EKD und Russische Orthodoxe Kirche betonen Verantwortung für Menschenrechte

24. bilateraler Theologischer Dialog in Wittenberg

Der Schutz der Menschenrechte gehört zu den wichtigsten Aufgaben der Kirchen im gesellschaftlichen Dialog. Dies stellten die Teilnehmenden des 24. bilateralen Theologischen Dialogs zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) fest, der vom 22. bis 28. Februar in der Lutherstadt Wittenberg stattgefunden hat. Unter der Leitung des EKD-Auslandsbischofs Martin Schindehütte und des russischen Erzbischofs Sergij von Samara und Syzran beschäftigten sich die beiden Delegationen mit dem Thema „Freiheit und Verantwortung aus christlicher Sicht“.

Der EKD-Auslandsbischof betonte in seinem Referat, dass die Menschenrechte als universale Rechte begründungsoffen für verschiedene religiöse und weltanschauliche Zugänge seien: „Sie sind für Christen jedoch nicht aus sekundären politischen Gründen verbindlich, sondern weil sie aus dem christlichen Glauben heraus begründet werden.“

Beide Seiten stimmten darin überein, dass das säkulare Verständnis von Freiheit als der höchstmöglichen Vielheit der Wahl sowie als einer möglichst geringen äußeren Einschränkung eines Individuums bei der Umsetzung seiner Wünsche unzureichend sei und dem christlichen Verständnis von Freiheit direkt widerspreche. In der orthodoxen und evangelischen Tradition sei Freiheit ohne Verantwortung undenkbar.

Im Kommuniqué, das zum Abschluss der Begegnung unterzeichnet wurde, heißt es dazu, Freiheit sei eine grundlegende anthropologische Größe, die für Christen in der Gottebenbildlichkeit des Menschen und im Erlösungshandeln Jesu Christi gründe.

Der Begriff der Menschenwürde stelle nicht nur den hohen Wert des menschlichen Geschöpfes fest, sondern rufe auch auf zu einem „wahrhaft freien Leben, das mit Tugend und Verantwortung verknüpft ist.“ Der Schutz der Menschenwürde sei eine grundlegende gesellschaftliche Aufgabe, der die Menschenrechte dienen. Die Kirchen hätten die Aufgabe, „den Staat an seine Verpflichtung zu erinnern, Freiheit und Menschenwürde für die Menschen zu schützen und in diesem Sinne Recht zu gestalten.“

Das Kommuniqué hebt die geschwisterliche Offenheit und theologische Tiefe der Gespräche hervor. Im Vorausblick auf das Jahr 2009, in dem das 50-jährige Jubiläum des Dialogs zwischen EKD und ROK (Moskauer Patriarchat) gefeiert wird, betonten die Vertreter beider Kirchen, dass „in verschiedenen historischen, politischen, gesellschaftlichen Kontexten und auch in manch schwieriger ökumenischer Situation ein gegenseitiges verlässliches Vertrauen gewachsen ist.“

Hannover, 29. Februar 2008

Pressestelle der EKD
Silke Römhild


Das Kommuniqué im Wortlaut:

Kommuniqué

des bilateralen Theologischen Dialogs zwischen der Russischen Orthodoxen Kirche und der Evangelischen Kirche in Deutschland

vom 22. – 28. Februar 2008 in Lutherstadt Wittenberg

Auf Einladung der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) fand vom 22. – 28. Februar 2008 der 24. bilaterale Theologische Dialog (Bad Urach V) zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Russischen Orthodoxen Kirche in der Lutherstadt Wittenberg statt.

Das Hauptthema des Gesprächs war: „Freiheit und Verantwortung aus christlicher Sicht“

An dem Gespräch nahmen teil

von Seiten der Evangelischen Kirche in Deutschland:

Bischof Martin Schindehütte, Vizepräsident des Kirchenamtes der EKD und Leiter der Hauptabteilung Ökumene und Auslandsarbeit, Hannover (Delegationsleiter)

Vizepräses der Evangelischen Kirche im Rheinland, Pfarrerin Petra Bosse-Huber, Düsseldorf

Pfarrer Prof. Dr. Christof Gestrich, Berlin

Oberkirchenrat Pfarrer Michael Hübner, Kirchenamt der EKD, Hannover

Stellv. Bischof Propst Siegfried T. Kasparick, Lutherstadt Wittenberg

Pfarrerin Dr. Ariane B. Schneider, Hannover

Pfarrer Dekan Prof. Dr. Martin Tamcke, Göttingen

Pfarrer Prof. Dr. Dr. h.c. Reinhard Thöle, Bensheim (Berater)

Oberkirchenrat Pfarrer Dr. Johann Schneider, Kirchenamt der EKD, Hannover (Geschäftsführer)

von Seiten der Russischen Orthodoxen Kirche

S. E. Erzbischof Sergij von Samara und Syzran, Samara (Delegationsleiter)

Priester Igor Vyshanov, Sekretär des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats, Moskau

Priester Georgij Rjabych, amt. Sekretär für Beziehungen der Kirchen und der Öffentlichkeit des Moskauer Patriarchates, Moskau

Priester Vladimir Shmaliy, Sekretär der synodalen theologischen Kommission des Moskauer Patriarchats, Prorektor der Moskauer Geistlichen Akademie, Moskau

Priester Valentin Vasechko, Leiter des Lehrstuhls für Konfessionskunde an der Hl. Tichon-Universität, Moskau

Hegumen Kirill (Govorun), Mitarbeiter der Kiever Metropolie der Ukrainischen Orthodoxen Kirche und Dozent an der Kiever Geistlichen Akademie, Kiev

Priester Vladimir Hulap, Eparchie der ROK, St. Petersburg

Vladimir Bureha, Dozent an der Moskauer Geistlichen Akademie, Moskau

Elena Speranskaya, Dozentin der Moskauer Geistlichen Akademie, Mitarbeiterin des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchates, Moskau

Vakhtang  Kipshidse, Mitarbeiter des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchates, Moskau

Nadja Simon, Pulheim (Dometscherin)

Protodiakon Dr. Georg Kobro, München (Dolmetscher)

Priestermönch Amphian (Vechelkovsky), Assistent des Erzbischofs von Samara und Syzran, Sergij, Samara

Helga Meyer, Hannover (Sekretariat)

als Gäste:

Pastor Andreas Hamburg, Deutsche Ev. Lutherische Kirche in der Ukraine, Odessa

Katariina Ylikännö, Ev. Luth. Kirche in Finnland, Lutherstadt Wittenberg

Kyrill Ukolov, Stipendiat des Diakonischen Werkes der EKD, Berlin

I

Die Sitzungen der Dialogberatungen wurden abwechselnd von Erzbischof Sergij von Samara und Syzran und von Bischof Martin Schindehütte moderiert.

Zur Eröffnung unterstrich Bischof Schindehütte die Bedeutung dieses Dialogs als besonderes ökumenisches Modell und als gelungenes Beispiel einer guten Kommunikation zwischen zwei Völkern durch den  Hinweis auf die Verleihung des Europäischen Kulturpreises für den Dialog zwischen der EKD und der ROK, der im Jahr 2006 in Dresden von Metropolit Kyrill und Bischof Wolfgang Huber entgegengenommen wurde.

Erzbischof Sergij erinnerte an die Gefahren, die mit dem modernen Globalisierungsprozess und mit dem Verlust der spirituellen Werte sowohl in Russland als auch in ganz Europa verbunden sind.

In diesem Zusammenhang betonten beide Delegationsleiter, wie wichtig das Thema dieses Dialoges sei.

Der Dialog wurde durch tägliche Morgen- und Abendgebete gerahmt, die abwechselnd von orthodoxer und evangelischer Seite gestaltet wurden.

Am Sonntag, dem 24. Februar, fand in der Stadtkirche zu Wittenberg (dem früheren Predigtort Martin Luthers) ein Abendmahlsgottesdienst statt. Die Orthodoxe Delegation nahm an diesem Gottesdienst betend teil und Erzbischof Sergij wandte sich mit einem geistlichen Wort an die evangelische Gemeinde.

Am Nachmittag standen Führungen durch das Melanchthonhaus und durch das Lutherhaus auf dem Programm, durch welche die Delegationen mit der Geschichte der Reformation vertraut gemacht wurden.

Abends fand auf Einladung der Evangelischen Kirche der Kirchenprovinz Sachsen und der Evangelischen Kirche in Deutschland ein Empfang für beide Delegationen und für Vertreter des gesellschaftlichen und kirchlichen Lebens in Wittenberg im Refektorium des Lutherhauses statt.

Oberbürgermeister Eckhard Naumann, der Direktor der Stiftung Luthergedenkstätten, Dr. Stephan Rhein, und die beiden Delegationsleiter hoben in ihren Grußworten sowohl die Bedeutung des Dialoges als auch die Bedeutung Wittenbergs als Ort internationaler und ökumenischer Begegnungen hervor.

Am Mittwoch, dem 27. Februar wurde in der Leipziger russischen Kirche des Hl. Alexius von Erzbischof Sergij und den Priestern der orthodoxen Delegation die Göttliche Liturgie zelebriert. Die deutsche Delegation nahm an dieser Liturgie betend teil und Bischof Martin Schindehütte richtete am Ende des Gottesdienstes ein geistliches Wort an die dort versammelte Gemeinde.

Danach besichtigten die Delegationen die Leipziger St. Peters Kirche, in der Pfarrer Johannes Toaspern die Bedeutung der christlichen Gemeinden für die Wende 1989 in Ostdeutschland  anschaulich machte. Anschließend folgte ein Besuch der Thomaskirche.

II

Das Thema wurde in folgenden Referaten entfaltet:

Freiheit und Verantwortung.

Biblisch theologische Grundlegung und hermeneutische Reflexion
(Prof. Dr. Christof Gestrich)

Orthodoxe Betrachtungsweise der Menschenrechte
(Priester Georgij Rjabych)

Zwei Bedeutungen der Freiheit in der östlichen patristischen Tradition
(Hegumen Kyrill Govorun)

Freiheit und Verantwortung. Menschenrechte als christliche Verpflichtung
(Bischof  Martin Schindehütte)

Zusammenfassungen der Referate:

Christof Gestrich

Freiheit ist seit dem Sündenfall Adams und Evas eine zwiespältige Angelegenheit. Dies wird an biblischen und patristischen Befunden aufgezeigt. Die Philosophie der Neuzeit hat Freiheit im Sinne eines individuellen menschlichen Selbstbestimmungsrechts (Autonomie) unter den Menschenrechten obenan gestellt. Seither ist es aber zwischen Theologie und Philosophie strittig, wie die Freiheit ethisch richtig verstanden und gebraucht wird. Die neuzeitliche Säkularisierung schuf eine sich über die ganze Erde verbreitende schwierige Lage, weil sich in ihr kirchliche und antikirchliche, christliche und nichtchristliche Gedanken gemischt haben: Negative Freiheit „von“ und positive Freiheit „für“, Freiheit als Unabhängigkeit und Freiheit als Liebe, Freiheit als Wahlfreiheit und Freiheit als Unabhängigkeit von der Welt im Glauben, Freiheit als menschliche Selbstbestimmung und Freiheit als menschliche Selbsthingabe sind nicht immer leicht zu entwirren. Ihre Durchmischungen hermeneutisch zu klären, wurde in diesem Vortrag angestrebt. Es wurde davon ausgegangen, dass die Kirche ihr Verständnis der Freiheit heute nur im Bündnis mit einigen vorbildlichen oder wenigstens akzeptablen weltlichen Freiheitsverständnissen in der modernen Gesellschaft zur Wirkung bringen kann.

Georgij Rjabych

In seinem Beitrag empfahl Priester Georgij Rjabych, die Frage der  Menschenrechte aus der Sicht eines soteriologischen Ansatzes zu betrachten. Erörtert wurde der Einfluss der protestantischen Tradition auf das moderne Verständnis und die Anwendung der Menschenrechte. Als ein Problem erscheint der rein juristische Charakter der Menschenrechte, wodurch es zu einer Entfremdung von der inneren Persönlichkeitsentwicklung kommen kann. Die Schlussfolgerung muss sein: Die Umsetzung der Menschenrechte darf nicht die öffentliche Stellung der Religion behindern.

Kirill Govorun

Der Vortrag von Hegumen Kirill (Govorun) war der Untersuchung des Begriffes „Freiheit“ in der östlichen patristischen Tradition gewidmet. In dieser Tradition kommen der Freiheit zwei sich ähnelnde, zugleich jedoch auch unterschiedliche Bedeutungen zu. „Autexousion“ stellt jene Freiheit dar, die jedem geschenkt wird, ungeachtet davon, ob der Betreffende ihrer würdig ist oder auch nicht, während „Eleutheria“ eine Freiheit darstellt, die über die Synergie von Mensch und Gott erreicht werden kann. Während erstere der menschlichen Natur eigen ist, stellt die zweite eine Gabe Gottes dar. In beiden Bedeutungen steht die Freiheit für die Vorherrschaft der Vernunft über die Natur. Im ersten Fall ist diese Freiheit potentiell, im zweiten tatsächlich. Bei keiner dieser Bedeutungen lässt sich der Begriff auf die Vorstellung von einer Pluralität der Wahl reduzieren. Das östliche Freiheitsverständnis  ist weniger auf äußere Umstände bzw. auf Möglichkeiten, über die der Mensch verfügt, bezogen, als vielmehr auf ein Freisein von Leidenschaften und vom Bösen.

Martin Schindehütte

Menschenrechte als universale Rechte müssen begründungsoffen für verschiedene religiöse und weltanschauliche Zugänge sein. Sie sind für Christen jedoch nicht aus sekundären politischen Gründen verbindlich, sondern weil sie aus dem christlichen Glauben heraus begründet werden können. Schöpfungstheologisch gründen sie auf der Ebenbildlichkeit des Menschen zu Gott. Diese Ebenbildlichkeit ist christologisch bestimmt durch das Leben Jesu als wahrer Mensch und wahrer Gott. In ihm kommt eine Liebe zum Ausdruck, die um der freien Antwort des Menschen willen Leiden auf sich nimmt. Durch das Wirken des Heiligen Geistes werden Christen und christliche Kirchen in die Verpflichtung geführt, für die Menschenrechte einzutreten. Eine christliche Begründung der Menschenrechte ist nicht nur für die Kirche selbst wichtig, sondern auch für die jeweilige Gesellschaft und den Staat, in dem Christen leben. Ein Gemeinwesen kann nur existieren aus den inneren Überzeugungen seiner Bürger, soweit sie der gerechten Teilhabe aller und damit dem Frieden dienen. Der Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht schaffen kann. Die Menschenrechte sind zugleich Freiheitsrechte. Freiheit jedoch ist unlöslich verknüpft mit Verantwortung, ebenso wie Individualität und Sozialität einander notwendig bedingen. Diese Freiheit zur Verantwortung gilt es in verschiedenen Kontexten zu gestalten, wie dem der Bildung, der Kunst und Kultur, der sozialen Verpflichtung und dem Dienst für den Frieden.

III

Die Gespräche im Anschluss an die Referate waren durch eine große Offenheit und eine tiefe theologische Reflexion gekennzeichnet. In ein geistliches Gespräch über Galater 5, 1-15 brachten die Teilnehmer des Dialoges ihre Erfahrungen und ihre theologischen Überlegungen zum Thema ein.

Insgesamt stimmten die Dialogpartner darin überein, dass die thematischen Begriffe wie Freiheit, Verantwortung, Menschenwürde und Menschenrechte für Christen aus der biblischen und kirchlichen Tradition entwickelt werden müssen.

Diese Begriffe können nicht einfach unkritisch aus anderen Begründungszusammenhängen übernommen werden.

Zum Begriff Freiheit stellten die Teilnehmer fest, dass er eine grundlegende anthropologische Kategorie darstellt. Sie hebt den Menschen aus der übrigen Schöpfung Gottes heraus.

Die Freiheit ist begründet in der Gottebenbildlichkeit des Menschen und im Erlösungshandeln Christi.

Freiheit bedeutet sowohl die der menschlichen Natur eigene Fähigkeit zum Wählen, einschließlich der Wahl zwischen Gut und Böse, sie bedeutet auch, dass menschliche Handlungen nicht determiniert sind und sie meint auch die Freiheit vom Bösen und die Freiheit für die Liebe, sowie die Nichtgebundenheit durch die Ketten der Sünde und der Leidenschaften, d.h. die Freiheit in Christus, von welcher der Apostel Paulus spricht.

Die Freiheit ist mit anderen sittlichen und ontologischen Kategorien des menschlichen Seins untrennbar verbunden. In der orthodoxen und evangelischen Tradition ist die Freiheit ohne Verantwortung undenkbar.

Der Mensch soll und muss seine Freiheit nutzen. Dabei soll er sich immer die Rechenschaft ablegen, dass sie ihm selbst und auch den ihn umgebenden Menschen sowohl das Gute als auch das Böse bringen kann. Die Kategorie der Freiheit ist auch mit der Kategorie des Willens verbunden. Durch den Willen setzt der Mensch seine Freiheit der Wahl um. Dabei ist der Wille des Menschen als unentbehrlicher Teil der menschlichen Natur durch die Sünde verdorben und braucht Erlösung durch Christus. Deshalb kann der Mensch die ihm eigene Freiheit nicht erreichen, solange er in der Macht des Gesetzes der Sünde bleibt, also nicht die Befreiung im Herrn Jesus Christus bekommen hat.

Die Freiheit ist kein Selbstzweck, sondern ein Werkzeug zur moralisch – geistigen Vervollkommnung des Menschen.

Die Freiheit als Vorbedingung für die Wahl des Guten und das gnädige Handeln Gottes gehören untrennbar zusammen.

Beide Seiten stimmten darin überein, dass das in der modernen Welt dominierende säkulare Verständnis der Freiheit als der höchstmöglichen  Vielheit der Wahl sowie als einer möglichst geringen  äußeren Einschränkung eines Individuums bei der Umsetzung seiner Wünsche unzureichend ist und dem christlichen Verständnis der Freiheit direkt widerspricht.

Der Begriff der Menschenwürde stellt nicht nur den hohen Wert des menschlichen Geschöpfes fest, sondern er ruft auch auf zu einem wahrhaft freien Leben, das mit Tugend und Verantwortung verknüpft ist. In diesem Sinne bestätigt Freiheit im christlichen Sinn die Menschenwürde. Sie eignet von der Schöpfung her generell allen Menschen. Der Schutz der Menschenwürde ist darum eine grundlegende gesellschaftliche Aufgabe. Dieser Aufgabe sollen die Menschenrechte dienen.

Sie lassen sich allerdings nicht auf eine bloße Aufzählung von Vorrechten und Freiheiten reduzieren. Die Menschenrechte sind zwar ein wichtiger, aber nicht der einzige Weg, um die Menschenwürde zu schützen. Dennoch müssen sie im Leben der Gesellschaft und des Staates anerkannt und berücksichtigt werden. Bis in die jüngste Zeit hat die Kodifizierung der Menschenrechte nicht verhindert, dass menschliche Freiheit verletzt wurde. Immer wieder sind die Menschenrechte für eigene Interessen missbraucht worden. Die Moral lässt sich nicht allein in Formen des Rechts kleiden.

Dennoch gehören zu den wichtigsten Bereichen der Zusammenarbeit zwischen Staat und Kirche die konkrete Ausgestaltung der Menschenrechte und außerdem ein Zusammenwirken im Bildungswesen und in den Medien.

Die Teilnehmer kamen darin überein: Eine Abkehr der Gesellschaft von ethischer Orientierung bei der Umsetzung der Menschenrechte stellt eine Bedrohung für die Würde des Menschen dar.

Die Dialogpartner betonten, dass sich die Kirchen von ihrem christlichen Glauben her in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen haben, indem sie helfen, für die ganze Gesellschaft Freiheit zu beschreiben, Menschenrechte zu formulieren und Menschenwürde zu schützen.

Gleichzeitig haben sie die Aufgabe, im Geist des christlichen Glaubens und der christlichen Liebe allen Tendenzen entgegenzutreten, wenn Menschen und Gruppen Begriffe wie Freiheit und Menschenrechte für eigene Zwecke missbrauchen. Auch haben die Kirchen die Aufgabe, den Staat an seine Verpflichtung zu erinnern, Freiheit und Menschenwürde für die Menschen zu schützen und in diesem Sinne Recht zu gestalten.

IV

Am Mittwoch wurde in Anwesenheit der Delegationen das Kommunique im Tagungssaal des Luther Hotels von den Delegationsleitern feierlich unterzeichnet.

Wir blicken im Jahr 2009 zurück auf eine 50jährige Geschichte der Dialoge.

In dieser Zeit ist zwischen unseren Kirchen in verschiedenen historischen, politischen, gesellschaftlichen Kontexten und auch in manch schwieriger ökumenischer Situation ein gegenseitiges verlässliches Vertrauen gewachsen. Dieser Dialog ist ein Weg unter dem Gebet unseres Herrn, „auf das sie eins seien“ (Johannes 17, 11).

Die Dialogpartner waren sich im Blick auf diese Geschichte, aber gerade auch im Blick auf diesen letzten Dialog einig, dass die Stärke und die Verheißung der Gespräche in der Vielfalt der thematischen Zugänge in ihren biblischen, patristischen, dogmatischen, liturgischen und ethischen Dimensionen liegt.

In diesem Sinne sollten die Gespräche auch weitergeführt werden.

Für die Evangelische Kirche in Deutschland
Bischof Martin Schindehütte

Für die Russische Orthodoxe Kirche
Erzbischof Sergij von Samara und Syzran