Statement des EKD-Ratsvorsitzenden beim Spitzengespräch Kirchen – Sport in Frankfurt

Wolfgang Huber

I.

Sehr geehrter Kardinal Lehmann, sehr geehrter Präsident von Richthofen,

bereits beim letzten Spitzengespräch vor fünf Jahren war der Deutsche Sportbund hier in Frankfurt der Gastgeber. Ich finde es erfreulich, dass es uns gelungen ist, zu einem gemeinsamen Treffen in einem Jahr zusammen zu kommen, das durch eine Vielzahl von Großereignissen im sportlichen wie im kirchlichen Raum geprägt wurde.

Ich denke zum Beispiel daran, dass die Evangelische Kirche auf dem Deutschen Evangelischen Kirchentag in Hannover sich als lebendige Kirche präsentiert hat. Dass hier auch der Sport eine wichtige Rolle spielte, sei es in Foren, Hauptvorträgen oder den „German Popen Open“, den deutschen Pfarrerfußballmeisterschaften, ist da sicherlich kein Zufall.

II.

Die Evangelische Kirche hat bereits seit einigen Jahren erkannt, dass „zwischen Kirchturm und Arena“ manche Parallelen bestehen. In dem Impulspapier „Gestaltung und Kritik. Zum Verhältnis von Protestantismus und Kultur im neuen Jahrhundert“ aus dem Jahr 1999 hat die EKD den Sport als eines der wichtigsten Begegnungsfelder von Protestantismus und Kultur benannt und dazu formuliert: „Der Sport gehört zu denjenigen menschlichen Aktivitäten, die ihrer Natur nach zweckfrei und Teil der menschlichen Muße sein sollten. Er ist eine elementare Form, in der Menschen sich selbst als leibseelische Einheit erfahren und zugleich einander in Kooperation und Konkurrenz begegnen können. Bejaht werden kann die Kultur des Sports so lange, wie seine Grenzen beachtet werden und er sich nicht zum Kult des Körpers, des Siegens und der Gewalt verkehrt.“ Mit diesem Impulspapier wurde ein Prozess initiiert, der über die Denkschrift „Räume der Begegnung. Religion und Kultur in evangelischer Perspektive“ im Jahr 2002 bis zur Eröffnung eines EKD-Kulturbüros in Berlin Anfang des nächsten Jahres führte und der noch nicht zu seinem Ende gekommen ist. Weil Sport nach unserem Verständnis ein wichtiger Teil der Kultur ist, ist er auch im Blick, wenn sich die EKD der Kultur als einem aktuellen Arbeitsschwerpunkt widmet.

III.

Die Evangelische Kirche in Deutschland sieht das Handlungsfeld „Kirche und Sport“ als gesellschaftspolitisch wichtig an, weil auch in der sich wandelnden Gesellschaft beide Bereiche weiterhin einen hohen Stellenwert haben und vielfach vor ähnlichen Problemen stehen: So führt beispielsweise die moderne Dienstleistungsgesellschaft dazu, dass soziale Aufgabenfelder immer mehr ökonomisiert werden. Dadurch wird es immer schwieriger, die vielen gesellschaftlich-kulturellen und sozial-karitativen Aufgaben auszuführen, die die Kirchen als Sozialpartner des Staates übernommen haben. Unter diesen beträchtlichen ökonomischen Druck geraten auch die Sportvereine und damit der gesamte Breitensport. Ich kann mich deshalb der Forderung anschließen, die anlässlich des Spitzengesprächs von Kirchen und Sport in Württemberg Anfang des Jahres erhoben worden ist: „Die Politik ist aufgerufen, die ordnungspolitischen, rechtlichen und finanziellen Rahmenbedingungen so zu gestalten, dass die Kirchen und der organisierte Sport ihre jeweils spezifischen Aufgaben in der Gesellschaft zum Wohl der Bürgerinnen und Bürger auch zukünftig wahrnehmen können.“

Den Parallelen in der gesellschaftlichen Bedeutung entsprechen auch Parallelen in der Organisationsstruktur. Präsident von Richthofen hat deutlich gemacht, wie notwendig, aber auch wie mühsam der Fusionsprozess von DSB und NOK ist. Die Mühen, die Sie dies kostet, kann ich um so besser deshalb nachvollziehen, weil wir uns auf evangelischer Seite in einem vergleichbaren, nicht immer einfachen Prozess befinden. Wir stehen noch ganz unter dem Eindruck der Ereignisse in der letzten Woche, als die Verhandlungen im Rahmen der Strukturdebatte der evangelischen Kirchen in Deutschland zu einem Abschluss gekommen sind. Die Verträge zwischen der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands und der Union Evangelischer Kirchen in der EKD sind am vergangenen Mittwoch unterschrieben werden. Damit ist ein weiterer Schritt hin auf eine noch engeren Zusammenarbeit der 23 in der EKD zusammengeschlossenen Landeskirchen gegangen worden, um Doppelstrukturen abzubauen und in Zeiten finanzieller Engpässe Aufgaben um so konzentrierter wahrzunehmen. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir uns nach der anstehenden Ratifikation der Verträge durch die Gliedkirchen um so mehr auf die inhaltliche Arbeit konzentrieren können.

IV.

Ein zentraler Bereich dieser inhaltlichen Arbeit ist der Bildungsbereich.

Nach der von der EKD im Jahr 2003 veröffentlichten Denkschrift zu den evangelischen Perspektiven zur Bildung in der Wissens- und Lerngesellschaft mit dem Titel „Maße des Menschlichen“ geht es hier nicht allein darum, über Wissen zu verfügen, sondern vor allem darum, es richtig zu verarbeiten und anzuwenden. Das erfordert nicht zuletzt moralisch-ethische Maßstäbe zur Beurteilung des Wissens. Bildung ist darum mehr als Wissen und Lernen. Sie fragt nach dem Selbstverständnis und dem Weltverständnis des Menschen. Die religiöse Dimension darin darf nicht ausgeblendet werden, denn die evangelische Kirche versteht Bildung als Zusammenhang von Lernen, Wissen, Können, Wertbewusstsein, Haltungen und Handlungsfähigkeit im Horizont sinnstiftender Deutungen des Lebens. Gerade in der Lern- und Wissensgesellschaft gewinnen Werteinstellungen und Haltungen an Bedeutung, wenn Mündigkeit das Leitziel bleiben und nicht als Umschreibung lebenslangen Lernens substanzarm ins Leere laufen soll. Ohne eine Orientierung an Werten wird die sich immer schneller ändernde Lebenswirklichkeit mit ihrer Fülle stets neu verfügbaren Wissens zu einer Welt ohne Richtung und ohne Ziel - sie verliert ihr menschliches Maß.

Sinnvolles Leben ist unvorstellbar ohne die Erfahrung, gewollt und wertvoll zu sein. Diese Erfahrung ist an Vertrauen gebunden. Ohne Vertrauen gibt es kein erfülltes Leben. Vertrauen ist notwendig, weil wir uns, um leben zu können, auf eine Zukunft einstellen müssen, die wir nicht vollständig überblicken können. Vertrauen sucht nach Gründen für die Erwartung, dass es mit dieser Zukunft gut gehen wird, dass ihre Risiken sich bändigen lassen, dass Leben gelingt. Es hält sich an die Zusage, dass Gott Gutes mit uns vorhat, und fördert deshalb Verlässlichkeit unter den Menschen.

In der Erneuerung solchen Vertrauens liegt ein zentraler Beitrag der Kirche zum Zusammenleben in der Gesellschaft. In solchem Vertrauen liegt die wichtigste Grundlage für eine Wertorientierung, die in den Unsicherheiten unserer Zeit neue Klarheit vermitteln kann.

Es war deshalb im vergangenen Jahr ein große Freude für die EKD, als das Deutsche PISA-Konsortium in einer Studie den evangelischen Schulen bestätigte, dass sie ihre selbstgesetzten Ziele erreichten, nämlich junge Menschen zu qualifizieren, zu einer umfassenden Sozialerziehung beizutragen und den Glauben zu stärken. Dies tun evangelische Schulen so gut, dass z.B. das Leseverständnis ihrer Schüler größer und der Anteil von Risikoschülern unter ihnen geringer als der bundesdeutsche Durchschnitt.

Doch beziehen sich die Interessen der evangelischen Kirche über die rein evangelischen Schulen hinaus auch auf die nicht-konfessionellen Schulen. Der in Übereinstimmung mit den Grundsätzen der Religionsgemeinschaften erteilte Religionsunterricht gehört in fast allen Bundesländern zum unterrichtlichen Pflichtbereich. Ohne den Religionsunterricht würden viele Heranwachsende in religiösen Dingen sprachlos bleiben. Religion bewahrt und beantwortet die Frage nach Gott und die sie umgebenden Lebensfragen. Diese Fragen sind für eine zeitgemäße Bildung unabdingbar, da sie vor verabsolutierendem Denken und Handeln schützen.

Das ist einer der Gründe dafür, warum ich es für verheerend halte, dass gerade in Berlin ein staatlicher Werteunterricht eingeführt werden soll, der den Religionsunterricht faktisch verdrängen soll. Ich bin froh darüber, dass evangelische und katholische Kirchen an diesem Punkte ganz eng zusammen stehen. Und ich bin froh darüber, dass auch Sie, Herr von Richthofen, sich unserem gemeinsamen Protest angeschlossen haben. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie nahe sich Kirchen und Sport in vielen Bereichen sind.

Umgekehrt bin ich auch froh darüber, dass Sie im Gefolge der Diskussion über die DSB-Schulstudie darauf hingewiesen haben, dass der Sport als wichtiger Teil der Entwicklung von Kindern und Jugendlichen gerade auch im Schulbereich besondere Aufmerksamkeit genießen soll. In evangelischen Schulen jedenfalls wird im Sinne einer umfassenden Bildung der Person auch auf sportliche Schwerpunkte gesetzt. So unterrichtet die Christliche Jugenddorfschule in Berchtesgaden seit Jahrzehnten Hochleistungssportler der deutschen Wintersportverbände.
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Wir als die hier versammelten Partner sollten nicht nachlassen in dem Bemühen, allen Bestrebungen, Religions- und Sportunterricht an den Rand der schulischen Betreuung zu drücken, gemeinsam entgegenzuwirken. Dass hierbei eine „Ganztagsschule – in guter Form“ eine besonders wichtige Rolle spielen kann, möchte ich ausdrücklich betonen.

V.

Gemeinsame Aktionen gibt es auch im Hinblick auf das Sportereignis, das schon jetzt und bis zum Sommer des nächsten Jahres vielfach im Mittelpunkt steht: die Fußball-WM 2006. Natürlich besteht die Sportwelt nicht nur aus Fußball und das Sportjahr 2006 nicht nur aus der WM. Dennoch können und wollen wir dieses Großereignis nicht ignorieren. Die Kirchen wollen mithelfen, dass „die Welt zu Gast bei Freunden“ ist. Es wird zentrale ökumenische Gottesdienste geben, runde Tische von Kirche und Sport haben sich an den Spielorten konstituiert und überlegen, wie dies konkret vor Ort umgesetzt werden kann. Die EKD hat mit der Benennung eines Beauftragten zur Vorbereitung der WM hierzu ein gutes Zeichen gesetzt. In wenigen Wochen wird ein Materialheft erscheinen, dass viele wertvolle Überlegungen, Predigtideen und Gestaltungsvorschläge für die kirchengemeindliche Arbeit enthält.

Im Zusammenhang mit der Weltmeisterschaft möchte ich auf ein weiteres Thema hinweisen. Im letzten Spitzengespräch im Jahr 2000 war das gemeinsame Interesse von Kirchen und Sport am Sonntagsschutz ein wichtiges Thema. In diesem Jahr nun hat der Bundesrat die Bundesregierung aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um eine Aufhebung der Ladenschlusszeiten für den Zeitraum der Fußball-WM 2006 zu ermöglichen. EKD und DBK haben die Bundesregierung bei aller Freude auf die WM gebeten, von einer Freigabe der Öffnungszeiten auch an Sonntagen Abstand zu nehmen. Sie haben vorgeschlagen, die Regelung des Ladenschlussgesetzes zu nutzen, die es bereits jetzt ermöglicht, an vier Sonn- und Feiertagen Ausnahmeregelungen zum Ladenschlussgesetz zu erlassen. Auf diese Weise wäre allen Seiten gedient, jedoch ein Präzedenzfall für die generelle Aufhebung des Sonntagsschutzes vermieden.

VI.

Manchmal sind es aber gar nicht die großen Ereignisse, die Kirchen und Sport zusammenbringen. Auf zwei vergleichsweise kleine, aber bemerkenswerte Aktionen möchte ich zum Schluss hinweisen. Die Evangelische Versöhnungskirche auf dem Gelände der KZ-Gedenkstätte Dachau hat es sich zur Aufgabe gemacht, das Gedenken an die nationalsozialistische Gewaltherrschaft und ihre Opfer wach zu halten sowie immer wieder neue Impulse zur Versöhnung zwischen Völkern und Generationen zu geben. Auf ihre Initiative hin hat die Deutsche Fußball-Liga Anfang des Jahres 2005 alle Vereine der 1. und 2. Bundesliga aufgefordert, am dem Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus folgenden Wochenende mit Durchsagen in den Stadien und Veröffentlichungen in den Stadionzeitungen auf diesen Gedenktag hinzuweisen. Unter dem Motto „Gedenken, um nicht zu vergessen“ wurde an die vielen Sportler erinnert, die im Zuge der Gleichschaltung der Vereine nach dem 30. Januar 1933 aufgrund von Herkunft, Glauben oder Gesinnung ihre aktive Karriere beenden mussten, teils in Konzentrationslager verschleppt und ermordet wurden. Ob sich die Hoffnung der Dachauer Versöhnungskirche auf einen regelmäßigen „Erinnerungstag im deutschen Sport“ als feste Institution erfüllen, wird man sehen müssen. Eines jedoch ist deutlich: dieser Aufruf war ein Bekenntnis zur besonderen Verantwortung des deutschen Sports für Völkerverständigung, Versöhnung und Integration dar sowie eine klare Absage an Ausgrenzung, Rassismus, Hass und Gewalt.

Das zweite Beispiel bezieht sich auf den diesjährigen Tag der Integration, zu dem Bundesinnenminister Schily in diesem Jahr am 25. September aufgerufen hat. An diesem Tag wird nicht nur das wichtige Projekt „Integration durch Sport“ des Deutschen Sportbundes präsentiert, sondern auch die von den christlichen Kirchen ins Leben gerufene „Woche der ausländischen Mitbürger“. Hierzu wird es auf lokaler Ebene Möglichkeiten der Kooperation geben. Sichtbar wird die gemeinsame Intention in der Beteiligung von Minister Schily am ökumenischen Eröffnungsgottesdienst der Woche der ausländischen Mitbürger.

Als Vertreter der Evangelischen Kirche in Deutschland freue ich mich darüber , dass Sport und Kirchen bewiesen haben, dass sie für gemeinsame Werte stehen. Ich bin zuversichtlich, dass dies auch weiterhin so bleiben wird und die gemeinsame Geschichte von Kirchen und Sport in eine gute Zukunft führen wird.