EKD-Ratsvorsitzender anlässlich der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Missionswissenschaft in der Nikolaikirche Leipzig

Nikolaus Schneider, Vorsitzender des Rates der EKD

„Christliche Mission heute“

Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,

gerne habe ich die Einladung angenommen, heute mit Ihnen gemeinsam über die „Mission der christlichen Kirchen in der deutschen Gesellschaft“ nachzudenken.

„Mission“ ist ein genuin christlicher Begriff. „Von Mission und Missionaren anderer Religionen zu sprechen, ist religionsphänomenologisch unzulässig“[1] schreibt C. Rosenkranz in der 3. Auflage der RGG aus dem Jahr 1960 und er führt dazu weiter aus: „… religiöse Expansion und Propaganda ist ein religionsgeschichtliches Phänomen, ihre christliche Sondergestalt, die Mission, eine theologische Aussage.“[2]

Das Ende des Matthäusevangeliums gibt uns Zeugnis von dem weltumspannenden Missions- und Taufauftrag, den der Herr der Kirche seinen Nachfolgern und Nachfolgerinnen erteilt hat. Durch die Jahrhunderte unserer Kirchengeschichte spricht der Auferstandene uns zu:

„Mir ist gegeben alle Gewalt im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet zu Jüngern alle Völker:

Taufet sie auf den Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie halten alles, was ich euch befohlen habe.

Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis an der Welt Ende.“ ( Mt 28, 18-20 )

Die von Gott gegebene Macht schenkte Jesus Christus Kraft und Vertrauen, die Liebe durchzuhalten, auch im Leiden und Sterben. Sie brach sogar den Bann des Todes. Sie ist die Macht des Lebens.

Im Vertrauen auf diese Macht lassen Christenmenschen sich auch heute von dem auferstandenen Christus zur „Mission“ beauftragen und predigen das Evangelium in Wort und Tat und laden Menschen an allen Orten zur Jüngerschaft ein. Denn auch heute – fast 2000 Jahre nach dem irdischen Leben des Gottessohnes – sind wir gewiss:

Der eine und einzige Gott hat in Jesus Christus seine Menschenliebe und Menschennähe für alle Welt offenbart. In der Nachfolge Jesu Christi kann menschliches Leben gelingen, was immer es an guten und schweren Zeiten bereit hält.

Das war und das ist der theologische Grund und das Fundament christlicher Mission zu allen Zeiten und an allen Orten. Aus diesem Grund werben wir bis heute – auch in unserem Land – für ein Leben, das sich dem lebendigen Wort Gottes anvertraut und dem Lebensvorbild Jesu Christi nachfolgt.

„Christliche Mission heute“ – unter diesem Thema möchte ich jetzt einige Aspekte der aktuellen missionarischen Verantwortung unserer Kirche in Deutschland ansprechen und beleuchten.

1. Christliche Mission heute –
„Leipziger Akzente“ für unser gegenwärtiges Missionsverständnis

Leipzig ist schon früh mit dem Thema „Mission“ verbunden gewesen. Nicht ohne Grund richten Sie Ihre heutige Tagung hier in Leipzig aus: „175 Jahre Leipziger Missionsgesellschaft“ ist der festliche Anlass und Rahmen unserer Begegnung. Dabei ist der Gründungsort des Missionswerkes eigentlich einige Kilometer weiter östlich, in Dresden zu suchen. Dieses Missionswerk hat bereits vor 175 Jahren exemplarisch verdeutlicht, was eine „kultursensible“ Mission bedeuten und wie sie ihre Protagonisten und Adressaten gleichermaßen beschenken kann. Ausgerichtet auf die Zusammenarbeit aller lutherischen Kirchen in der Welt und damit ein Vorläufer des Lutherischen Weltbundes, hatte die Dresdner und später Leipziger Mission einen Schwerpunkt ihrer Arbeit bei den Aborigines in Australien. Die Missionare, die sogenannten „Dresdner Vier“ haben unter anderem Wörterbücher verschiedener einheimischer Sprachen erstellt und Alltagsgegenstände gesammelt und beschrieben. Damit haben sie einen bedeutsamen und bis heute unverzichtbaren Beitrag zur Erhaltung der Aborigine-Kultur geleistet.

Einen ganz anderen „Leipziger Akzent“ für die christliche Missionsgeschichte haben die Ereignisse um das Jahr 1989 hier in Leipzig gezeigt. In dieser Zeit wurde die politisch-gesellschaftliche Wirkkraft des Evangeliums auf exemplarische Weise erfahrbar. Unsere Kirche wurde im wahrsten Sinne des Wortes „weltbewegend“, weil sie sich für alle Menschen öffnete. Texte der Bibel begannen unmittelbar zu den Menschen zu sprechen. Menschen konnten darin ihre je eigene – und die ihnen gemeinsame – Lebenssituation erkennen. Menschen wurden durch die biblische Botschaft ermutigt, die „Freiheit eines Christenmenschen“ in ihrem Leben und für ein ganzes Volk Realität werden zu lassen.

Der Ort, an dem wir uns heute versammelt haben, die Nikolai-Kirche hier in Leipzig, ist dafür ein weltweit bekanntes Symbol geworden. Darauf können wir Christinnen und Christen stolz sein und dafür sind wir unseren ostdeutschen Geschwistern bis heute dankbar.

Diese Erfahrungen haben allerdings nicht zu einer „christlichen Erweckungsbewegung“ und kirchlichen Eintrittswelle in den neuen Bundesländern geführt. Hier in Leipzig und in weiten Teilen unseres Landes sind Christinnen und Christen mittlerweile eine Minderheit: eine Minderheit in einer Diaspora – das müssen wir nicht beklagen, aber wir müssen es zumindest nüchtern und ehrlich feststellen.

Und an einen dritten „Leipziger Akzent“ für unser Nachdenken über „Christliche Mission heute“ will ich erinnern:

Vom 7. bis zum 12. November 1999 fand hier in Leipzig die 4. Tagung der 9. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland statt. Mit dem Tagungsort Leipzig hatte man bewusst eine Stadt in Mitteldeutschland gewählt, die durch die Ereignisse um das Jahr 1989 eine besondere Rolle in der deutschen Geschichte eingenommen hatte und deren Menschen seither untrennbar mit dem Aufbruch dieser Zeit verbunden waren.

„Reden von Gott in der Welt – Der missionarische Auftrag der Kirche an der Schwelle zum 3. Jahrtausend“ – so lautete das bewusst groß und dabei doch offen angelegte Schwerpunktthema der Synode. Mit ihm wurde das Thema „Mission“ – im mitteldeutschen Kontext und weit darüber hinaus – für die evangelische Kirche neu entdeckt und ins Gespräch gebracht.

„Kirche ist ohne Mission nicht zu denken. Sie würde sonst ihren Auftrag verfehlen“ und „Mission ist nicht gerade populär. Tatsächlich geht es dem Wort so wie früher einem Schulkind, das wegen Unartigkeit und Störung im Unterricht in die Ecke gestellt wurde“ – in der Spannung zwischen diesen beiden Positionen stellte Barbara Rudolph bei ihrer Einbringung des Themas in die Synode in jenem Spätherbst 1999 die damalige Wahrnehmung des Themas „Mission“ dar. Zwei Punkte aus dem damaligen Kundgebungsentwurf möchte ich heute noch einmal besonders hervorheben. Sie machen zwei wesentliche Haltungen aus, die meines Erachtens für gelingende Mission in ihrem Miteinander unabdingbar sind: Zum einen geht es beim Bekennen und Bezeugen des Glaubens immer um Erzählungen – Erzählungen aus dem eigenen Leben, Erzählungen von persönlichen Begegnungen mit dem lebendigen Wort Gottes. Das Erzählen von dem eigenen biographischen Glaubens-Weg kann für andere ein Beispiel und ein Anreiz sein, mehr über diesen Glauben erfahren zu wollen.

Zum anderen aber – und das halte ich für mindestens genauso wichtig – geht es darum, „die Menschen innerhalb und außerhalb der Kirche als Gesprächspartner und -partnerinnen wahrzunehmen, neugierig und offen zu sein für das, was sie zu sagen haben.“ Diesen beiden Perspektiven – das Erzählen und das Wahrnehmen – scheinen mir bis heute zwei wichtige Grundkategorien christlichen Missionierens zu sein – gerade auch in unserem eigenen Land. Denn wir sind zu einem „Land der vielen Götter“[3] geworden, wie die SZ am 17. September titelte, eine bunte Glaubensrepublik. Und wir werden jedes Jahr bunter. Biblische Geschichten, christlicher Glaube und kirchliche Gemeinschaft sind für große Teile unserer Bevölkerung eine gleichsam „terra inkognita“. Mehr denn je brauchen wir deshalb auch heute – 12 Jahre nach der EKD-Synode in Leipzig – missionarische Christenmenschen, die aufmerksam und sensibel die Nöte und Fragen ihrer Zeitgenossen wahrnehmen und die authentisch und persönlich von ihrem Glauben erzählen können.

2. Christliche Mission heute –
nachdenkenswerte Akzente aus dem Missionspapier „Code of Conduct in Mission“

In diesem Jahr wurde ein Dokument veröffentlicht, das so etwas wie eine internationale Handreichung für die Missionspraxis der Kirchen sein will – ein „code of conduct“ in Sachen „Mission“. Das Dokument wurde erarbeitet vom Ökumenischen Rat der Kirchen, dem Päpstlichen Rat für den Interreligiösen Dialog und auf Einladung des Ökumenischen Rates auch der Weltweiten Evangelischen Allianz. Das ist ein Novum.

Der deutsche Titel des Dokumentes macht seine Zielrichtung deutlich: „Das christliche Zeugnis in einer multireligiösen Welt - Empfehlungen für einen Verhaltenskodex“.

Der Ökumenische Rat der Kirchen und der Rat für den interreligiösen Dialog des Vatikans kamen mit der aus der evangelischen Erweckungsbewegung hervorgegangenen Allianz zusammen, um in einem durchaus pragmatischen Sinn über das Thema Mission zu sprechen und Empfehlungen für die Praxis zu formulieren. Ich will im Folgenden einige Aspekte aus dem „Code of Conduct“ im Blick auf unsere Evangelische Kirche in Deutschland bedenken.

Zuallererst: das Dokument ist über weite Strecken eine Auslegung von Texten aus der Heiligen Schrift. Darin wird deutlich, dass bei allem Disput und Diskurs in hermeneutischen Fragen die Bibel das tragende Fundament für alle unsere christlichen Kirchen und Konfessionen ist, auf dem wir uns in der Sprache des Glaubens begegnen und gemeinsam etwas aussagen können. Gott sei Dank!

Gleichzeitig wird aber als selbstverständlich vorausgesetzt: Dieses biblische Zeugnis kann nicht mehr als die verbindliche Grundlage und das verbindende Element für alle Menschen in unserer Gesellschaft angesehen werden. Wir leben in einer multi-religiösen Welt. Besonders wir Christinnen und Christen in Deutschland haben das im Laufe der letzten Jahrzehnte lernen müssen. Es ist in unserem Land nicht mehr selbstverständlich, dass die Mehrheit der Bevölkerung einer christlichen Kirche angehört.

Einige der im „Code of Conduct“ aufgestellten 12 Prinzipien (Englisch: „principles“), klingen für unser heutiges Missionsverständnis selbstverständlich. Etwa werden in diesem Dokument „Täuschung“ und „Zwangsmittel“ als unangemessene Missions-Methoden genannt und als „Verrat am Evangelium“ markiert, für die Buße getan werden muss. Die Autoren des „Code of conduct in Mission“ sprechen ein deutliches „Nein“ gegen jede missionarische Praxis aus, die als Gewalt identifiziert werden kann. Dass diese Selbstverständlichkeiten derart verbindlich, ausführlich und explizit festgehalten werden, lässt ahnen, welche Divergenzen in Bezug auf Missionspraktiken in der weltweiten Christenheit noch immer herrschen und dass schuldbeladenes Handeln, bedrückende Erfahrungen und beschämende Beispiele unsere Missionsgeschichte belasten.

Ein für mich wichtiger und nachdenkenswerter Akzent dieses Dokumentes ist, dass in ihm Mission als „Zeugnis im Wort“ und Mission als „Zeugnis in der Tat“ aufeinander bezogen sind. Missionarische Wort-Dienste und diakonische Dienste werden als komplementäre Äußerungen der „einen Mission“ dargestellt. Ich zitiere:

„Soziale Dienste, wie die Bereitstellung von Bildungsmöglichkeiten, Gesundheitsfürsorge, Nothilfe sowie Eintreten für Gerechtigkeit und rechtliche Fürsprache sind integraler Bestandteil davon, das Evangelium zu bezeugen. Die Ausnutzung von Armut und Not hat im christlichen Dienst keinen Platz.“

Das stellt auch uns wieder neu die Frage, wie sich unser evangelisches Missionsverständnis zu unserem weltweiten diakonischen Entwicklungsdienst verhält. Ich erinnere nur an das sehr kontrovers diskutierte Verhältnis von „Mission und Entwicklung“. Sie alle wissen, dass der „Evangelische Entwicklungsdienst“ und „Brot für die Welt“ seit Jahren an diesem Thema arbeiten. Eine kategoriale Trennung von Mission und Entwicklung ist für uns aus politischen Gründen bei der Beantragung staatlicher finanzieller Zuschüsse notwendig. Unser Staat akzeptiert, dass wir bei kirchlichen Entwicklungsprojekten „innerlich“ christlich verankert und gebunden sind, will mit seinen Mitteln allerdings keine explizite christliche Mission fördern. Diese kategoriale Trennung ist für viele Kirchen im Süden ganz fremd, ja sogar befremdlich: Sie identifizieren „Brot für die Welt“ ganz selbstverständlich auch mit Verkündigung und dem Dienst am Evangelium – nicht nur mit politischen Entwicklungsprogrammen und Kampagnen. Ich hoffe sehr, dass der Neuanfang in Berlin mit dem „Evangelischen Werk für Diakonie und Entwicklung“ dazu hilft, dass beides – Mission und Entwicklungshilfe – auch bei uns besser und selbstverständlicher aufeinander bezogen werden kann: als zwei Seiten des einen Evangeliums, als Mission in der Verkündigung des Wortes und als Mission in dem Eintreten für Gerechtigkeit und zur Überwindung von Armut und Not.

Einen weiteren nachdenkenswerten Akzent des Dokumentes für unser heutiges Missionsverständnis sehe ich in dem expliziten Ansprechen christlicher Heilungsdienste.

Im Text heißt es dazu: „Als wesentlicher Bestandteil des Zeugnisses des Evangeliums üben Christen Heilungsdienste aus. Sie sind dazu berufen, diese Dienste verantwortungsvoll auszufüllen und dabei die Würde des Menschen uneingeschränkt zu achten. Dabei müssen sie sicherstellen, dass die Verwundbarkeit des Menschen, wie auch das Bedürfnis nach Heilung nicht ausgenutzt werden.“

Ganzheitliche Heilung, eine Heilung also die Leib und Seele der Menschen umfasst, spielt in unserem protestantischen Glauben nur eine sehr untergeordnete Rolle. Hier können wir einiges von den Geschwistern anderer Kulturen lernen – im Blick auf den Umgang mit Krankheit, mit dem Gebet um Heilung, mit der Rolle gegenseitiger Berührung bei Gebet und Salbung und ganz grundsätzlich: mit der Einbeziehung des Körpers in unsere Frömmigkeit. Denn: Menschen haben nicht nur einen Körper, Menschen sind Körper. „Und das Wort ward Fleisch“, so bezeugt der Evangelist Johannes die Menschwerdung Gottes ( Joh 1, 14a ). Eine Mission, die nur den Geist der Menschen im Blick hat, wird der Fülle dieser Offenbarung Gottes nicht gerecht.

Wir stehen heute vor der großen Herausforderung, weder das Problem der Intellektualisierung von Glaube, Theologie und Kirche als unpersönliche Abstraktionen zu beschönigen, noch die Errungenschaft der Verbindung von Glaube und Vernunft preiszugeben. Der Glaube verstanden als eine vertrauensvolle Lebensbindung an Gott, muss das Fühlen und Denken, den Kopf, das Herz und alle Sinne des Menschen ansprechen und ergreifen. Menschen für den Glauben zu gewinnen darf also nicht allein als eine rationale Vermittlungsaufgabe verstanden werden. Positiv formuliert: Im Zugehen auf das Reformationsjubiläum ist die Evangelische Kirche in Deutschland herausgefordert, ihr Proprium eines reflektierten Zugangs zum Glauben mit einer ganzheitlichen – also Körper und Seele umfassenden – Spiritualität von Menschen und ihrer Sehnsucht auch nach mystischen Erfahrungen in Beziehung zu setzen.

Im Text des „Code of Conduct in Mission“ werden Gläubige anderer Religionen von allen Beteiligten dezidiert als Gesprächspartner und –partnerinnen anerkannt, also nicht als Missionsobjekte begriffen. Einem nicht in erster Linie und nicht zwangsläufig auf Konversion angelegten interreligiösen Dialog wird eine missionarische Dimension zugesprochen: Wer Menschen anderer Religionen mit Respekt, Würdigung und Offenheit begegnet, legt dabei auch Zeugnis für seinen eigenen Glauben ab.

Was das Dokument in diesem Zusammenhang nicht anspricht, ist das spezifisch jüdisch-christliche Verhältnis. Diese Fragestellung war meines Erachtens bei den Verfasserinnen und Verfassern schlicht nicht im Blick und vermutlich würden wir den Text überfordern, wenn wir Fragen zu diesem Thema an ihn herantrügen. Wohl aber wäre das Dokument aus unserer Sicht in dieser Hinsicht fortzuschreiben – gerade von unserer Evangelischen Kirche in Deutschland mit unseren besonderen Erfahrungen und Erkenntnissen aus dem christlich-jüdischen Dialog.

Der Gott, den unser Herr Jesus Christus uns offenbart hat, ist und bleibt nach biblischem Zeugnis der Gott Israels. Wir Christenmenschen geben mit unserer Mission Zeugnis von der Treue Gottes und zu dem Treuehandeln Gottes gehört das Fortbestehen des Bundes Gottes mit seinem Volk Israel. Deshalb gilt:

Judenmission ist uns Christenmenschen nicht geboten.

Sinnvoll wäre für unser Land auch eine konkretere Fortschreibung des Dokumentes in Hinsicht auf den Dialog mit dem Islam. Einige Reaktionen aus dem muslimischen Bereich auf das Dokument lassen die Hoffnung aufleuchten, dass es eine Grundlage sein könnte, um zumindest mit einem Teil der Muslime über Möglichkeiten und Grenzen der Mission als einem „Zeugnis, das wir voreinander über unseren Glauben ablegen“ ins Gespräch zu kommen.

Diesen Punkt abschließend möchte ich einen Akzent des „Code of Conduct“ besonders hervorheben:

Wir Christenmenschen werden ermutigt, unsere eigene religiöse Identität und unseren eigenen Glauben zu stärken. Wer Mission betreiben will, so sagt es der „Code of Conduct“, darf nicht nur fordern, dass andere sich mit dem Glauben an Jesus Christus auseinandersetzen, sondern muss dies auch selbst immer wieder tun. Mission kann nur dann überzeugen, wenn zugleich auch die Kirche innerlich wächst und sich von Gottes Geist in ihrem Glauben stärken lässt. Wenn nicht nur speziell ausgebildete Missionare und Missionarinnen, sondern alle Christenmenschen sich dazu beGEISTern lassen, ihren Glauben verständlich, authentisch und glaubwürdig in Worten und Taten zu bezeugen. Dann kann Mission in ihrem Wortsinn: als „Sendung“, als Zuwendung zu Nichtgläubigen – und auch zu manch Andersgläubigen – durch die Kraft und durch die Ausstrahlung der ganzen Gemeinde wirksam werden.

3. Christliche Mission heute –
Mission als Aufgabe der Evangelischen Kirche in Deutschland

Ich will im dritten und letzten Teil meiner Ausführungen die Situation in unserer eigenen Kirche - der Evangelischen Kirche in Deutschland – auf dem Weg zur sogenannten „Missionssynode“ in Magdeburg und im Blick auf das anstehende Reformationsjubiläum 2017 – noch einmal besonders in den Blick nehmen.

Eine der biblischen Schlüsselszenen für das Geschehen, um das es bei „Mission“ geht, ist in meinen Augen die Geschichte von Philippus und dem Kämmerer in der Apostelgeschichte, Kapitel 8. Aus ihr stammt auch das Leitmotiv, das uns bei der Beschäftigung mit dem Thema Mission auf der kommenden Tagung der EKD-Synode in Magdeburg beschäftigen wird: „Was hindert`s, dass ich Christ werde?“

Die Geschichte beginnt so:

„Und siehe, ein Mann aus Äthiopien, ein Kämmerer und Mächtiger am Hof der Kandake, der Königin von Äthiopien, welcher ihren ganzen Schatz verwaltete, der war nach Jerusalem gekommen, um anzubeten. Nun zog er wieder heim und saß auf seinem Wagen und las den Propheten Jesaja.“

Es ist eine geradezu prototypische Figur, die Lukas hier mit dem Kämmerer aus Äthiopien zeichnet, ein „Vor-Bild“ moderner Lebensweise. Er ist ein Vertreter aus der Welt des Geldes, gebildet, ein kultureller Grenzgänger, ein Reisender. Innerlich flexibel, äußerlich mobil, geistlich auf der Suche. Auf dem Weg nach Hause von einer weiten Pilgerreise ist er vertieft in geistliche Lektüre. Diese Lektüre ist gewissermaßen ein Symbol für seine Suche nach Gewissheit, nach Vertrauen, das er braucht, um in seiner Welt der Politik, der Finanzen, der Geschäftsbeziehungen dauerhaft handlungsfähig zu sein und dabei seine Geradlinigkeit und Seriosität zu bewahren.

„Aber der Engel des Herrn redete zu Philippus und sprach: Steh auf und geh nach Süden auf die Straße, die von Jerusalem nach Gaza hinabführt und öde ist.“

Auch Philippus trägt in der Geschichte den Charakter eines „Vor-Bildes“ für die Weitergabe des Glaubens. Geleitet vom Geist Gottes kommt er – und weiß nicht wohin. Später entschwindet er wieder – und weiß nicht wie. Seine Erscheinung behält etwas Schwebendes.

Die Begegnung der beiden wird erzählt als eine Geschichte der Fragen:

„Verstehst du auch, was du da liest?“ „Wie kann ich, wenn mich nicht jemand anleitet?“ „Von wem redet der Prophet das?“ „Was hindert’s, dass ich mich taufen lasse?“

Es ist die Geschichte einer Suchbewegung auf dem Weg. Sie handelt von einer Christuspredigt, die auf einem Wagen Platz hat – ein „Gospel to go“. Daran schließt sich eine Taufe „auf dem Wege“ an – kirchliches Handeln „en passant“, Kleinstgemeinde auf Zeit. Am Ende der Begegnung schließlich stehen die Entrückung des einen und die Beglückung des anderen: „Er zog aber seine Straße fröhlich“.

Diese Geschichte scheint auf den ersten Blick weit entfernt von den Schlagzeilen der Zeitungen und von dem Lebensgefühl der Menschen unserer Tage.

In diesen lässt sich statt fröhlicher Gewissheit vielmehr ein tiefes gesellschaftliches Krisengefühl wahrnehmen. In geradezu apokalyptischen Bildern ist dort von Zusammenbrüchen, Crashs und Untergängen die Rede. Staaten, Banken, Währungen geraten ins Wanken, die Natur wird von Überschwemmungen, Erdbeben und Atomkatastrophen heimgesucht – und mitten drin der Einzelne, scheinbar allein verantwortlich für sein Glück im Hier und Jetzt.

In einer nicht nur medial beschleunigten und hoch getakteten Zeit gerät der Mensch immer öfter an die Grenzen seiner persönlichen Leistungsfähigkeit und allzu oft auch darüber hinaus. „Burn-out“ ist zur Gesellschaftskrankheit unserer Zeit geworden, Erschöpfung gehört zum kollektiven Grundgefühl. Freiheit wird zunehmend als gefährdet, brüchig, unsicher erfahren.

Dahinter steht meines Erachtens eine dreifache, tiefe Verlusterfahrung.

Da ist zunächst der Verlust an Grundvertrauen, dass es insgesamt „gut gehen wird“. Ob im ökologischen oder ökonomischen Bereich, ob demographisch, sozial oder politisch wächst das Gefühl, dass es so nicht weiter geht, das etwas grundlegend im System nicht stimmt. Mehr und mehr wird uns bewusst, wie wir in vielen Bereichen unserer Gesellschaft „auf Pump“ leben und die Ressourcen kommender Generationen verbrauchen.

Da ist zum zweiten ein Verlust an Lebensfreude – und das mitten in einer an Unterhaltung orientierten Gesellschaft. Die Fülle an Ratgebern für ein glückliches Leben zeigt auf paradoxe Weise, wie problematisch Zufriedenheit und ein erfülltes Leben biographisch geworden sind – und wie groß zugleich die Sehnsucht danach ist.

Und da ist zum dritten ein Verlust von einer Transzendenzdimension, die das Leben weiten und den Menschen heilsam über sich selbst hinausführen könnte. Es liegt ein „Erwartungsdruck des Glückserlebens“ auf dem Einzelnen wie auf der Gesellschaft. Dieser Druck lässt in seiner Fixierung auf das „Hier und Jetzt“ kein nachhaltiges und kein solidarisches Handeln zu. Ein Verständnis des eigenen Lebens als „letzte und einzige Glücks-Möglichkeit“ lässt Menschen an der Ungerechtigkeit des Schicksals verzweifeln oder an Todeserfahrungen zerbrechen. Denn Glaube, Liebe und Hoffnung können dem Menschen nur dann „bleiben“, wenn Gottes Wirklichkeit unsere Immanenz entgrenzt. Wenn Menschen sich an den ewigen Gott mit der Bitte wenden können: „Meine engen Grenzen, meine kurze Sicht, bringe ich vor dich. Wandle sie in Weite, Herr, erbarme dich.“ ( EG 600,1 )

In dieser kulturellen Herausforderung sehe ich eine der zentralen missionarischen Aufgaben für unsere Gesellschaft in Deutschland. Es braucht eine Antwort des Glaubens, die auf die tiefen Verlusterfahrungen und Ängste zu antworten weiß. Und es braucht eine Antwort, die so zu sprechen weiß, dass Menschen es wirklich verstehen, dass sich ihnen Gott in Jesus Christus als Wahrheit, Tiefe und Geheimnis des Lebens erschließt und sie so „fröhlich ihre Straße ziehen können“. Dass sie so – trotz und in allen Krisen- und Katastrophenerfahrungen unserer Zeit – getrost in ihre Alltagswelt zurückkehren und vor Gott und für Menschen verantwortlich handeln. Dass sie gestärkt und geführt durch Gottes lebendiges Wort in ihrem Alltag Wege der Gerechtigkeit gehen und Barmherzigkeit üben.

Christliche Mission heute – das heißt für mich daher – wie auch im Code of Conduct – zuallererst, dass die Kirche selbst bei sich anfängt und sich neu zu ihrer Sache rufen lässt. Um mit Bonhoeffer zu sprechen: zum Beten und zum Tun des Gerechten.

Mission geschieht dort, wo Menschen sich wie Philippus von Gottes Geist auf manchmal seltsame Wege führen lassen, wo sie sich den Fragen von Mitreisenden wirklich stellen und sich trauen, auf fremden Wagen wirklich Platz zu nehmen. Dass wir nicht der Gefahr erliegen, wegen unserer fertigen Antworten die Fragen anderer nicht zu hören oder in engagierter Hektik an den Wagen Suchender vorbeilaufen.

Mission geschieht dann, wenn Menschen wie der Kämmerer Hilfe zu eigenem Schriftverständnis erhalten, wenn die Feier ihrer Taufe zum Grund innerer Freude wird und wenn die Begegnung mit anderen hilft, den eigenen Lebens- und Glaubensweg gewiss und getrost zu gehen.

Mission geschieht aber auch dann, wenn wir mehr Theologie wagen im Diskurs mit unseren Geschwistern aus anderen Konfessionen und Kirchen, damit wir uns in unserem je eigenen Verständnis herausfordern und einander bereichern können. Mission braucht Ökumene und stärkt Ökumene!

Eine missionarische Kirche lässt sich von Gottes Geist immer wieder zu neuen Aufbrüchen bewegen, sie bleibt Kirche „auf dem Weg“, bis Gottes neuer Himmel und Gottes neue Erde sie vollenden. Eine missionarische Kirche entflieht nicht der Welt, sondern Gottes Geist ruft sie und öffnet sie für Begegnungen mit der Welt.

Eine missionarische Kirche lebt aus dem Gebet und tut das Gerechte.

Eine missionarische Kirche scheut nicht davor zurück „politisch“ zu sein, aber sie bindet ihr politisches Reden und Handeln an Gottes lebendiges Wort.

Eine missionarische Kirche scheut nicht davor zurück, sich für Frieden, Gerechtigkeit und die Bewahrung der Schöpfung zu engagieren und sie hat dabei einen langen Atem. Sie ist nicht auf kurzfristige Siege und Erfolge angewiesen. Denn sie weiß: Die Herren dieser Welt gehen, unser Herr aber kommt!

Dass Christus selbst uns dazu hilft und leitet, „missionarische Kirche“ zu sein, dessen können wir gewiss sein. Er selbst hat es uns mit seinem Missionsauftrag versprochen: „Denn siehe, ich bin bei Euch, alle Tage, bis an der Welt Ende.“

Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.


Fußnoten:

  1. RGG3, Art. Mission (Bd. 4, Sp. 969)
  2. a.a.O.
  3. Matthias Dobrinski: Im Land der vielen Götter. Benedikt XVI. besucht einen Staat, der sich schwer tut mit dem strengen Christentum. Süddeutsche Zeitung, 17./18.9.2011