Dialogpredigt - Gottesdienst „Leipzig2014“

Margot Käßmann

Anschluss an Predigtteil A von Landesbischof Bohl

Ja, Gott freut sich, wenn sein Reich wächst! Da kann ich Bischof Bohl nur zustimmen. „Seid allezeit bereit zur Verantwortung vor jedermann, der von euch Rechenschaft fordert über die Hoffnung, die in euch ist“ (1. Petrus 15,b) - das heißt doch wohl: Habt Mut und lebt, was ihr glaubt! Zeigt in der Welt, wer ihr seid, worauf ihr vertraut im Leben und im Sterben!

Bereit sein zur Verantwortung, von der eigenen Hoffnung Zeugnis abzulegen, das heißt ja doch wohl zweierlei. Zum einen: Trau dich, zu sagen, was du glaubst! Das ist heute ja vielen schon peinlich. Da heißt es: Ja, ich bin NOCH in der Kirche, als ob das unangenehm sei. Oder Menschen fragen: Glauben, hast du das nötig? Als ob das Opium in der Tat sei, mit dem Menschen sich betäuben, die Angst vorm Leben und noch mehr Angst vorm Sterben haben. In diese Ecke dürfen wir uns nicht drängen lassen. Wer Christ und Christin ist, hat keine Macke, sondern Halt und Haltung. Gleichzeitig ist ja zu beobachten: Glaube ist interessant. Sagt einer: „Ich bin Buddhist“, klingt das hochinteressant. Aber „Ich bin Christin“ – da denken viele eher an altertümlich, überholt, verknöchert.

Wir brauchen Mut, Rechenschaft von der Hoffnung zu geben, die in uns ist! Glauben bedeutet doch nicht Schwäche, sondern Stärke! Das erleben wir doch in den schweren Zeiten: Die Rituale, Lieder und Gebete stärken uns, die Auferstehungshoffnung trägt - das gibt Halt und Haltung. Und auch in den guten Tagen: Innehalten vor dem Essen zu einem Tischgebet. Gewiss, das mag Stirnrunzeln am Nachbartisch im Restaurant auslösen. Aber am Ende gibt es Respekt für Glaubenshaltung, wenn wir sie selbstbewusst leben. Wann immer mir Leute schreiben, es sei schrecklich, dass die Moscheen voll und die Kirchen leer seien, antworte ich: Dann gehen Sie doch in den Gottesdienst! Dann sind die Kirchen voll und Sie müssen weniger Angst haben!

Wir könnten als Christinnen und Christen viel fröhlicher in die Welt schauen. Wir glauben an den Auferstandenen und nicht an einen Toten. Also, lasst uns ein bisschen erlöster in die Welt blicken!

Zur Rechenschaft über die Hoffnung gehört aber nicht nur, wie wir glauben, sondern auch, wie wir leben. In der Vorbereitung auf das Reformationsjubiläum befassen wir uns in diesem Jahr mit dem Verhältnis von Reformation und Politik. Immer wieder wird gefragt: Darf die Kirche, dürfen Christinnen und Christen politisch sein? Aber wie könnten wir über biblische Texte sprechen und sie nicht auf unsere Zeit und Welt beziehen?

In der Bibel heißt es, einst, in Gottes Zukunft, werden sich Gerechtigkeit und Frieden küssen. Wenn wir uns vorstellen wollen, wie diese Zukunft aussieht, können wir das, wo immer wir hier für Gerechtigkeit und Frieden eintreten. Ich denke an diejenigen, die vor 100 Jahren aufgestanden sind gegen den Krieg und doch nicht verhindern konnten, dass es mehr als 10 Millionen Tote gab. Ich denke an diejenigen, die widerständig waren vor 75 Jahren und doch nicht verhindern konnten, dass es bestialische Morde an Millionen von Juden, Kommunisten, Sinti und Roma, Homosexuellen gab. Aber die Widerständigen haben leuchtende Beispiele abgegeben für die Rechenschaft über die Hoffnung, die in ihnen ist. Die Hoffnung darauf, dass Hass und Gewalt ein Ende haben können.

Hier in Sachsen denken wir im Juni 2014 auch 25 Jahre zurück. Ich durfte damals an der Dresdner Ökumenischen Versammlung teilnehmen. Das hat Mut gekostet, dabei zu sein – nicht mich als Wessi wohlgemerkt! Aber diejenigen, die in der DDR beispielsweise die Kreuzkirche genutzt haben, um frei zu diskutieren über Fragen von Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung. Nicht alle waren Christen. Aber die Christen haben ein Zeugnis der Freiheit eines Christenmenschen abgegeben, weil sie allen einen Ort zur Verfügung gestellt haben, frei zu reden. Es hat die jungen Leute Mut gekostet, sich einen Prophetenvers auf den Parker zu nähen: Schwerter zu Pflugscharen – und so gefährlich zu werden für einen Staat der Aufrüstung.

Darum geht es auch heute im gemeinsamen Deutschland. Christinnen und Christen werden immer über die Grenzen des Schengenabkommens hinweg denken. Wenn Menschen mit Booten versuchen, Europa zu erreichen, sind sie für uns nicht eine Gefährdung unserer Sozialsysteme, sondern Menschen mit einer eigenen Würde, die Gott ihnen zuspricht. Wenn es heißt, wir müssen Waffen produzieren, weil das unserer Wirtschaft und unserem Ansehen dient, wagen wir zu sagen: Das widerspricht dem, auf den wir uns berufen. Der sagte nämlich nicht: Selig sind, die Waffen exportieren, sondern: Selig sind, die Frieden stiften. Auch das ist für mich die Verantwortung, die der Petrusbrief fordert. Da ist doch nicht mehr militärische Verantwortung gemeint, sondern mehr Verantwortung für den Frieden. Im „Brief an die Kinder“ schrieb damals die Dresdner Ökumenische Versammlung: "Wir alle müssen uns dafür einsetzen, dass niemand mehr einen anderen Menschen in einem Krieg erschießt." Das hat seine Gültigkeit nicht verloren 25 Jahre nach der friedlichen Revolution!

Martin Luther wird ein Satz zugeschrieben, der sein Gottvertrauen und seine Rechenschaft von der Hoffnung, die in ihm war, sehr schön zeigt: „Wenn ich wüsste, dass morgen die Welt unterginge, würde ich heute noch ein Apfelbäumchen pflanzen.“ In dieser Tradition pflanzen Kirchen aus aller Welt derzeit Apfelbäumchen in Wittenberg. Es geht um die Hoffnung, dass unser Leben hier und jetzt in dieser Welt verbunden ist mit Gottes zukünftiger Welt. Ein kräftiger Schuss Gottvertrauen kann den Mut geben, unser Leben so gut und wacker wie möglich rechenschaftspflichtig vor Gott zu leben. Von ihm haben wir das Leben als Geschenk empfangen. Wir wollen es eines Tages - die einen schon bald, die anderen später – in Gottes Hand zurückgeben und sagen: Ich habe versucht, das Beste aus den Jahren zu machen, die Du mir gegeben hast. Und ich habe Rechenschaft gegeben von der Hoffnung, die in mir ist.

Ich finde großartig, wie der Apostel Paulus klar macht, was das Reich Gottes für uns bedeutet. Er sagt: Es ist gleichzeitig jetzt schon und noch nicht. Das heißt: Wann immer wir in dieser Welt Glaubensfreude, Gemeinschaft wie auf Landeskirchentag und Chorfest hier in Leipzig erleben, bekommen wir eine Ahnung davon, wie es sein wird einst in Gottes Zukunft. Wann immer Menschen eintreten für Gerechtigkeit, Frieden, Menschenwürde, können wir einen Schimmer von dem sehen, was Gott für uns gedacht hat als Leben in Fülle. Also: Es ist unsere Sache, sich am Wachsen des Reiches Gottes zu beteiligen. Wo wir hier Verantwortung übernehmen, für Gerechtigkeit und Frieden einstehen, legen wir Spuren von Gottes Zukunft. Jeder und jede einen kleinen Schritt. Doch, den können wir gehen, jeden Tag. Amen.