„Gelebte Toleranz“

Integration und Inklusion als Herausforderungen für Kirche und Sport

 Der 43. Studienkurs des Arbeitskreises Kirche und Sport der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) beschäftigte sich Anfang März 2013 in Sils (Schweiz) mit den vielfältigen Herausforderungen und Chancen von Integration und Inklusion. Unter den mehr als 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmern konnte der Sportbeauftragte der EKD, Prälat Bernhard Felmberg, als Referenten bei Vorträgen und Bibelarbeiten u. a. Landesbischof Friedrich Weber (Braunschweig), Gudrun Doll-Tepper, Stefanie Schardien, Friedhelm Julius Beucher und Simone Bell D'Avis, Peter Noss und Ralf-Rainer-Klatt begrüßen.

Aus den Diskussionen zwischen Vertreterinnen und Vertretern von Kirche, Diakonie und Sport sind die nachstehenden Thesen des Arbeitskreises Kirche und Sport erwachsen. Sie stehen unter dem Titel „Gelebte Toleranz – Integration und Inklusion als Herausforderungen für Kirche und Sport“:

I. Die bunte Gnade Gottes

Als nun dieses Brausen geschah, kam die Menge zusammen und wurde bestürzt; denn ein jeder hörte sie in seiner eigenen Sprache reden.
(Apostelgeschichte 2,6)

Vielfalt gehört zur guten Schöpfung Gottes. Die Verschiedenheit der Menschen in ihren körperlichen und geistigen Gaben und Begabungen, als Männer und Frauen und in ihren kulturellen Identitäten wird biblisch oft im Lichte der Bereicherung und wechselseitigen Stärkung beschrieben. Erzählungen wie die Pfingstgeschichte betonen, dass in einer Gemeinschaft Unterschiede bestehen können. Differenzen darf und soll es geben, solange sie nicht trennend und ausgrenzend wirken.

Kirche und Sport sehen diese bunte Vielfalt als eine große Chance, aber auch als eine Herausforderung an. Ihnen gelingt es bislang nicht immer, Menschen einzubeziehen und teilhaben zu lassen, die anders oder fremd erscheinen. Zugleich wird den Akteuren in Kirche und Sport aber immer deutlicher: Es gilt besonders auf jene zu achten, die ausgeschlossen zu werden drohen. Es wäre verengt, darunter ausschließlich Menschen mit Behinderung oder mit Migrationshintergrund zu verstehen.

Um diesen Menschen die Teilhabe in kirchlichen und sportlichen Kontexten stärker als bisher zu ermöglichen, bedarf es der sensiblen Aufmerksamkeit für die verschiedenen Bedürfnisse und der kreativen Suche nach Wegen und Möglichkeiten, Barrieren aufzulösen. Wichtig erscheint: Soweit wie möglich sollen sich alle Beteiligten – und besonders jene, die sich bislang in den Kontexten von Kirche und Sport zu wenig oder nicht wiederfinden – an diesen Prozessen aktiv beteiligen können.

II. Inklusion und Integration

Hier ist nicht Jude noch Grieche, hier ist nicht Sklave noch Freier, hier ist nicht Mann noch Frau; denn ihr seid allesamt einer in Christus Jesus.
(Galater 3,28)

Eine Gemeinschaft, in der die jetzt bestehenden, ausgrenzenden Unterschiede überwunden sind, zählt zu den zentralen christlichen Hoffnungsbildern. Auf welche Weise dies geschehen kann, ist heute umstritten: Modelle der Integration versuchen, ausgegrenzten Gruppen einen Ort in der Mehrheitsgesellschaft zu geben. Die neueren Modelle von Inklusion dagegen, wie sie bspw. auch die Behindertenrechtskonvention (2006) vertritt, verabschieden sich von der Vorstellung einer Mehrheits- oder Normalgesellschaft. Sie zielen auf die Ermöglichung einer gleichberechtigten, vollständigen Teilhabe aller Menschen in den sozialen, wirtschaftlichen, kulturellen Kontexten. Kirchliche Kontexte schließen sich dieser Vorstellung an. Im Diskurs von Kirche und Sport fällt auf, dass die Begriffe aktuell oftmals dort zielgruppenspezifisch verwendet werden, wo sie politischen Förderungsrichtlinien unterworfen sind: In der Vergangenheit zielte „Integration“ auf Menschen mit Behinderung, gegenwärtig auf Menschen mit Migrationshintergrund. Der Begriff „Inklusion“ wird aktuell überwiegend verwendet im Blick auf die Arbeit mit Menschen mit Behinderung.

Christinnen und Christen leben aus der Hoffnung, dass am Ende dieser Zeit eine „neue Welt“ anbricht, in der sich eine friedliche und gerechte Gemeinschaft aller Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit endgültig durchsetzen wird. Diese eschatologische Hoffnung macht den christlichen Glauben gerade nicht lebens- und realitätsfern. Vielmehr wirkt sie als Motor, auch die gegenwärtig bestehenden Ausgrenzungen und Trennungen zwischen Menschen aufzuspüren und abzubauen.

Erzwungene Inklusion im Sinne einer Gleichbehandlung und Gleichmacherei wäre allerdings ein Widerspruch in sich und nicht wünschenswert. Gegenüber rigiden Forderungen nach Gleichheit ist plausibler: Gleiches soll gleich, aber Ungleiches auch ungleich behandelt werden. Sehr sorgfältig muss also abgewogen werden, welche Bereiche in Kirche und Sport sich inklusiv gestalten lassen oder in welchen weiterhin eher integrative Maßnahmen fruchtbar erscheinen. Kirche und Sport können nicht zuletzt auch Räume eröffnen, in denen sich Menschen mit ähnlichen Hintergründen, etwa handicaps, in peer groups austauschen können, gerade um ihre Besonderheit in die größeren Gruppe einzubringen. 

Was Kirche und Sport wichtig ist: Die gute Idee der Inklusion darf nicht zur hohlen Floskel werden. Die Behauptung von Inklusion ist noch nicht deren Umsetzung. Um die Menschen in ihrer jeweiligen Verschiedenheit tatsächlich zur Teilhabe zu befähigen, bedarf es bleibender Anstrengungen und finanzieller Ressourcen. Wünschenswert für die kirchlichen Kontexte wäre, dass z. B. Nutzer diakonischer Angebote oder Besucher von gemeindlichen Suppenküchen und Beratungsstellen nicht am Rande stehen, sondern als gleichberechtigte Mitglieder der Gemeinde wahrgenommen werden und diese aktiv mitgestalten. Die Konfirmanden- und Jugendarbeit bietet besondere Chancen zur Inklusion, da sie sich an Jugendliche unabhängig von familiärer Herkunft, Fähigkeiten und Schularten wendet. Nicht zuletzt zielen auch Gottesdienste darauf, Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit einzuladen. Im Sport kann diese Überzeugung bedeuten, dass sich Sportvereine für alle öffnen und Wahlmöglichkeiten für verschiedene Sportangebote schaffen. Dazu wiederum ist es notwendig, Übungsleiter entsprechend auszubilden. Angesichts der vielfachen Herausforderungen auf dem Weg zu inklusiven Gemeinschaften (Vereine, Gemeinden u. a.) ist es erforderlich, dass Kirche und Sport ihren Einrichtungen Materialien zur Fort- und Weiterbildung zur Verfügung zu stellen.

Weiterführend und lebensdienlich erscheint es, wenn Kirche und Sport die Begriffe Integration und Inklusion nicht nur auf bestimmte Zielgruppen, wie Menschen mit Behinderung oder Migrationshintergrund, engführen. Wenn sie aufmerksam dafür bleiben, welchen Menschen die Teilhabe verwehrt ist oder erschwert wird, ziehen sie den Kreis ihrer Mitglieder möglichst weit. Auf diese Weise können Kirche und Sport auch einen gesellschaftlichen Beitrag leisten, indem sie den Diskussionsprozess begleiten und Beispiele gelungener Teilhabe bereits leben.

III. Gelebte Toleranz

Ich bin ein Fremder gewesen und ihr habt mich aufgenommen.
(Matthäus 25,35)

Wo Inklusion und Integration gefördert werden, entwickelt sich ein Klima der Toleranz. Für Andere und Fremde offen zu bleiben, anstatt den Blick nur auf sich selbst zu richten, gehört zu einer Willkommenskultur, wie sie Kirche und Sport heute unterstützen. Dabei nimmt die Kirche durchaus selbstkritisch wahr, dass sie sich die Idee der Toleranz erst in ihrer jüngeren Vergangenheit zu Eigen gemacht hat.

Entgegen einer Vorstellung von Toleranz als bloße Duldung oder Erduldung, lässt sich in den kirchlichen und sportlichen Kontexten ein Verständnis von Toleranz wahrnehmen, das die Anderen und Fremden in ihrer Verschiedenheit respektvoll anerkennt. In der Kirche zeigt sich dies bspw. in der langen Tradition der ökumenischen Arbeit. Das je Besondere des Anderen wird geachtet und respektiert. Zugleich ist der Prozess gestaltet von dem Willen das Gemeinsame zu entwickeln. Im Sport demonstrieren dies die Beispiele von integrativen, bzw. inklusiven Sportgruppen im Vereins- und Freizeitbereich, aber auch sportliche Großveranstaltungen wie Paralympics, Special Olympics und Deaflympics.
Die Toleranz findet ihre Grenze in Kirche und Sport dort, wo das Leben und die Würde anderer Menschen missachtet und gefährdet werden. Die so genannte „Null-Toleranz-Politik“ muss es geben u. a. bei sexueller und körperlicher Gewalt, Doping und Diskriminierung. Hier ist es Aufgabe der Kirche und des Sports, die Stimme zu erheben und die Verletzung der Würde und den Missbrauch der Freiheit zu verurteilen.

Kirche und Sport verwirklichen bereits in vielen Bereichen eine inklusive und integrative Gemeinschaft im Sinne der bunten Gnade Gottes. Dies auszubauen und zu intensivieren ist ein vorrangiges Ziel, das sich Kirche und Sport gesetzt haben. Auf diese Weise entwickeln sie eine Haltung gegenüber Anderen und Fremden, die Toleranz im Sinne einer Kultur der Anerkennung lebt und vorlebt.

Weitere Information:

Prälat Dr. Bernhard Felmberg, Bevollmächtigter des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) bei der Bundesrepublik Deutschland und der Europäischen Union und Sportbeauftragter des Rates der EKD

Hannover, 5. März 2013

Pressestelle der EKD
Reinhard Mawick