Förderung des Zusammenlebens durch Dialog

Ein deutsch-britisch-iranischer Austausch

Sowohl die Evangelische Kirche in Deutschland als auch die Kirche von England unterhielten in den letzten Jahren lose bis intensivere Kontakte zu verschiedenen Institutionen im Iran, die im Bereich des interreligiösen Dialogs tätig sind. Das Institut für Interreligiösen Dialog (IID) in Teheran gab im Frühjahr 2004 den Anstoß zu einem Austausch, an dem auf christlicher Seite die Evangelische Kirche in Deutschland und die Kirche von England beteiligt waren. Die beiden Kirchen verstehen dieses Vorhaben auch als einen Beitrag zu ihrer in der Meissener Erklärung von 1988 vereinbarten Zusammenarbeit.

Das Institut für Interreligiösen Dialog (IID) existiert seit etwa sechs Jahren und versteht sich als eine Nicht-Regierungsorganisation, die angesichts der zunehmenden globalen Interdependenz friedvolle Koexistenz zwischen den Religionen fördern will. Das Institut arbeitet vor allem im Bereich Bildung und Ausbildung und unterhält auch Kontakte zu den christlichen Kirchen und anderen religiösen Minderheiten im Iran wie auch zum Ökumenischen Rat der Kirchen und zum Vatikan. Diese Einrichtung hat vor kurzem ein Jugendseminarprogramm mit den religiösen Minderheiten im Iran ins Leben gerufen. Der Gründer und Präsident des Instituts, Seyed Mohammad Ali Abtahi, einer der ehemaligen Vizepräsidenten des iranischen Parlaments, verfügt über gute Kontakte zu ehemaligen Staatspräsidenten Khatami, auf dessen Initiative das Internationale Jahr der Vereinten Nationen zum "Dialog zwischen den Kulturen" im Jahr 2001 zurückgeht. Das Institut arbeitet eng zusammen mit einem Zentrum für interreligiöse Studien in Qom, das sich stärker auf Forschung konzentriert.

Das Dialog-Programm umfasste drei Treffen von jeweils drei Tagen: ein erstes Seminar in London im Oktober 2005, ein zweites in Teheran im Januar 2006 und ein drittes in Berlin im Mai 2006. Bei den je sieben Personen von jeder Seite schließt die iranische Delegation auch einen christlichen und einen jüdischen Teilnehmer ein, die britische neben Mitgliedern der Kirche von England einen katholischen und zwei muslimische Delegierte, die EKD-Delegation neben evangelischen Mitgliedern auch eine schiitische Muslima.

Für die EKD war bei diesem Dialog vor allem leitend, dass ein Gespräch mit dem schiitischen Islam, der in mancher Hinsicht protestantischem Denken näher steht als der sunnitische Islam (z.B. hermeneutisches Interesse, Reflexionen zum Verhältnis Religion und Staat, Passionstheologie), erprobt und reformatorische Theologie und evangelische Zugangsweisen zum Religionsdialog präsentiert werden sollten. Des weiteren waren die Unterstützung dialogorientierter Kräfte im Iran, die Einbeziehung religiöser Minderheiten im Iran (vor allem Christen und Juden) sowie die interreligiöse Zusammenarbeit und Thematisierung menschen- und minderheitenrechtlicher Fragen Ziele dieses Vorhabens.

Die erste Konferenz fand vom 17. bis 19. Oktober 2005 in London statt und hat neben Beispielen von interreligiöser Kooperation in Großbritannien die Rolle der Religionen für die Wertebildung und den Zusammenhalt von Gesellschaften diskutiert. Gespräche mit Politikern und ein Empfang durch den anglikanischen Erzbischof im Lambeth Palace gaben dem Austausch einen repräsentativen Rahmen. Vor allem die Vorträge seitens der britischen Gastgeber zeigten ein hohes Maß an Erfahrung und Reflexion im Feld interreligiöser Begegnung. Es war verständlich, dass die Intensität der Kontakte zu den iranischen Partnern noch durch ein vorsichtiges Kennenlernen bestimmt waren. Bei einem öffentlichen Vortrag des iranischen Delegationsleiters wurden Fragen zu Religionsfreiheit und Minderheitenrechte im Iran vorgebracht.

Die zweite Konferenz vom 19. bis 21. Januar 2006 in Teheran bezog die jüdische Gemeinde und die armenisch-apostolische Kirche aktiv in die Konferenz mit ein und ermöglichte den Austausch mit dem Zentrum für interreligiöse Studien in Qom, mit Vertretern staatlicher Institutionen für den Bereich Minderheiten und Religionen sowie mit dem ehemaligen iranischen Staatspräsidenten, Seyed Mohammad Khatami. Bei dieser Begegnung unterstrich Khatami sein Interesse an weiterer Tätigkeit im interreligiösen Feld, möglichst in Zusammenarbeit mit den Vereinten Nationen. Dem Wunsch nach Begegnungen mit Jugendlichen wurde mit der Vorstellung des Jugendaustauschprogramms des IID durch Jugendliche selbst entsprochen. Der persönliche Kontakt zwischen den Mitgliedern der Delegationen ist während dieser Tagung gewachsen und förderte den Austausch persönlicher Einschätzungen. Fragen der Religionsfreiheit und Minderheitenrechte im Iran wurden erneut angesprochen.

Vom 21. bis 23. Mai 2006 fand die dritte Konferenz in Berlin statt, bei der die Erfahrungen zur christlich-muslimischen Zusammenarbeit in Deutschland sowohl von christlicher als auch muslimischer Seite dargestellt und durch einen Besuch in einem Dialogzentrum in Berlin-Kreuzberg veranschaulicht wurden. Dabei wurden sowohl die positiven Erfahrungen herausgestellt als auch die bestehende Probleme nicht ausgeklammert. Gespräch mit Partnern aus den Auswärtigen Amt und dem Bundeskanzleramt stellten die Dialogbemühungen dieser Konferenzen in den weiteren Kontext der Zusammenarbeit Deutschlands mit der muslimischen Welt. Der Beitrag der Religionen zur Wertegrundlage einer Gesellschaft wie auch zur sozialen Integration muss - so der Leiter der EKD-Delegation, Bischof Koppe, in seinem Beitrag - die Denkansätze der Aufklärung zugrunde legen und theologisch reflektieren. Ansonsten geraten religiöse Überzeugungen in die Versuchung, sich selbst absolut zu setzen und Andersgläubige als nachrangig einzustufen.

Der Konferenzteil in der Humboldt-Universität gab die Möglichkeit, das Thema "Wie lässt sich Respekt und wechselseitiges Verständnis zwischen den Religionen fördern? Positive Beispiele und Erfahrungen aus den Bereichen Wissenschaft und Bildung" - mit Beiträgen der Professoren Feldtkeller (Berlin), Riordan (London) und Pazouki (Teheran) - für eine interessierte universitäre Öffentlichkeit vorzustellen und zu diskutieren. Diese Beiträge wurden in einer späteren Einheit durch praktische Beispiele positiver interreligiöser Projekte aus Großbritannien und dem Iran ergänzt.

Die Bedeutung der Grundgedanken der abendländischen Aufklärung wurden als ein Sachbereich identifiziert, zu dem ein weiterer Austausch und eine Vertiefung gerade der muslimischen Perspektive notwendig und lohnend erscheint. Damit verwoben ist die Frage nach dem Stellenwert und der Interpretation von Bibel und Koran (hermeneutische Konzepte). Auch bei der Frage der religiösen bzw. theologischen Konzepte von gesellschaftlichen Ordnung und Leitung (governance) sah man weiteren Gesprächsbedarf zwischen Christentum und Islam.

In einer gemeinsamen Abschlusserklärung ("Memo of Understanding"), dessen Text nachfolgend wiedergegeben ist, wurden die wichtigsten Stationen des gemeinsamen Austausches festgehalten und vereinbart, dass auf britischer Seite über ein mögliches Folgeprojekt im Bereich von Menschenrechten nachgedacht wird, auf deutscher Seite über den Austausch von Jugendlichen oder Studenten, möglicherweise in Verbindung mit Film oder Medienprojekten, über deren Realisierung zu gegebener Zeit entschieden wird. Auf Arbeitsebene wurde ein weiterer Austausch an Informationen untereinender vereinbart.

(Materialien der Konferenz in Teheran sind im Internet auf der Website des IID (www.iid.org.ir) zu finden. Die Dokumentation der Konferenz in Berlin kann über das Kirchenamt der EKD bezogen werden.)


Abschlusserklärung

"Förderung des Zusammenlebens durch Dialog"


Im Zeitraum von Oktober 2005 bis März 2006 veranstalteten die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD), die Kirche von England und das Institut für Interreligiösen Dialog (IID) in Teheran eine Folge von drei gemeinsamen Konferenzen. Unter dem Thema "Förderung des Zusammenlebens durch Dialog" ("Building Communities Through Dialogue") nahmen daran Delegationsmitglieder der drei Organisationen teil. Die diesem Projekt zugrundeliegende Idee war, dass Großbritannien, Iran und Deutschland Gesellschaften sind, in denen signifikante religiöse Minderheiten in einem Umfeld leben, das von einer Religion bestimmt ist, der die Mehrheit der Bevölkerung angehört. In allen drei Ländern sind in den zurückliegenden Jahren Fortschritte beim Aufbau von Organisationen und Aktivitäten zur Förderung des interreligiösen Dialogs gemacht worden, insbesondere aus der Perspektive der jeweiligen Mehrheitsgesellschaft. Beabsichtigt war, dass diese Konferenzen und die Möglichkeit, die diesen lokalen interreligiösen Aktivitäten bot, zum Ausdruck bringen sollte, welche Auswirkungen ein solcher Dialog auf die Gesellschaft hat, wenn er Verständnis, Vertrauen und Zusammenarbeit zwischen Mehrheit und Minderheit fördert.

Man wählte die Form einer Folge von drei Konferenzen mit gleich bleibender Zusammensetzung der Delegationen, von denen die erste im Oktober 2005 in London, die zweite im Januar 2006 in Teheran und die dritte im Mai 2006 in Berlin stattfand. Jede dieser Konferenzen umfasste drei Arbeitstage (vier Übernachtungen). Es wurden in dieser Zeit interreligiöse Projekte vorgestellt, Gespräche mit akademischen Einrichtungen und Regierungsvertretern geführt und Vorträge und Ausarbeitungen im Plenum ausgetauscht. Ein Teil der präsentierten Vorträge und Ausarbeitungen sind auf den Websites der beteiligten Organisationen verfügbar (siehe www.iid.org.ir und www.ekd.de). Die Teilnehmerschaft setzte sich aus je sieben Delegierte von jeder Organisation zusammen, einschließlich mindestens zwei Personen von religiösen Minderheiten. Konkret bedeutete das, dass die Delegation der Kirche von England aus fünf Christen, einer Schiitin und einem Sunniten bestand. Die Delegation der EKD setzte sich aus sechs Christen und eine Schiitin zusammen, die des IID aus fünf Schiiten, einem Christen und einem Juden. So weit wie möglich achtete jede Organisation auf ein ausgewogenes Verhältnis von Alter und Geschlecht. Dekan Dr. Michael Ipgrave (Kirche von England), Bischof Dr. h.c. Rolf Koppe (EKD) and Seyed Ali Abtahi (IID) waren die Leiter der jeweiligen Delegationen.

Bei den Tagungen wurden unterschiedliche Modelle interreligiösen Dialogs aus den drei Länder vorgestellt und verglichen. Dies erforderte eine Analyse, in welcher Weise die praktischen Erfahrungen vor Ort Auswirkung und Einfluss haben auf die Konzepte und Denkmodelle des interreligiösen Dialogs. Der Blick auf die lokalen Projekte, sowohl in Teheran als auch in Berlin und London, waren nützlich, um nicht nur die Faktoren zu identifizieren, die interreligiösen Dialog behindern und fördern, sondern auch einen Eindruck zu bekommen, wie die Beteiligten in den verschiedenen Kontexten mit diesen Faktoren umgehen. Dieser Prozess förderte das wechselseitige Verständnis zwischen den Teilnehmenden und die Bereitschaft, die besten Modelle weiterzuentwickeln. Er bietet sich als eine Ausgangsbasis zur Förderung und Vertiefung des interreligiösen Dialogs an. Der Lackmustest auf die Frage, in wie weit die Tagungen ihre Ziele erreicht haben, kann nur darin bestehen, dass eingeschätzt wird, ob sie eine Hilfestellung dazu bieten, neue Koordinaten für das Verhältnis von Mehrheiten und Minderheiten in den drei beteiligten Ländern zu setzen.

Im Laufe der drei Konferenzen wurde deutlich, dass die gemeinsame Basis für weitere Zusammenarbeit zwischen den drei Organisationen größer zu sein scheint als anfänglich erwartet. Ein breites Spektrum von Themen reicht von Fragen der Sicherheit bis zu Umweltfragen, bei denen der interreligiöse Dialog zwischen den drei Organisationen nicht nur im Hinblick auf die Identifizierung gemeinsamer Probleme, sondern auch für die Suche nach gemeinsamen Lösungen eine nützliche Rolle spielen kann. In einer zunehmend interdependenten Welt, in der Migration, Handel und neue Kommunikationsformen dazu beigetragen haben, dass nationale Grenzen mehr und mehr ihre trennende Funktion verloren haben, haben religiöse Organisationen die Aufgabe, die öffentliche Diskussion über die Frage qualifiziert zu fördern, was das Gemeinwohl im globalen Horizont ausmacht und wie solche Werte durch die Religionen unterstützt und deren Orientierungsfunktion auf Dauer gewahrt bleiben kann.

Die stete Gefahr bleibt jedoch bestehen, dass in einer Zeit wachsender globaler Unsicherheit Religionen als Quelle der Trennung zwischen Menschen missbraucht werden. Einer solchen Entwicklung muss auf allen Ebenen - lokal, national und international - entgegengetreten werden. Der Koran unterstützt diese Auffassung, wenn dort zu lesen ist: "Oh ihr Menschen! Wir haben euch aus einem einzigen Mann und einer einigen Frau geschaffen und euch zu Nationen und Stämmen gemacht, dass ihr euch gegenseitig kennen lernt (und nicht dass ihr euch gegenseitig gering schätzt). Der Edelste unter euch ist vor Gottes derjenige, der der Rechtschaffenste unter euch ist." (Sure 49, 13) In ähnlicher Weise heißt es in der Bibel: "Er ist es, der doch selber jedermann Leben und Odem und alles gibt. Und er hat aus einem Menschen das ganze Menschengeschlecht gemacht, damit sie auf dem ganzen Erdboden wohnen, und er hat festgesetzt, wie lange sie bestehen und in welchen Grenzen sie wohnen sollen, damit sie Gott suchen sollen, ob sie ihn wohl fühlen und finden könnten; und fürwahr, er ist nicht ferne von einem jeden unter uns." (Apostelgeschichte 17, 25-27)

In den sehr unterschiedlichen Feldern von Gerechtigkeit und Frieden, Erziehung und Bildung, Familienleben und der Rolle der Frau in der Gesellschaft sowie der Bewahrung des von Gott gegebenen Rechtes auf religiöse Freiheit gibt es Bereiche und auch einen Bedarf für die Fortführung des interreligiösen Dialogs. Jede der drei Organisationen hat die Möglichkeiten, aufgrund ihres Netzwerkes und ihrer Ressourcen solch einen Dialog zu fördern und als Vermittler dieses Dialogs für eine größere Zielgruppe und in öffentlichen Diskussionen tätig zu werden. Die beteiligten Organisationen fühlen sich verpflichtet, diesen Dialog weiterzuführen, indem sie Möglichkeiten ausloten, in welcher Weise sich künftige Zusammenarbeit in den Bereichen wie das von Gott geschenkte Recht auf Religionsfreiheit, Bildung und Erziehung, Jugendaustausch und Multi-Media-Projekte realisieren lassen.

Die Aufgabe in den kommenden Monaten wird darin liegen, im einzelnen zu prüfen, wie jede dieser Gespräche durch Expertentagungen, Ad-hoc-Arbeitsgruppen, Studentenaustausch, offen zugängliche Konferenzen oder wissenschaftliche Zeitschriften und Internetpräsentationen weitergeführt werden können. Der Frage, in welcher Form der Dialog durch die eventuelle Einbeziehung weiterer organisatorischer Partner erweitert und vertieft werden kann, sollte besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden. Als ersten Schritt auf diesem Weg werden sich die Teilnehmer und jede der beteiligten Organisationen wenn eben möglich wechselseitig über ihre Aktivitäten und Publikationen im Hinblick auf eine Weiterführung des Prozesses zum gegenseitigen Lernen und wechselseitiger Verständigung informieren. Zusätzlich soll eine von jeder der beteiligten Organisationen benannte Person als Ansprechpartnerin fungieren, um die Kontakte nicht nur innerhalb ihrer eigenen Organisation und den beteiligten Delegierten, sondern auch mit den anderen Organisationen zu fördern. Es besteht die Erwartung, dass etliche der Delegationsteilnehmer in Kontakt mit den erwähnten Ansprechpartnern bei der Umsetzung weiterer gemeinsamer Projekte mitwirken. Diese Verpflichtung will der Tatsache Rechnung tragen, dass durch die Tagungsreihe "Förderung des Zusammenlebens durch Dialog" eine hohes Maß an Vertrauen, Respekt und Partnerschaft sowohl zwischen den Teilnehmenden als auch den drei Organisationen gewachsen ist, das eine gute Basis für eine weitere Zusammenarbeit bietet.

Berlin-Schwanenwerder im Mai 2006

(Original in Englisch, Übersetzung Martin Affolderbach)