Grußwort zum Anlass "60 Jahre Freiwilliges Diakonisches Jahr – 50 Jahre FSJ-Gesetze" im Luthersaal der Diakonie Neuendettelsau

Nikolaus Schneider

„Ein Christenmensch ist ein freier Herr über alle Dinge und niemandem untertan.
Ein Christenmensch ist ein dienstbarer Knecht aller Dinge und jedermann untertan.“

Meine sehr verehrten Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder,

pointierter und klarer als in diesem Zitat Martin Luthers können wir wohl kaum zum Ausdruck bringen, dass evangelische Freiheit und der Dienst an Menschen untrennbar zusammengehören. Dieser biblisch gegründete Zusammenhang ist seit den reformatorischen Zeiten ein Kompass für unser kirchliches Reden, Entscheiden und Handeln. Ich freue mich sehr, mit Ihnen heute das Jubiläum der Freiwilligendienste feiern zu können: 60 Jahre Freiwilliges Diakonisches Jahr und 50 Jahre FSJ-Gesetz.

Hier in Neuendettelsau sind heute viele Menschen versammelt, die Teil der Geschichte der Freiwilligendienste sind. Dass sie eine Erfolgsgeschichte geworden ist, ist auch Ihrem Engagement zu verdanken: Als frühere oder gegenwärtige Freiwilllige, als kreative und innovationsfreudige Trägervertreter und -vertreterinnen, als politisch Verantwortliche, die die Freiwilligendienste großzügig gefördert haben schrieben und schreiben Sie diese Geschichte mit.

Es ist kein Zufall, dass die Erfolgsgeschichte der Freiwilligendienste – 10 Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg und nach den ungeheuren Verbrechen, die im deutschen Namen begangen wurden – hier in Neuendettelsau, an diesem kleinen und doch sehr besonderen Ort in Mittelfranken, ihren Anfang nahm. Das verdeutlicht ein weiteres Jubiläum, das hier in diesem Jahr 2014 noch zu feiern ist: Die Neuendettelsauer Diakonie begeht am 9. Mai ihren 160. Gründungstag. Durch alle Brüche der deutschen Geschichte und des deutschen Protestantismus hindurch ist Neuendettelsau seit den Zeiten des großen Wilhelm Löhe ein Ort, an dem persönliches Gottvertrauen und eine dienstbereite soziale Verantwortung zusammengedacht und zusammengelebt werden.

Diese für unseren Glauben und für unsere Welt so heilsame Verbindung hat der Pfarrer Jochen Rieß in einem Lied so verdichtet:

"Die Erde ist des Herrn. Geliehen ist der Stern, auf dem wir leben.
Drum sei zum Dienst bereit, gestundet ist die Zeit, die uns gegeben."
(EG 677, 1)

Gott hat uns Menschen mit der Begabung ausgestattet, Gottes Namen die Ehre zu geben und wie Gott selbst für seine Schöpfung und für alle seine Geschöpfe „da zu sein“. Die Erde gehört Gott, aber Gott hat sie uns Menschen überantwortet. Wir Menschen missbrauchen unser Gottvertrauen, wenn wir tatenlos die eigene Ohnmacht pflegen. Gott in Jesus Christus hat uns die Freiheit von dem Druck geschenkt, uns selbst vor ihm rechtfertigen zu müssen.
Mit diesem Geschenk erwächst uns eine tätige Freiheit zum Dienst für andere. Evangelische Freiheit wird also in ihr Gegenteil verkehrt, wenn Christenmenschen ihre Hände in den Schoß legen angesichts all der Nöte und Probleme auf dieser Erde. Gottes Geist inspiriert Christenmenschen mit immer neuer Phantasie und Kraft, ihre „Kirche der Freiheit“ als eine „Kirche des Dienens und der Dienste“ zu leben und zu gestalten. Gottes Geist ist die nie versiegende Kraftquelle, die menschliche Mutlosigkeiten und menschliches Aufgeben immer wieder überwindet.  

Mit dieser Kraft und Phantasie hat im Jahr 1954 der damalige Rektor der Diakonissenanstalt, Hermann Dietzfelbinger – der spätere Bischof der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und Ratsvorsitzende der EKD – zunächst für junge Frauen die Idee eines freiwilligen diakonischen Dienstes auf Zeit entwickelt. Er sollte junge Menschen zu einem gemeinwohlorientierten Einsatz motivieren und Ihnen die Möglichkeit eröffnen, sich in eine geistliche Lebensform einzuüben. Die Erfahrungen mit diesem und anderen freiwilligen Dienstformaten waren so ermutigend, das weitere 10 Jahre später, im Jahr 1964 – unter maßgeblicher Begleitung durch die Kirchen – die gesetzliche Regelung für ein „Freiwilliges Soziales Jahr“ geschaffen wurde. Weitere Dienstformate der Freiwilligendienste kamen später hinzu und können als Fortentwicklungen dieser Anfänge verstanden werden.

Heute ist es wichtig, nicht zu vergessen: Die Freiwilligendienste wurzeln in einer christlichen Lebenshaltung und in einer geistlich geprägten Lebensform. Es lohnt sich nicht nur für Jubiläumsfeiern, diese Wurzeln wiederzuentdecken –  gerade wenn nach der gegenwärtigen Bedeutung der Freiwilligendienste für unsere plurale und säkularisierte Gesellschaft gefragt wird. Denn in unserer Gesellschaft wächst der wirtschaftliche Druck im Bereich der sozialen Dienste beständig, und damit wachsen auch der Druck und die Versuchung, die Freiwilligendienste als Wirtschaftlichkeits-Faktor etwa in Krankenhäusern, Altenheimen und Kindertagesstätten zu verrechnen.

Eine solche berechnende und verrechnende Ökonomisierung gewinnt in unserer Gesellschaft immer größere Bedeutung und kann die zivilgesellschaftliche Logik und die geistliche Verwurzelung der Freiwilligendienste in Frage stellen. Die geistlichen Quellen der Freiwilligendienste immer neu zu beleben und für junge Menschen „sprudeln“ zu lassen, das vermag der Gefährdung durch Ökonomisierung entgegen zu arbeiten. Die Bedeutung der geistlichen Quellen gilt es auch zu bedenken, wenn der Staat selbst und unmittelbar solche Dienste anbietet. Immer neue Phantasie und Kraft aus den geistlichen Quellen unseres Glaubens schöpfen zu können, das wünsche ich den Trägern der evangelischen Freiwilligendienste. Und im Blick auf die politisch gesetzten und zu setzenden  Rahmenbedingungen für kirchliche Freiwilligendienste wünsche ich mir, dass diese Quellen auch im säkularen und weltanschaulich neutralen Gemeinwesen respektiert, geschätzt und gestärkt werden.

Ihnen allen, den Autorinnen und Autoren, den Teilnehmenden und Teilgebenden der „Erfolgsgeschichte",  danke ich noch einmal von Herzen – und ich zweifle nicht daran, dass diese Erfolgsgeschichte von Gottes Geist geleitet und begleitet auch künftig fortgeschrieben wird. Ich grüße Sie mit der 4. Strophe des eingangs zitierten Liedes:

„Verlier nicht die Geduld. Inmitten aller Schuld ist Gott am Werke.
Denn der in Jesus Christ ein Mensch geworden ist, bleibt unsere Stärke.“
(EG 677,4)

Danke für Ihre Aufmerksamkeit!