Die Religion des Marktes - wem gehört die Erde?

Manfred Kock

Martini-Kirche in Siegen

Sehr verehrte Damen und Herren, liebe Brüder und Schwestern,

die Angehörigen des kleinen Indianerstamms U`wa in Kolumbien sind sich sicher: Sie sind die Hüter der Erde und haben den göttlichen Auftrag, die Erde zusammenzuhalten durch ihren Gesang und ihre Gebete. Als in ihrem Stammesgebiet nach Öl gesucht wurde, haben sie vehement protestiert und mit kollektivem Selbstmord gedroht. Sie haben dafür gebetet und gefastet, dass ihr Gott Sira das „Blut der Erde“, wie sie das Öl nennen, in der Unterwelt vor dem Zugriff des weißen Mannes verstecke, der in seiner Gier das Erdreich zur Ader lassen will. Denn für die U`wa hätte die gewaltsame Entnahme des „Blutes der Erde“ das Ausbluten des Bodens bedeutet und damit das Ende ihrer Welt. Ihre Gebete waren anscheinend erfolgreich: Immer tiefer drangen die Bohrköpfe vor, wo die Geologen eines der größten Ölfelder Lateinamerikas vermuteten. Doch vergeblich: Als auch in einer Tiefe von 3.600 Metern kein Öl gefunden wurde, gab der amerikanische Ölkonzern auf und räumte das Feld.

Diese bemerkenswerte Geschichte stand vor wenigen Wochen im SPIEGEL(1).

Ob Braunkohle in Garzweiler, Öl in Kolumbien, in Alaska, in Nigeria oder im Sudan: Für die einen bedeutet die Förderung und Ausbeutung dieser fossilen Brennstoffe wirtschaftlichen Fortschritt und Gewinn, Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen und Sicherung der materiellen Existenz. Für die anderen ist es der Verlust ihrer Lebensgrundlage. Den kolumbianischen Indianern bedeutet die Ausbeutung der Rohstoffe nicht nur die Zerstörung der Heimat, sondern damit der gesamten Schöpfung. Sie sehen darin die Entweihung heiliger Stätten und eine Verletzung göttlicher Rechte und darin zugleich eine Missachtung elementarer Werte und Rechte von Menschen.

Wem gehört die Erde?

Gott, dem Herrn dieser Welt, dem Schöpfer des Himmels und der Erde, so werden manche unter Ihnen aus tiefer Überzeugung sagen und zugleich Sympathie für die Anliegen der kolumbianischen Indianer empfinden.
Doch die wirtschaftliche Realität verkündet eine andere Botschaft: Danach gehört die Erde den wirtschaftlich Mächtigen, vielleicht auch den Regierenden. Wenn auf dem Markt Öl gefragt ist, wird Öl gefördert, ob die Indianer wollen oder nicht.
Gegen diese Übermacht des Ökonomischen wehren sich viele Menschen, nicht nur in den armen Ländern und unter den Indianern im Amazonas, sondern auch in Berlin und Siegen und an vielen anderen Orten überall auf der Welt. Aber überall auf der Welt gibt es Befürworter dieses Prozesses. Auch im Siegerland, im Ruhrgebiet, in Wuppertal und im Saarland profitieren Firmen und Menschen von diesem weltweiten Wirtschaften.

Seit Beginn der 90er Jahre haben die Befürworter für die Notwendigkeit und für den weltweiten politischen Nutzen dieses Prozesses auch den Begriff, der schon als solcher als Beweis seines Erfolgs dient: „Globalisierung“. Das Ende der Ost/West-Teilung und die gleichzeitig einsetzende umgehende Beschleunigung der Kommunikationstechnik haben die Voraussetzung für einen weltweiten Liberalisierungsprozess gefördert. Wenn die globalisierten Wirtschaftsvorgänge nicht einhergingen mit Rücksichtslosigkeit gegenüber ökonomisch Schwachen, mit Zerstörungen der Natur und einer neuerlichen Spaltung der Welt in Arm und Reich würden die Kritiker dieses Geschehens weitgehend verstummen. Aber die Realität ist: Im Weltmaßstab profitieren wenige davon, viele kommen dabei unter die Räder. Unzufriedenheit und Widerstand wachsen.

Das ist keine Naturgewalt, ist nicht gottgegeben. Es ist das Resultat politischer Entscheidungen und internationaler Vereinbarungen, die der „Freiheit des Marktes“ oberste Priorität einzuräumen. Dem liegt die wirtschaftstheoretische Hypothese zugrunde, dass ungehinderte Produktion von Gütern und ihr weltweiter Handel zu größerem Wohlstand überall auf der Welt führen und dass sich in folge dessen die Armut reduzieren würde. Die weltweite Wirtschaftverflechtung wirke sich darüber hinaus friedensstiftend aus, da die gegenseitigen Abhängigkeiten größer würden. Ganz aus der Luft gegriffen ist diese Annahme nicht, wie das Beispiel der wirtschaftlichen und politischen Einheit Europas zeigt. Staaten mit deutlichen Armutsvoraussetzungen wie Portugal oder Griechenland haben seit ihrem EU-Beitritt einen deutlichen Aufschwung erlebt. Jedoch sollte man gerade im Blick auf die sozialgeschichtliche Entwicklung Europas realistisch bleiben. Von einem positiven Automatismus hinsichtlich der sozialen Folgen kann da jedenfalls nicht die Rede sein. Es bedurfte immer wieder klarer politischer Vorgaben, damit die positiven sozialen Implikationen wirtschaftlicher Wachstumsprozesse auch tatsächlich stattfinden und denen zugute kommen, die selber nicht unmittelbar zu den Teilhabern des Erfolgs zählen. Und längst nicht vollständig sind die unterentwickelten Regionen Europas Teilhaber eines guten sozialen Standards. Dafür sind die Interessen der Reichen viel zu sehr auf Verteidigung statt auf Verteilung ihres Geldes ausgerichtet. Produktionsfirmen, Welthandel und Dienstleistungsunternehmen werden für Herstellung und Distribution der Produkte und Dienstleistungen dort agieren, wo sie am billigsten herstellen können, die geringste Reglementierung zu erwarten haben und wo das technische Wissen am größten ist. Kapital floatet frei von Kontrollen um den Globus und lässt sich nieder, wo die Anleger glauben, dass es für sie am günstigsten ist.

Am 3. April 2000 hat Hartmut Schiedermair, Professor für Völkerrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Köln, in Berlin über »Die Macht des Geldes und die Globalisierung, eine Mahnung zur Besonnenheit« gesprochen. Die entscheidenden Sätze dieses Vortrages lauten:

» Ein scharfsinniger Beobachter der neuen Entwicklung (H. Prantl, SZ vom 27./28. November 1999) hat zutreffend bemerkt, dass diese Tendenzen immer dort auftreten, wo die Globalisierung zur „primitiven Glaubenslehre“ gerät, deren Glaubensbekenntnis mit dem Satz beginnt „Ich glaube an die Kräfte des Marktes, die alles wunderbar regieren“. Der freie Markt und die Gewinnmaximierung sind danach also die „höheren Mächte“, denen sich die neue „Religionsgemeinschaft der Ökonomen“, die sich shareholder nennen“, in der Heilserwartung des schnellen Geldes verschrieben hat.« (2)
Schiedermair betont, dies sei eine »Ideologie (, die) ihren Herrschaftsanspruch auf alle Bereiche des gesellschaftlichen Lebens ausdehnt, um auf diese Weise mit der vollständigen Ökonomisierung aller Lebensverhältnisse dem Menschen zu seinem Glück zu verhelfen. «

Ist die Wirtschaft, ist der freie Markt zur neuen Religion geworden?

Lange schon hat es nicht mehr eine so breite, internationale Protestbewegung gegeben wie die der Globalisierungskritiker. Erstmals seit Jahren finden sich wieder Menschen aus allen Erdteilen, aus ganz unterschiedlichen sozialen und politischen Herkünften für eine gemeinsame Sache zusammen: Vom Bauern in Guatemala bis zur Studentin aus New York, vom Professor in Siegen-Weidenau bis zum Kardinal von Genua. Auch Papst Johannes Paul II. hat schonungslos die in Genua versammelte Wirtschaftspolitik kritisiert. Diese Bewegung hat viel angestoßen, sie stellt richtige Fragen. Unter anderem die, wem die Erde gehört und ob der Markt nun zur Religion geworden sei. Gilt die neoliberale Marktideologie heute für alle Bereiche unseres Lebens? Geht die Freiheit des Handels über Solidarität und Gerechtigkeit, über den Schutz der Menschenrechte und der Natur? Welche Wirkung hat es auf die Menschheit, wenn ein großer Teil der Völker, vor allem in Schwarzafrika, nicht einmal mehr als auszubeutende billige Arbeitskräfte benötigt werden, sondern völlig überflüssig sind für die Prozesse des Wirtschaftens. Wie sind unter diesen Voraussetzungen die Erscheinungsform privatisierter Bandengewalt, wie vor allem ist der Terrorismus zu bewältigen?

Das sind auch Fragen, die die Kirchen beschäftigen müssen. Bereits vor 10 Jahren, nach dem Fall der Mauer und dem Zusammenbruch der staatlichen Wirtschaft in den kommunistischen Ländern und zu einer Zeit, als das Wort Globalisierung in Deutschland noch weitgehend unbekannt war, haben sich verschiedene Gremien der EKD mit wirtschaftlichen Fragen auseinandergesetzt und eine Denkschrift mit dem Titel „Gemeinwohl und Eigennutz“ herausgegeben. Darin finden wir folgende Aussagen, die auch für die Diskussion um Globalisierung hilfreich sind:

  1. Wirtschaft ist kein verantwortungsfreier Raum. Auch in der Wirtschaft übernehmen Menschen Verantwortung für andere Menschen und für die Mitwelt. Dies ist zugleich Verantwortung vor Gott.
     
  2. Zur Sündhaftigkeit des Menschen gehört die Neigung, sich von materiellen Gütern des Lebens, vom Glanz des Geldes verführen zu lassen und ökonomische Gesichtspunkte zum eigenen Vorteil absolut zu setzen, also zu vergötzen.
     
  3. Gewinnorientierung und Wettbewerb sind nicht Sinn und Ziel des Wirtschaftens, sondern sind Instrumente, die dem eigentlichen Ziel der Güterversorgung und der Daseinssicherung dienen.
     
  4. Gewinnorientierung und Wettbewerb führen zu haushälterischem Handeln mit Geld und Gütern und zur Beschränkung von Macht, weil sich Produzenten und Handeltreibende notwendigerweise an den Bedürfnissen der Konsumenten orientieren müssen. Aber Gewinnstreben und Wettbewerb führen nicht aus sich selbst heraus zu sozialer Gerechtigkeit, denn die ihnen immanenten Prinzipien sind in ihren Folgen rücksichtslos gegenüber ökonomisch Schwachen und gegenüber der Umwelt.

Wo dem „freien Markt“ unbedingter Vorrang vor der Rücksicht auf soziale und ökologische Verträglichkeit zugemessen wird, wo Rüstungsexporte gefördert werden ohne Rücksicht auf die Verschärfung von Konflikten, wo Öl gefördert wird ohne Rücksicht auf die Kultur und die Natur wie in unserem Beispiel von den Indianern in Kolumbien, da wird der Markt und der wirtschaftliche Erfolg zum allein selig machenden Prinzip, dem Opfer dargebracht werden. Der Götze Mammon ist in der Heiligen Schrift das Symbol für diese sündhafte Welthaltung, die sich von materiellen Gütern verführen lässt. Schon die alttestamentlichen Propheten wie Amos und Hosea kennen diese Sünde und warnen vor der Vergötzung materieller Güter und vor den zerstörerischen Folgen des ungebremsten Egoismus der Habenden. Gott die Ehre zu geben heißt, der Übermacht der Ökonomie zu widerstehen und der Macht des Geldes Grenzen zu setzen.

Auch in der Politik gibt es heute warnende Stimmen: „Wenn das nicht mehr gilt, dass die Wirtschaft für den Menschen da ist, dann ist die Welt nicht mehr menschlich", hat Bundespräsident Johannes Rau in seiner Rede beim internationalen Gewerkschaftskongress am 5. September 2001 in Berlin gesagt. Erst kürzlich hat er in seiner Berliner Rede über Globalisierung gemahnt, dass die Globalisierung politisch gestaltet werden müsse. Dem kann ich nur zustimmen.

Wirtschaft um der Menschen Willen - nicht Menschen Sklaven der Wirtschaft

Wenn Wirtschaft für den Menschen da ist und nicht umgekehrt, dann braucht sie einen Rahmen, mit dem ihr der Platz zugewiesen wird, der den ökonomischen Akteuren Orientierung bietet und Grenzen des Verträglichen aufzeigt. Damit ökonomische Prinzipien nicht ausufern, zur Religion werden und alle Lebensbereiche dominieren, müssen politische Regeln und Grenzen gesetzt werden.
Auf vier Ebenen braucht die Wirtschaft dafür einen Rahmen:

  1. Den ersten Rahmen für unsere Wirtschaft setzt jeder Einzelne, durch individuelles Konsumverhalten, durch das Verhalten als Bürger und Christ. Wie will ich leben? Wie will ich arbeiten? Was ist mir wichtig? Wie viel Konsum brauche ich? Das sind die Fragen, die wir uns selbst beantworten müssen.
     
  2. Der zweite Rahmen wird durch die Gesellschaft gesetzt und durch die Werte, an denen sie ihr Zusammenleben ausrichtet. In Deutschland und in den meisten Ländern Europas war dies in Bezug auf die Wirtschaft die Balance von Freiheit und Gerechtigkeit, die zur Ausformung der sozialen Marktwirtschaft geführt hat.
     
  3. Den dritten Rahmen setzt die Politik, die durch Gesetze und Regeln diese Werte sichern hilft. Vor allem ist dabei auch das zu sichern, was jenseits der Tagesinteressen für kommende Generationen wichtig ist. Dieser dritte Rahmen kann heute nicht mehr nur im nationalstaatlichen Konsens und innerhalb des bestehenden Rechtssystems erarbeitet werden. Sinnvoll für ein globales wirtschaftliches Handeln ist ein breiter internationaler Konsens, auf dessen Basis verbindliche Regeln eines internationalen Wirtschaftsrechts gestellt werden müssen.
     
  4. Die drei Rahmen bedürfen jedoch eines weiteren Rahmens, den ich den weltpolitischen Rahmen nennen möchte: Alle politischen Bemühungen, die Globalisierungsrisiken auszuschalten, dürfen nicht von dem Interesse geleitet werden, Krisen ausschließlich in den entwickelten Industrieländern zu vermeiden. Sie dürfen auch nicht nur auf die Regionen der Erde konzentriert werden, die wegen ihrer Rohstoffe für die Industrienation interessant sind. Der weltpolitische Rahmen muss alle Kontinente einschließen und auf die Verbesserung der Lebensbedingungen gerade der Schwachen zielen.  
    Es gibt Indizien, dass dieser vierte Rahmen außer Acht bleibt: Terrorismus, der von konkurrierenden Machteliten gesteuert wird, bedient sich der globalen Unzufriedenheit; Flüchtlingsströme aus Kriegs- und Elendsgebieten sind nur notdürftig zu bremsen, oft unter Missachtung humanitärer Grundsätze (Beispiel Australien); Auswahl bestimmter Staaten, deren desolate Menschenrechtssituation zur Intervention der Ordnungsmächte reizt, während Menschenrechtskatastrophen in anderen Ländern überhaupt nicht wahrgenommen werden.

In dem Gemeinsamen Wort von EKD und Deutscher Bischofskonferenz unter dem Titel „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit" (Gemeinsame Texte 9, S. 7) treten die Kirchen dafür ein, „dass Solidarität und Gerechtigkeit als entscheidende Maßstäbe einer zukunftsfähigen und nachhaltigen Wirtschafts- und Sozialpolitik allgemeine Geltung erhalten.... Denn Solidarität und Gerechtigkeit gehören zum Herzstück jeder biblischen und christlichen Ethik." (S. 8)

Im Interesse einer Wertorientierung am Wohlergehen aller wollen die Kirchen denen Gehör verschaffen, „die im wirtschaftlichen und politischen Kalkül leicht vergessen werden, weil sie sich selbst nicht wirksam artikulieren können: der Armen, Benachteiligten und Machtlosen, auch der kommenden Generationen und der stummen Kreatur." (S. 8)

Die Kirchen fordern deshalb eine „sozial, ökologisch und globaler Verantwortung verpflichtete Marktwirtschaft." (S. 10). Dies gilt auch und insbesondere im Hinblick auf die globale Marktwirtschaft.

Die Kundgebung der EKD-Synode 2001 zum Thema Globalisierung bedient sich als Motto des 24. Psalms: „Die Erde ist des Herrn und was darinnen ist, der Erdkreis und die darauf wohnen.“ Auf dieser Basis nennt sie als Maßstab zur Beurteilung der Globalisierung die Frage, „ob der dadurch ermöglichte wirtschaftliche Wohlstand auch den schwächsten Gliedern der Weltgemeinschaft zugute kommt.“

Über die Antwort darauf wird gestritten:

  • In vielen Ländern, insbesondere in Afrika, aber auch in verschiedenen Ländern Lateinamerikas, Asiens und Osteuropas machen sich Globalisierungsprozesse negativ bemerkbar. Die meisten Menschen in diesen Ländern sind von den Segnungen der Globalisierung ausgeschlossen.

    Die Einkommensunterschiede in diesen Ländern wachsen ebenso wie die Unterschiede zwischen diesen Ländern und den Industrienationen. Allenfalls 30% der Weltbevölkerung sind direkt in den Welthandel integriert, zwei Drittel des Welthandelsvolumens wickeln die Industrienationen untereinander ab.
     
  • Auf der anderen Seite hat die wirtschaftliche Integration Chinas und Indiens in den globalen Markt viele Arbeitsplätze geschaffen, dort hat die Globalisierung zu einem besseren Lebensstandard für Millionen von Menschen beigetragen.
     
  • Gleichzeitig haben jedoch Währungsspekulationen auf den Finanzmärkten Millionen Menschen, insbesondere in Indonesien und anderen asiatischen Staaten, ihren mühsam erarbeiteten kleinen Wohlstand zerstört und neue Armut verursacht.

 

Globale Wirtschaft verantwortlich gestalten ist die Aufgabe, nicht globale Wirtschaft abschaffen.

Kirchen sind Anwälte der Schwachen und Armen. Deshalb wächst in den Kirchen und insbesondere in der ökumenischen Bewegung der Widerstand gegen eine Globalisierung, bei der die Freiheit des Marktes zur obersten Maxime geworden ist. Die Kirchen stellen in den Stellungnahmen ihrer Synoden die Globalisierung in ihrer Gesamtheit nicht in Frage, gleichwohl gibt es ernstzunehmende Kritik insbesondere aus der kirchlichen Entwicklungsarbeit und der ökumenischen Partnerschaftsarbeit, die hier mehr Eindeutigkeit einfordert. Doch: Eine Rückkehr zu abgeschotteten nationalen Ökonomien wäre unsinnig, und sie zu fordern, ist unrealistisch. In den Auseinandersetzungen um Globalisierung muss es darum gehen, die Gewinner globaler wirtschaftlicher Freiheit durch nationalstaatliche und multinationale Regelungen dazu anzuhalten, angemessene Beiträge für ökologische Nachhaltigkeit und für mehr soziale Gerechtigkeit zu leisten. Sie müssen ihr Wirtschaften so regeln und regeln lassen, dass Armut überwunden wird.

Bewahrung der Schöpfung ist eine Frage der Gerechtigkeit 

Zwar gibt es theoretisch in der Zwischenzeit eine hohe Übereinstimmung in der Politik und auch in der Wirtschaft, dass die Globalisierung politischer Steuerung bedarf und eine Balance von sozialpolitischen, ökologischen und wirtschaftspolitischen Zielen angestrebt werden soll. Doch in der Realität passiert zu wenig: Dieses Glaubwürdigkeitsdefizit der Politik bestärkt jene Kritiker der Globalisierung, die längst eine Übermacht der privaten Wirtschaft gegenüber den parlamentarischen Instanzen ausgemacht haben. Aber es ist nicht nur die Übermacht der privaten Wirtschaft. Oft sind es auch die kurzfristigen Eigeninteressen nationaler Politik, die eine politische Steuerung der Globalisierung durch verbindliche internationale Vereinbarungen verhindern.

Die Weigerung der USA, die Klimavereinbarung von Kyoto zu unterzeichnen ist ein Beispiel dafür. Eine solche Politik richtet sich vor allem nach den wirklichen oder vermeintlichen Erwartungen und Einstellungen der Wähler. Wenn schon Staaten ihren kurzfristigen nationalen Eigeninteressen den Vorrang geben, um wieviel mehr werden darum global agierende Firmen sich der globalen Verantwortung entziehen, wo sie es können.

So besteht zwar zunehmend Einigkeit darüber, dass Globalisierung gestaltet werden muss, die damit verbunden Beschränkungen werden aber in erster Linie dem jeweils anderen, zumeist dem schwächeren zugemutet.

Politik muss vorhandene internationale Strukturen ausbauen und politische Rahmenbedingungen für weltweites wirtschaftliches Handeln so setzen, dass mehr Menschen von der Globalisierung profitieren können als bisher. Es geht darum, den Primat des freien Marktes durch ein Modell der sozialen Marktwirtschaft im Weltmaßstab abzulösen, in dem Handel und Wirtschaft an ihre Sozial- und Umweltverträglichkeit gebunden sind und einer demokratischen Kontrolle unterliegen. Die richtigen Prinzipien und Wege sind einvernehmlich mit der überwiegenden Mehrheit der Völkergemeinschaft in den UN-Konferenzen der letzten Jahre beschrieben worden.(3)

Die Kirche ist Anwalt für eine positive Globalisierung

In den Kirchen werden die Fragen der Umwelt und der Globalisierung eng mit der Gerechtigkeitsfrage verbunden. Die Kirchen selbst brauchen in dieser Form nicht nur zu predigen. Sie können in ihren Gemeinden und Verwaltungen selber Beispiele dafür geben, wie man sich für eine nachhaltige Entwicklung einsetzen kann.

Der Protest der Globalisierungsgegner macht auf problematische Trends aufmerksam. Politiker, Unternehmer und die Öffentlichkeit werden gezwungen, sich mit den negativen Folgen der Globalisierung auseinander zusetzen und zur Diskussion über die ethischen Grundlagen globalen wirtschaftlichen Handelns auffordert. Allerdings sind schrille und gewalttätige Globalisierungsgegner dabei kontraproduktiv. Sie legitimieren die Einstellung, jeder Einspruch gegen ungeregeltes globales Wirtschaften sei chaotisch motiviert. Ich habe manchmal den Eindruck, Gewalt könnte gerade von denen inszeniert worden sein, die nichts geändert haben möchten.

Mehr als andere Organisationen der Zivilgesellschaft haben die Kirchen durch ihre ökumenische Verbundenheit über Staatsgrenzen hinweg die Möglichkeit zur weltweiten Zusammenarbeit, die positive Globalisierungsziele verfolgt. Die Kirchen sind auf der Basis ihres gemeinsamen Glaubens in allen politischen Kontexten den Grundwerten der Solidarität verpflichtet, ebenso einer Kultur des Friedens, der sozialen Gerechtigkeit und der Bewahrung der Schöpfung. Dies ist ihr unverwechselbarer Beitrag zur Globalisierungsdiskussion und hilft zu einem positiven Verständnis von Globalisierung. Dieses baut auf einer christlichen Ethik auf, die die Schöpfung dem Zugriff vermeintlicher wirtschaftlicher Sachzwänge nicht preisgibt und die darum nicht alle Lebensbereiche des Menschen einer ausschließlich an privater Bereicherung orientierten ökonomischen Rationalität unterwirft.

Dazu gibt es bereits viele Ansätze, z. B. durch den Fairen Handel, durch BROT FÜR DIE WELT, durch einen verantwortlichen Umgang mit Energie und mit dem Land, das Kirchen gehört, durch das Engagement für den zivilen Friedensdienst.

Ich wünsche mir, dass die unterschiedlichen Bewegungen und Ansätze zusammenwachsen. Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung gehören zusammen, sind untrennbar miteinander verbunden, von welchem Ansatzpunkt aus auch sich Menschen dafür engagieren. Deshalb finde ich es richtig, dass sich die Friedensgesellschaft Siegen heute mit der Frage der Gerechtigkeit zwischen Nord und Süd befasst.

Nach dem 11. September 2001 haben wir deutlich erkannt, dass wir in einer Welt leben, in der Frieden und Sicherheit, Wohlstand und Gerechtigkeit nur gemeinsam und für alle erreichbar sind oder für keinen.

Die Kirche hat allen Menschen die Botschaft des Evangeliums weiterzusagen. Sie verkündet die frohe Nachricht von der Befreiung des Menschen von Sünde und Verderben. Als Christen, die aus dieser befreienden Botschaft leben, arbeiten wir mit an der göttlichen Befreiung der Schöpfung aus der Gewalt, die ihr auch durch kurzsichtiges wirtschaftliches Handeln angetan wird. Wo immer uns dabei Positives gelingt, ist es ein Zeichen für das Versprechen Gottes, dass die Gewalt ein Ende haben wird, dass ein neuer Himmel und eine neue Erde kommen werden.


Hinweis zum Layout: Die kursiv gedruckten und eingerückten Passagen werden im Vortrag je nach Zeitbedarf fakultativ behandelt, sind gleichwohl aber Bestandteiles des Gedankengangs


Fußnoten:

(1)  Der Spiegel 21/2002 Seite 210
(2)  [ anl. 50. Hochschulverbandstag am 3.4.2000 abgedruckt in: Forschung und Lehre, 5/2000, S. 246ff] 
(3)   ( vgl. politische Grundsätze und Ziele der United Nations Millennium Declaration der 8. VN-Vollversammlung vom September 2000)