Predigt bei der Trauerfeier für Max Schmeling in der Hauptkirche St. Michaelis, Hamburg

Stephan Reimers

Im Namen dessen, der uns so annimmt, wie wir sind, im Namen Jesu Christi,

Amen.

Liebe Trauergemeinde,

der Konfirmationsspruch von Max Schmeling heißt:

Klopfet an, so wird euch aufgetan (Mt 7,7).


Dieses Wort aus der Bergpredigt will zum Beten ermutigen, aber ein großer Beter ist Max Schmeling nicht geworden. Die Botschaft, mit der er angeklopft und viele Menschenherzen erreicht und für sich geöffnet hat, war die Geschichte eines Jungen aus Hamburg-Eilbek, der aus beengten Lebensverhältnissen heraus seinen Weg gegangen ist, mit Anstand, Bescheidenheit und Fairness – einer, der immer durch Leistung überzeugen wollte und der zugleich aufmerksam und liebevoll für die Menschen da war, die ihm nahe standen, für seine Familie, seine Frau, seine Freunde. Er ist seinen Weg gegangen. Und wir alle sind auch deshalb hier, weil wir dem fast Hundertjährigen unseren Respekt und unseren Dank bezeugen wollen an diesem Ort, vor Gott.

Einer seiner Lehrer hat sich einmal so an ihn erinnert: „Ein stiller etwas verträumter Bursche, der seine Wege für sich alleine ging. Ein wenig Einspänner, aber ein guter Junge.“

Liebe Gemeinde,

jede Seele sucht ihre Lebenslage, jeder Mensch das ihm Angemessene. Max Schmeling fand, was zu ihm passte. Aus dem Einspänner der Schülerzeit wird der Einzelkämpfer in den Boxringen der 20er Jahre. Im Rückblick beschreibt er seine Lebensentscheidung so:

„Dieser Gedanke des äußersten Einsatzes, aber auch das Pathos des Einzelkämpfers haben nicht nur mich fasziniert und den wichtigsten Impuls meines Lebens ausgemacht – sie waren auch die Faszination der Epoche.... Begeisterung und Hysterie galten in jener Zeit durchweg dem mutigen Einzelnen.... Lindbergh wurde nach seinem halsbrecherischen Atlantikflug ein Triumph bereitet, wie ihn einst nur Feldherren nach siegreicher Schlacht erlebten.... Sicherlich habe ich meine Siege alleine erkämpft, aber dass ich zum Idol wurde, verdanke ich mehr der Zeit als mir selber. Denn die Zeit verlangte Helden - und sie schuf sie sich.“

Liebe Gemeinde,

in Deutschland war dieser Wunsch aufzublicken besonders ausgeprägt. Der verlorene Krieg, die Reparationen des Versailler Vertrages, die Inflation – all das hatte die Menschen deprimiert und tief verunsichert. Vielleicht kann man sagen, dass die unaufhaltsame Karriere des Boxsportlers Max Schmeling in der Weimarer Zeit ähnlich begeisternde Kraft entfachte wie das „Fußballwunder“ von Bern 1954 – Balsam für die Seele einer desorientierten Nation, Hoffnung auf Zeiten mit mehr Glanz. Dass er ein Hoffnungsträger für sie war, haben viele Menschen ihm gedankt und deshalb ist sein Lorbeer niemals welk geworden. Wer bekommt schon Jahr für Jahr 600 Briefe zu seinem Geburtstag?

Adolf Hitler war Anhänger des Boxsports und hatte schon in „Mein Kampf“ die Ausbildung im Boxen für alle deutschen Schüler zum Erziehungsziel erklärt. Da lag es sehr nahe, dem erfolgreichsten deutschen Boxer Gunst und Aufmerksamkeit zu schenken. Ein willfähriger Parteigänger Hitlers ist Max Schmeling nie geworden. Daran hinderte ihn schon sein Selbstbewusstsein. Er war ja schon Weltmeister durch fairen Sport. Er wollte seinen Weg gehen und nicht Mitläufer sein. Außerdem kannte er zu viele, die unter der Verfolgung des Regimes litten: Künstler, Journalisten oder jüdische Freunde. Er hat sein Ansehen genutzt, um in zahlreichen Einzelfällen Hilfe und Ausnahmen zu erreichen.

Das änderte aber nichts daran, dass er – besonders nach seinem Sieg über Joe Louis 1936 – zum sportlichen Aushängeschild des 3. Reiches wurde. Er war – ohne es angestrebt zu haben - in einen unheilvollen Zusammenhang verstrickt und hat 1945 – so wie es vielen Deutschen erging – seine Heimat und seine Existenz verloren. Das kleine Gut Ponickel in Pommern, in das er die Erträge seiner Kämpfe investiert hatte und das ihm und seiner Frau  Anny Ondra zu einer wirklichen Heimat geworden war, lag in Polen.

Durch ein Gespräch mit ihm und aus seinem Buch „Erinnerungen“ ist mir deutlich geworden, wie sehr ihn dieser Verlust geschmerzt hat. Er hatte auch kein Verständnis dafür, dass sich seine Kirche 1965 mit der Ostdenkschrift für eine Anerkennung der Oder-Neiße-Grenze aussprach. Sein Entschluss, aus der Kirche auszutreten, ist davon beeinflusst worden.

Später kam es zu einem fruchtbarem Dialog mit seiner Kirche. Mit großen, regelmäßigen Spenden aus seiner Stiftung hat er viele diakonische Einrichtungen und Aufgaben unterstützt. Die Jugendarbeit war ihm besonders wichtig, aber auch für die Verbesserung der Wohnqualität älterer Menschen war er ansprechbar. Gefallen hat ihm das Projekt Kirchenkaten, kleine Häuser für Obdachlose, die Hamburger Gemeinden neben ihrer Kirche aufstellten. Jede Kate wurde mit einer Sonderspende von Max Schmeling auf den Weg gebracht. Ich denke auch persönlich mit großem Dank an diese Hilfen, die er uns großzügig und fröhlich gewährte.

War er religiös? Auf eine entsprechende Frage sagte er in seinem letzten Interview: „Für mich ist Religion Geben, etwas Gutes tun. Ich lebe so, als wenn es wirklich einen Gott gibt.“ Und auf die Frage nach seinen Wünschen antwortete er: „Wichtig wären mir auch Freundschaften. Ich habe viele Freunde. Was ich nicht habe, glaube ich zumindest, sind Feinde. Kritiker habe ich sicher genug. Sie sind ja keine Feinde. Ich kenne jedenfalls niemanden, der mir eine Krankheit wünschen würde.“

Liebe Gemeinde,

im Blick auf  diese Grundstimmung und auch in Erinnerung an seine 54 guten Ehejahre mit Anny Ondra fällt mir ein Wort aus dem 1. Johannesbrief ein:

„Gott ist Liebe, und wer in der Liebe bleibt,
der bleibt in Gott und Gott in ihm.
(1. Joh. 4,16).

Der Gott der Liebe, der durch Taufe und Konfirmation bei Max Schmeling anklopfte, der hat eine offene Tür im Herzen unseres Verstorbenen gefunden.

Anlässlich seines 95. Geburtstages hat Max Schmeling in einem Gespräch geantwortet: „Ich bin ein Mensch mit einer Riesenzukunftsaussicht.“

Wenn das einer zu seinem 95. Geburtstag sagt, ermutigt er mich aus meinem Glauben heraus mit einem Trostwort der frühen Kirche zu schließen:

„Wir wollen nicht trauern, dass wir ihn verloren haben,
sondern dankbar sein dafür, dass wir ihn gehabt haben,
ja auch jetzt noch besitzen.
Denn wer heimkehrt zum Herrn, bleibt in der Gemein-
schaft der Gottesfamilie und ist nur vorausgegangen.

Amen