Bischof Huber: Neuausrichtung unseres Bildungsbegriffs nötig

Orientierungswissen in evangelischer Perspektive

Ob die Ökonomisierung von Bildungszielen und -inhalten die angemessene Antwort auf die Herausforderungen unserer Gegenwart darstelle, sei zu hinterfragen. Dies sagte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD), Bischof Wolfgang Huber, bei einem Bildungskongress der EKD, am heutigen Montag, den  3. Mai 2004, in der Französischen Friedrichstattkirche in Berlin. "Lebenslanges Lernen" trage zur beruflichen Bildung und allgemein-menschlichen Bildung und Reife des Menschen bei. Bildung müsse, so Huber, sich an der menschlichen Biographie und an der Selbstbildung des Menschen orientieren.

Mit dem Akzent auf die Bildung der Person folge die Kirche einem umfassenden Verständnis vom gesellschaftlich propagierten "lebenslangen Lernen". Der evangelische Bildungsbegriff orientiere sich an der menschlichen Biographie und an seiner Selbstbildung. Durch die Beschleunigung des ökonomischen und gesellschaftlichen Lebens würden traditionelle kulturelle Muster der Lebensführung immer schneller und massiver entwertet. "Dies führt unter anderem zu Sinn- und Orientierungsverlusten" und zu individuellen und gesellschaftlichen Suchbewegungen, so Huber. Für den Umgang mit den großen gesellschaftlichen Zukunftsfragen und für die Beantwortung persönlicher Existenzfragen könne auf das Potential der Religion auch in der Bildung nicht verzichtet werden. "Ohne die Orientierung an Werten werde die sich immer schneller ändernde Lebenswirklichkeit mit ihrer Fülle stets neu verfügbaren Wissens zu einer Welt ohne Richtung und ohne Ziel - sie verliert ihr menschliches Maß."

Die Dominanz formaler, technischer und instrumenteller Bildungsziele übersehe den gesamtgesellschaftlichen Bildungsbedarf. Bildung, Erziehung und Gerechtigkeit müsse in einem Zusammenhang stehen. Studien wie Pisa oder Iglu hätten strukturelle Ungerechtigkeiten und Ausgrenzungsprozesse im Bildungsbereich aufgezeigt. Dies sei ein Skandal, sagte Huber und betonte die Orientierung des evangelischen Bildungsverständnisses am Recht auf gleichen Zugang zu Bildung. Inhaltlich sei "eine Neuausrichtung unseres Bildungsbegriffs nötig", so der Ratsvorsitzende. Ein Zusammenspiel von Verfügungs- und Orientierungswissen sei erforderlich. Wichtig seien nicht nur Bildungsinhalte, die jemand brauche, um für die Informationsgesellschaft fit zu sein. Genauso bedeutend seien Bildungsinhalte, die Menschen bräuchten, um sich in ihrer Welt zu orientieren und ethisch verantwortlich handeln zu können. "Bildung meint den Zusammenhang von Wissen, Können, Wertbewusstsein, Haltung, Handlungsfähigkeit und Sinn."

Hannover, 3. Mai 2004

Pressestelle der EKD
Anita Hartmann

Hinweis: Text im Wortlaut