Pflege als Beziehungsgeschehen - wachsende Anforderungen

Wolfgang Huber zu den aktuellen Herausforderungen in der Pflege

Auch im Sozialstaat könne keine Institution die Achtsamkeit für den Mitmenschen ersetzen, erläuterte der Vorsitzende des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, beim Kongress „Bedürftige Pflege – Perspektiven für eine menschenwürdige Pflege im Alter“ am heutigen Mittwoch., 10. Oktober in Berlin. Die Pflege für Kranke und Alte sei ein Beziehungsgeschehen, weil menschliches Leben überhaupt ein Beziehungsgeschehen sei, sagte der Ratsvorsitzende. Dabei sei die Aufgabe der Pflege „mehr als die Summe der notwendigsten Verrichtungen“: „eine schwere und komplexe Aufgabe, an der jeweils ganz unterschiedliche Personengruppen beteiligt sind.“ Die Pflegebedürftigen selbst, die Angehörigen und professionelle Kräfte müssen dazu beitragen, „dass ein pflegebedürftiger Mensch - möglichst in seiner gewohnten Umgebung - nicht nur am Leben bleibt, sondern weiterhin auch Anteil an der Fülle des Lebens hat (Johannes 10,10).“

Dabei wachsen nach Ansicht des Ratsvorsitzenden die Anforderungen an die Pflege nicht nur quantitativ durch die wachsende Zahl pflegebedürftiger Menschen, sondern auch die „Beziehungsbedürftigkeit zu pflegender Menschen wird wachsen“: „Die gegenwärtige Phase gesellschaftlicher Vereinzelung wird die Erwartungen und Anforderungen an gute Pflege steigern - ganz unabhängig davon, ob das politisch bejaht wird oder nicht.“ Anspruchsvoller werde die Aufgabe der Pflege auch dadurch, dass erstmalig eine „Generation geistig oder körperlich schwer behinderter Menschen“ ein höheres Lebensalter erreichen. Diese Herausforderungen zwingen, dass über die „Rahmenbedingungen guter Pflege“ nachgedacht wird, fordert Wolfgang Huber.

Wolfgang Huber hat in seinem Vortrag auf problematische Entwicklungen hingewiesen, „an denen deutlich wird, dass Pflege als Beziehungsgeschehen akut gefährdet ist. Zum einen mache der Kostendruck und die Rahmenbedingungen in Krankenhäusern wie Pflegeeinrichtungen „gute Pflege heute schwer“. Ganzheitliche Pflege verliere ihre Entsprechung in den Kalkulationen von Pflegeeinrichtungen. „Mangelnde Zeit für menschliche Begegnungen, Rollendiffusionen und Unklarheiten im Blick auf das faktisch wirksame Leitbild, die Verpflichtung zu Pflegeleistungen, die nicht am Bedarf, sondern an der Bezahlung orientiert sind,“ führen nach Ansicht des Ratsvorsitzenden zu inneren und äußeren Kündigungen derer, die voller Erwartungen diesen Beruf gewählt haben. „Es besteht die Gefahr, dass eine verzerrte Pflegepraxis die Bereitschaft zur Pflege in der Gesellschaft sinken lässt. Dies ist eine fatale Entwicklung in einer Gesellschaft, die aufgrund ihrer Altersstruktur künftig mehr professionelle Pflege, aber auch mehr freiwilliges Engagement, mehr Nachbarschaftshilfe usw. benötigt als bisher. Wir müssen deshalb in dem kontinuierlichen Reformprozess, zu dem die aktuelle Pflegereform als ein wichtiger Schritt gehört, nicht nur auf die verfügbaren finanziellen Ressourcen in den sozialen Sicherungssystemen, sondern auch auf die sozialen und sozialmoralischen Ressourcen in unserer Gesellschaft achten, ohne die eine beziehungsorientierte Pflege nicht möglich ist,“ so Wolfgang Huber bei dem Kongress des Diakonischen Werkes der EKD und der Evangelischen Akademie zu Berlin, an dem auch die Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt teilnahm.

Hannover / Berlin, 10. Oktober 2007

Pressestelle der EKD
Christof Vetter

Der Vortrag im Wortlaut: "Pflege als Beziehungsgeschehen. Eine evangelische Perspektive"