Grußwort anlässlich des Empfangs zum XII. Europäischen Kongresses für Theologie in Berlin

Wolfgang Huber

1.

In der Mitte des Kongresses ist es mir eine Freude, Sie im Namen der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Gliedkirchen zu einem geselligen Beisammensein willkommen zu heißen. In der Abfolge Ihrer Veranstaltungen signalisiert dieser Abend: Im Selbstverständnis der Wissenschaftlichen Gesellschaft für Theologie hat die intensive Beziehung zur evangelischen Kirche einen guten und selbstverständlichen Ort. Und umgekehrt: Im Selbstverständnis der evangelischen Kirche ist die Beziehung zur wissenschaftlichen Theologie ganz unentbehrlich. Dieses Wechselverhältnis ist im Lauf dieser Tage schon auf vielfältige Weise zum Ausdruck gekommen – bis hin zu einer kirchengeschichtlichen Dampferfahrt und einem Orgelkonzert im Dom. Jetzt tauschen wir uns darüber aus in der besonderen Atmosphäre der Humboldt-Universität, zu Füßen einer These, die wir im Horizont der theologischen und kirchlichen Erfahrung lieber so fassen wollen: Man muss die Welt zu interpretieren wissen, wenn man sie verändern will. Dass die richtige Deutung der Wirklichkeit eine wichtige Voraussetzung dafür ist, sie gestalten zu können, kann man ja auch an den politischen Ereignissen dieser Tage eindrücklich studieren.

Die politische Diskussion in diesem Land ist von einer noch immer recht unbestimmten Vorstellung davon geprägt, dass Reformen notwendig seien. Kirche und Theologie, die sich dem Erbe der Reformation verpflichtet wissen, werden an einem anspruchsvollen Begriff nicht nur von Reformation, sondern auch von Reform festhalten. Eine auf das Ganze zielende Erneuerung, eine, die deshalb von den Wurzeln ausgeht, ist damit gemeint. Ein Wandel, der es gerade ermöglicht, das Bewahrenswerte zu erhalten, tritt in den Blick. Unser Land braucht, davon bin ich fest überzeugt, eine breite Diskussion über die Ziele wie über die Wege eines solchen Reformprozesses. Die Kirche und ihre vornehmste Reflexionsinstanz, die Theologie, werden dazu gewiss ihren Beitrag leisten wollen. Aber wir brauchen die Bereitschaft zu einer solchen Diskussion und zu den Schritten, die aus ihr folgen, auch für uns selbst. Auch für den eigenen Bereich ist es wichtig, Reformen und Reformschritte frühzeitig anzugehen und alle Beteiligten bei den jeweiligen Schritten mit einzubeziehen.

2.

Ich schaue unter einem solchen Gesichtspunkt dankbar und mit Zuversicht auf den Diskussionsstand, den wir erreicht haben. Mit größerer Gewissheit als noch vor einigen Monaten sage ich: Evangelisch-Theologische Fakultäten und evangelische Kirche ziehen heute in wichtigen Fragen an einem Strang.

Darin, wie wir die Studiengänge der Theologie und dabei insbesondere den Pfarramtsstudiengang zum Bologna-Prozess ins Verhältnis setzen, haben wir wichtige Klärungen erreicht. Die wichtigste heißt: Es wird keinen zweistufigen oder doppelten Zugang zum Pfarrerberuf geben. Von einer solchen Klärung aus können wir sinnvolle Reformimpulse aus der aktuellen Diskussion aufnehmen; wir müssen sie aber eigenständig gestalten. Erste Schritte sind dabei schon erfolgt; weitere sind dringend nötig. Wenn zumal das Grundstudium durch Studieneinheiten (Module) besser und klarer strukturiert wird, um grundlegende Überblicke über die theologischen Fächer zu ermöglichen, dann dient das der besseren Orientierung für die Studierenden. Das ist auch dringend erforderlich zur Reduzierung der häufig zu langen Studienzeiten. Unverzichtbar  jedoch bleibt, dass das Theologiestudium einen umfassenden und grundlegenden theologischen Bildungsprozess ermöglicht. Deshalb hat sich die Kirchenkonferenz in Aufnahme eines einstimmigen Votums der Fachkommission I der Gemischten Kommission zur Reform des Theologiestudiums ebenfalls einstimmig gegen die Einführung einer Stufung des Theologiestudiums ausgesprochen. Ich unterstreiche noch einmal ausdrücklich: Die Kirchen werden einen dreijährigen Bachelor-Abschluss nicht als berufsqualifizierenden Zugang zum Beruf der Pfarrerin und des Pfarrers akzeptieren. Zugleich muss jedoch darauf geachtet werden, dass der Pfarramtsstudiengang so strukturiert wird, dass er mit anderen Studiengängen, zumal den Lehramtsstudiengängen, kompatibel bleibt. Dies wird ein Kernpunkt der notwendigen Weiterarbeit sein. Zugleich muss bei der Novellierung der Rahmenordnung des Theologiestudiums auch eine bessere Integration des Abschlussexamens in das Studium gewährleistet werden.

Was wir brauchen, sind gut durchdachte und gemeinsam von Fakultäten und Kirche entwickelte Reformschritte.

3.

Unsere Gesellschaft ist in hohem Maß eine Wissensgesellschaft, die gesellschaftliche Atmosphäre wird in hohem Umfang durch den wissenschaftlich-technischen Wandel geprägt, die Lebenswissenschaften und die Informationstechnologien werfen neue ethische Fragen auf, es wird neu nach Orientierung gefragt und Antworten von den Kirchen und religiösen Gemeinschaften erwartet. In einer solcher Situation ist die gemeinsame Kompetenz von Theologie und Kirche herausgefordert, wie lange nicht mehr. Ein gutes Zusammenwirken von Theologie und Kirche kann in einer solchen Situation unserer Gesellschaft bedeutende Impulse geben.

4.

Das wird sicher auch ein gutes Zusammenwirken mit unserer katholischen Schwesterkirche einschließen. Von evangelischer Seite aus sind wir dazu bereit, was ein klares Bewusstsein unseres eigenen kirchlichen Profils und der sich daraus ergebenden Verpflichtungen voraussetzt. Selbstpreisgabe oder die Verschleierung von Differenzen sind keine erfolgversprechende ökumenische Strategie. Deshalb rechne ich in diesem Kreis mit Verständnis für die Entscheidung des Rats der Evangelischen Kirche in Deutschland, sich nach den aus der vatikanischen Instruktion „Liturgiam authenticam“ abgeleiteten Vorgaben nicht an der Revision der „Einheitsübersetzung“ des Neuen Testaments und der Psalmen zu beteiligen. Aber ich sage ebenso klar: Ein gutes ökumenisches Zusammenwirken bleibt wichtig. Deshalb bringe ich auch an diesem Ort meine Freude über die erneute Wahl von Kardinal Lehmann zum Vorsitzenden der deutschen katholischen Bischofskonferenz zum Ausdruck. Ich freue mich persönlich auf die Fortsetzung einer engen und brüderlichen Zusammenarbeit mit ihm.

5.

In diesen Tagen drängen viele darauf, dass in unserem Land bei den wichtigen Aufgaben keine Zeit verloren wird. Wir sollten das auch für uns selber gelten lassen – in einem guten Miteinander zwischen kirchlicher Verantwortung und wissenschaftlicher Theologie. Sie werden nachvollziehen können, dass das für mich persönlich ein Herzensanliegen ist. Ich danke Ihnen allen dafür, dass Sie dazu Ihren Beitrag leisten. Seien Sie noch einmal von Herzen willkommen!