Grußwort bei der Weltkonferenz der Stadtmissionen, Wittenberg

Nikolaus Schneider

Liebe Schwestern, liebe Brüder,
sehr geehrte Damen und Herren,

wenn Sie als Gäste dieser Konferenz in diesen Tagen durch Deutschland fahren, ist die christliche Tradition nicht zu übersehen. Ob in Berlin, Hamburg oder Köln – Kirchen und Kathedralen bestimmen das Stadtbild. Jedes Viertel hat sein evangelisches und sein katholisches Gotteshaus.

Auf dem Land kann man in ein x-beliebiges Dorf fahren, und in der Regel ragt der Kirchturm als markantes Gebäude hervor. Etwa 25,1 Millionen Katholiken und 24,5 Millionen Protestanten leben in Deutschland. Zusammen bilden sie immerhin knapp zwei Drittel der Bevölkerung.
 
Allerdings erlebte die Gesellschaft in den vergangenen Jahrzehnten eine rasante Säkularisierung. Die Menschen im Osten Deutschlands, die durch 40 Jahre Sozialismus geprägt wurden, stehen Religion und Kirche besonders fern. In dem früher überwiegend evangelischen Gebiet sind heute nur noch 28 Prozent der Bevölkerung Kirchenmitglieder.

Allein diese Zahlen führen eindringlich vor Augen:
Unsere Kirchen stehen vor einer missionarischen Aufgabe im eigenen Land.
Dabei brauchen wir ein ganzheitliches Bild von Mission. Hierbei ist kirchliches Reden und Handeln in allen seinen Dimensionen in den Blick zu nehmen. Dabei denke ich besonders an die Zusammengehörigkeit von Kirche, Mission und Diakonie.

Die Integration von Evangelisation in die Diakonie und die Wiederentdeckung der diakonischen Dimension von missionarischen Gemeinden ist die Herausforderung schlechthin und zwar für uns alle.

Menschen leben nicht vom Brot allein.  Sie dürsten nach Sinn, hungern nach Gerechtigkeit und lechzen nach Liebe. Alle diese elementaren Bedürfnisse werden im Evangelium angesprochen und gehören deshalb zu den Aufgaben der Mission.  Ich bin dankbar, dass die besondere Arbeit der Stadtmission in unserem Land sich diesen Aufgaben gestellt hat und stellt.

Ende des 19. Jahrhunderts wurde immer deutlicher, dass die rasante Urbanisierung immer mehr Opfer forderte:  Massenweise verarmten Menschen, viele rutschten in Kriminalität, Alkoholismus und Prostitution ab und Kinder verwahrlosten. Einzelne ergriffen die Initiative und stießen mit aller Leidenschaft Reformbewegungen an: Johann Hinrich Wichern gründete 1848 den Verein für Innere Mission - Hamburger Stadtmission,  Adolf Stöcker im Jahr 1877 die Berliner Stadtmission. Mit und neben den etablierten Kirchen reagierten diese freien Initiativen auf die  großstädtischen Herausforderungen.

Aus der Segensgeschichte der Stadtmissionsarbeit könnte viel erzählt werden …
Drei Aspekte möchte ich besonders hervorheben:

1. An der Geschichte der Stadtmission kann man sehen, dass freie Werke, Vereine, Verbände neben der etablierten Kirche eine wichtige Aufgabe wahrnehmen. Hier gab es – und gibt es bis heute – die Freiheit und Fähigkeit, den aktuellen Herausforderungen aus der Kraft des Glaubens ideenreich, flexibel und sehr schnell zu begegnen und der Arbeit in Kirche und Diakonie neue Gestalt zu geben. Wie sagte Wichern? „Die Liebe forscht, sinnig wie sie ist, nach der neuen Gestalt.“ Wir brauchen solche Pfadfinder und Pfadfinderinnen neuer Wege und neuer Gestalten der christlichen Liebe.

2. In der Arbeit der Stadtmissionen kann man sehen, wie die rettende Liebe den Nächsten aufsucht in seiner sozialen wie seelischen, seiner körperlichen wie geistlichen Not. Trösten, heilen, wiederherstellen, speisen, vergeben und für seine Menschenrechte öffentlich eintreten  gehören dazu – und in, mit und unter allem rufen in die Gemeinschaft mit Gott. Das Christus-Zeugnis geschieht in Wort und Tat.

3. Christus ist der Fixpunkt der diakonischen und missionarischen Bewegung der Stadtmissionen. Und dieser Mitte muss heute unsere ganze Aufmerksamkeit wieder gelten. Ohne Jesus keine rettende Liebe, weder Diakonie noch Mission. Ohne diese Mitte werden uns die Hoffnung und die Geduld schnell abhandenkommen. Ohne diese geistliche Kraftquelle wären wir dem Burnout noch schneller ausgeliefert. Wir brauchen eine Erneuerung unserer eigenen Christus-Spiritualität.

„Jesus Christus hat dem Tode die Macht genommen und das Leben und ein unvergängliches Wesen ans Licht gebracht durch das Evangelium“ (2. Tim. 1,10) so lautet der Wochenspruch für die heute beginnende Woche. Gerade in unserem sich säkularisierenden Land die Wahrheit und Wohltat dieses Wortes erfahrbar werden zu lassen, diese Aufgabe verbindet die Gliedkirchen der EKD mit den Stadtmissionen.

 Mein Dank gilt Ihnen allen, die Sie dazu beitragen, dass Christuszeugnis und Liebe zusammengehören:
• die Sie nach neuen Wegen suchen, den Herausforderungen in unseren großen Städten zu begegnen,
• die Sie an der Integration von Zeugnis und Dienst, von Evangelisation und Diakonie arbeiten,
• die Sie um geistliche Leidenschaft ringen und beten.

Gott segne Ihre Arbeit in der Berliner Stadtmission, in der Arbeitsgemeinschaft evangelischer Stadtmissionen in Deutschland und in der Weltarbeitsgemeinschaft der Stadtmissionen.