Wie viel Ethik brauchen Public Relations?

Wolfgang Huber

Berlin

Vortrag beim Kongress der Pressesprecherinnen und Pressesprecher

Es gilt das gesprochene Wort!

Gibt es eine ethische Verantwortung von Pressesprecherinnen und Pressesprechern? Von mir werden Sie keine andere Antwort als ein rundes Ja erwarten. Diese Antwort wird Sie zunächst, zumal nach einer mutmaßlich langen Speakers Night, weder aus Ihren Träumen noch von Ihren Sitzen reißen. Die Antwort wird Sie aufs erste auch deshalb nicht weiter beunruhigen, weil die ethische Verantwortbarkeit dessen, was Sie mitteilen, in der Regel bei denen liegen wird, deren Sprecher Sie sind. Pressesprecher sind wie Pontius Pilatus. Sie „waschen ihre Hände in Unschuld“.

I.
Freilich ist bekannt, dass man mit Nachrichten auf unterschiedliche Weise umgehen kann. Man kann Sie beispielsweise  durch das Umfeld prägen, in das man sie stellt. Dafür ein Beispiel – vom eigenen Leibe sozusagen.
Nachdem die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland vor einem Jahr in Trier einen neuen Vorsitzenden des Rates gewählt hatte, versorgte die Pressestelle der EKD selbstverständlich alle Redaktionen bundesweit mit den Angaben über das Wahlergebnis und mit Informationen über die Biographie des gerade eben Gewählten. Genauso selbstverständlich wurde der neue Vorsitzende am Tag der Wahl vom Pressesprecher der EKD zu den insgesamt 28 Interviews vornehmlich mit Journalistinnen und Journalisten aus Rundfunk und Fernsehen begleitet. Am nächsten Tag richtete sich die Aufmerksamkeit dann darauf, was die Printmedien von all dem aufgenommen hatten. Die Kenner meldeten Erfreuliches. Allein die auflagenstärkste Tageszeitung in Deutschland schien die Wahl übersehen zu haben. So zumindest auf den ersten Blick. Erst beim zweiten Durchblättern der BILD-Zeitung wurde die Nachricht entdeckt, nämlich in allernächster, geradezu aufdringlicher Nähe zum täglichen Blickfang dieser Zeitung. Geradezu penibel zeichnete der äußere Rand des Artikels die Konturen der jungen Dame nach, die an diesem Tag die männliche Leserschaft von BILD zum Kauf animieren sollte. Aus allzu großer Scheu oder langer Gewöhnung hatten die Betrachter die Meldung in diesem Umfeld zunächst übersehen.

Der Pressesprecher war die erste Anlaufstelle für eine erstaunte Rückfrage. Seine Erläuterung, dass der Platz direkt neben einem solchen Blickfang doch nicht schlecht sei, überzeugte ihn wohl nicht einmal selbst. Wie sonst wäre zu erklären, dass er noch am selben Tag bei der Redaktion der BILD-Zeitung anrief um zu fragen, was um alles in der Welt die Blattmacher zu einer solchen Nähe von Busen und Bischof veranlasst hatte. Ob es angemessen sei, so hatte er mit moralisch leicht erhobener Stimme gefragt, dass ein Ratsvorsitzender neben einer wenig bekleideten Frau abgebildet werde. Und mehr noch: Wenn diese nackte Frau nicht um der Ästhetik willen, erst recht nicht um einer wichtigen Nachricht willen, sondern rein zu Zwecken der Verkaufsförderung hüllenlos präsentiert und der Ratsvorsitzende ihr als Garnitur hinzugefügt werde, sei dies inakzeptabel.  Nicht einmal dem Anschein nach sei es zu hinzunehmen, dass der Ratsvorsitzende der EKD verwendet werde, um dergleichen zu sanktionieren.  Für diesen Einwand zeigte bei einem späteren Gespräch auch der Chefredakteur Verständnis. Freilich ist, wie jeder weiß, das Verständnis nach getaner Tat nur von begrenztem Wert.

II.
In den letzten Jahren sind Pressesprecher und Pressesprecherinnen wie Pilze aus dem Boden geschossen. Damit haben die gesellschaftlichen Akteure auf eine total veränderte Medienlandschaft reagiert. Die Kirchen haben diese neue Situation im Jahr 1997 in ihrem „Gemeinsamen Text“ (Nr. 10) „Chancen und Risiken der Mediengesellschaft“ folgendermaßen beschrieben: „Die öffentlich zugängliche Information und Kommunikation hat innerhalb der letzten Dekade explosionsartig zugenommen und wächst weiter in hohem Tempo. Besonders auffällig wird dies an der um den Faktor zehn bis zwanzig vermehrten Anzahl von Radio- und Fernsehprogrammen. Erhebliches Wachstum gab es aber auch bei anderen Medien, vor allem bei der Zahl der Publikumszeitschriften, bei Videos und Tonträgern, beim Nachrichtenangebot über Agenturen und Dienste, beim Informationsangebot über das Internet, Datenbanken, Mailboxen und Online-Dienste, bei Computer-Software und -spielen.“

Sieben Jahre später kann man diese Beschreibung nur bestätigen. Die „explosionsartige“ Zunahme hat sich beschleunigt.  Doch die Basis für einen gemeinsamen Informationsstand der Menschen hat damit abgenommen. Denn zum einen gibt es kaum noch gemeinsame mediale Bezugspunkte. Konnte der Benutzer des öffentlichen Nahverkehrs vor einem Jahrzehnt noch damit rechnen, dass er auf dem Weg zur Arbeit mit dem Nachbarn, falls beide wollten, leicht über die Fernsehsendung des Vorabends ins Gespräch kommen konnte, wird er heute schon weit über sein Fahrziel hinausgefahren sein, bevor er im ganzen Waggon einen Passagier entdeckt hat, der dieselbe Sendung wie er gesehen hat. Viele Agenturen und Medien wollen heute zugleich bedient sein, wenn man eine Nachricht wirklich unter die Leute bringen will. Und zugleich  gewinnt man den Eindruck, dass die Plätze für klassische Informationen und für Nachrichten immer knapper werden. Wer nicht nur ein speziell interessiertes Publikum erreichen will, hat immer weniger Raum zur Verfügung. Denn der Kampf um Aufmerksamkeit bedient sich des Mittels der Unterhaltung. Auch Nachrichten werden dann am ehesten untergebracht, wenn man sie in einen unterhaltsamen Kontext rückt: Der Bischof neben dem Busen. Infotainment oder Politainment heißen die Stichworte.

Sie machen die Arbeit der Nachrichtenvermittlung spannend und schwer zugleich. Personen sind die Nachricht. Pressesprecher haben immer stärker die Aufgabe, Personen zu vermitteln. Die Inhalte kommen in zweiter Linie. Die reine Information reicht nicht mehr zu. Weil die Medien Informationen nahezu nur noch unterhaltsam anbieten, entsteht letztendlich unter den Pressestellen auch ein Wettbewerb um die beste Verpackung für eine Nachricht. Die Frage nach der Macht der Bilder spielt auch häufig in die Berichterstattung über Glaube und Religion und in den Vergleich der Kirchen hinein. Das Interesse nach bunten Bildern und einer gelungenen Verpackung steckt beispielsweise hinter dem gut gemeinten Rat mancher Fernsehredakteure, dass der schwarze Talar und der wortlastige Gottesdienst der Evangelischen nicht wirklich fernsehtauglich sei. Im Mittelpunkt – das möchte ich zuerst einmal feststellen, nicht bewerten – steht der Wunsch, dass Information so verpackt wird, dass der Fernsehzuschauer nicht weg zappt, der Radiohörer nicht umschaltet und der Zeitungsleser weiter liest. In diesem Wettbewerb sind die Pressesprecher ein Teil: Letztendlich ist durch die Informationsflut wie durch die Verknüpfung von Information und Unterhaltung ein Wettbewerb darüber entstanden, welche Information bis zum Medienendverbraucher durchdringt.

Wie soll dabei Aufklärung über komplexe Sachverhalte, Verständnis für konkrete Vorschläge, Einsicht in unabdingbare Notwendigkeiten entstehen? Kommunikationsfehler werden zu Fehlern in der Sache selbst. „Handwerkliche Fehler“ heißt dafür der gängige Ausdruck. Von der Bundesregierung beispielsweise wird er beinahe wöchentlich verwendet, zuletzt nach dem Desaster mit dem Vorschlag, den 3. Oktober als Tag der Deutschen Einheit zu streichen. Ein Vorschlag war das, der wie mit geheimer Hand exakt auf die Tage gelegt wurde, in denen sich die Nation eigentlich hätte darüber freuen sollen, dass vor fünfzehn Jahren die Mauer in Berlin fiel. Einmal mehr gelang es, Freude durch Frust zu übertönen.

Eine weitere Spannung entsteht aus der globalen Vernetzung moderner Kommunikationsmedien: Einerseits konstituieren die Medien eine Weltöffentlichkeit, die Menschenrechtsverletzungen an entlegensten Orten der Erde bewusst machen kann; anderseits bildet diese weltweite Vernetzung ein Instrument, das sehr leicht gegen Humanität, gegen Menschenwürde, gegen die Integrität der Privatsphäre instrumentalisiert werden kann. Das weltweite Netz ist durch Unkontrollierbarkeit und Anonymität geprägt. Die Folgewirkungen der neuen Kommunikationstechniken sind – wie die jeder Technik – ambivalent und erfordern die Anstrengung einer menschendienlichen und sozialverträglichen Gestaltung.

III.
Dabei zeigt ein Blick in das tägliche Programmangebot des Fernsehens oder auf die Auslagen von Bahnhofsbuchhandlungen, was Menschen vordringlich bewegt. Die Medienprodukte zur Lebenshilfe, zur aktiven Lebensgestaltung, zu Sinnenfreude und Genuss, für unterschiedlichste Hobbies und mannigfaltige Interessen sind Legion. Die Sehnsucht des Menschen nach Leben, nach Angenommensein, nach Wertschätzung und Achtung ist riesengroß. Der Wertewandel von Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu persönlichen Neigungen und Interessen, verbunden mit dem Ziel individueller Selbstentfaltung, bringt bei allen Verschiebungen doch auch eine anthropologische Konstante zum Ausdruck: Menschen wollen in ihrem Leben vorkommen, sie suchen ihren Platz im Leben und sehnen sich nach einer erfüllten Existenz. Je weniger sie traditionsgeleitete Antworten auf die Frage nach Sinn und Ziel ihres Lebens einfach übernehmen, desto mehr sehen sie sich vor der Aufgabe, für die Antwort auf diese Fragen selbst einzustehen. Dazu brauchen sie Ich-Stärke. Diese aber bildet sich nicht von allein. Menschen haben Selbstvertrauen, weil sie von anderen akzeptiert werden. Menschen wollen wahrgenommen werden. Andere müssen ihnen etwas zutrauen, wenn ihr Leben einen Sinn haben soll.

Ob Menschen sich ernst genommen fühlen, entscheidet auch in hohem Maß darüber, ob sie Vertrauen entwickeln. Ob sie Personen als vertrauenswürdig ansehen, entscheidet wiederum in hohem Maß darüber, ob sie deren Aussagen akzeptieren. Die Kommunikationskrise, die wir nach meiner persönlichen Einschätzung gegenwärtig in Deutschland erleben, ist in ihrem Kern eine Vertrauenskrise. Sie durchzieht viele gesellschaftliche Bereiche. Die Medien, um mit ihnen zu beginnen, sehen sich Vorbehalten ausgesetzt, weil Einschaltquoten, Absatzzahlen und Anzeigenerlöse den Vorrang vor Inhalten haben. Die Wissenschaft  steht in der Kritik, weil die Frage nach der Verwertbarkeit wissenschaftlicher Ergebnisse  die Verantwortung des Wissenschaftlers verdrängt. In der Wirtschaft reagieren die Vierteljahresbilanzen; sie geben nicht darüber Auskunft, was zum Abbau von Arbeitslosigkeit geschah, sondern nur darüber, ob die Arbeitskosten gesenkt und die Gewinnmargen erhöht werden konnten. Wenn Manager sich selbst üppige Gehaltserhöhungen genehmigen und zugleich Lohnsenkungen durchsetzen, trägt dies ebenso zum Vertrauensverlust bei. Die Kirchen haben auf die Säkularisierung der Gesellschaft in erheblichem Umfang mit einer Selbstsäkularisierung  reagiert und erst spät bemerkt, dass dadurch das Vertrauen in ihre Kernkompetenz gesunken ist: nämlich ein Raum für das Heilige zu sein, die Fähigkeit zu Glauben und Gebet zu erneuern, Menschen in der Mitte wie an den Grenzen ihres Lebens beizustehen. Die Politik hat überfällige Probleme lange vor sich hergeschoben; die Maßnahmen, die sie jetzt ergreift, gelten oft in dem Augenblick schon als überholt, in dem sie beschlossen werden. Sie stellt die Nachhaltigkeit ihres Handelns nicht zuletzt durch das Ausmaß in Frage, in dem heutige Probleme auf Kosten künftiger Generationen gelöst werden. Die Staatsverschuldung ist dafür der äußere Indikator.

In einer solchen Situation reicht es nicht aus, dass getroffene Entscheidungen richtig verkauft werden. Es müssen eben auch die richtigen Entscheidungen sein. Es müssen Entscheidungen sein, die Vertrauen aufbauen statt zu zerstören. Es müssen Entscheidungen sein, die auf plausible Ziele gerichtet sind und deshalb auch erklärt werden können. Die Ethik der PR hat es also in erster Linie mit der Frage zu tun, ob ethisch verantwortet werden kann, was vermittelt werden soll. Gewiss muss ein Pressesprecher loyal zu seinem Auftraggeber stehen und dessen Entscheidungen vertreten. Aber intern muss er auch darauf aufmerksam machen, dass und warum eine Entscheidung gar nicht zu vermitteln ist. Und zu dem Mut, den dieser Beruf erfordert, gehört auch der Mut zum Widerspruch – in extremen Fällen auch auf Kosten des Jobs. In solchen Fällen heißt dann die Antwort auf die Frage, wie viel Ethik PR brauche: sehr viel. Ohne Zivilcourage lässt sich dieser Beruf nicht wahrnehmen.

IV.
Etwas ironisch habe ich zu Beginn Pressesprecherinnen und Pressesprecher in die Nähe des Pontius Pilatus gerückt und als Menschen bezeichnet, die „ihre Hände in Unschuld waschen“. Ernsthafter ist der Bezug dadurch, dass die „Pilatusfrage“ auch die Frage von Pressesprecherinnen und Pressesprechern ist. Die „Pilatusfrage“ heißt bekanntlich: „Was ist Wahrheit?“  Wenn es eine ethische Pflicht von PR gibt, dann ist es die Pflicht zur Wahrheit. Aber „was ist Wahrheit?“

„Es muss wahr sein, denn es ist gedruckt; denn ich höre den Hahn auf seinem Miste krähen.“ Der Volksmund hat schon immer gewusst, was die Soziologie erst spät entdeckt hat: Wenn Menschen etwas als wirklich anerkennen, dann ist es wirklich. Wenn man genügend Menschen von einer Aussage überzeugt, dann ist sie wahr – unabhängig davon, ob man dabei der Wahrheit nur „ein Mäntelchen umgehängt“ oder „eine Nase gedreht“ hat. Das tief ironische Verhältnis zwischen Macht und Wahrheit ist das Los von Pressesprecherinnen und Pressesprechern. Ethik brauchen sie, damit diese Ironie nicht zum Zynismus wird. Das beschädigt nämlich nicht nur die Wahrheit, sondern vor allem sie selbst. Aber dass Wahrheit „übersetzt“ werden muss, wird auch der größte Wahrheitsfreund nicht leugnen können.

Manchmal verselbständigt sich freilich das Übersetzen so, dass es seine eigene Wahrheit entwickelt. Paul Watzlawick hat das an einer Anekdote aus dem Ersten Weltkrieg verdeutlicht.

Der Kommandant einer österreichischen Einheit hatte den Befehl, Repressalien gegen ein albanisches Dorf durchzuführen, falls die Dorfbewohner sich den österreichischen Forderungen nicht unterwarfen. Doch keiner der Soldaten sprach Albanisch, und die Bewohner des Dorfes verstanden keine der Sprachen, die in der k. und k. Armee gesprochen wurden. Endlich fand sich ein Dolmetscher – ein Mensch, dessen praktischer Sinn noch ausgeprägter war als seine Sprachkenntnisse. Kaum einen Satz in dem ganzen langen Palaver übersetzte er, wie er später gestand, wahrheitsgetreu. Vielmehr erzählte er jeder der beiden Seiten nur das, was sie von der anderen zu hören bereit war, schob hier eine kleine Drohung, dort die Andeutung eines Versprechens ein, bis schließlich beide Seiten einander so vernünftig und fair fanden, dass Frieden einkehrte. Der österreichische Offizier sah keinen Grund mehr für Repressalien; die Dorfbewohner aber wollten ihn erst gehen lassen, nachdem er gewisse Abschiedsgeschenke angenommen hatte, von denen er wiederum glaubte, es handle sich um freiwillige Wiedergutmachungen.

Wahrheit ist, was Wahrheit erzeugt. Wahrheit ist nicht unabhängig von der Situation. Diese Einsicht spricht auch aus Watzlawicks Anekdote, von der man wiederum sagen muss: Wenn sie nicht wahr ist, so ist sie doch gut erfunden. Sie erzählt von der Kunst des Dolmetschens, das unterschiedliche Wirklichkeiten miteinander ins Gespräch bringt. Solche Kommunikation ist lebensnotwendig. Wo Menschen nicht mehr miteinander reden oder reden können, ist der Frieden gefährdet. Nicht immer geht es beim Dolmetschen um Tod oder Leben. Dennoch stellt sich jedes Mal aufs Neue die Frage, wie menschliches Miteinanderleben gerade angesichts von Konflikten und Konkurrenzsituationen gelingen kann. Angesichts der Brüchigkeit, der Kompliziertheit und Dynamik sozialer Wirklichkeiten grenzt es manchmal an ein Wunder, wenn Beziehungen und Begegnungen gelingen. Möglich ist das nur – das sahen wir schon – wo Vertrauen entsteht und gepflegt wird. PR ist Vertrauensarbeit. Wo sich herumspricht, dass jemand der Wahrheit nicht die Ehre gibt, wird er auch kein Vertrauen finden.

Zu Vertrauensverlusten kommt es, wenn sich einer der Partner dem moralischen Grundkonsens entzieht oder ethischen Minimalansprüchen nicht genügt. Aus solchen Vertrauensverlusten entsteht Misstrauen; das führt unweigerlich zu Informationsverlusten. Vertrauen wird freilich in allen Lebenslagen nur auf Zeit gewährt; Vertrauen wird auf Bewährung gegeben. Wer Vertrauen enttäuscht, wird es nur schwer wieder gewinnen. Vertrauen verdient der Pressesprecher als Dolmetscher zwischen seinem Auftraggeber und den die Öffentlichkeit vertretenden Journalisten nur, wenn er sich der Wahrheit verpflichtet weiß und wenn ihm  bewusst ist, dass jedem Vertrauen die kritische Wachsamkeit korrespondiert – die kritische Wachsamkeit von Auftraggebern genauso wie von Adressaten seiner Arbeit. Und nur wenn sich der Mittler zwischen diesen beiden Welten seiner Rolle bewusst ist, wird er sich auch nicht von einer der beiden Seiten zur Unwahrheit überreden oder gar verführen lassen.

Beschlüsse von Vorständen, Räten oder Regierungen so aufzuarbeiten, dass Journalistinnen und Journalisten das Wesentliche entdecken und der Öffentlichkeit zugänglich machen können, ist Übersetzungsarbeit. Aus mitunter  langatmigen Sitzungen und Beratungen die wichtigsten Ergebnisse heraus zu filtern und an die Medien weiter zu geben, ist der unausschöpfbare Vorgang des Dolmetschens. Einen von Redaktionen zum Skandal erhobenen Missstand ins rechte Licht zu rücken, bedarf der Anstrengung der Interpretation, der Hermeneutik. Pressestellen sind herausgefordert, nicht aus Schlechtem Gutes zu machen, sondern Fakten so zu interpretieren, dass dies zur transparenten Information und fairen Urteilsbildung der Öffentlichkeit helfen kann. Dabei steht im Vordergrund, was bei jeder journalistischen Arbeit im Vordergrund stehen sollte: Die Würde der Menschen, über die man informiert, zu wahren und sich der Wahrheit verpflichtet zu wissen.

V.
Freilich gilt für Pressearbeit, was auch sonst im Leben gilt. Menschen sind dazu verpflichtet, dass das, was sie sagen, wahr ist; aber sie müssen nicht alles sagen, was wahr ist. Wer Wahrheitspflicht und Geschwätzigkeit verwechselt, hat von der Wahrheit nicht allzu viel verstanden. Oder noch banaler: Wer nach allen Seiten hin offen ist, ist nicht mehr ganz dicht. Gute Kommunikationsarbeit setzt auch die Fähigkeit zum Schweigen voraus.

Damit ist ein Interessenkonflikt angesprochen, der für die Arbeit einer Pressesprecherin oder eines Pressesprechers charakteristisch ist. Ist es Meinung der Gesprächspartner auf der einen Seite, die Öffentlichkeit müsse nicht alles erfahren, haben die Gesprächspartner auf der anderen Seite immer den Verdacht, nicht alles, was wichtig und berichtenswert sei, erfahren zu können. Man kann diesen Interessenkonflikt mit einem Spiel vergleichen – einem Spiel, das nur gelingen kann, wenn der Spieler zwischen den beiden Parteien mit offenen Karten spielt. Wenn rücksichtslose Einzelinteressen, purer Profitsinn ohne jegliches Bedenken der Folgen, eine Pressepolitik des kurzfristigen und kurzatmigen Machterhalts oder ein Gefühl von Ohnmacht und Fatalismus das Vertrauen zerrüttet haben, ist eine Zusammenarbeit kaum noch vorstellbar. In gegenseitigem Vertrauen aber sollte es gelingen, sich offen über die Zusammenhänge zu verständigen, die zu einer Entscheidung, einem Beschluss, einer Situation geführt haben. Diese Verständigung gerade zwischen den berichtenden Redaktionen und den Pressestellen, die ein Unternehmen, eine Partei, einen Verein, eine Regierung oder eine andere Institution nach außen vertreten, benötigt mehr Informationen, als am nächsten Tag in der Zeitung stehen werden. Dem Pressesprecher  sollte mitgeteilt werden, wenn ein Journalist Informationen auch aus anderen Quellen hat. Und der Journalist muss spüren, dass hinter einer Entscheidung oft auch Informationen stecken, die nicht für die Öffentlichkeit gedacht sind. Nur wo solche Informationen vertrauensvoll ausgetauscht werden können, kann Kommunikation gelingen: Der Pressesprecher darf nicht derjenige sein, der Transparenz verhindert. Aber genauso ist er auch auf Transparenz angewiesen. Aber noch einmal: Geschwätzigkeit und Transparenz sind nicht dasselbe.

Pressesprecher gehören üblicher Weise zu den am besten informierten Menschen in einem Unternehmen, einer Einrichtung, einem Ministerium oder eben auch einer Kirche. Der ungehinderte Zugang zu Informationen ist die Kehrseite einer hohen Loyalitätserwartung und Loyalitätspflicht. Ein Pressesprecher muss wissen, worüber er redet – aber auch worüber er schweigt.

Pressesprecherinnen und Pressesprechern ist erst in jüngster Zeit bewusst geworden, worin das eigenständige Profil ihres Berufs besteht. Sie sind weder Journalisten, die irgendwann die Seite gewechselt haben, noch sind sie Fachleute auf dem jeweiligen Spezialgebiet, die ihre Kenntnisse im Bedarsfall auch journalistisch umsetzen können. Pressesprecherinnen und Pressesprecher bilden einen eigenen Berufsstand und haben in der Informationsgesellschaft eine  eigenständige Funktion. Sie haben teil am moralischen Grundkonsens der Gesellschaft; aber sie entwickeln zugleich ein eigenständiges berufliches Ethos, für das Wahrheitspflicht und Loyalität, Informationsbereitschaft und die Fähigkeit zum Schweigen wichtige Eckpunkte bilden.

Möge es nicht nur so sein, dass es über Ihren Berufsstand heißt: „Pressesprecher sind Leute, die dort eine Narbe haben, wo ihr Chef verwundet worden ist.“ (Henry Spangler) Besser wäre es, wenn Pressesprecher wahrgenommen werden als Botschafter und Dolmetscher ihrer Auftraggeber. Dabei sollte die Aufgabe nur selten so tollkühne Übersetzungsarbeit erfordern wie in Watzlawicks albanischem Beispiel. Aber ohne die Arbeit von Pressesprecherinnen und Pressesprechern können Institutionen in der Informationsgesellschaft nicht kommunizieren. Deshalb möge für Sie auch umgekehrt gelten: „Pressesprecher sind Leute, die dort fröhlich sind, wo ihr Chef eine gute Presse hat.“ Sie können dabei auch an den lateinischen Dichter Horaz denken, bei dem es heißt: „Was hindert daran, lächelnd die Wahrheit zu sagen?“ In diesem Sinne wünsche ich Ihnen, dass Sie Ihrem Beruf lächelnd nachgehen können; und für heute wünsche ich Ihnen eine fröhliche Tagung!