Statement des DBK-Vorsitzenden beim Spitzengespräch Kirchen - Sport in Frankfurt

Karl Lehmann

I. Integration durch Sportverbände und Kirchen

Die Integration von Zuwanderern ist eine wichtige Zukunftsaufgabe, der sich alle Kräfte unserer Gesellschaft stellen müssen. Sie ist keine isolierte und auch keine ganz neue Herausforderung. Schon in den 70er Jahren hat die Deutsche Bischofskonferenz festgestellt: „Deutschland ist ein Einwanderungsland“. Spätestens seit der Wende gibt es in Deutschland eine ethnische und kulturelle Vielfalt, die eine neue Dimension darstellt. Die Deutsche Bischofskonferenz hat dazu im September 2004 ein Wort veröffentlicht, das den Titel trägt: „Integration fördern – Zusammenleben gestalten“.

An vielen Orten gelingt das Zusammenleben bereits: in Schulen, am Arbeitsplatz, in Nachbarschaften. In anerkennenswerter und vorbildlicher Weise engagieren sich die Verantwortlichen in den Sportvereinen für die Integration von Zuwanderern. Der Sport spielt für den Zusammenhalt der Gesellschaft und die Integration kultureller und ethnischer Minderheiten eine zunehmend wichtige Rolle. In einigen Untersuchungen wird behauptet, dass der Sport die Religion als wichtigste Integrations- und Kohärenzkraft beerbt habe. Dabei muss natürlich in Rechnung gestellt werden, dass die gesellschaftlichen Integrationsmechanismen sich mit steigender Komplexität der Gesellschaft wandeln. Für die Zusammenarbeit von Kirchen und Sportorganisationen ist es auf jeden Fall wichtig, die gewachsene ethische und soziale Bedeutung des Sportes für das gedeihliche Zusammenleben der Menschen in unserem Land zu berücksichtigen. Dies gilt vor allem, wenn wir uns die Probleme vor Augen führen, die es trotz aller Bemühungen gibt: Viele Zugewanderte finden nur schwer Zugang zu den Grundwerten unserer Gesellschaft. Besonders problematisch ist, dass viele jugendliche Zuwanderer über keine bzw. eine nur unzureichende schulische und berufliche Qualifikation verfügen. Sie sind darum überproportional von Arbeitslosigkeit betroffen. Das geht häufig einher mit mangelhaften Sprachkenntnissen.

Integration ist ein wechselseitiger Prozess, der im gegenseitigen Respekt stattfinden muss. Weder durch Assimilierungsdruck auf die Migranten noch durch die Entstehung von Parallelgesellschaften kann für unser Land eine gute Zukunft gewonnen werden. Echte Integration fordert sowohl von Einheimischen wie Migranten ihren je spezifischen Beitrag. Integration ist nur möglich in einer verbindlichen Werteordnung, weil sie selbst ein Wert ist, der sein Fundament in der indisponiblen Würde eines jeden Menschen hat. Auf dieser Basis eröffnen sich unserer Gesellschaft Chancen einer sozialen und kulturellen Weiterentwicklung.

Die Kirche hat eine starke Option für kulturelle Vielfalt, weil sie Weltkirche ist. Ihre Sendung besteht darin, das Evangelium in alle Kulturen einzuprägen. Das ist nur möglich in einer Haltung der Anerkennung der vielen Kulturen. Gerade durch ihre missionarische Sendung ist die Kirche verpflichtet, sich für die Vielfalt der Kulturen dieser Welt einzusetzen. Aus der so verstandenen Weltkirchlichkeit der Kirche leitet der erwähnte Text auch die Anerkennung der kulturellen Vielfalt an einem Ort ab.

Die ethnische und kulturelle Vielfalt wird in den Gemeinden und kirchlichen Einrichtungen vor allem der größeren Städte täglich erfahren: Etwa 10% aller Katholiken in Deutschland haben eine andere Muttersprache als Deutsch. Es gibt ungefähr 480 fremdsprachige Gemeinden. In den Kindergärten und Schulen finden auch Kinder nichtkatholischer und nichtchristlicher Familien Aufnahme. Erst jüngst haben sich die verschiedenen Fachdienste des Deutschen Caritasverbandes verpflichtet, in ihrer Arbeit auch die kulturelle Andersheit vieler Hilfesuchender zu berücksichtigen.

II. Die Bedeutung von Religions- und Sportunterricht in der Schule

Eine wichtige Voraussetzung für die Integration der Zuwanderer besteht im Erlernen der deutschen Sprache. Für Kinder und Jugendliche spielt dabei die Schule eine zentrale Rolle – und das nicht nur wegen der speziellen Förderkurse, die dem Spracherwerb im engeren Sinne dienen. Insofern ist es folgerichtig, wenn wir in den beiden folgenden Themen einen Blick auf die Beteiligung von Sport und Kirchen am Bildungsgeschehen werfen.

Religions- und Sportunterricht leisten einen je eigenen, von anderen Fächern nicht ersetzbaren Beitrag zum Bildungs- und Erziehungsauftrag der Schule. Sie sind in allen Schulformen fester Bestandteil des Fächerkanons. Empirische Untersuchungen zeigen, dass der Religions- und der Sportunterricht anerkannte und geschätzte Fächer sind.

Infolge der nur mittelmäßigen Ergebnisse, die deutsche Schülerinnen und Schüler in internationalen Leistungsvergleichsstudien (TIMSS, PISA, IGLU) erzielt haben, konzentriert sich die bildungspolitische Debatte vor allem auf die Fächer Deutsch, Fremdsprachen, Mathematik und die Naturwissenschaften. Die so genannten „kleineren“ Fächer, zu denen auch der Religions- und der Sportunterricht gezählt werden, geraten in der Folge schnell in eine Randposition. Deshalb ist es wichtig, ihre Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung und Weltorientierung der Kinder und Jugendlichen öffentlich und mit Nachdruck hervorzuheben.

Die Auseinandersetzung mit den letzten Fragen des Menschen nach dem Woher, Wohin und Wozu seines Lebens und der Welt gehört zum Bildungsauftrag der Schule. Diese Grundfragen und die Vielfalt der religiösen und säkularen Antworten in unserer Gesellschaft sind Gegenstand des Religionsunterrichts. Die Antworten auf die letzten Fragen kann der religiös und weltanschaulich neutrale Staat nicht selbst geben. In der Auseinandersetzung mit einem konkreten Bekenntnis und seinem Wahrheitsanspruch lernen Schülerinnen und Schüler, einen eigenen Standpunkt zu religiösen und ethischen Fragen zu entwickeln und ihn anderen gegenüber argumentativ zu vertreten. Eine eigene Überzeugung und Anerkennung anderer schließen einander nicht aus. Im Gegenteil: Nur wer eine eigene religiöse Überzeugung hat, kann ermessen, was die Überzeugung des Anderen für diesen, seine Identität, seine Weltdeutung und sein Leben bedeutet. Der konfessionelle Religionsunterricht fördert eine starke Toleranz, die den Anderen mit seinen Überzeugungen ernst nimmt. Er motiviert zu einem offenen, von Respekt vor dem Anderen getragenen Dialog.

Der Sportunterricht leistet einen grundsätzlichen Beitrag zur körperlichen, geistigen und emotionalen Entwicklung der Schülerinnen und Schüler. Damit fördert er eine ganzheitliche Sicht des Menschen, wie sie dem biblischen Menschenbild entspricht. Hervorzuheben ist ebenso die Bedeutung des Sportunterrichts für das soziale Lernen.

Angesichts der Bedeutung dieser beiden Fächer für die Persönlichkeitsentwicklung der Kinder und Jugendlichen ist der teilweise hohe Stundenausfall nicht hinnehmbar. Guter Sport- und guter Religionsunterricht erfordern fachlich gut ausgebildete Lehrkräfte. Die beiden Kirchen und der Deutsche Sportbund werden zukünftig auch gemeinsam für einen qualifizierten Religions- und Sportunterricht in der Schule eintreten.

III. Die Ganztagsschule und das Engagement von Kirche und Sport

Die Entwicklung des deutschen Schulsystems ist durch zwei Faktoren beschleunigt worden: zum einen durch die Angleichung der Schulabschlüsse im europäischen Einigungsprozess, zum anderen durch die Ergebnisse der PISA-Studie. Im Rahmen dieser Entwicklung wird die Ganztagsschule an Bedeutung gewinnen – auch wenn sie nicht zur Regelschule wird, sondern ein frei wählbares Angebot bleibt. Die Ganztagsschule kann offensichtlich die durch die PISA-Studie aufgedeckten Bildungsdefizite besser beheben.

Allerdings beschränkt sich die Ganztagsschule nicht darauf, den Unterricht einfach nur in den Nachmittag hinein zu verlängern. Vielmehr finden hier auch vielfältige außercurriculare soziale, kulturelle und sonstige Freizeitaktivitäten statt. So wächst die Bedeutung der Schule für die Persönlichkeitsentwicklung und Erziehung der Kinder. Wenn die Bedeutung der Schule für das Leben eines jeden Einzelnen größer wird, bedarf es sorgfältig erarbeiteter pädagogischer Konzepte. Diese pädagogischen Konzepte müssen von einer umfassenden Sicht des Menschen ausgehen, von seiner indisponiblen Würde, seinen Rechten und Pflichten.

Kirche und Sport wirken bereits erfolgreich an den fakultativen Betreuungsangeboten der Schulen mit. Es stellt sich die Frage, ob nicht die Betreuungsangebote so qualifiziert werden können, dass sie im Wahl- und Freizeitbereich der Ganztagsschule einen festen Platz einnehmen können. Jugendverbände bzw. gemeindliche Jugendpastoral wären als außerschulisches Angebot in der Schule präsent. Sie würden mit katechetischen und jugendpastoralen Lernformen das weitgehend unterrichtsbezogene Lernen der Schule bereichern. Entsprechendes müsste man für den Sportbereich sagen. Beide würden nicht den Religions- oder Sportunterricht verdoppeln, sondern die Verbindung zwischen Schule und sozialer Umgebung stärken.

Jedoch ist darauf zu achten, dass die Arbeit der Sportvereine und kirchlichen Jugendgruppen nicht gänzlich in der Schule aufgeht. Die außerschulische Jugendarbeit hat ihren eigenen unverzichtbaren Ort. Jugendarbeit des Sportes und der Kirchen zeichnet sich gerade dadurch aus, dass sie ihre Rahmenbedingung in erheblichem Maße selbst organisiert – wenn auch nicht ohne die Mithilfe von Erwachsenen. In Sportvereinen wie in kirchlichen Jugendgruppen erfahren sich Kinder und Jugendliche nicht nur als unter Vorgaben Betreute, sondern als handelnde, freie Subjekte. Der Ausbau der Ganztagsbetreuung oder der Ganztagsschule darf nicht zu einer Einstellung der Förderung der außerschulischen Bildung führen.

IV. Zusammenfassung

Die Integration von Zuwanderern ist eine wichtige Zukunftsaufgabe, an der die Kirchen und der Sport gemeinsam arbeiten sollten. Ich schlage vor, dass hierzu auf der Arbeitsebene entsprechende Vorschläge ausgearbeitet und in die Gremien eingebracht werden. Durch die Zusammenarbeit mit dem Sport  können die Gemeinden, Verbände und Einrichtungen sicherlich in ihrem Bemühen bereichert werden, gute Nachbarschaft mit Menschen anderer kultureller und religiöser Tradition zu leben.

Im Hinblick auf den Religions- und Sportunterricht werden die beiden Kirchen und der Deutsche Sportbund zukünftig auch gemeinsam für einen qualifizierten Religions- und Sportunterricht in der Schule eintreten.

Sinnvoll ist auch die Mitwirkung von Kirchen und Sportverbänden im Wahl- und Freizeitbereich der Ganztagsschule. Diese wird den Religions- und Sportunterricht nicht verdoppeln, sondern die Verbindung zwischen Schule und ihrem sozialen Umfeld stärken. Auch sollte dabei im Blick bleiben, dass der Ausbau der Ganztagsbetreuung und der Ganztagsschule nicht zu einer Einstellung der außerschulischen Jugendarbeit führt.