„Friedliche Potentiale der Religionen stärken“

EKD-Ratsvorsitzender trifft Mufti von Ägypten

Religiöse Extremisten stellen ein weltweites Problem dar, unter dem auch die Religionen zu leiden hätten, darin waren sich der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Manfred Kock, und der Mufti von Ägypten, Ahmed El-Tayeb, bei einem Treffen in Köln am Freitag, 6. Juni, einig. Gewalttätige Extremisten, die im Namen Gottes Verbrechen begingen, stellten sich außerhalb ihrer Religion, betonte der islamische Würdenträger. Manfred Kock rief dazu auf, im interreligiösen Dialog Unterschiede nicht zu nivellieren.

„Extremismus ist meines Erachtens nach ein Anzeichen religiöser Unsicherheit“, sagte der EKD-Ratsvorsitzende bei dem anderthalbstündigen Gespräch im Haus der Evangelischen Kirche in Köln. „Wer in seinem Glauben unsicher ist, braucht ein Gegenüber als Feindbild zur eigenen Bestätigung.“ Der ägyptische Mufti betonte, dass man eine Religion nicht nach ihren Extremisten beurteilen sollte: „Sonst müssten wir auch die christlichen Kreuzzüge anführen.“ Er sei beeindruckt von der Herzlichkeit und Offenheit, die er von seinen evangelischen Gastgebern erfahre. Die Äußerungen des EKD-Ratsvorsitzenden spiegelten eine Toleranz, „deren Quelle ein tiefer Glaube ist“, so El-Tayeb. Die in den Religionen innewohnenden Potentiale zum Frieden müssten gestärkt werden, was Kock bekräftigte.

Das Gespräch mit der hochrangigen ägyptischen Delegation, der neben dem Mufti auch Parlamentarier und Wissenschaftler angehörten, stand unter dem Thema „Staat und Religion“. Manfred Kock erläuterte, dass sich im europäischen Christentum nach einer Reihe konfessioneller Kriege eine Trennung von Religion und Politik entwickelt habe. „Das war auch für die Christen ein Lernprozess“, so Kock. Man habe erkannt, dass nur ein säkularer Staat die Freiheit der Überzeugungen und damit den Frieden in einer pluralen Gesellschaft sichern könne. „Nach meiner Ansicht haben wir heute eine gute Kooperation zwischen Staat und Religion.“ Dieses Verhältnis bedeute jedoch nicht, dass die Religion in den Bereich des Privatlebens verdrängt werde. „Die Religionen, im Moment natürlich vorwiegend die christlichen Kirchen, können Einfluss nehmen auf die Gestaltung der Gesellschaft.“

Der Mufti von Ägypten äußerte, dass der Besuch in Deutschland ihm klar gemacht habe, dass er bisher ein unzureichendes Verständnis von der Trennung von Religion und Politik gehabt habe. Die Trennung gewährleiste, dass sich der Staat nicht zugunsten einer einzelnen Konfession oder Glaubensrichtung einsetze. Damit sei die Glaubensfreiheit aller Bürger geschützt. „Wenn das die Bedeutung von Säkularisierung ist, dann unterstützen wir das voll und ganz.“ Zugleich erklärte er, dass es einige Strömungen des Islams in Deutschland gebe, die diese Trennung nicht akzeptierten: „Das ist weiterhin eine komplizierte Frage.“

Manfred Kock erläuterte, zur Trennung von Religion und Politik gehöre auch, dass der Staat keine Regeln für das persönliche Verhalten des Einzelnen aufstelle. Die Gesetzgebung schütze das Leben, den Besitz, die Ehre und die Ehe, stelle aber keine Verordnungen auf, wie diese Bereiche zu gestalten seien. Die Kirchen könnten Richtlinien aufzeigen. Deren Umsetzung sei aber nicht Sache des Staates, sondern könne nur aus dem persönlichen Gewissen des Einzelnen erwachsen.

Wie es in Deutschland mit dem muslimischen Kopftuch bestellt sei, wollte Ahmed El-Tayeb wissen. „Gehört der Schleier zur individuellen Freiheit, die der Staat garantiert?“ Der EKD-Ratsvorsitzende erklärte, dass es sicher keine Rechtssprechung geben werde, die das Tragen des Kopftuchs verbiete. Komplizierter sei jedoch die Frage zu beantworten, ob Lehrerinnen an öffentlichen Schulen ein solches Kopftuch tragen dürften. „Dabei ist zu klären, ob es sich um ein Zeichen religiöser Propaganda handelt, die die Neutralität des Staates gefährdet Der ägyptische Mufti sagte: „Es gibt einige Verse im Koran, die nach unserem Verständnis von muslimischen Frauen das Tragen des Kopftuchs verlangen.“

Abdel Mo’ti El-Bayoumi, Mitglied der ägyptischen Volksversammlung, fasste am Schluss zusammen: er sei mit dem Mufti einig, dass die Muslime in Deutschland die Trennung von Religion und Politik ohne Schwierigkeiten akzeptieren könnten, solange der Staat ihre Glaubensausübung nicht gefährde. Dazu zähle er die Freiheit zum Gebet, zum Fasten, zum Tragen religiöser Kleidung und „die Gestaltung des persönlichen Lebens nach den Bestimmungen des Islams.“ Solange Muslime das Gefühl hätten, „dass die Besonderheit ihres Glaubens respektiert wird“, gebe es kein Problem mit der Säkularisierung. Für die Erläuterung dieser Position oder Rückfragen reichte die angesetzte Gesprächszeit allerdings nicht mehr aus, der nächste Termin drängte. Der Ratsvorsitzende brachte abschließend den Wunsch zum Ausdruck, die durch den Besuch geknüpften Kontakte weiter zu führen und zu vertiefen.

Hannover/Köln, 6. Juni 2003
Pressestelle der EKD
Silke Fauzi