Grusswort aus Anlass der Ehrenpromotion des Erzbischofs von Canterbury, Rowan Williams

Wolfgang Huber

Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn

Es gilt das gesprochene Wort.

Auf das besondere Ereignis dieser theologischen Ehrenpromotion habe ich mich durch die Lektüre eines theologischen Textes vorbereitet, der von Dietrich Bonhoeffer und den Dichtern handelt. Sein Thema bilden Gedichte, die drei englische Dichter, Jack Clemo, Geoffrey Hill und W.H. Auden, dem deutschen Theologen Dietrich Bonhoeffer gewidmet haben. Die  Kenntnis dieses Aufsatzes verdanke ich einer Begegnung, die mich heute vor einer Woche in Lambeth Palace mit dem Erzbischof von Canterbury zusammengeführt hat. Denn der Autor dieses beeindruckenden Aufsatzes heißt Rowan Williams.

Die Freundschaft zwischen George Bell, dem Bischof von Chichester, und Dietrich Bonhoeffer, dem Glaubenszeugen in der Zeit des Naziregimes, war in unserem Gespräch vor einer Woche sehr gegenwärtig. Uns verbindet die feste Absicht, weiterzuführen, was damals begann.

In dem heutigen Tag sehe ich ein wichtiges Zeichen für eine vertiefte Verbindung zwischen der deutschen und der britischen akademischen Welt,  zwischen der deutschen und der angelsächsischen Theologie – und ich füge hinzu: zwischen der anglikanischen Gemeinschaft und den evangelischen Kirchen, insbesondere  zwischen der Kirche von England und der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Mit einigen wenigen Strichen will ich die ökumenische Bedeutung dieses Ereignisses verdeutlichen. Gewiss bestand von Anbeginn an eine enge Beziehung zwischen der Kirche von England und den reformatorischen Strömungen auf dem Kontinent. Einladungen nach England noch während der Reformationszeit – Melanchthon lehnte ab, Martin Bucer ging nach Cambridge – sind dafür sprechende Beispiele. Gewiss ist das Bemühen um einen gemeinsamen Bischofssitz in Jerusalem während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts ein eindrucksvoller Beleg für die Nähe, die gerade an diesem Ursprungsort des christlichen Glaubens und der christlichen Geschichte wahrgenommen wurde. Und doch begann mit der Zeit, für welche die Namen von George Bell und Dietrich Bonhoeffer stehen, eine neue Epoche der ökumenischen Beziehungen. 

Seit 1945 gibt es bemerkenswerte Bemühungen darum, die Gräben zuzuschütten, die durch die Nazizeit und den Zweiten Weltkrieg aufgerissen worden waren, und zugleich auf theologischer Grundlage zu einer wechselseitigen kirchlichen Anerkennung vorzustoßen. Die von Coventry ausgehende Nagelkreuzgemeinschaft, die besondere Bedeutung der Partnerschaft zwischen Coventry und Dresden, die kirchlichen Partnerschaften auf der Ebene von Gemeinden oder von Diözesen beziehungsweise  Landeskirchen, die beharrlichen Bemühungen des theologischen Dialogs haben zu bemerkenswerten Resultaten geführt.

Sie fanden ihre Bündelung in der gemeinsamen Erklärung von Meissen, die im Jahr 1991 unterzeichnet wurde. Es wurde eine weitgehende Kirchengemeinschaft zwischen der Kirche von England und der Evangelischen Kirche in Deutschland begründet, die sich als Ausgangspunkt für einen weiterführenden Weg zu sichtbarer Einheit versteht. Dieser Weg ist von der Verpflichtung bestimmt, „alle möglichen Schritte zu engerer Gemeinschaft auf so vielen Gebieten christlichen Lebens und Zeugnisses wie möglich [zu] unternehmen, so dass alle unsere Mitglieder gemeinsam auf dem Weg zu voller, sichtbarer Einheit voranschreiten mögen.“(Englisch: "We will take all possible steps to closer fellowship in as many areas of Christian life and witness as possible, so that all our members together may advance on the way to full, visible unity.")

Wachsende  sichtbare Einheit wird am wirksamsten durch die Bereitschaft gefördert, voneinander zu lernen. Dieser Lernprozess kann umso fruchtbarer sein, als wir in Deutschland und Großbritannien wichtige Erfahrungen miteinander teilen.

Wir machen gemeinsam die Erfahrung innerer wie äußerer Pluralität: in einer religiös wie kulturell plural gewordenen Gesellschaft wollen wir Kirche sein in einer Vielfalt von Frömmigkeitsformen und theologischen Ausrichtungen. Deren Prüfstein besteht freilich darin, inwiefern in ihnen die Begegnung mit dem gekreuzigten und auferstandenen Christus Verkündigung und Lebensform prägt. Gerade in diesem Kriterium weiß ich mich mit dem Erzbischof von Canterbury einig.

Wir sind ferner miteinander davon geprägt, dass auch in einer plural gewordenen Gesellschaft unser Dienst als Kirchen der ganzen Gesellschaft und allen ihren Gliedern gilt; wechselseitig bestärken wir uns in dieser Zuwendung zu allen Menschen.

Wir sind deshalb von der Überzeugung bestimmt, dass wir den großen Herausforderungen unserer Zeit nicht ausweichen können. Die elementaren Fragen der persönlichen Lebensführung gehören dazu ebenso wie die Herausforderungen, die sich aus der Entwicklung moderner Wissenschaften, vor allem der Lebenswissenschaften, ergeben. Das lebendige Gespräch mit der zeitgenössischen Kultur gehört dazu ebenso wie die Verantwortung für die Würde des Menschen und für ein Zusammenleben in Frieden und Gerechtigkeit.

Miteinander vertreten wir die Einsicht, dass die Einigung Europas nicht nur ein wirtschaftlicher und politischer Prozess ist, sondern dass er kulturelle  wie religiöse Dimensionen hat und auf die Kräfte des Glaubens und der persönlichen Überzeugung angewiesen ist, wenn er gedeihen soll.

Ich benutze den heutigen Tag gern dazu, diese besondere Weggemeinschaft zwischen der Kirche von England und der Evangelischen Kirche in Deutschland ins Bewusstsein zu heben. Wenn das hier im Raum der Universität geschieht, so wird dadurch unterstrichen, dass dieser Prozess der akademischen Vertiefung bedarf. Der jungen Generation müssen die Erfahrungen und Einsichten eröffnet werden, die nötig sind, damit dieser Weg weiter gegangen werden kann. Deshalb verstehe ich den heutigen Festakt als ein Zeichen, das über den Tag hinausweist.

In die Zukunft weist unsere gemeinsame Absicht, den Austausch von Studierenden, von Vikarinnen und Vikaren, auch von Pfarrerinnen und Pfarrern zu verstärken. Für all das liegt eine wichtige Voraussetzung darin, dass es uns auch auf deutscher Seite gelingt, für die theologischen Fakultäten die Stabilität und Ausstrahlung zu bewahren, die sie um ihres Auftrags willen brauchen.

In die Zukunft weist natürlich insbesondere  die Persönlichkeit  dessen, der heute mit dem Doktor der Theologie ehrenhalber ausgezeichnet wurde: ein Mensch, der als theologischer Lehrer wie als Bischof und Erzbischof junge Menschen in seinen Bann zieht und uns heute die Vision eines ökumenischen Bischofs vorlebt. Wir danken an diesem Tag für das Beispiel eines Menschen, der aus dem reichen Schatz vergangener Jahrhunderte schöpft, mit beiden Füßen in der Gegenwart steht und mit Zuversicht auf die Zukunft schaut, auch und gerade auf die Zukunft des kirchlichen  Zeugnisses.  Wir danken ihm dafür und erbitten für ihn Gottes Segen.