Festansprache zum Konzert zugunsten der Welthungerhilfe im Berliner Dom

Wolfgang Huber

Ablauf:

Orgelmusik (3-5 min)
Begrüßung der Ehrengäste und Anwesenden (Hünerbein)
Festansprache (Huber)
Ansprache der Vorsitzenden der Welthungerhilfe (Fr. Schäuble)

A- capella Konzert der „Lords of the Chords“ (geistl. und weltl. Musik aus 5 Jh.)

Sehr geehrte Frau Schäuble,
sehr geehrte Damen und Herren,
verehrte festliche Versammlung

Die Kunst und das Helfen, musikalische Nahrung und der Einsatz zur Überwindung des Hungers, geistliche wie weltliche Musik und Welthungerhilfe – das führt uns heute zusammen. „Konzerte für eine Welt ohne Hunger“ – so heißt das Programm der Welthungerhilfe, das uns heute hier im Berliner Dom zusammenführt. Über vierzig Jahre ist die Welthungerhilfe inzwischen alt, 1962 zunächst unter dem Namen „Deutscher Ausschuss für den Kampf gegen den Hunger“ gegründet. Wenige Jahre zuvor, im Dezember 1959 war die evangelische Aktion „Brot für die Welt“ ins Leben gerufen worden. Dass beides sich ergänzen kann, lässt sich auch daran sehen, dass unsere Kirche – durch ihren Bevollmächtigten am Sitz der Bundesrepublik Deutschland – Mitglied der Welthungerhilfe ist. Denn im Kampf gegen den weltweiten Hunger ist beides nötig: dass wir uns jeweils an unserem Platz einsetzen – und dass wir zusammenwirken. Zusammen mit Kardinal Lehmann bin ich deshalb für eine „Globalisierung der Solidarität“ eingetreten. Diesen Aufruf will ich auch heute Abend erneuern. Denn  wir brauchen eine menschengerechte Entwicklung, die die Armut überwindet und das Los der Menschen lindert, die unter unwürdigen Bedingungen unterhalb oder auch nur am Rande des Existenzminimums leben.

Die internationale Gemeinschaft hat sich durch die Millenniums-Entwicklungsziele dazu verpflichtet, den Anteil der extrem Armen - noch immer verfügen weltweit 1,2 Milliarden Menschen über weniger als einen Dollar täglich! - bis zum Jahr 2015 zu halbieren. Nur mit großen Anstrengungen lässt sich dieses Ziel erreichen. Die Welthungerhilfe  ist  deutsches Mitglied der „Allianz 2015“ und hat sich auf diese Weise die Milleniums-Entwicklungsziele ausdrücklich zu eigen gemacht. Aus meiner Sicht sind dabei vor allem drei Schwerpunkte zu nennen.

Als erstes nenne ich die entschlossene Fortführung der Entschuldung. Die Initiative zugunsten hochverschuldeter armer Länder, die vorfünf Jahren vom Kölner Gipfel ausging, hat Erleichterungen und Fortschritte gebracht. Sie hat jedoch die selbst gesetzten Ziele noch nicht erreicht. Besonders nötig ist heute ein faires und transparentes Schiedsverfahren für überschuldete Länder. Es muss sicherstellen, dass die Lebensinteressen der notleidenden Menschen respektiert werden.

Zweitens wird ohne zusätzliche Finanzmittel das Ziel der Armutshalbierung unerreichbar bleiben. Gewiss muss man dafür auf unterschiedliche Finanzierungsquellen schauen; aber die öffentliche Entwicklungshilfe muss hierfür einen entscheidenden Anteil erbringen. Die deutsche Entwicklungshilfe kann die international zugesagte Quote von 0,33 Prozent des Bruttoinlandsprodukts nur durch eine deutliche Etatsteigerung erreichen. Im Interesse einer solidarischen Welt ist das ein wichtiges Ziel, das nicht aufgegeben werden darf.

Als drittes Handlungsfeld nenne ich schließlich die Gestaltung einer Welthandelsordnung, die geeignet ist, nachhaltige Entwicklung zu unterstützen. Die Entwicklungsländer müssen Zugang zu den Märkten im Norden finden und angemessene Erlöse für ihre Produkte erzielen, wenn die erforderliche Dynamik wirtschaftlicher Entwicklung ausgelöst werden soll.

In diesen Perspektiven setzen wir uns ein für eine verantwortbare Globalisierung, so definieren wir die Spielregeln der "global player": für eine Globalisierung der Solidarität. Als Christen halten wir die Freiheit hoch. Aber wir verstehen unter ihr nicht einfach die Maximierung des eigenen Nutzens, sondern den Einsatz dafür, dass das von Gott zugesagte „Leben in Fülle“ (Johannes 10,10) allen zugänglich wird.

Zwischen Ihrer Arbeit als Welthungerhilfe, verehrte Frau Schäuble, und unserer Arbeit als Kirchen besteht ein tiefer Zusammenhang. Mich beschäftigt immer wieder, dass die biblische Überlieferung dem täglichen Brot eine so höhe Bedeutung gibt: „Unser tägliches Brot gib uns heute“ – so wird rund um den Globus Tag für Tag gebetet. Auch das Heil der Menschen wird im Bild des Brotes erfasst, wenn Jesus nach dem Johannesevangelium sagt: „Gottes Brot ist das, das vom Himmel kommt und gibt der Welt das Leben. ... Ich bin das Brot des Lebens. Wer zu mir kommt, den wird nicht hungern; und wer an mich glaubt, den wird nimmermehr dürsten.“

Beides ist richtig: „Der Mensch lebt nicht vom Brot allein“ – und zugleich: Er ist angewiesen auf das tägliche Brot. Es ist deshalb eine gemeinsame Aufgabe aller verantwortungsbewussten Menschen, Brot zu denen zu bringen, die Hunger leiden, Leben zu ermöglichen, wo Leben gefährdet ist. Deshalb hat unsere Kirche die Aktion „Brot für die Welt“ eingerichtet und deshalb gibt es die Welthungerhilfe.

Zum festen Bestandteil des Auftrags dieser Einrichtungen gehört auch, Menschen mit einzubeziehen, sie zu lehren und beteiligen, wo sie von jeder Beteiligung ausgeschlossen sind. Auf diese Zielrichtung ist das Projekt der Welthungerhilfe ausgerichtet, das im Zentrum des heutigen Abends steht. Es soll Straßenkindern in Tansania im Kigogo Home ermöglicht, ihr Leben aktiv zu gestalten und nicht nur für sich, sondern auch für andere Verantwortung zu übernehmen. Das ist aus meiner Sicht gar nicht hoch genug einzuschätzen. Die christliche Überzeugung sagt, dass in jedem als Gottes Ebenbild geschaffenen Menschen Potentiale liegen, die darauf warten, fruchtbar gemacht zu werden. Die Befähigung dazu, von diesen Potentialen Gebrauch zu machen, ist die unabdingbare Voraussetzung für jede noch so beginnende Form der Selbstverantwortung; sie aber ist die Grundlage eines selbstbestimmten Lebens.

Wenn wir für Menschen in der Dritten Welt ein selbstbestimmtes Leben erhoffen, dann erfordert dies zweierlei zugleich: eine wirtschaftliche Entwicklung, von der sie alle profitieren können, und deshalb zugleich die Bändigung der wirtschaftlichen Kräfte im Geist der Gerechtigkeit.  Gegenwärtig erleben wir, wie das Gefüge einer sozial gebändigten Marktwirtschaft dadurch erschüttert wird, dass die globale Marktwirtschaft sozial überhaupt nicht gebunden und politisch überhaupt nicht geordnet ist. Für die Beteiligungschancen der Menschen ist das eine große Gefahr. Die Frage, wie das Modell einer sozialen Marktwirtschaft auf die globale Ebene übertragen werden kann, ist deshalb eine Schlüsselfrage unserer Zeit. Denn ethisch erträglich wird die Globalisierung nur dann, wenn sie politisch mit den Maßstäben von Gerechtigkeit und Solidarität verträglich gemacht wird. Davon sind wir derzeit weit entfernt. Wir brauchen eine Globalisierung der Solidarität.

Weltweite Solidarität, so will ich in diesem Kirchenraum in Erinnerung rufen, ist immer eine Solidarität der Tat und zugleich eine Solidarität des Gebets. Es gibt auf diese Welt eben nicht nur „global player“, sondern auch „global prayer“. Ich bin fest davon überzeugt, dass für eine gerechte Zukunft dieser einen Erde nicht nur die Perspektive der „global player“, sondern ebenso diejenige der „global prayer“ wichtig ist. Deshalb will ich schließen mit zwei Versen eines Liedes, das diese weltumspannende Bedeutung des Gebets zum Ausdruck bringt. In diesem Lied heißt:

Denn unermüdlich, wie der Schimmer
des Morgens um die Erde geht,
ist immer ein Gebet und immer
ein Loblied wach, das vor dir steht.

Die Sonne, die uns sinkt, bringt drüben
den Menschen überm Meer das Licht:
und immer wird ein Mund sich üben,
der Dank für deine Taten spricht.

Zum Dank haben wir gerade in unserem Land viel Anlass; fünfzehn Jahre nach dem Fall der Mauer gilt das ganz besonders. Deshalb hoffe ich, dass aus diesem Dank auch die Tat wächst. Über allen Sorgen, die zu betonen wir nicht müde werden, sollten wir die Freude nicht vergessen über das, was uns geschenkt wurde. Freude aber ist die beste Wurzel der Solidarität. Möge der heutige Abend uns Freude machen und so die Solidarität stärken.