50 Jahre Wort zum Sonntag - Wie sieht die Zukunft aus?

Wolfgang Huber

Es gilt das gesprochene Wort.

1.
Medienarbeit heißt, nach vorne zu schauen. Auch ein Jubiläum steht unter der Frage, wie es weitergeht. Aber gerade wenn man noch vorn schaut, und mehr noch, wenn man nicht nur nach vorn schauen, sondern vor allem weiter gehen will, ist es gut, sich der Weggefährten zu vergewissern. Deshalb steht auch für mich der Dank vornean. Ich danke den Verantwortlichen der ARD, die nun ein halbes Jahrhundert das Ihre zu diesem Markenzeichen beitragen; für sie alle nenne ich stellvertretend  den Intendanten Jobst Plog. Und ich danke den Vertreterinnen und Vertretern der Kirchen, mit denen zusammen wir diese legendäre Sendung gestalten.
Legendär nenne ich diese Sendung. Denn legendär ist etwas, zu dem viele gehören wollen, aber nicht gehören können. Legendär ist das Wort zum Sonntag. Denn ich kenne viele, die gern Sprecherinnen und Sprecher des Worts zum Sonntag sein wollen, aber es nie geworden sind. Auch ich selbst durfte nur einmal zum Buß- und Bettag sprechen, vor bald dreißig Jahren – aber das „Wort zum Sonntag“? Nie. Es ist eben legendär.

2.
Medienarbeit heißt, nach vorne zu schauen. Wie geht es nach 50 Jahren weiter mit dem Wort zum Sonntag?

Ich bin zuversichtlich, dass das „Wort zum Sonntag“ seinen Platz halten wird. Ich bin sicher, dass diese Sendung ihr Profil weiter entwickeln wird. Denn für die Zukunft dieser Sendung wird entscheidend sein, wie es ihr gelingt, Neues zu wagen und dabei ihre Identität zu bewahren. Das hat auch schon in der Vergangenheit die Qualität des „Worts zum Sonntag“ ausgemacht. Neues zu wagen und die eigene Identität zu bewahren: wie das gehen kann, haben gerade die jüngsten Reformen gezeigt, über die Kardinal Lehmann gesprochen hat.

Dabei wird es auch in Zukunft bleiben müssen.  Die Bereitschaft zur Veränderung darf nicht aufhören, wenn das Erreichte nicht erstarren soll. Das „Wort zum Sonntag“ ist eben kein Aufruf zur „same procedure as every year“. Wer das behauptet, hält sich nur an die lange Lebensdauer, ohne den Inhalt wirklich zur Kenntnis zu nehmen. Denn der Inhalt hat es, recht betrachtet, mit der Zusage zu tun, dass unser menschliches Leben neu und anders werden kann. Gott schenkt das Leben, jeden Morgen ist es neu. Das Alte ist vergangen, siehe alles ist neu geworden. Siehe ich, mache alles neu. Das ist der Grundton der biblischen Botschaft, auf die sich Sprecherinnen und Sprecher des Wortes zum Sonntag einlassen, einmal in der Woche, für vier Minuten, seit fünfzig Jahren.

3.
Erzählen Sie mir doch bitte von einem anderen Beispiel dafür, dass eine Vier-Minuten-Sendung, einmal in der Woche ausgestrahlt, überhaupt des Aufhebens wert ist. Der Grund kann nicht in der Sendung liegen, sondern nur in der Botschaft: Immer wieder neu ist das Leben, ein großes Geschenk. Was vergeht, hat nicht das letzte Wort, denn Gott schafft Neues.

Das menschliche Leben neu zu deuten, einen anderen Blick darauf zu wagen, darum wird sich das Wort zum Sonntag weiterhin bemühen. In diesem durchaus nicht konservativen, sondern innovativen Sinn haben die Reformen, die diese Sendung durchlaufen hat, immer wieder hervorgehoben, was der unverrückbare, gleich bleibende Kern des Wortes zum Sonntag ist: Ein Mensch erzählt vier Minuten lang aus seinem Glauben etwas in das Leben der Menschen hinein – und zwar so, dass jede einzelne Zuschauerin, jeder einzelne Zuschauer merken kann: Die Sache mit Gott geht Dich an. Auch wenn Du noch gar nicht weißt, ob es Dir um Gott geht, steht trotzdem fest, dass es Gott um Dich geht! Tua res agitur! Um deine Sache geht es – um Gottes willen.

Darin liegt der theologische Kern – ein anspruchsvolles Wort, ich weiß – des Wortes zum Sonntag. Aber es ist doch so: Persönliche Worte gewinnen heute wieder an Gewicht, auch im Fernsehen. Dass hier ein persönliches Wort über den eigenen Glauben an Gott gewagt wird, begründet die besondere Bedeutung dieser Sendung und damit auch ihre Sonderstellung. Es gab Zeiten, in denen Zweifel daran geäußert wurden, ob das im Fernsehen geht. Solche Zweifel sind ausgeräumt. Aber besser machen kann man das natürlich – immer wieder. Und deshalb ermutige ich ausdrücklich daran, immer wieder neue Formen zu suchen. Doch der Sinn dieser Formen besteht darin, dass der Kern deutlicher erkennbar – und nicht etwa schwächer – wird.

Denn dieser Kern ist notwendig. Er ist es für unsere Gesellschaft. Die Gesellschaft lässt das Wort mit seinem Kern nicht nur zu. Mehr noch: Sie sucht dieses Wort; in unserer Gegenwart und in der vor uns liegenden Zukunft sucht sie es sogar stärker als in den vergangenen Jahrzehnten. Die Menschen suchen wieder nach dem, was ihnen im unübersichtlichen Zeitgeschehen und in den globalen politischen Spannungen Halt gibt. Bei aller akzeptierten Vielfalt und bejahten Weltoffenheit suchen sie nach ihrer geistigen Heimat, nach ihren spirituellen Wurzeln. Und wo erhalten sie im Fernsehen dabei mehr Hilfe als beim „Wort zum Sonntag“?

4.
In vier Minuten werden sie in eine Suchbewegung hineingenommen. Denn auch die Sprecherinnen und Sprecher des Wortes zum Sonntag sind Suchende. Sie geben nicht vor, etwas anderes zu sein. Zwischen Nachrichten und Spielfilm wird der Zuschauer nicht als Konsument behandelt, der sich alles Mögliche anschauen kann. Nein: der Mensch vor dem Bildschirm wird von dem Menschen auf dem Bildschirm als Partner in einem offenen Gespräch angesehen. Das Wort zum Sonntag bietet dafür eine eigene Perspektive an. Es bietet Orientierung auf der Suche. In aller Freiheit. Aber die Ausrichtung ist klar. „Orientierung“ heißt nun einmal: Ausrichtung auf die aufgehende Sonne, also nach Osten, nach Jerusalem, zum Ort der Kreuzigung und Auferstehung Jesu. Dorthin wendet sich, wer im Namen Jesu betet. Deshalb sind unsere Kirchen geostet, orientiert. Ab und an darf das auch im Fernsehen deutlich werden. Die religiöse und kulturelle Pluralität unserer Gesellschaft wird damit nicht geleugnet. Sondern in dieser Pluralität wird Orientierung angeboten.

Wer das Wort zum Sonntag spricht, erzählt von seinem eigenen Glauben, von seinen persönlichen Zweifeln und Gewissheiten. Den Zuschauerinnen und Zuschauern bleiben Offenheit und Freiheit für eigenes Nachdenken. Inhaltliche Klarheit und freier Zugang zusammen sind den Kirchen besonders wichtig. Denn nur so entsteht ein Dienst der Kirchen an der Gesellschaft. Auch wenn sich seine Form immer wieder ändert, wird das Wort zum Sonntag doch öffentliche Seelsorge bleiben – und deshalb eine Mischung von Kommentierung des Zeitgeschehens aus christlicher Sicht und seelsorgerlicher Zuwendung zu denen, die diese Zuwendung gerade besonders brauchen. Im Fernsehen kann man sich diese Zeitgenossen bekanntlich nur vorstellen; aber das schließt nicht aus, dass man sie erreicht. Auch für die Zukunft erhoffe ich mir, dass das Wort zum Sonntag die Menschen seelsorgerlich anspricht und missionarisch ansagt, was an der Zeit ist.

Es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die Tagesschau und das Wort um Sonntag die ältesten Sendungen im deutschen Fernsehen sind: der berichtende Blick auf die Welt und der kommentierende, deutende, persönliche und suchende Blick. Manchmal wird dieser Verbindung zu einer beklemmenden Last. Keine Katastrophe bleibt uns länger als einige Augenblicke verborgen. Was sagt man im Fernsehen nach einer Flutkatastrophe, zu einem Kriegsgeschehen, nach einem Terroranschlag? Im Wort zum Sonntag wird in solchen Fällen ein sorgfältig erarbeitetes Manuskript zur Seite gelegt und die Herausforderung angenommen. Aktuelle Geschehnisse werden in ihrer Tiefe ermessen und in ihrer Wirkung für die einzelnen wahrgenommen. Das ist möglich, weil das Wort zum Sonntag Gott in das öffentliche Bewusstsein ruft. Das hilft Sprecherinnen und Sprechern auch dabei, die weitere Aktualität ins Gespräch zu bringen und vor Gott zu stellen, dessen Gegenwart in jedem Ereignis für Menschen aktuell werden kann.

Die zusätzliche Dimension, die bei solchen Gelegenheiten wirksam wird, nennen manche evangelische Medienschaffende die „fünfte Wand“. Das Wort zum Sonntag wird weiterhin diese fünfte Wand in die Öffentlichkeit bringen. Dadurch wird es dazu beitragen, den Glauben am Leben zu halten. Das ist sinnvoll für die Menschen und für unsere Gesellschaft. Es ist oft eine schwere Aufgabe, und sie braucht viel Zeit, Zeit, die man in einem modernen, durchgeplanten, fließenden Programm gar nicht mehr gewohnt ist. Vier Minuten. Aber für diese Form der Aktualität muss ich sagen: Meine Damen und Herren, so viel Zeit muss sein. Vielen Dank.