„Gewalt überwinden – eine Grundaufgabe der Kirche“ - Rede anlässlich der Überreichung des Hanna-Jursch-Preises in Augsburg

Wolfgang Huber

I.

„Mit Gefühl gegen Gewalt“: auf ungewohnte Weise macht Elisabeth Naurath das Thema der Gewalt zum Gegenstand einer religionspädagogischen Untersuchung. Ich gehöre zu dem wachsenden Kreis von Menschen, die diese Arbeit mit Gewinn gelesen haben und sich darüber freuen, dass der Autorin der Hanna-Jursch-Preis zuerkannt wurde. Doch meine Aufgabe ist es heute nicht, diese Arbeit zu preisen – das kommt vielmehr noch. Ich will vielmehr aus meiner Sicht den Rahmen beschreiben, in dem sich die Bedeutung einer solchen Untersuchung zeigt.

Eine doppelte Beobachtung lässt die zentrale Bedeutung des Themas deutlich hervortreten. Zum einen: Gewalt bestimmt unsere Lebenswelt; denn Gewalt erscheint als interessant; und sie verleiht Macht. Zum andern: Gewalt ist destruktiv; sie zerstört Menschenleben. Deshalb steht der christliche Glaube eindeutig auf der Seite der Überwindung von Gewalt.

Für die Bedeutung der Gewalt habe ich in der Untersuchung von Elisabeth Naurath ein Praxisbeispiel gefunden, das viele andere Illustrationen bei weitem in den Schatten stellt. Die Autorin berichtet: „In einer dritten Grundschulklasse wurde im Religionsunterricht anhand der Jakob-Esau-Geschichte das Thema ‚Segen’ behandelt. Die Kinder sind aufgefordert, ein eigenes Bild zu malen mit der Überschrift ‚Segen in meinem Leben’ Ein Schüler zeigt der Lehrerin sein Bild, auf dem er Krieg gemalt hat: Panzer, Flugzeuge mit Bomben etc. Die Lehrerin fragt ihn erstaunt, was das mit Segen zu tun habe. Darauf antwortet der Schüler: ‚Ach, Krieg zu malen ist viel spannender. Ich werde am Schluss alles rot durchstreichen, dann ist es ein Friedensbild!“

Für die Bedeutung von Gewaltlosigkeit und Mitgefühl schildere ich ein Beispiel von den Straßen Berlins: Eine Frau liegt am Boden, von einem unbekannten Angreifer auf offener Straße überwältigt. Drei Jugendliche, sechzehn und siebzehn Jahre alt, sehen sie aus einem vorbeifahrenden Bus und erkennen die Gefahr. Schnell entschlossen steigen sie aus, rennen zurück, retten die Frau vor ihrem gewalttätigen Peiniger. Khalil, Mohammed und Walid – so heißen die drei Jugendlichen – sind Schüler der Rütli-Schule in Berlin-Neukölln, die in die Schlagzeilen kam, weil man an ihr wegen der Gewaltneigung der Jugendlichen angeblich nicht mehr unterrichten konnte. Doch diese drei Jungen beweisen Mut. Mit Gefühl wenden sie sich gegen die Gewalt. Sie retten einen Menschen.

Gewalt ist interessant; die Gewalt muss man – wann immer es geht: gewaltlos – überwinden. Diesen beiden Positionen gegenüber ist der christliche Glaube nicht neutral. Er ergreift Partei. Er folgt einer Linie, die durch die Bergpredigt Jesu vorgegeben ist. Allzu oft haben Christen diese Linie verraten, bis in unsere Gegenwart hinein. Doch es gibt keine stärkere Quelle der Selbstkritik und der Korrektur als den christlichen Glauben selbst. Und es gibt kein klareres Mandat für die christliche Kirche als die Überwindung der Gewalt.

Gewalt zu überwinden ist eine Grundaufgabe der christlichen Kirche – nicht nur in ihrer evangelischen Gestalt, aber auch in dieser. So lautet die These, die ich deshalb knapp entfalten möchte.

Dabei stellen sich mindestens drei, sachlich aufeinander aufbauende Fragen. Erstens: Was heißt überhaupt: „Gewalt überwinden“? Zweitens: Was ist eine „Grundaufgabe der Kirche“? Und drittens: Was folgt daraus für die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD)?

II.

Gewalt überwinden – overcoming violence: Das ist die Aufgabe, die sich der Ökumenische Rat der Kirchen (ÖRK) 1998 in Harare stellte. In Potsdam und Berlin erklärte er dies für die Jahre 2001 bis 2010 zum Schwerpunkt. Die Dekade zur Überwindung der Gewalt wurde offiziell am 4. Februar 2001, dem 95. Gedenktag der Geburt Dietrich Bonhoeffers, im Haus der Kulturen der Welt in Berlin eröffnet. Sie steht bewusst in zeitlicher und inhaltlicher Entsprechung zu der für den gleichen Zeitraum angesetzten UN-Dekade für eine Kultur des Friedens und der Gewaltlosigkeit für die Kinder der Welt.

Aber was heißt: „Gewalt“? Das Wort Gewalt ist zumindest in der deutschen Sprache schillernd. Während viele Sprachen begrifflich zwischen physischer Gewaltanwendung, legitimer institutioneller Gewalt und anderen Facetten des Gewaltbegriffes unterscheiden (exemplarisch im Englischen: violence-power-force-authority, ähnlich im Lateinischen und Französischen), zeichnet sich der Gewaltbegriff im Deutschen durch besondere Vagheit aus.

Deshalb muss man präzisierend vorwegschicken: Wenn die christlichen Kirchen fordern, Gewalt zu überwinden, dann geht es ihnen um die Überwindung von zerstörerischer, lebensbedrohlicher Gewalt. Denn die Kirchen stehen keineswegs für Anarchie ein; man kann dies biblisch mit den Worten des Paulus begründen: "Gott ist nicht ein Gott der Unordnung, sondern des Friedens." (1. Korinther 14,33).

Der norwegische Friedensforscher Johan Galtung unterscheidet drei Kategorien der Gewalt: personale, strukturelle und kulturelle Gewalt. Bei der personalen Gewalt sind Opfer und Täter eindeutig identifizierbar und zuzuordnen. Strukturelle Gewalt produziert ebenfalls Opfer. Dafür sind aber nicht einzelne Personen, sondern spezifische organisatorische oder gesellschaftliche Strukturen und Lebensbedingungen verantwortlich. Nicht die unmittelbare physische Beeinträchtigung, sondern die Beeinträchtigung von Lebensmöglichkeiten ist entscheidend. Mit kultureller Gewalt werden Ideologien, Überzeugungen, Überlieferungen und Legitimationssysteme beschrieben, mit deren Hilfe direkte oder strukturelle Gewalt ermöglicht beziehungsweise gerechtfertigt wird.

Solche Unterscheidungen, so hilfreich sie sind, bergen doch auch ihre Risiken in sich. Zum einen zeigt sich in ihnen die Gefahr, alles und jedes als Gewalt zu bezeichnen. Zum andern vermitteln sie nur den Anschein von Eindeutigkeit, wo doch die Wirklichkeit durch Phänomene geprägt ist, in denen personelle, strukturelle und kulturelle Gewalt aufs engste miteinander verbunden sind. Man braucht nur die Gewaltphänomene zu benennen, die uns heute besonders beschäftigen:  Gewalt in den Medien, Gewalt gegen Frauen und Kinder, Gewalt in der Pflege, Gewalt gegen die Schöpfung, etwa durch den von Menschen mit verursachten Klimawandel, Gewalt in den Städten, strukturelle Gewalt durch Arbeitslosigkeit und Armut, kriegerische Gewalt, Terrorakte.

So vielfältig die Phänomene der Gewalt sind, so vielfältig sind auch die Vorstellungen davon, was es bedeutet, Gewalt zu überwinden. Jedem ist es möglich, eigene Schwerpunkte im Kampf gegen zerstörerische Mechanismen zu setzen, indem man sich einzelnen Facetten des Problems gezielt zuwendet.

III.

Entsprechend vielfältig sind die kirchlichen Handlungsformen in diesem Feld. Doch was meinen wir, wenn wir in diesem Zusammenhang von einer Grundaufgabe der Kirche sprechen?

Eine „Grundaufgabe“ ist eine grundlegende Funktion, auf der andere Funktionen aufbauen können. Eine Grundaufgabe der Kirche liegt nahe bei der Wesensbestimmung der Kirche; an der Erfüllung einer solchen Aufgabe zeigt sich, worum es der Kirche überhaupt geht. Die Aufgabe der Überwindung von Gewalt liegt nahe bei der Wesensbestimmung der christlichen Kirche; es ist eine Aufgabe, deren Wahrnehmung für die Kirche insgesamt orientierende Bedeutung hat. Die im vergangenen Jahr veröffentlichte Friedensdenkschrift des Rates der EKD erläutert das folgendermaßen:

„Mit der in der Bergpredigt Jesu überlieferten Seligpreisung der Friedensstifter, der pacifici (Mt 5,9), verbindet sich für alle Christen der Auftrag, nach Kräften den Frieden zu fördern und auszubreiten, gleichviel welche Rolle sie innehaben und an welchem Ort sie sich in Staat und Gesellschaft engagieren. Das christliche Ethos ist grundlegend von der Bereitschaft zum Gewaltverzicht (Mt 5,38ff) und vorrangig von der Option für die Gewaltfreiheit bestimmt.“

Trotzdem hat es etwas Provozierendes, in diesem Zusammenhang von einer Grundaufgabe der Kirche zu sprechen. Dem kann man entgegenhalten, dass es nach evangelischem Verständnis doch nur zwei Grundaufgaben gibt, die zugleich Kennzeichen der Kirche nach außen (notae externae ecclesiae)  sind. Gerade in Augsburg muss man das betonen; denn in dieser Stadt wurde das vor 478 Jahren ausdrücklich festgestellt. Der 7. Artikel des Augsburger Bekenntnisses von 1530 nennt die reine Verkündigung des Evangeliums und die rechte, also evangeliumsgemäße Verwaltung der Sakramente als die allein ausschlaggebenden Kennzeichen der Kirche. Ethisch-moralische Gesichtspunkte wie das Engagement für die Überwindung von Gewalt werden dagegen, wie es scheint, im Augsburger Bekenntnis nicht mit der gleichen Bedeutung für die Erkennbarkeit der Kirche versehen wie die Evangeliumsverkündigung und die Sakramentsverwaltung. Nach der Sicht dieser wichtigen, dazu auch noch mit der Stadt Augsburg verbundenen Bekenntnisschrift gibt es keine ethischen notae ecclesiae;  es kann und braucht sie nicht zu geben, weil die beiden vorhandenen notae externae hinreichend sind („satis est“) im Blick auf die Erkennbarkeit und den Bestand der einen Kirche Jesu Christi.  Wo das Evangelium in reiner Form verkündigt wird und die Sakramente dem Evangelium gemäß verwaltet werden, dort (und nur dort) ist gewiss und unbestreitbar die Kirche Jesu Christi vorhanden. Die Gewaltfreiheit als Eigenschaft eines sozialen Systems kann dagegen noch nicht garantieren, dass wir es mit der Kirche Jesu Christi zu tun haben; auch Gruppen ohne expliziten Bezug zum christlichen Glauben können gewaltfreies Handeln propagieren und leben.

Der 16. Artikel des Augsburger Bekenntnisses ist deshalb in diesem Zusammenhang einzubeziehen, weil er sich ausdrücklich dem Gewaltthema zuwendet. Auf dem Hintergrund seiner Entstehungszeit ist die Deutung nachvollziehbar, dass in diesem Artikel der Pazifismus als solcher oder christliche Pazifisten verdammt würden. Doch eine generelle Aussage solcher Art findet sich an dieser Stelle nicht. Es wird lediglich gesagt, es sei Christen erlaubt, "nach dem Recht" (iure), also im Rahmen einer geltenden Rechtsordnung, als Soldat tätig zu sein und Krieg zu führen. „Verdammt“, das heißt: nachhaltig kirchlich ausgegrenzt werden nicht solche Personen, die aufgrund ihrer pazifistischen Überzeugung nicht als Soldaten tätig werden möchten, sondern nur diejenigen, die bestreiten, dass es einem Christen erlaubt sei, als Soldat tätig zu sein. Das ist aber ein gravierender Unterschied.  Vor allem schließt der Artikel nicht aus, dass Christen Gewaltfreiheit anstreben oder praktizieren. Ob ein Christ grundsätzlich gewaltfrei leben will oder die Anwendung von Gewalt als eine äußerste Handlungsmöglichkeit für sich anerkennt, ist eine Frage der persönlichen Gewissensentscheidung. Die einmal getroffene Entscheidung ist von der betreffenden Person selbst zu verantworten und von allen anderen zu respektieren.

Noch etwas ist in diesem Zusammenhang zu beachten: Artikel 28 des Augsburger Bekenntnisses enthält die Formel „sine vi humana, sed verbo“ („ohne menschlichen Zwang, allein durch das Wort“). Die Formel, die sich zunächst auf das bischöfliche Handeln richtet, dient zugleich zur Kennzeichnung der christlichen Verkündigung und des kirchlichen Handelns insgesamt. Damit ist gesagt: Die Kirche darf niemals durch Gewaltanwendung wirken wollen, sie wirkt allein durch das Wort. Und im Umkehrschluss: Wenn die Kirche Gewalt anwenden würde, um das Evangelium zu verkünden oder die Sakramente zu verwalten, so handelte sie gegen ihren eigenen Auftrag.

Das Ergebnis dieser dem genius loci geschuldeten kleinen Untersuchung zu den Kennzeichen der Kirche im Augsburger Bekenntnis von 1530 heißt folgendermaßen: Nicht weil den grundlegenden Kennzeichen der Kirche noch ethische Kennzeichen zur Seite gestellt werden, sondern weil die Gewaltlosigkeit selbst ein unmittelbarer Bestandteil und ein Wesenselement der kirchlichen Verkündigung ist, gehört das Eintreten für die Überwindung der Gewalt zu den Grundaufgaben der christlichen Kirche.

Die berühmte – fast möchte man sagen: berühmt-berüchtigte – Lehre Martin Luthers von den zwei Regierweisen Gottes steht dem nicht entgegen. Zwar wird eingeräumt, dass der Staat das Recht hat, dem Bösen unter Androhung und Anwendung von Gewalt entgegenzutreten, wenn es denn nicht anders geht; wer sich als Christ an solcher rechtmäßig ausgeübter rechtserhaltender Gewalt beteiligt, ist dazu auch aus Gründen des christlichen Glaubens befugt. Aber damit wird die Gewalt überhaupt nicht gerechtfertigt; sie ist ein Zeichen der noch nicht erlösten Welt, dem man nicht mehr Raum geben darf, als unumgänglich nötig ist. Im Richtungssinn des Evangeliums liegt der Frieden, nicht der Krieg, die Überwindung der Gewalt, nicht ihre Rechtfertigung, die Gewaltlosigkeit, nicht die Ausübung von Gewalt.

Wenn eine Kirche sich an dieser Aufgabe orientiert, lebt sie, was sie durch die Zusage der Gnade Gottes in Jesus Christus immer schon ist: Versöhnungsgeschehen zwischen Gott und Mensch, geschwisterliche Gemeinschaft zwischen Menschen, Friedenszeichen trotz fortbestehender Feindschaften in dieser Welt. Frieden ist eben nicht zuerst eine ethisch-moralische Verpflichtung der Kirche, sondern eine ihr in Jesus Christus geschenkte Wirklichkeit, die sie überhaupt erst zur Kirche macht. Deshalb ist auch der Titel unserer Friedensdenkschrift aus dem vergangenen Jahr so treffend: „Aus Gottes Frieden leben – für gerechten Frieden sorgen.“

IV.

Mit wenigen Hinweisen will ich darauf eingehen, wie die Evangelische Kirche in Deutschland sich der geschilderten Aufgabe stellt. Das Entscheidende in dieser Frage geschieht am jeweiligen Ort in Verkündigung und Gottesdienst, in Unterricht und Seelsorge, im helfenden Handeln von Diakonie und Entwicklungsdienst, im zivilen und militärischen Friedensdienst, im politischen Engagement auf allen Ebenen der Kirche. Kirchliche Stellungnahmen auf der Ebene der EKD sind nur Orientierungspunkte. Sie dienen der Vergewisserung für die vielfältige kirchliche Arbeit und verleihen der Grundposition unserer Kirche Nachdruck.

In diesem Sinn kann man seit 1945 die Grundlinie einer selbstkritischen Abkehr von der Gewalt und einer Hinwendung zum Versöhnungsdienst der Kirche beobachten. Die Stuttgarter Schulderklärung von 1945, die Gründung der Aktion Sühnezeichen 1958, die sogenannte Ostdenkschrift 1965 („Die Lage der Vertriebenen und das Verhältnis Deutschlands zu seinen östlichen Nachbarn“ hieß der originale Titel), die erste Friedensdenkschrift 1981, der konziliare Prozess für Gerechtigkeit, Frieden und die Bewahrung der Schöpfung, der Beitrag unserer Kirche zur Vorbereitung und Gestaltung der Wende von 1989 und die Friedensdenkschrift von 2007 sind Stationen auf diesem Weg.

Dieser letzte Beitrag stellt sich bewusst in den Rahmen der ökumenischen Dekade zur Überwindung der Gewalt. Bereits die vergangene Ökumenische Dekade „Kirchen in Solidarität mit den Frauen“ gab einen Impuls dafür, dass in der evangelischen Kirche die Gewaltproblematik erstmals auch unter Gender-Aspekt bearbeitete wurde. Mit dem im Auftrag des Rates veröffentlichten Bericht „Gewalt gegen Frauen als Thema der Kirche“ hat die EKD im Jahr 2000 ein bis dahin weitgehend tabuisiertes, mit vielfältigen Vorbehalten und Abwehrhaltungen verbundenes Problem aufgegriffen und ins Bewusstsein kirchlicher Kreise gebracht. Der Bericht forderte dazu auf, die lange Zeit tabuisierte Gewalt gegen Frauen, die diese oft auch im häuslichen Umfeld erfahren, nicht länger zu ignorieren, zu verleugnen und zu verharmlosen, sondern in den Familien, in den Institutionen und in der Öffentlichkeit aufzudecken.

Mit der Frage nach theologischen Anteilen gewaltfördernder Strukturen macht der Bericht auch vor einer selbstkritischen Reflexion nicht halt. Berührungspunkte zwischen überlieferten theologischen Inhalten und Gewalterfahrungen von Frauen werden aufgedeckt.

Neben die selbstkritische Aufarbeitung gewaltfördernder Motive in der kirchlichen Tradition tritt in der Friedensethik der EKD immer deutlicher der Gedanke der Prävention, des Abbaus und der Minimierung von Gewalt. Das verknüpft sich mit der Orientierung am Leitgedanken des gerechten Friedens und mit einer Auffassung des irdisch-politischen Friedens in einem mehrdimensionalen und prozessualen Sinn. Eine seiner konstitutiven Dimensionen ist die Vermeidung von und der Schutz vor Gewalt.  Die anderen konstitutiven Dimensionen des Friedens sind nach Auffassung der Denkschrift die Förderung von Freiheit und kultureller Vielfalt sowie der Abbau von (materieller) Not.

Auch die Ausschreibung und Verleihung des Hanna-Jursch-Preises rückt in diesen thematischen Zusammenhang, der für die EKD sowohl im Blick auf die ökumenische Dekade zur Überwindung der Gewalt, als auch über diese Dekade hinaus vorrangige Bedeutung angenommen hat. Die heutige Preisträgerin Elisabeth Naurath hat mit ihrer herausragenden Arbeit einen wichtigen Beitrag zur Dekade zur Überwindung von Gewalt geleistet. Dabei gibt sie nicht nur dem wissenschaftlichen Diskurs über ethische Bildung und Gewaltprävention einen gendersensiblen Impuls. Die Arbeit ist mit ihrem religionspädagogischen Schwerpunkt darüber hinaus auch für die praktische Arbeit in vielen kirchlichen Handlungsfeldern, etwa in der Elementar- und Familienbildung, relevant. Der Rat der EKD hofft darauf, dass diese Forschungsleistung vielfältige Impulse in der praktischen Bildungsarbeit mit Jungen und Mädchen, Männern und Frauen entfalten wird.

Über diesen Impuls freue ich mich, weil wir in Beiträgen zur Eindämmung und Überwindung von Gewalt zwar nicht eine nota ecclesiae, sehr wohl aber eine Grundaufgabe der Kirche sehen. Auch wenn eine endgültige Überwindung von Gewalt in dieser Geschichtszeit nicht gelingen kann, so ist die christliche Hoffnung, die über die Zeit der irdischen Geschichte hinausweist, doch ein wichtiger Impuls dafür, „mit Gefühl gegen Gewalt“ aufzustehen. Religiöse und ethische Bildung ist deshalb ein zentraler kirchlicher Beitrag zum Abbau und zur Eingrenzung von Gewalt. Wenn diese Botschaft vom heutigen Tag ausgeht, hat er einen guten und wichtigen Sinn erfüllt.