Missionarischer Auftrag und dialogische Kompetenz

Martin Schindehütte

Zur Aufgabe der Missionsakademie in Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft
Vortrag von Bischof Martin Schindehütte zum 50-jährigen Jubiläum der Missionsakademie Hamburg

„Das Fundament der evangelischen Kirche ist das Evangelium von Jesus Christus, die frohe Botschaft von der gnädigen Zuwendung Gottes zu allen Menschen. Christen leben in der Gewissheit, dass Gott seine Gnade, die von Sünde und Schuld befreit, jedem Menschen ohne Bedingung schenkt. Er bejaht alle Menschen als seine geliebten Geschöpfe. Die Kirche Jesu Christi ist gesandt, diese Botschaft zu bezeugen. Es ist ihre Mission, die Botschaft von Gottes Rechtfertigung aller Welt auszurichten.“ (S. 15)

So lautet ein Kernabschnitt aus der jüngsten Handreichung des Rates der EKD zum Verhältnis von Christen und Muslimen unter dem Titel „Klarheit und gute Nachbarschaft“. Der Text hat viel Zustimmung, aber auch viel Kritik ausgelöst, besonders unter den muslimischen Gesprächspartnern. Ist dieser Abschnitt eine Absage an den Dialog. Schließen sich Mission und Dialog aus?

Zwei Seiten weiter heißt es in der Handreichung:
„Bezeugt die evangelische Kirche diesen Gott den Menschen einer anderen Religion wie dem Islam, dann darf sie Gottes Geduld nicht durch die Anwendung von Zwang in Frage stellen. Intoleranz und Ungeduld im Reden und Handeln einer christlichen Kirche schaden der Glaubwürdigkeit der Wahrheit. Wahrhafte Toleranz gedeiht nach evangelischer Überzeugung nur im Vertrauen auf die konkrete Wahrheit Gottes, nicht durch ihre Verleugnung. Auf dieser geistlichen und geistigen Toleranz gründet die Dialogbereitschaft und Dialogfähigkeit der evangelischen Kirche mit Muslimen.“

Hier werden - und das finde ich sehr wichtig - Toleranz und Dialogfähigkeit nicht allein als gesellschaftlich gebotene und notwendige Fähigkeit beschrieben – das sind sie natürlich auch – hier wird darüber hinaus diese Fähigkeit zum Dialog theologisch begründet. Toleranz und Dialog nicht trotz Glaubens, sondern Toleranz und Dialog aus Glauben. Mission und Dialog sind für die christliche Theologie also aus einem inneren theologischen Grund aufeinander bezogen. Dabei muss protestantische Theologie auch reflektieren, wie diese Beziehung sich in einer zwar mehrheitlich christlichen, aber eben säkularen Gesellschaft gestalten lässt. Wir führen als evangelische Kirche AUF DEM Hintergrund unserer theologischen Reflektion einen gesellschaftlichen Dialog, in dem wir aus unserer innersten Glaubensbindung notwendig Partei sind.

Wie konkret und relevant diese Fragen in unserer Zeit sind, meine sehr verehrten Damen und Herren, macht nicht nur der hoffentlich produktiv ausgehende Streit des Rates der EKD mit dem Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland deutlich. Wir haben es hier mit einer fundamentalen gesellschaftlichen und politischen Grundfrage zu tun, die alle angeht. Welche Rolle werden Werte und Orientierungen in der Gestaltung des Gemeinwesens spielen? Welche Aufgaben haben die Kirchen und Religionsgemeinschaften dabei. Der Dialog der Evangelischen Kirche  und der Muslime kann dafür paradigmatische Bedeutung gewinnen. Selbstgenügsamkeit, Intoleranz und fanatischer Eifer für die eigene Sache, die vor gewaltsamer Durchsetzung nicht zurückschreckt, bedrohen in vielfältigen Brechungen und Formen unser Zusammenleben in unserer eigenen Gesellschaft und erst recht im globalen Kontext. Religionen und Kulturen kommen durch moderne Formen der Mobilität und Kommunikation einander in einer Weise nahe und verwickeln sich ineinander wie niemals zuvor. Darin stecken große Gefahren, aber auch große Chancen. Unsere Wissen um Kulturen und Religionen, unsere Fähigkeit zu profilierter und empathischer Begegnung, unser Wille zu gemeinsamem Handeln angesichts der globalen Überlebensherausforderungen sind eher bescheiden und ganz gewiss nicht zureichend. Wir brauchen dringend den Ausbau von Strukturen und Kompetenzen, die einen lebensdienlichen Dialog ermöglichen, der sich für die Dialogpartner nicht in Relativierung und Gleich-Gültigkeit aller Perspektiven verliert, sondern gerade jene Bindungen und Orientierungen im Glauben stärkt, die zu einem engagierten und nachhaltigen Beitrag zu Frieden, Gerechtigkeit und Bewahrung der Schöpfung bereit und in der Lage sind.

Mit dieser Ausgabenbeschreibung bin ich direkt bei dem Anlass unseres Festaktes, meine sehr verehrten Damen und Herren. Wir feiern den 50-sten Gründungstag der Missionsakademie Hamburg. Wenn ich es recht sehe, hat sich die Missionsakademie in ihrer Geschichte und insbesondere auch in den letzten Jahren in einer Weise entwickelt, dass sie in diesem Spannungs- und Aufgabenfeld eine wichtige Rolle spielen kann. Das liegt auch daran, dass die Missionsakademie ihre ursprüngliche Aufgabe, die akademische Weiterqualifizierung von auszusendenden Missionaren unter dem Eindruck der Entwicklung in den Gesellschaften, Kirchen und Religionsgemeinschaften in Asien, Afrika sehr klar verändert hat. Heuet geht es viel stärker darum, das beschriebene Spannungs- und Aufgabenfeld im Austausch mit Theologinnen und Theologen aus diesen Erdteilen wahrzunehmen, zu analysieren und Handlungsoptionen zu reflektieren.

So will ich an dieser Stelle den großen Dank und die herzlichen Glückwünsche der Evangelischen Kirche in Deutschland an die Missionsakademie zum Ausdruck bringen. Dieser Dank gilt zugleich den Mitträgern der Missionsakademie, dem Evangelischen Missionswerk in Deutschland, das ja in seiner Trägerschaft über die EKD hinausreicht, und der Universität Hamburg, die besonders über das Institut für Missions-, Ökumene- und Religionswissenschaften am Fachbereich Evangelische Theologie mit der Missionsakademie eng verbunden ist. Nach meinem Urteil ist diese ungewöhnliche Konstruktion nicht einfach nur geschichtlich gewachsen. Sie erscheint mir sehr sinnvoll und sachlich geboten auch für die zukünftige Arbeit. Und eine Zukunft muss und wird die Missionsakademie haben.

In der Reformschrift der EKD „Kirche der Freiheit – Perspektiven der Kirche im 21. Jahrhundert“ wird sehr anspruchsvoll für ihre Zukunft eine Umkehr der Begründungspflicht für kirchliche Arbeitsbereiche und Institutionen formuliert. Dort heißt es:
„Nicht mehr die lange oder gute Tradition einer Aufgabe ist ausschlaggebend, sondern die zukünftige Bedeutung. Bei jeder finanziellen Unterstützung durch die EKD muss die Frage überzeugend beantwortet werden können, ob es für die Zukunft des Protestantismus in Deutschland von herausragender Bedeutung sei, diese Aufgabe fortzusetzen. Was würde der evangelischen Kirche fehlen, wenn es diese Aufgabe nicht mehr gäbe? Dieses Kriterium führt in allen Bereichen der EKD zu einer generellen Überprüfung der Aufgaben und Unterstützungen.“

Dieses Paradigma wird nicht nur für den kirchlichen Reformprozess gelten müssen, sondern kann ebenso für viele andere gesellschaftliche Felder von Bedeutung sein. Es ist also Aufgabe auch solch eines Jubiläums, nicht nur dankbar – auch kritisch - zurück zu blicken, sondern nach dem Begründungszusammenhang für die Zukunft zu fragen. Und so ist dieses Jubiläum mit dem morgen und übermorgen stattfindenden Symposium ja auch geplant.

Ich will versuchen, zu dieser Frage der zukünftigen Bedeutung der Missionsakademie einen kleinen Beitrag zu leisten. Die Gliederung dieses Beitrages ist im Untertitel dieses Festvortrages schon vorgeformt:

Der Auftrag der Missionsakademie in Wissenschaft, Kirche und Gesellschaft.

Die Missionsakademie an der Universität Hamburg ist Teil der wissenschaftlichen Durchdringung und Deutung von Vergangenheit und Gegenwart, ohne die eine Gesellschaft ihre Zukunft nicht meistern kann. Die Theologie insgesamt nimmt ja für sich zu Recht in Anspruch, Wissenschaft zu sein. Die evangelische Theologie reflektiert den Glauben in seinen Quellen, seiner historischen Entwicklung und seiner Deutungskompetenz für die Gegenwart. Diese wissenschaftliche Reflektion ihrer eigenen Sache braucht aber notwendig auch den Dialog mit anderen Wissenschaften tun. Wie sonst soll Theologie sprachfähig bleiben für den wissenschaftlichen Diskurs und die Deutung ihrer Gegenwart. Und umgekehrt, wie sonst soll die Wissenschaft und die Gesellschaft sprachfähig bleiben im Blick auf ihre eigenen Voraussetzungen, die sie sich nicht einfach selbst verordnen kann. Die wissenschaftliche Selbstbemühung ist ein unverzichtbares Element dafür, den Glauben, so sehr er Grund der Theologie ist, in bester protestantische Tradition hinterfragbar und der Kritik zugänglich zu machen. Die Theologie hat vielfältige wissenschaftliche Methoden und Instrumente selbst entwickelt und aus anderen Wissenschaften übernommen, die für die Analyse religiöser, kultureller und geistesgeschichtlicher Entwicklungen auch jenseits der Christentumsgeschichte dienlich sind. Dieser Austausch und Dialog der Wissenschaften, diese umfassende und diskursive wissenschaftlichen Bemühung ist auf allen Ebenen nötig, um die technischen, sozialen und kulturellen Prozesse, die unser Leben als Chance und Risiko bestimmen, zu durchdringen, kritisch zu befragen und - so weit es möglich - ist zu beeinflussen. Sie steuern zu wollen, haben wir wohl als über unser Vermögen hinaus gehend begriffen.

Allenthalben ist in der Deutung der Gegenwart von einer Wiederentdeckung des Religiösen die Rede. Und dies in doppelter Weise: Durch einen diffusen Mix des Religiösen aus unterschiedlichen Symbolkonstellationen, Traditionen, kulturellen Versatzstücken und Alltagsritualen und durch die Vielfalt von Religionsgemeinschaften aus weltweiten Wanderungsbewegungen. Diese Entwicklungen sind von höchster kultureller, gesellschaftlicher und politischer Bedeutung. Ohne eine theologische Reflexion und ohne einen qualifizierten interreligiösen Dialog werden wir sowohl die darin liegenden Gefahren etwa durch Phänomene einer fundamentalistischen Pervertierung religiöser Orientierungen und Bindungen wie auch die in den Religionsgemeinschaften liegenden großen Chancen ethisch orientierten, selbstlosen Handeln für das Ganze des Gemeinwesens und für die kommenden Generationen nicht in den Blick bekommen. Die Qualifizierung dieses interreligiösen Dialogs braucht Wissenschaft.

Ich nenne nur einige Fragen, die wissenschaftlich zu bearbeiten sind:

  • Wie hängen religiöse Orientierungen und kulturelle Prägungen zusammen?
  • Wie kommt es zur religiösen Aufladung politischer und sozialer Konflikte?
  • Wie kann das Phänomen sogenannter Zivilreligionen analysiert werden?
  • Welche Voraussetzungen braucht es, um zwischen Selbstwahrnehmung und Fremdwahrnehmung einer Religion zu vermitteln und sie so dialogfähig zu machen? Oder anders gefragt:
  • Wie kann in existentiellen Fragen zwischen unbedingter Bindung und Betroffenheit und kritischer Selbstdistanz um des Ganzen willen vermittelt werden?
  • Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, damit Menschen grundlegend unterschiedener religiöser und weltanschaulicher Prägungen zu gemeinsamem Handeln kommen?
  • Kann es so etwas wie ein Weltethos geben?
  • Ist ein solches Weltethos reduktionistisch nur der kleinste gemeinsame Nenner oder kann es viel reichere Formen versöhnter Verschiedenheit geben, in der die ganze Vielfalt von Glaubenskräften dem Frieden aller dient?

All diese Grundfragen brauchen die unterschiedlichen wissenschaftlichen Zugänge der Sozialwissenschaften, der Humanwissenschaften, der Philosophie, aber eben auch der christlichen Theologie, die sich als Diskursgemeinschaft interkulturell und global durch Mission und Dialog eine große interreligiöse Kompetenz erworben hat. All diese Fragen sind nicht allein auf einer abstrakten und theoretischen Ebene zu lösen. Sie brauchen zugleich ein weites Netzwerk qualifizierter menschlicher Begegnungen, in denen Beteiligte und Betroffenen selbst zu Wort kommen und in denen kulturelle Barrieren erkennbar und durchlässig werden lassen.

Die Missionsakademie hat mit ihrem weltweiten Netzwerk, mit ihrer differenzierten und konkreten Kenntnis von Religionen, Kulturen, sozialen Lagen und ihren darin gewonnen Erfahrungen in der Gestaltung dialogischer Prozesse hier Wesentliches beizutragen, das im universitären Kontext der Wissenschaft und darüber hinaus von großer Bedeutung ist. Es ist beeindruckend wenn man sich die Liste der Namen aus aller Welt ansieht, die von hier aus ihre hohen akademischen Grade erworben haben und in ihren Kirchen in hohe Verantwortungen hineingewachsen sind. Und das in Gesellschaften z. B. in Indien, Japan, und Südkorea, in denen die Kirchen in tiefgreifenden sozialen und kulturellen Umbrüchen ihren Platz finden mussten. Wenn ich mich in die Lage der Universität Hamburg und ihrer geisteswissenschaftlichen Forschung und Lehre versetze, dann würde ich der Missionsakademie eine hohe Bedeutung beimessen. Und sollte es noch Potentiale der Zusammenarbeit zu heben geben, dann würde ich mit hoher Priorität danach fragen. Im Umkehrschluss habe ich damit auch zum Ausdruck gebracht, wie wichtig für die Evangelische Kirche die Präsenz der Theologie an der Universität ist und wie hoch wie den Beitrag der Universität in der Klärung der anstehenden Fragen schätzen.

Welche Aufgaben sind für die Zukunft der Kirche von der Missionsakademie zu erwarten? Wir Kirchen erleben einen tiefgreifenden Umbruch in den gesellschaftlichen und kulturellen Bedingungen unserer Arbeit. Es hat wohl jetzt jeder begriffen, dass die Zeit einer Deutungshoheit in Kultur und Gesellschaft längst vorbei sind. Es gibt nicht mehr jenen bestellten Acker kongruenter gesellschaftlicher Institutionen, in den der Same eingestreut wurde und von selber wuchs. Jesu Gleichnis vom vierfachen Acker war immer Realität. Wir haben uns eine zeitlang nur über unsere Lage getäuscht. Diese innergesellschaftlichen Veränderungen haben ebenso wie die Folgen der Globalisierung - unter vielem Anderen auch durch die Migration - zu einer großen Vielfalt in Theologie, Frömmigkeit und Lebens- und Gemeindeformen in der Kirche und der Christenheit geführt. Hamburg ist dafür ein besonders weit entwickeltes Beispiel. Die wirft eine Fülle von theologischen Fragen und Gestaltungsaufgaben in den Kirchen auf. Ohne die ökumenische Perspektive und Dimension sind all diese Fragen unlösbar.

Auch hier stelle ich wiederum eine Reihe von Fragen, die in wissenschaftlicher Reflektion in konkreten Entwicklungsprozessen von Studien, Begegnungen, Netzwerken und auch in spirituellen Formen der Bewältigung bearbeitet werden müssen.

Auf welcher theologischen Grundlage und in welchen Formen können christliche Gemeinden mit sehr unterschiedlichen theologischen, spirituellen und kulturellen Hintergründen eine Kirche sein? Ich denke hier an das spannende Projekt ATTiG (African Teological Training in Germany), in dem mit afrikanischen Migrantengemeinden hier in Hamburg gearbeitet wird. Hier werden theologische Grundfragen ebenso bearbeitet wie Fragen des konkreten Zusammenlebens mit deutschen Gemeinden und der Integration in eine der afrikanischen fundamental unterschiedenen mitteleuropäischen Kultur. Hier werden in Pilotprojekten Erfahrungen gesammelt, die von großer Bedeutung für die Zukunft einer Kirche in ökumenischer Vielfalt sind. Hier werden diese Erfahrungen wissenschaftlich analysiert und theologisch reflektiert.

Vor zwei Wochen empfing ich in Hannover einige Mitglieder und die Präsidentin des China Christian Council. Eine weitere chinesische Delegation hatte auf Einladung des Ratsvorsitzenden die deutschen evangelischen Kirchen besucht und diese Reise mit einer Woche in Hamburg an der Missionsakademie begonnen und dabei den Fachbereich Evangelische Theologie besucht. Die protestantische Kirche in China ist von 700.000 Christen im Jahre 1950 auf nun mehr als 16 Millionen Christen gestiegen. Diese Zahl bedeutet, dass jeden Sonntag 16 Millionen Protestanten am Gottesdienst teilnehmen. In Deutschland sind das bei rund 27 Millionen Mitgliedern nur etwa mehr als eine Million. Die Präsidentin Dr. Shenjie Cao formulierte in ihrem Bericht: „We are postdenominal.“ Unsere mitteleuropäischen Unterscheidungen von Lutheranern und Reformierten, Methodisten und Baptisten mit all den dem vorausgehenden theologischen Unterscheidungen all den daraus folgenden Strukturen und Kirchentümern, spielen im China Christian Council entweder tatsächlich oder dem Anspruch nach keine Rolle mehr. Was bedeutet das für unser Kirche sein in Deutschland? Ist das aus unserer Sicht nur dem Druck chinesischer Religionsbehörden geschuldet und als ein Defizit zu bewerten, dass unbedingt ausgeglichen werden muss? Oder haben wir es hier mit einer theologischen Entwicklung zu tun, die unserer voraus ist? Die Missionsakademie jedenfalls geht solchen Fragen nach und plant in Kooperation mit dem Fachbereich Theologie eine Konsultation mit chinesischen Theologinnen und Theologen.

Welche theologische Herausforderung steckt in dem außerordentlich raschen Anwachsen pfingstlerischer Gemeinden weltweit und erkennbar auch in unserem Land? Wie gehen wir mit ihrem charismatischen Ansatz um, der uns in ihren Heilungsgottesdiensten, ihrer manchmal allzu direkten Verknüpfung von Glaube und Erfolg, von faith und prosperity, und ihrer nicht selten unmittelbaren Verknüpfung von Glaube und ethischem Rigorismus, gepaart mit politischem Sendungsbewusstsein, sehr fremd entgegen kommt. Die Auseinandersetzung mit all diesen interessanten aber auch riskanten Entwicklungen steckt ganz in den Anfängen. Ich finde es sehr spannend, dass die Missionsakademie sich diesen Fragen stellt und nun einen Studienleiter hat, der sich aus eigener Erfahrung und mit vielfältigen Kontakten in diese Bewegung dieser Problemstellungen annimmt.

Wir sind als Kirchen in einer Suchbewegung darüber, wie wir den unbestreitbar notwendigen und eindeutig gewollten Dialog mit den Religionen gestalten. Was sind die theologischen Grundlagen? Ich erinnere meine Eingangsüberlegung: Wie hängen Mission und Dialog zusammen und was ist der Unterschied, wenn Mission und Dialog nicht einfach gleichgesetzt, wohl aber aufeinander bezogen und ohne einander nicht sein können?
Die Handreichung „Klarheit und gute Nachbarschaft“ zum Dialog mit den Muslimen in Deutschland ist für mich ein wichtiger Markstein auf dem Weg zu einem produktiven Dialog, der sich an den fundamentalen Fragen und grundlegenden Unterschieden zwischen Islam und Christentum nicht vorbei drückt. Auch für diese vielfältigen Dialoge kann die Missionsakademie aus ihrem reichen Netzwerk wichtige Beiträge leisten.

Um Missverständnissen vor zu beugen. Meine Zuschreibungen sollen nicht den Eindruck erwecken, als ob nur in der Missionsakademie solche Fragen aufgegriffen werden. Glücklicherweise geschieht das an vielen Orten, an zahlreichen theologischen Fakultäten, hier am Hamburger Fachbereich, im Interdisziplinären „Zentrum Weltreligionen im Dialog“ an der Hamburger Universität, in Missionswerken, im EMW, in der Evangelischen Zentralstelle für Weltanschauung, in unseren Kirchen, in den landeskirchlichen Arbeitsstellen, sogar im Kirchenamt der EKD. Das besondere scheint mir für die Missionsakademie der Ort in einem großen Netzwerk zu sein, von dem aus in viele Richtungen an Fäden gezogen werden kann und Fäden zusammenlaufen. Die Verknüpfung mit dem EMW, der EKD und der Universität schafft strukturelle Voraussetzungen für eine produktive Zusammenarbeit zwischen kirchlichen Werken und ihrer Träger und der Universität, die selten so gegeben sind. Man wird sicherlich über eine weitere Optimierung dieser Zusammenarbeit nachdenken müssen. Das ist aber nichts besonderes sondern ständige Aufgabe, und im Zuge finanzieller Knappheit eine noch etwas dringlichere  Aufgabe. All solche Überlegungen sollten aber das Ziel haben, unter den gegebenen Mitteln und in der bewährten Zusammenarbeit und Struktur ein Optimum an Wirkung und Ergebnis zu erzielen.

Als drittes nehme ich eigens die schon aufgerufene Frage auf, welche Aufgaben und Wirkungen aus solcher Arbeit für die Gesellschaft sich ergeben können.

Die Frage ist ja zunächst in einen weiteren Zusammenhang zu stellen. Die Bedeutung der Geisteswissenschaften im Wissenschaftsbetrieb und in der Gesellschaft insgesamt ist, schaut man sich sie universitätspolitische Entwicklung an, eher umstritten. In Hamburg drohte der Fachbereich Evangelische Theologie geschlossen zu werden. Wir sind dankbar, dass das verhindert werden konnte. Die Geisteswissenschaften sind in der Exellenzinitiative ja nur sehr marginal präsent und haben auch dort, wo sie wichtige Grundlagenforschung machen und Exzellenz produzieren, Legitimitätsprobleme. Um so schärfer stellt sich die Frage dann im Blick auf die Theologie als unverzichtbarer Teil der Universität und erst recht dann auch noch im Blick auf die Missionsakademie als einem An-Institut der Universität in gemischter Trägerschaft. Vielleicht ist jedoch im gesellschaftlichen und politischen Bewusstsein auch hier ein Wendepunkt in Sicht. Es wird langsam wieder klar, dass eine Gesellschaft und Kultur aus der kalten Effizienzrationalität einer technisch-industriellen Ökonomie nicht leben kann. Schon die ethischen Grenzfragen, in die uns technologische Entwicklungen allenthalben führen, zwingen zu erweiterten Fragestellungen, die ohne geisteswissenschaftliche Anstrengungen nicht beantwortet werden können.

Es wird aber auch immer deutlicher, was der frühere Bundesverfassungsrichter Ernst Wolfgang Böckenförde schon 1976 formuliert hat:

„Der freiheitliche, säkularisierte Staat lebt von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Das ist das große Wagnis, das er, um der Freiheit willen, eingegangen ist. Als freiheitlicher Staat kann er einerseits nur bestehen, wenn sich die Freiheit, die er seinen Bürgern gewährt, von innen her, aus der moralischen Substanz des einzelnen und der Homogenität der Gesellschaft, reguliert. Andererseits kann er diese inneren Regulierungskräfte nicht von sich aus, das heißt mit Mitteln des Rechtszwangs und autoritativem Gebots zu garantieren versuchen, ohne seine Freiheitlichkeit aufzugeben und – auf säkularisierter Ebene – in jenen Totalitätsanspruch zurück zu fallen, aus dem er in den konfessionellen Bürgerkriegen herausgeführt hat.“ (Staat, Gesellschaft, Freiheit“, 1976, S. 60)

Staat und Gesellschaft brauchen also notwendig auch religiöse und kulturelle Quellen, aus denen sie schöpfen können. Der kalte Hauch der Zweckrationalität, die immanenten Logiken von Nutzen und Gebrauch, die verführerische Faszination der Genusses „hier und jetzt“ begründen keine Gemeinschaft, die füreinander und über sich hinaus Verantwortung übernimmt. Gesellschaft und Staat brauchen den Glauben und die Grundorientierung von Menschen, die sich mit ihren Überzeugungen, ihren ethischen und religiösen Bindungen für die Gemeinschaft über den Augenblick hinaus und für die Lebensgrundlagen der kommenden Generationen engagieren und mit ihrem Glauben als einem freien Angebot für andere Menschen orientierend wirken.

Gesellschaft und Staat brauchen darum aufgrund von Geschichte und Gegenwart auch den Dienst und das Zeugnis der christlichen Kirchen - nicht als einzige, aber als kräftige, notwendige und unverzichtbare Quelle, aus der menschliche Gemeinschaft gespeist wird. Und dies gilt für jede andere Religion und ihre Aufgabe an der menschlichen Gesellschaft natürlich nach dem Maß ihrer Möglichkeiten ebenso. Ohne diese geistigen und religiösen Quellen verlieren Menschenwürde und Menschenrechte ihre konkrete und erfahrbare Gestalt. Als Abstraktum aber, ohne Menschen, die sie leben und füllen, verlieren sie ihre Kraft und bindende Wirkung.

Wenn das eine unverzichtbare Aufgabe ist, von der Gesellschaft und Staat leben, ohne sie garantieren zu können, dann muss Gesellschaft und Staat aber ein Interesse daran haben, das diese Beiträge Beiträge zu einer humanen und demokratischen Gesellschaft sind und zu keiner anderen. Er kann dazu beitragen, dass der notwendige religiöse und ethische Diskurs qualifiziert und lebensdienlich geführt wird.

Bei meinem Antrittsbesuchen in Berlin im letzten Herbst wurde ich - ohne das sie voneinander wussten - sowohl im Kanzleramt, wie im Bundespräsidialamt und im Auswärtigen Amt danach gefragt, was die Evangelische Kirche in Deutschland tut, um mit fundamentalistischen christlichen Gruppen und Kirchen, die politische Programme religiös aufladen und radikalisieren, ins Gespräch uns eine Auseinandersetzung zu kommen. Die Fragen sind Reflex auf die Beobachtung religiös-politischer Prozesse, die mit Recht Anlass zu Sorge nicht nur bei den politisch Verantwortlichen in Regierung und Parlament, sondern bei uns allen sind. Solche Dialoge kann man nicht aus dem Stand führen. Sie müssen durch sorgfältige soziale, kulturelle, sozialpsychologische, religionswissenschaftliche, philosophische und theologische Reflexionen begleitet werden. Dazu brauchen wir kompetente und unabhängige Institutionen, die aus ihrem jeweiligen Grund heraus solche Dialoge zum Frieden und Ausgleich und zur Wiederentdeckung sozialer und religiöse Bindekräfte führen, die eine Gesellschaft gerecht und zukunftsfähig gestalten. Auch die Missionsakademie kann mit ihrem reichen ökumenischen Netzwerk, ihrer theologischen, religionswissenschaftlichen und kulturwissenschaftlichen Kompetenz in ihrer Bindung an das Evangelium dazu beitragen. Sie kann damit Kirche und Gesellschaft in gleicher Weise dienlich sein.

Ich möchte mit einem Zitat schließen, das sicherlich ebenso Auftrag und Perspektive der Missionsakademie sein kann als ein Institut auf der Schnittstelle von Kirche und Wissenschaft. Das Zitat stammt aus der Kundgebung der Synode der EKD im November 2005 in Berlin unter dem Titel: „Tolerant aus Glauben“

Die evangelische Kirche „bietet sich (darum) als ein Raum an, in dem sich die verschiedenen religiösen, kulturellen und ethischen Strömungen in Freiheit zueinander begegnen können. Es ist ihr Bestreben, gemeinsame Anliegen religiös und weltanschaulich unterschiedlich gesinnter Menschen zu entdecken. Eine Unterschiede leugnende Religionsvermischung lehnen wir ab. Unsere Kirche arbeitet an einer Kultur gegenseitiger Achtsamkeit, wobei sie die christliche Prägung unserer Gesellschaft durch die Geschichte des Christentums in Anspruch nimmt. Diese Geschichte enthält ein Potenzial von Humanität, dem sich auch Menschen verpflichtet sehen, die der Kirche fern stehen.
Mit ihnen und den anderen christlichen Kirchen zusammen will die evangelische Kirche erreichen, dass Menschen mit anderen religiösen und kulturellen Traditionen das Leben in unserer Kultur als Chance erfahren. Sie sind eingeladen, unsere Gesellschaft mit ihrer Kultur und ihren Einsichten zu bereichern. Je überzeugender die evangelische Christenheit diese Einladung vorlebt, umso mehr wird sie der pluralistischen Gesellschaft zum Segen werden. Je eindeutiger sie mit ihrem Leben den Glauben an den menschenfreundlichen Gott in unserer Gesellschaft darstellt, um so mehr wird bunte Pluralismus dieser Gesellschaft ein menschenfreundliches Gesicht gewinnen.“ (Dokumentation der Synode, S. 12)