nicht passieren! Und es muss auch Konsequenzen für die Prioritäten beim Mitteleinsatz in unserer Kirche selbst haben!

Das Reich Gottes ist mitten unter Euch! Dass diese Zusage gilt, davon bin ich fest überzeugt. Diese Erde wird nicht im ökologischen Inferno enden. Wir werden die Kraft bekommen, zu handeln. Jetzt ist die Zeit! Und bei den Historikerkonferenzen in 100 Jahren wird man dann dankbar feststellen, dass diese Generation zwar lange genug gebraucht hat, um die Massivität der Herausforderungen zu begreifen, aber dass sie gehandelt und rechtzeitig umgesteuert hat. Das ist keine empirisch gestützte Prognose, sondern eine im Glauben an Gottes Treue zu seiner Erde begründete Hoffnung. In wenigen Tagen, wenn die Klimakonferenz von Glasgow zu Ende gegangen sein wird, werden wir mehr darüber wissen, ob die dort beschlossenen politischen Maßnahmen unserer religiös tief begründeten Hoffnung auch empirischen Rückenwind geben. Abhängig ist sie von solchem Rückenwind nicht.

Ausgeklappten Text schließen
7. „Ich bin ein Fremdling gewesen…“

In meinem Bericht bei der konstituierenden Sitzung dieser Synode und insbesondere in der ihm folgenden Diskussion hat das Thema Seenotrettung eine besondere Rolle gespielt. Obwohl es in meinem Zeitbudget als Ratsvorsitzender und Landesbischof über all die Jahre gegenüber anderen Themen wie Glaubensverkündigung und Kirchenreform eine klar nachgeordnete Rolle spielte, hat es öffentlich überdurchschnittlich viel Beachtung gefunden. Und das ist für mich auch nachvollziehbar.

Denn es steht für etwas Grundsätzliches, bei dem man, ob man religiös musikalisch ist oder nicht, von der Kirche etwas erwartet. Es geht um Humanität. Es geht darum, ob wir das selbst ernstnehmen und auch gegen Gegenwind verteidigen, was die Basis unseres christlichen Menschenbildes ist: jeder Mensch ist geschaffen zum Bilde Gottes. Säkular formuliert: Die Menschenwürde gilt für jeden Menschen, egal, woher er kommt und egal was er glaubt und denkt.

Das ist vermutlich der Grund dafür, dass die Zustimmung zu unserer Unterstützung der zivilen Seenotrettung nach meiner Wahrnehmung deutlich gewachsen ist. Und zwar jenseits der unterschiedlichen Meinungen in migrationspolitischen Diskussionen. Immer mehr Menschen finden es intuitiv plausibel, wenn wir sagen: Wir dürfen diese migrationspolitischen Diskussionen nicht anstatt der Rettung von Menschenleben führen, sondern wir müssen sie zusätzlich zur Rettung von Menschenleben führen. Indizien für die breiter werdende Zustimmung zu dieser Einsicht sind etwa eine Spende von 10 000.- € für das Bündnis United4Rescue, die ich anlässlich einer Preisverleihung von der Württembergischen Gesellschaft überreicht bekam, gewiss keine ideologisch in eine bestimmte Richtung neigende Vereinigung, ebenso wie die Schirmherrschaft von Wolfgang Schäuble in einer gemeinsamen Veranstaltung mit ihm in seiner Heimatstadt Offenburg mit dem Titel »MAN LÄSST KEINEN MENSCHEN ERTRINKEN. PUNKT«.

Es sind inzwischen über 2000 Menschen, an deren Rettung die vom Bündnis United4Rescue unterstützten Schiffe beteiligt waren. 2000 Menschen, geschaffen zum Bilde Gottes, die dadurch noch am Leben sind. Als Kirche setzen wir mit unserer Unterstützung der Seenotrettung, wie mit so vielen anderen weniger öffentlich beachteten diakonischen Aktivitäten, ein klares Zeichen, dass wir es mit der Gottebenbildlichkeit des Menschen ernstmeinen. Dass dieses Zeichen gerade bei jungen Leuten viel Zustimmung findet, freut mich besonders.

Als Kirchen sind wir natürlich an vielen Stellen in der täglichen Arbeit am Ball, wenn es um die Begleitung von Menschen geht, die ihre Heimat verlassen haben. Die Deutsche Bischofskonferenz und die EKD haben deswegen am 21. Oktober 2021 ein ökumenisches Grundlagenwort zu Fragen von Migration und Flucht veröffentlicht, das in Zusammenarbeit mit der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Deutschland (ACK) vorbereitet wurde und das den Titel „Migration menschenwürdig gestalten“ trägt.

Mit diesem neuen Gemeinsamen Wort nehmen die Kirchen die komplexe Realität gegenwärtiger Migrations- und Fluchtbewegungen in den Blick. Die Grundfrage, die die unterschiedlichen Themen miteinander verbindet, lautet: Wie lässt sich Migration unter unvollkommenen und widersprüchlichen Bedingungen so gestalten, dass man der Würde des Menschen gerecht wird? Ziel des Dokumentes ist es, vor dem Hintergrund theologischer Reflexionen und kirchlicher Praxiserfahrungen handlungsleitende Orientierungen zu entwickeln.

Dass die Würde und die Rechte von Geflüchteten an so vielen Orten weltweit missachtet und verletzt werden, so auch an den Außengrenzen der EU, ist skandalös und zutiefst beschämend. Deshalb setzen wir uns in ökumenischer Gemeinsamkeit nachdrücklich für eine europäische Flüchtlingspolitik ein, die sich an den Menschenrechten orientiert.

Gegenwärtig sind wir in großer Sorge um die Menschen an der Grenze zwischen Belarus und Polen. Die Diakonie Polen hat zu Spenden für die Flüchtlinge an der polnisch-belarussischen Grenze aufgerufen. Jeden Tag – so berichten unsere polnischen Geschwister - wird ihre Lage schwieriger. Menschengruppen, darunter Familien mit kleinen Kindern, verharren im Freien, suchen Schutz und Hilfe. Schlechte Wetterbedingungen verursachen starke Erkältungen. Darüber hinaus sind bestätigte Fälle bekannt geworden, dass Personen starben, weil sie keine Hilfe erhielten.

 „Als Christen sind wir aufgerufen Menschen in Not Barmherzigkeit zu erweisen, sie aktiv zu unterstützen und und konkrete Maßnahmen zu ergreifen.“ So haben Bischof Jerzy Samiec und Bischof Ryszard Bogusz geschrieben. „Die Hilfe für denjenigen, der sich in einer schwierigen Lage befindet, ist in diesem Zusammenhang von übergeordneter Bedeutung; sie ist ohne Rücksicht auf Herkunft, Religion, oder soziale Stellung zu gewähren… Deshalb können wir dem Schicksal derjenigen gegenüber nicht gleichgültig bleiben, die ein neues Leben weitab von Konflikten, Verfolgung, Ungleichheit und sozialer Ungerechtigkeit beginnen wollen”.

Mit der von der EKD getragenen Versöhnungskirche in der KZ-Gedenkstätte Dachau, die auf Initiative von überlebenden Dachau-Häftlingen zum Gedenken an die NS-Verfolgten errichtet wurde, von denen sich viele vergeblich um ein sicheres Zufluchtsland bemüht hatten, schließe ich mich dem Appell von Amnesty International an alle politisch Verantwortlichen an, den Menschen an der belarussischen Grenze Zugang zu einem regulären Asylverfahren zu geben und damit die menschenunwürdigen Zustände an der EU-Außengrenze zu beenden.

Ausgeklappten Text schließen
8. Reich Gottes und Welt

Liebe Schwestern und Brüder,

immer wieder machen wir die Erfahrung: was auf den ersten Blick nur als politische Diskussion erscheint, ist in Wirklichkeit ein Ringen um gelebten Glauben, um gelebte Liebe, um gelebte Hoffnung. Für uns Christinnen und Christen geht es darum die Zeichen des Reiches Gottes im Hier und Jetzt zu sehen. Das können wir aber nur, wenn wir wirklich aus der Kraft des Reiches Gottes leben. Deswegen hängt Frommsein und Politischsein so eng zusammen. Es geht darum, im Blick auf die Welt den gekreuzigten Gott zu sehen. Und beim Blick darauf zugleich den Horizont der Auferstehung Jesu Christi zu sehen.

In den kommenden zwei Jahren will ich in meinem Amt als Landesbischof mithelfen, unsere Kirche mit unseren 12 Leitsätzen im Rücken umzubauen. Als Mitglied der Kirchenkonferenz werde ich ja auch auf EKD-Ebene noch aktiv daran beteiligt sein. Und dann danach werde ich als Glied der 20 Millionen starken EKD-Gemeinde meinen Beitrag leisten, wo ich gebraucht werde. Ich werde diejenigen, die nach mir kirchenleitende Verantwortung tragen, unterstützen, wo immer ich kann, wohl wissend, wie schwierig ihre Arbeit ist. Ich werde für sie beten. So wie für mich gebetet worden ist und gebetet wird.

Und es ist am Ende meiner Zeit als Ratsvorsitzender eine große Dankbarkeit, die mich erfüllt und mit der ich dieses Amt nun gerne in andere Hände lege. Eine Dankbarkeit für soviele Menschen, die mit mir und dem Rat unterwegs waren in dem Versuch, die Zeichen des Reiches Gottes in der Gegenwart zu sehen und sichtbar zu machen. Ich bin dankbar für alle wunderbare Gemeinschaft im Rat der EKD, besonders auch meiner Stellvertreterin im Ratsvorsitz Annette Kurschus, für die ungeheure Unterstützung im Kirchenamt mit all seiner Expertise und Kompetenz, besonders danke ich meinen Referenten, zunächst Rüdiger Glufke, Johannes Goldenstein und Stefan Zorn und in den letzten Jahren nun Nadia und Stefan El Karsheh, die Ungeheures geleistet haben. Ich bin dankbar für eine starke Synode mit ihrem starken Präsidium mit Irmgard Schwätzer und nun Anna Heinrich an der Spitze. Ihnen und Euch allen, die Sie und Ihr nun neu an den Start geht, wünsche ich von Herzen viel Kraft und Gottes Segen! Und ich danke schließlich auch einer Person, die das all die Jahre mitgetragen und kritisch und liebevoll begleitet hat: Meiner Frau, Deborah Bedford-Strohm, die wegen der Umstellung auf digital jetzt nur am Bildschirm dabei sein kann und die in den 7 Jahren meines Ratsvorsitzes auf viel gemeinsame Zeit verzichten musste. Liebe Debbie, auch hier jetzt mal öffentlich: Von Herzen Dank dafür, dass und wie Du das mitgetragen hast!

Zuletzt noch einmal Jürgen Moltmann: Er ist einer von denen, die mich die ganze Zeit begleitet haben. Er ist nun 95 Jahre alt geworden. Bei meiner Wahl zum Ratsvorsitzenden hat er mir die „Geduld eines Elefanten und die Weitsicht eines Adlers“ gewünscht. Am Tage meiner Wahl zum Landesbischof vor nun über 10 Jahren hatte er mir ein Fax geschickt, das meine Frau für mich eingerahmt hat, das seinen Platz an der Wand neben meinem Schreibtisch gefunden hat und auf das ich seitdem immer wieder schaue. Folgende Sätze hat er mir geschrieben:

„Wenn die Termine sich häufen, atme tief durch und bleibe gelassen.

Wenn die Lasten sich mehren, trage sie mit der Geduld der Engel.

Übe dich in Geduld mit deinen Mitmenschen, schließlich müssen sie auch Geduld mit dir haben.

Achte auf die Zeichen der Zeit und höre auf die Einfälle des Heiligen Geistes und übe dich in der Phantasie für das Reich Gottes in Bayern.

Mehr fällt mir nicht mehr ein…“

Ich finde, liebe Schwestern und Brüder, ihm ist das Entscheidende eingefallen. Es hat mich über Bayern hinaus auch in meiner Arbeit in der EKD getragen. Und ich nehme es nun voller Dankbarkeit für meine Zeit im Ratsvorsitz wieder mit nach Bayern. Wieviel Phantasie für das Reich Gottes mir geschenkt war und ist, darf offenbleiben. Denn ich weiß, dass ich alles, was unvollendet geblieben ist und geblieben sein wird, in Gottes Hand legen darf, dass er es vollende.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!

Ausgeklappten Text schließen
Deckblatt Ratsbericht Synode 2021 Bremen

Bericht des Rates der EKD (schriftlich)

Heinrich Bedford-Strohm, Ratsvorsitzender der EKD