Hilfsorganisationen: Auf neue Fluchtwelle aus Ukraine vorbereiten
„Die humanitäre Hilfe wäre auch nach Kriegsende oder bei einem Waffenstillstand weiterhin nötig“, so der Direktor der Diakonie Katastrophenhilfe, Martin Keßler.
Berlin (epd). Deutschland und Europa müssen sich nach Einschätzung von Hilfsorganisationen auf eine mögliche neue Fluchtwelle aus der Ukraine vorbereiten. Wenn sich der Frontverlauf weiter in Richtung Westen verschieben sollte, sei dies „ein absolut realistisches Szenario“, sagte der Direktor der Diakonie Katastrophenhilfe, Martin Keßler, dem Evangelischen Pressedienst (epd) in Berlin. Um sich darauf vorzubereiten, müsse Geld bereitgestellt werden. Zudem müssten neue Partner für die humanitäre Hilfe vor Ort gefunden und mehr Flexibilität in den Hilfsprogrammen verankert werden.
Zwei Jahre nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine sind nach Keßlers Worten 17 Millionen Menschen innerhalb des Landes auf humanitäre Hilfe angewiesen. Hinzu kämen weitere drei Millionen Binnenflüchtlinge innerhalb der Ukraine. Die Diakonie Katastrophenhilfe leistet mit ihrem ukrainischen Partner East SOS unter anderem Hilfe bei Evakuierungen in sicherere Umgebungen, psycho-sozialer Betreuung von Kindern und Traumatisierten und der Rechtsberatung wegen veralteter Dokumente. Hinzu kommt die Bereitstellung von Wärmezelten, Lebensmitteln, Sachgütern und Hygieneartikeln, Heizmittel-Unterstützung, finanzielle Hilfe über Gutscheinkarten und die notdürftige Instandsetzung von Häusern, etwa in Frontnähe.
Wegen des zurückgehenden Spendenaufkommens werde die humanitäre Hilfe zunehmend über Drittmittel organisiert, also etwa Geld vom Auswärtigen Amt oder der Europäischen Union. Keßler regte für die Zukunft mehr Flexibilität in den Hilfsprogrammen an: „Wir können keine fixen Programme mehr machen, die dann bei einer kleinen Änderung des Frontverlaufs schon nicht mehr funktionieren.“ Notwendig sei etwa die Möglichkeit, innerhalb von Budgets verschieben zu können, um kurzfristig auf sich ergebende Bedarfe reagieren zu können.
Nach den Worten Keßlers sind die Spendeneingänge bei der Diakonie Katastrophenhilfe nach einem Rekordjahr 2022 inzwischen massiv gesunken. Nach 68 Millionen Euro in 2022 seien es im vergangenen Jahr noch 4,6 Millionen Euro gewesen.
„Die humanitäre Hilfe wäre auch nach Kriegsende oder bei einem Waffenstillstand weiterhin nötig“, betonte der Direktor der Diakonie Katastrophenhilfe. Jedoch würde dann etwa die Instandsetzung von Häusern und Infrastruktur in den Vordergrund rücken. „Schon jetzt ist aber absehbar, dass der Wiederaufbau in der Ukraine sehr lange dauern und sehr teuer werden wird. Das sehen wir an den Schäden“, sagte Keßler.
Zurückhaltend äußerte er sich zum Vorschlag Estlands, eingefrorene russische Vermögenswerte für den Wiederaufbau der Ukraine umzuleiten. „Für den Wiederaufbau sollten vor allem Geldmittel auf regulärem Wege im Konsens mit der internationalen Gemeinschaft bereitgestellt werden“, sagte Keßler.
epd-Gespräch: Jens Büttner