Statement des DSB-Präsidenten beim Spitzengespräch Kirchen – Sport in Frankfurt

Manfred von Richthofen

Sehr geehrter Herr Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz,

sehr geehrter Herr Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland,

meine Damen und Herren,

die Zusammenarbeit von Kirchen und Sport hat eine lange und gute Tradition.

Neben den zahlreichen konkreten Kooperationen - etwa bei Olympischen Spielen, im Rahmen der Sportprogramme der Kirchentage oder ganz aktuell beim Weltjugendtag in Köln - bieten die Spitzengespräche zwischen unseren Organisationen immer auch die Gelegenheit, sich wichtiger gemeinsamer Grundpositionen zu vergewissern.

Als große gesellschaftspolitische Kraft hat der Sport mit seinen über 90.000 Vereinen und Verbänden eine große Gesamtverantwortung.

Gestatten Sie mir, auch im Hinblick auf aktuelle gesellschaftspolitische Entwicklungen, drei zentrale Themenkomplexe herauszugreifen, die sowohl die Kirchen wie den Sport betreffen:

Es geht um Integration, Bildung und Schule.

Zum Thema Integration:

Vielfältige Veränderungen stellen unsere Gesellschaft vor große Herausforderungen, auch und gerade im Bereich der Integration von zugewanderten Menschen.

Der Sport bietet hierbei für Angehörige unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen und Nationalitäten Potenziale der Begegnung, der Anerkennung und der Gesundheitsvorsorge.

Oder kürzer formuliert: „Sport spricht alle Sprachen“, und er ist daher eine besonders wichtige Integrationsplattform. Sport fördert die Verständigung zwischen den Kulturen.

Diese Begegnung von Menschen unterschiedlicher Herkunft ist auch täglich gelebte Praxis in unseren 90.000 Sportvereinen in Deutschland.

Doch bei aller positiven Betrachtung können wir die Problemfelder nicht ignorieren. Manche interkulturellen Barrieren lassen sich nur schwer überwinden, und auch zugewanderte Frauen und Mädchen nehmen noch viel zu selten am organisierten Sport teil.

Für den Deutschen Sportbund bleibt die Integration daher ein besonderer Arbeitsschwerpunkt.

Wir haben vielfältige Aktivitäten entwickelt, insbesondere das seit vielen Jahren erfolgreiche Programm „Integration durch Sport“ mit einem bundesweiten Netzwerk von Stützpunktvereinen, Einzelprogrammen und Großveranstaltungen.

Integration bleibt also eine Zukunftsaufgabe. Dies gilt umso mehr angesichts der zu erwartenden demographischen Entwicklung.

Wir sollten gemeinsam überlegen, wie wir die Zusammenarbeit zwischen Kirchen und Sport und vor allem zwischen Kirchengemeinden und Sportvereinen in diesem zentralen Bereich ausbauen können.

Zum Thema Bildung

Wir leben in einer Welt, die zunehmend durch Unübersichtlichkeit und Pluralisierung geprägt ist. Dies hat in nahezu allen gesellschaftlichen Lebensbereichen eine Werteunsicherheit zur Folge.

Vor diesem Hintergrund gewinnen Sportvereine Bedeutung im Sinne gesellschaftlicher Korrekturen. Denn sie unterbreiten bekanntlich auch ein kulturelles wie soziales Angebot.

Sportvereine übernehmen als Bildungs- und Sozialisationsinstanz freiwillig Aufgaben, die der Gesamtgesellschaft dienen.

Sie vermitteln Werte und Orientierungshilfen und unterstützen letztlich einen gesellschaftlichen Bildungsprozess. Ein sicher segensreiches Wirken für den Einzelnen wie für die Gemeinschaft.

In unserer Gesellschaft und vor allem in den staatlichen Bildungseinrichtungen dominiert die kognitive Bildung.

Die engen Zusammenhänge und die gegenseitigen Abhängigkeiten zwischen geistiger, sozial-emotionaler und körperlicher Bildung werden nur unzureichend zur Kenntnis und in Anspruch genommen.

Intellektuelle Leistungen dominieren. Die zahlreichen Studien und Grundsatzpapiere der letzten Zeit vernachlässigen geradezu sträflich die Körperbildung. Bewegung, Spiel und Sport in Kindergarten und Schule werden nicht ausreichend berücksichtigt und zu wenig anerkannt.

Auch die gesellschaftliche Bedeutung der vielfältigen Bildungsangebote und Bildungsprozesse in nicht-staatlichen Bereichen - hier insbesondere in den Tätigkeitsfeldern der Kirchen und des Sports - wird unterschätzt und gesellschaftspolitisch völlig unzureichend gewürdigt.

Bewegung, Spiel und Sport in einer bewegungsfreundlichen Umwelt sind im Kindes- und Jugendalter besonders wichtig. Hier werden grundlegende Erfahrungen gesammelt, die die weitere Entwicklung fördern.

Und daraus schließlich erwächst die zentrale Bedeutung des Faktors Bewegung im menschlichen Entwicklungsprozess insgesamt.

Bildung durch Sport steht darüber hinaus auch für Begriffe und Schlüsselqualifikationen wie Teamfähigkeit, Kooperation, Verantwortung, Fairness und Leistungsstreben, was einmal mehr die gesamtgesellschaftliche Dimension sportlichen Handelns unterstreicht.

Umso wichtiger, dass Vereine und Verbände die räumlichen, sachlichen und personellen Voraussetzungen für ihre Arbeit bekommen. Der Dienst am Menschen ist insoweit ein gemeinsames Ziel, das wir im Sport und in der Kirche verfolgen.

Der Beginn einer neuen Legislaturperiode des Deutschen Bundestages steht kurz bevor. In diesem Spätsommer werden die politischen Spielräume neu vermessen.

Wir werden uns auch und gerade nach der Bundestagswahl dafür einsetzen, dass die Rahmenbedingungen für die Angebotsstruktur im Sport verbessert werden.

Zum Thema Schule und Ganztagsschule

Die Entwicklung von Ganztagsangeboten an Schulen ist in vielen Ländern ein zentraler Politikschwerpunkt geworden. Die „Ganztagsschule“ bewegt nicht nur die öffentliche Bildungsdiskussion in den Ländern, Kommunen, Schulen und Familien, sondern auch den organisierten Sport und die Kirchen. „Ganztagsschule“ ist nicht gleichzusetzen mit Ganztagsunterricht.

Die „Ganztagsschule“ bietet vielmehr die Chance, dass Schülerinnen und Schüler, Lehrkräfte und Erzieher oder auch außerschulische Partner die gemeinsame Lernzeit als Lebenszeit begreifen und der „Lernort Schule“ mit individuellem Leben über den eigentlichen Bildungsauftrag hinaus erfüllt wird.

Trotz aller länderspezifischen Unterschiede in den Bildungskonzeptionen muss es also darum gehen, verschiedenen außerschulischen Partnern die Möglichkeit zu eröffnen, ihre Stärken und Besonderheiten bei der Gestaltung der Ganztagsschulen einbringen zu können.

Ganztagsschulen brauchen vielfältige Partnerschaften! Der organisierte Sport strebt eine frühzeitige Einbindung in die Ausgestaltung der Ganztagsschulen an.

Denn mehr Zeit für individuelle Förderung und pädagogische Betreuung bedeutet auch mehr Zeit für Bewegung, Spiel und Sport.

Die großflächige Einführung von Ganztagsschulen bietet deshalb aus Sicht des DSB auch die Möglichkeit, Sportangebote mit Unterstützung der örtlichen Sportvereine auszuweiten.

Und zwar - ohne dabei den regulären Sportunterricht zu kürzen oder gar zu ersetzen. Die seit vielen Jahren zahlreich existierenden erfolgreichen Kooperationsmodelle zwischen Schulen und Sportvereinen in vielen Bundesländern bieten hierbei eine gute Grundlage zur Weiterentwicklung.

Alle Schülerinnen und Schüler sollen in den verschiedenen Formen der Ganztagsförderung die Chance erhalten, von einem vielseitigen Bewegungs-, Spiel- und Sportangebot zu profitieren.

Denn regelmäßige, möglichst tägliche Bewegungszeiten fördern Lernbereitschaft und Lernfähigkeit und verbessern kognitive und motorische Voraussetzungen.

Kirchen und Sport sind somit „Partner und Mitgestalter der Lebenswelt Schule“, so der Titel einer gemeinsamen Erklärung der Evangelischen Landeskirche in Württemberg, der Diözese Rottenburg-Stuttgart und des Württembergischen Landessportbundes.

Mit dem Ausbau der Ganztagsschulen kommt den Kirchen und dem Sport eine besondere Verantwortung für die Vermittlung von gemeinwohlorientierten Werten wie Solidarität, Bürgerengagement, Identität, Selbstverantwortung und Leistung auf der Grundlage eines ganzheitlichen Bildungsverständnisses zu.

Der Deutsche Sportbund sagt aber auch deutlich, dass die politischen Rahmenbedingungen für den Ausbau der Ganztagsschule und für die Einbindung neuer Kooperationsformen stimmen müssen.

Hier besteht allerdings noch Handlungsbedarf auf vielen Ebenen.

Neben der Ganztagsschule gilt es aber auch, den Regelunterricht im Blick zu behalten. Der DSB hat kürzlich die erste repräsentative Studie zum Schulsport vorgelegt.

Wir konnten ermutigende Ergebnisse feststellen, z.B. hinsichtlich der hohen Wertschätzung des Schulfaches Sport und in Bezug auf ein großes Potenzial im Kooperationsfeld Schule-Sportverein.

Andererseits sind die zu hohe Ausfallquote beim Sportunterricht und die oft fachfremde Lehrerschaft zu beklagen. Hier ist die Politik gefordert, den Absichtserklärungen Taten folgen zu lassen.

Die drei Themenbereiche Integration, Bildung und Schule stehen stellvertretend für viele Handlungsfelder, in denen unsere Organisationen, die Kirchen und der Sport, seit langer Zeit konkret und erfolgreich Verantwortung übernehmen.

Diese drei Themen machen zugleich den Veränderungsdruck und die Dimension dieser Zukunftsaufgaben deutlich.

Die Sportorganisationen unter dem Dach des DSB und die Kirchen haben hier viel anzubieten, und wir sollten trotz aller Probleme mit Zuversicht diesen Herausforderungen begegnen und unsere Verantwortung wahrnehmen.

Die Partnerschaft von Kirchen und Sport gründet sich unter anderem darauf, dass in unseren Organisationen Menschen freiwillig, aber nicht privat, öffentlich wirksam, jedoch nicht unter staatlicher Regie und mit besonderem Engagement, aber nicht aus materiellen Motiven tätig sind.

Das sind zweifellos gute Grundlagen, unsere Aktivitäten weiterzuentwickeln. Ich darf meine Überlegungen für diese Weiterentwicklung nochmals konkretisieren:

Wir sollten gemeinsam überlegen, ob unsere konkrete Zusammenarbeit, vor allem die Kooperationen vor Ort in den Kirchengemeinden und Sportvereinen, quantitativ ausgebaut und kreativer gestaltet werden kann.

Unsere Gesellschaft ist umfassenden Veränderungen unterworfen. Hier sind die „sozialen Kräfte“ der Bürgergesellschaft gefordert, ihr Korrektur- und Gestaltungspotenzial einzubringen.

Kirchen und Sport verfügen über ein breites Angebots- und Leistungsspektrum. Wir sollten uns gemeinsam für zeitgemäße Rahmenbedingungen einsetzen.

In der Bildungs- und Schuldebatte sollten wir gemeinsam die engen Zusammenhänge und die Abhängigkeiten zwischen geistiger, sozial-emotionaler und körperlicher Bildung betonen, der Reduzierung auf kognitive Aspekte entgegenwirken und die Bedeutung der nicht-staatlichen „Bildungsarenen“ in Kirchen und Sport hervorheben.

Religions- und Sportunterricht sind auch weiterhin wichtige Bestandteile des Schulunterrichts und unverzichtbar.

Die Handlungsempfehlungen des DSB zur Weiterentwicklung des Sportunterrichts sind Orientierungsrahmen und Maßstab politischen Handelns – zumindest auf diesem Gebiet.

Die Einführung der Ganztagsschulen ist eine Herausforderung und bietet zugleich Chancen. Dabei gilt: Ganztagsschulen brauchen vielfältige Partnerschaften und verlässliche Rahmenbedingungen. Hierfür sollten wir uns gemeinsam einsetzen.

Gestatten Sie mir zum Schluss ein Wort des Dankes.

Ich danke zunächst Kardinal Lehmann, der diesmal die Aufgabe der Einladung und Organisation unseres Spitzengesprächs übernommen hat.

Ich danke EKD und Deutscher Bischofskonferenz dafür, dass sie ihr Engagement für das Handlungsfeld Kirche und Sport auch weiterhin auf hohem Niveau fortsetzen.

Und ich danke für ihre konkrete Unterstützung bei den zahlreichen Sportveranstaltungen, sei es bei der Fußball WM 2006 oder auch für die seelsorgerische Begleitung der deutschen Olympiamannschaften, demnächst in Turin bei den Olympischen Winterspielen.

Herzlichen Dank und auf gute weitere Zusammenarbeit.