Statement anlässlich der Veröffentlichung des Ökumenischen Berichts zur Religionsfreiheit von Christen weltweit 2013

Martin Schindehütte

Die Situation von Christinnen und Christen stellt sich in vielen Regionen unserer Welt als schwierig und komplex dar. Nicht nur aus den Ländern des Nahen Ostens, wo für Angehörige christlicher und anderer religiöser Minderheiten Diskriminierung und Bedrängnis bis hin zu Gewaltübergriffen zum Alltag gehören, - nahezu aus allen Kontinenten erreichen uns Berichte unserer ökumenischen Partner, die uns mit großer Sorge erfüllen. Die Tatsache, dass Christen weltweit wegen ihres Glaubens getötet und bedroht werden, kann uns nicht ruhen lassen. Aus erster Hand erhalten unsere Missionswerke und Partnerkirchen Hinweise auf Anschläge gegen Kirchen und Gemeinderäume, aber auch zu Attacken gegen Wohnhäuser von Christinnen und Christen.

Aber das Menschenrecht auf Religionsfreiheit wird auch durch eine Vielzahl anderer Schikanen und Hindernisse eingeschränkt: Aufgrund der Zugehörigkeit zu einer christlichen Gemeinschaft verlieren Menschen in manchen Ländern an gesellschaftlicher Anerkennung und werden in der Wahrnehmung ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte gehindert. Behörden versagen ihnen beispielsweise beim Erwerb von Grundbesitz für ein kirchliches Gebäude die staatsbürgerrechtliche Gleichbehandlung, Baugenehmigungen werden nur zögerlich oder gar nicht erteilt und in manchen Ländern führt die Konversion unweigerlich zur Benachteiligung im Familien- und Erbrecht. Dies sind nur einige Beispiele für die unhaltbaren Zustände im Umgang mit christlichen Minderheiten.

Neben solchen behördlichen und rechtlichen Diskriminierungen, gibt es auch soziale Anfeindungen, den ganz persönlichen Terror: Wenn wie im Irak plötzlich Unbekannte bei einer christlichen Familie auftauchen und diese mit dem Tod bedrohen, sollte sie nicht bis zum nächsten Tag das Weite gesucht haben, dann können wir auch ohne viel Phantasie verstehen, warum gerade im Nahen Osten die historischen Kirchen einen enormen Mitgliederschwund zu verzeichnen hat. Diese sozialen Anfeindungen werden von den Ordnungs- und Sicherheitskräften nicht unterbunden. Bei Übergriffen kommt die Polizei in vielen Fällen zu spät zum Tatort oder greift nicht in das Geschehen ein. Dadurch entsteht dann der Eindruck von Straffreiheit für derartige terroristische Umtriebe, was wiederum zu weiteren Übergriffen zu ermutigen scheint.

Die Evangelische Kirche in Deutschland – ebenso wie die Deutsche Bischofskonferenz – hat schon in der Vergangenheit immer wieder auf grundlegende Menschenrechtsverletzungen und brutale Gewalttaten gegen christliche Glaubensgenossen in der Welt aufmerksam gemacht. Das geschah und geschieht meistens jenseits der Öffentlichkeit durch direkte Interventionen bei den Botschaftern und Regierungen der betreffenden Länder. Auch bemühen wir uns, in Hintergrundgesprächen mit politischen Vertretern und unseren zahlreichen Partnerkirchen vor Ort, die Lage realistisch einzuschätzen. Darüber hinaus versuchen wir etwa durch Prozessbeobachtungen und Rechtsbeistand rechtstaatliche Standards auch dort zu implementieren, wo diese nicht unbedingt vorausgesetzt werden können. Und wir sind durch verschiedene Projekte wie dem Bau von Schulen dabei engagiert, die generellen Bedingungen vor Ort zu verbessern, unter denen Christen ihren Glauben leben.

Schließlich nimmt sich die EKD auch als Kirche der Nöte von bedrängten und verfolgten Geschwistern auf geistliche Weise an. Ich erinnere an den Beschluss der EKD-Synode vom November 2008, eine jährlich wiederkehrende Fürbitte für bedrängte und verfolgte Christen im Kirchenjahr zu verankern. Der Rat der EKD und die Kirchenkonferenz haben dieses Votum begrüßt und den 2. Sonntag der Passionszeit (Reminiszere) dafür vorgesehen. Diese Fürbitte fand 2010 erstmals statt und wird seitdem jedes Jahr mit einem Länderschwerpunkt allen evangelischen Kirchengemeinden im Bundesgebiet sowie allen evangelischen Gemeinden deutscher Sprache im Ausland empfohlen.

Unser traditionelles Engagement für die Menschenrechte und für die Religionsfreiheit galt und gilt allen religiösen Minderheiten, nicht nur den christlichen Kirchen. Das hat in der Öffentlichkeit immer wieder zu der Wahrnehmung geführt, die EKD würde sich für alle möglichen religiösen Gruppen einsetzen, nicht aber für die eigenen Geschwister. Wir sind daher zu dem Schluss gekommen, dass es auch angemessen ist, wenn wir unser Engagement für bedrängte und verfolgte Christen in der Welt stärker bekannt machen als bisher und die Missstände öffentlich wahrnehmbar anprangern. Nicht zuletzt dies hat uns dazu bewogen, gemeinsam mit der Deutschen Bischofskonferenz den nun vorliegenden Ökumenischen Bericht in Auftrag zu geben. Damit können wir gegenüber der kirchlichen und nicht-kirchlichen Öffentlichkeit zu wissenschaftlich belastbaren Aussagen über die Lage bedrängter christlicher Minderheiten kommen.

Wie viele es tatsächlich sind, die weltweit wegen ihres christlichen Glaubens verfolgt werden, lässt sich auch mit dieser Studie seriös nicht sagen. Es existieren zwar verschiedene Schätzungen, die manche zu der Aussage verleitet, dass das Christentum die am meisten verfolgte Religion in der Welt sei. Angesichts der Zahl seiner Anhänger wäre ein solcher „Spitzenplatz" für diese Weltreligion nicht überraschend. Für die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland ist dieser Superlativ aber unerheblich. Letzten Endes es ist aus unserer Sicht nicht entscheidend, wie viele Menschen genau wegen ihres Glaubens in ihren Grundrechten eingeschränkt werden. Denn jeder einzelne Mensch ist doch einer zu viel! Oder, um es mit den Worten des Apostels Paulus zu sagen: „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit.“

Lassen Sie mich abschließend noch etwas Grundsätzliches zum kirchlichen Engagement für Religionsfreiheit sagen: Nach der internationalen Rechtsauffassung wie auch nach dem heutigen Verständnis der christlichen Kirchen liegt die Religionsfreiheit in der Würde des Menschen begründet. Sie ist damit universal und jedem Menschen ohne Anerkennung seiner ethnischen Zugehörigkeit oder sonstiger Merkmale eigen. Biblisch gesprochen: Für uns als Kirchen ist die Gottebenbildlichkeit des Menschen der Grund dafür, dass der Mensch verbriefte Rechte und einen Anspruch auf den Schutz dieser Rechte hat. Das bedeutet auch, dass die Religionsfreiheit für Angehörige aller Religionen gilt.
Religionsfreiheit kann deshalb kein Gegenseitigkeitsrecht sein, das nur dann gewährt wird, wenn eine wie auch immer geartete „Gegenseite“ es auch gewährt. Es verbietet sich ebenso, Religionsfreiheit nur als das Recht einer bestimmten Religionsgemeinschaft zu verstehen und einzuklagen. Wenn Christen es für sich in Anspruch nehmen, muss immer klar sein, dass sie dies auch stellvertretend für bedrängte und verfolgte Angehörige anderer religiöser Minderheiten wie der Baha’i oder nicht konformer Weltanschauungen wie Falun Gong tun. Und dies schließt auch den Einsatz für verfolgte muslimische Minderheiten, die der Bericht ausdrücklich auch benennt, mit ein.

Für die christlichen Kirchen gibt es keine Alternative zum Eintreten für die Religionsfreiheit – und zwar für alle und an allen Orten. Denn ich kann nicht einfach für meine bedrückten Schwestern und Brüder beten und dabei all jene außen vor lassen, die aufgrund ihres Bekenntnisses ebenfalls Opfer von Menschenrechtsverletzungen werden. Und zugleich gewinnt das Engagement für unsere Glaubensgenossen eine Glaub-Würdigkeit mit besonderer Qualität gerade durch den Einsatz für andere. Wie ich finde, ist es mit dem vorliegenden Bericht gelungen, dieses sich gegenseitig bedingende Verhältnis darzustellen: durch eine Perspektive auf bedrängte und verfolgte Christen, die Raum lässt auch für Angehörige anderer unterdrückter Religionsgemeinschaften.

Und so wünsche ich diesem Bericht, dass er von der Öffentlichkeit intensiv aufgenommen wird und in die Debatte eine analytische Sachlichkeit einträgt, die nötig ist, um die Einschränkungen der Religionsfreiheit überall in der Welt zu überwinden.