Predigt zum Abschluss des Symposiums 25 Jahre „Studium in Israel“ (Lukas 5, 1-11)

20. Juli 2003, Französische Friedrichstadtkirche zu Berlin

Liebe Festgemeinde

(1) Dieses Symposium, das heute mit dem Gottesdienst und einem anschließenden Empfang zuende geht, bedenkt einen der wichtigsten Schätze theologischer Ausbildungsangebote für unsere Evangelische Kirche in Deutschland: das 'Studium in Israel'. Seit 25 Jahren lernen junge Frauen und Männer aus unseren Kirchen an einem authentischen Ort jüdischer Gelehrsamkeit, der Hebräischen Universität zu Jerusalem. Sie studieren Sprache, Theologie und Glaubenspraxis, Kultur, Geschichte und Gegenwart des Jüdischen Volkes in unmittelbarem Kontakt mit jüdischen Lehrenden und Studierenden.

Die Wurzeln unseres christlichen Glaubens sind damit nicht nur als ein historisches Phänomen begriffen, sondern als eine gegenwärtige Kraft, die  - in Kontinuität und Differenz zum Eignen - der Erneuerung des Verhältnisses von Juden und Christen zugute kommt.

Bei der Wahl des Predigttextes ging es mir wie manchmal bei solchen Anlässen: Dem für heutigen fünften Sonntag nach Trinitatis vorgeschlagenem Text hätte ich mich gerne entzogen.

Sie haben beim Hören der Evangeliums-Lesung geahnt warum. Der Auftrag an Simon Petrus lautet: "Von nun an sollst du Menschen fischen!"

Mission in Verbindung mit einem solchen Bildvergleich kann Vorstellungen wecken, die schon sehr beschwerlich sind. Zappelnde Fische im Fangnetz haben wir vor Augen - als ein Bild für Menschen, die aus Unglauben befreit wurden, will es nicht taugen. Und angesichts des heutigen Anlasses? Wir sind ja auf’s Lernen eingestellt, das dem eigenen Verkündigen aus guten Gründen vorangestellt wird, auf das Lernen von jüdischer Tradition, und schließlich kennen wir die beschwerliche Diskussion um die Judenmission.

Wenn ich nun nicht die Notbremse ziehe und mich eines anderen, passenderen Textes bediene, kann die Predigt doch nur gegen den Text gehen, so lässt sich angesichts solcher Bedenken auf den ersten Blick vermuten.

Ich will aber nicht gegen den Text sprechen, sondern unsere Assoziationen hinterfragen, die wir mit zappelnden Fischen verbinden, und mich der unseligen Wirkung dieses Bildes auf die Geschichte der christlichen Mission stellen.

(2) Die Geschichte vom Fischfang und der Berufung des Simon Petrus bereitet unvorbelasteten Zuhörenden keine nennenswerten Schwierigkeiten für das Verstehen. Der Ablauf ist klar in drei Teile gegliedert:

Erstens: Jesus lehrt die Menschen am See Genezareth. Um das Gedränge der Menge zu bewältigen, besteigt er ein Fischerboot, das dem Simon gehört.

Zweitens: Nach seiner Predigt nötigt er Simon, auf die Mitte des Sees zu fahren und die Netze auszuwerfen. Ein wundersamer Fischzug ist das Ergebnis; so viele Fische sind es, dass das Netz zerreißt.

Drittens: Jesus ruft den überwältigten Simon zur Nachfolge. Der verlässt alles und folgt Jesus nach, gemeinsam mit seinen Berufsgenossen.

Lukas, der Evangelist, verknüpft den Bericht vom lehrenden Jesus mit dem Wunder des Fischzugs. Er gibt die Botschaft Jesu weiter, der Menschen in seine Nachfolge ruft. Petrus ist das herausgehobene Beispiel. In sein Leben bricht die göttliche Macht hinein, verwandelt es und stellt es in den Dienst des anbrechenden Gottesreichs.

Die einfache Struktur der Geschichte eröffnet uns wichtige Lernschritte:

· Da ist die Gruppe der Fischer. Rauhe Gesellen sind es, keine Sonntagsangler. Eine harte Arbeit ist das, bei Tage müssen Boote und Netze gewartet werden, bei Nacht geht es hinaus zum Fischfang, bei Wind und Wetter; reich können sie schon wegen der von der römischen Besatzungsmacht aufgedrückten Steuerlast nicht werden. Hinzu kommen Misserfolge und Enttäuschungen: "Die ganze Nacht haben wir gefischt und nichts gefangen". Die Weitergabe dieses Teils der Erzählung durch die Jahrhunderte vermittelt das Modell
"Vergeblichkeit". So erleben viele Menschen ihren Alltag, oft bis heute.
"Vergeblich!" Ein Stichwort, das gerade auch denen vertraut ist, die in der Nachfolge des Petrus ihre Arbeit ganz auf die Kirche verlegt haben und hauptberuflich in ihr arbeiten. An wie vielen Widrigkeiten arbeiten wir uns vergeblich ab?

Wie viel Leerlauf - trotz redlicher Mühe - plagt uns in unseren Kirchen!

Die Lukaserzählung berichtet vor diesem Hintergrund das Wunder der Fülle, des überschäumenden Erfolges. Der ist nicht das Ergebnis einer neuen Anstrengung, er ist Geschenk, das aus dem Segen des Höchsten entsteht.

Hier wird keine neue Regel oder Methode für den Fischfang eingeführt.

Hier schimmert vielmehr durch, was das Geheimnis kirchlicher Arbeit ist bis heute: Nichts wird erzwungen durch Planen und Hetzen, durch Rennen und Jagen, vielmehr ist an Gottes Segen alles gelegen.

· Eindrücklich ist ein berühmter 'Gegentext' von Ernest Hemingway Der alte Mann und das Meer. Endlich, nach vielen vergeblichen Versuchen hatte der alte Fischer den Fang seines Lebens gemacht: Ein Riesenschwertfisch war am Haken. Nach mühevollem Kampf hatte der Alte schließlich gesiegt und konnte sich daran machen, die ans Boot gezurrte Beute an Land zu rudern, als plötzlich Haie auftauchten. So ganz beiläufig, im Nebensatz angefügt an die Beschreibung des Triumphs, tauchen sie auf. Hemmingway schildert dann, wie die Raubfische die Beute des Alten anfressen bis sie skelettiert ist. 'Das Leben ist Kampf', so Hemingways Botschaft; aber am Ende bleibt bloß Enttäuschung.

Lukas berichtet von einer Jesuserfahrung, die nicht in Enttäuschung endet, sondern zu neuem Leben verhilft.

· Nach dem erfolgreichen Fischzug müsste der Jubel ausbrechen. Aber Petrus bricht zusammen. Gegenüber dem, der ihn zu dem Fischzug beredet hat, ihm wird klar, wie winzig und fehlbar er ist. "Gehe von mir, ich bin ein sündiger Mensch". Nichts hat er vorzuweisen, was ihn in der Szenerie am See Genezareth in gutes Licht stellen könnte.

Das ist die klassische Berufungssituation. So beschreibt die Bibel Menschen, die in Gottes Dienst geholt werden: Sie selbst haben nichts vorzuweisen, sind menschlich gesehen eher unzulänglich - zu alt wie Sarah, zu jung wie Jeremia, nicht beredt genug wie Moses, zu verschlagen wie Jakob, zu naiv wie Maria, aber gerade darum für Gottes Werk ausersehen als Trägerinnen und Träger des Segens.

Petrus ist das Modell für die anderen Fischer, für die verachteten Zöllner und die gesellschaftlich missachteten Frauen in Jesu Gefolge, und das endet bei Paulus, der "unzeitigen Geburt", dessen Vorleben alles Mögliche hätte erwarten lassen, nicht aber die Berufung in die Nachfolge des auferstandenen Gekreuzigten.

Stellen wir uns diese Wolke der berufenen Zeugen vor Augen und gewinnen Mut für heute! Wenn wir auf die eigenen Kräfte blicken, nehmen wir viel Unzulänglichkeit wahr. Aber ER, der in dem Dienst gerufen hat, der will uns offenbar doch haben wie wir sind, mit den Gaben, die wir haben - aber auch mit den fehlenden Gaben, die wir nicht haben.

Einschieben will ich: Dieses Vertrauen in die Wunder Gottes, was die Früchte unserer Arbeit angeht, darf nicht zum Fehlschluss führen, als müsse nicht gearbeitet werden. Das Wunder zeigt als  entscheidendes Heilmittel gegen die Vergeblichkeit die Kraft Seines Geistes. Es liefert keinesfalls die Rechtfertigung dafür, die Hände in den Schoß zu legen.

(3) Damit kehre ich zurück zu dem, was eingangs als Problem benannt wurde und stelle noch einmal die Frage: Wie kommen wir zurecht mit dem, was Jesus "Menschen fangen" nennt? In der Tat erinnert das Sprachbild an Überlistung, Manipulation und Zwangsmaßnahmen. Die Geschichte der Kirche ist voll davon.

Auch jenes Märchen vom Rattenfänger von Hameln könnte einem in den Sinn kommen. Er bläst auf seiner Flöte, und sie kommen aus den Löchern, zuerst die Ratten, dann die Kinder, und sie verschwinden und werden nie wieder gesehen. Ob sich in diesem Märchen die Rekrutierung junger Leute für die Armee eines kriegslüsternen Fürsten niedergeschlagen hat, mag dahin gestellt bleiben. Jedenfalls spiegelt diese Geschichte vom Rattenfänger Ohnmachtserfahrungen wider. Aber gerade solche Erfahrungen wünschen wir
uns nicht als Modelle kirchlicher Arbeit.

Und dies ist der Unterschied:

Die Fischer vom See Genezareth, mit Petrus an der Spitze, gehen mit, aber sie verschwinden nicht, sondern ihr Leben und ihr Glauben verwandelt sich. Sie gehen mit und werden von der Veränderung sprechen, die Jesus mit ihnen und unter ihnen bewirkt hat, und sie erleben, wie dies die Welt zu verändern beginnt. Sie sagen Gottes Herrschaft an, eine Botschaft von Gerechtigkeit und Liebe, die allen Völkern gilt. Sie verkünden den, der die Armen und Elenden sucht, der Menschen zur Umkehr ruft, der ihnen die Gebote gibt,
dass Gerechtigkeit und Friede "sich küssen".

Nun könnten wir uns das ganze weite Feld der Probleme dieser Welt vorstellen, in die hinein die Botschaft ergehen muss. Nur dieses eine will ich andeuten, worauf sich in diesen Tagen die mediale Aufmerksamkeit richtet. Das ist die Lage in Afrika, die Katastrophe von HIV/Aids-Infektionen und der verzweifelte Kampf dagegen; das sind die Kindersoldaten, die ein Spielball der Waffenhändler und Diamantenschieber sind.

Die Ursachen sind bekannt: Die Armut ist es und die Verbrechen derer, die diese Armut ausnutzen für das grausamen Spiel von Illegalität und Korruption, die sich in die legalen Geldflüsse einkaufen durch Geldwäsche.

In dieser finsteren Welt ist Gerechtigkeit und Liebe anzusagen, eine Mission, die vor allem als Bekehrungsruf in unserem eigenen Land auszurichten ist. Was wir zu sagen haben ist nicht eine beruhigende Heilsprophetie, sie würde uns trotz des Beifalls der Einflussreichen in die Belanglosigkeit führen. Es geht um die Erneuerung und Veränderung der 'Reichen Staaten'. Der Welt ist die Liebe Gottes zu übermitteln, als Trost in den Ausweglosigkeiten, als Erneuerung des Verhältnisses zu Gott, als Ruf zu Frieden und Gerechtigkeit und als Eröffnung neuer Lebensperspektiven.

Nicht Betörung, sondern Verwandlung, nicht Zerstörung, sondern ein Neubeginn ist der Zielpunkt dieser Geschichte. Dafür sind Boten zu werben.

Dies ist der Ursprung der Kirche Jesu, davon lebt sie heute noch.

Das Bild vom Fischfang steht für die Wandlung aus dem Alltagsberuf in die Sendung Jesu hinein. Die Bildseite dieser Botschaft darf nicht verselbstständigt werden.

Übrigens berichtet das Johannesevangelium die Fischzug Geschichte in einer ähnlichen, aber in bezeichnender Weise variierten Fassung. Anders als bei Lukas zerreißt das Netz nicht, obwohl die Männer es zunächst vor lauter Fischen gar nicht ins Boot hieven können. Eine "Glückliche Wiederholung" nennt Lothar Steiger diese johanneische Geschichte. Aber es schließt sich auch hier die Sendung des Petrus an, mit einem Sprung in ein anderes Bildwort: "Weide meine Lämmer" - und auch dies Wort kann man missverstehen und missbrauchen. Statt zappelnder Fische sind es trottende Schäfchen. Auch hier darf die Bildseite nicht missdeutet werden.

Der Missbrauch der Bilder rechtfertigt nicht die Abkehr von der Mission Jesu. Gerade weil wir die dunklen und beschwerlichen Seiten der Missionsgeschichte kennen, gewinnen wir Kraft, der Sendung Jesu auch heute zu vertrauen. Diese Sendung gilt der Versöhnung der Menschen mit Gott und ihrer Befreiung, eben nicht der Rechtfertigung religiös-kultureller Überlegenheitsphantasien, und nicht der religiösen Überhöhung kolonialistischer Bestrebungen.

Mission im eigentlichen Verständnis ist die wesentliche Dimension der Kirche in unserem eigenen Land.

Folglich geht es dabei auch um unsere eigene Erfahrung: Wie sind wir die Zeugen der befreienden Botschaft geworden, oder wie können wir solche werden?

Der Christ ist Zeuge, die Christin ist Zeugin Jesu Christi; das ist unsere Berufung, darum geht es.
Denen, die in Jerusalem studiert haben, gereicht ihre Erfahrung zu noch sorgfältigerer Beachtung der Kontinuität solcher Zeugenschaft und der Folgen, wenn diese nicht beachtet wird.

Dem Simon Petrus wird von Jesus, der ihn zur Nachfolge ruft, ein Satz gesagt: "Fürchte dich nicht!" Damit rüstet er ihn aus für seinen Weg.

Mit eben diesem Versprechen sind wir von Gott gesendet, um seine befreiende Botschaft „auszurichten an alles Volk“(1) . Wir sind Glieder in einer Kette der Zeugen, verbunden mit denen, die in der Nachfolge Jesu den Schritt über die Grenzen des jüdischen Volkes hinausgegangen sind, um der Welt die Liebe des treuen Gottes zu bezeugen, und die Thora, die göttliche Weisung, zu übermitteln, die ein Leben in Frieden und Gerechtigkeit möglich machen will. "Fürchtet euch nicht!" das ist sein Geleitwort.

Fussnote:

(1)   Barmer Theol. Erklärung von 1934