Ansprachen zur Verabschiedung von Präsident Valentin Schmidt und zur Einführung von Präsident Hermann Barth und Vizepräsident Burkhard Guntau im Einführungsgottesdienst in der Herrenhäuser Kirche

Wolfgang Huber

Lieber Valentin Schmidt,

Dein Konfirmationsspruch legt es nahe, gemeinsam mit Dir ein Bekenntnis anzustimmen. Im Römerbrief des Apostels Paulus heißt es:

„Ich schäme mich des Evangeliums nicht; denn es ist eine Kraft Gottes, die selig macht alle, die daran glauben.“ (Rö 1,16).

Öffentlich zum Evangelium zu stehen, weil es selbst öffentlich ist, die Gnade Gottes kraftvoll zu bezeugen, weil die Kraft dieser Gnade selbst uns dazu ermutigt: dazu bekennen wir uns als evangelische Kirche. Unser scheidender Präsident lebt das auf seine Weise vor. An ihm lässt sich sehen, dass man mitten im Leben und mitten in der Kirche stehen kann. Einer wie er kann den Fußball, vor allem von Hannover 96, für ein starkes Stück Leben halten und zugleich wissen, wer unser Leben wirklich trägt: Gott in Christus. Ja, man kann auch im Feld der Politik Erfahrungen sammeln und diese Erfahrungen so in die Kirche einbringen, dass es ihr gut tut. Gern bekennen wir uns mit Valentin Schmidt zur Öffentlichkeit des Evangeliums. Er hat sie in seiner Zeit als Präsident des Kirchenamtes der EKD gesucht und hergestellt.

Trotz solcher Klarheit sollten wir einen Moment innehalten bei diesem „Ich schäme mich nicht“. Zur Unverschämtheit wird also aufgefordert – so als ob Scham nicht auch ihr Gutes hätte. Nach dem Grimmschen Wörterbuch bezeichnete „Scham“ im Mittelhochdeutschen die „maszvolle zurückhaltung des fein erzogenen mannes“. Da sehen wir doch förmlich den Präsidenten vor uns, der mit seinem Auftreten Maß zu halten weiß, weil es ihm nicht um die eigene Person, sondern um das Bekenntnis zum Evangelium geht.

Aber Scham bezeichnet herkömmlich – wiederum nach Grimm – eben auch die „gedrückte empfindung, sich unpassend benommen zu haben, ungeschickt gewesen zu sein, vor andern in einem ungünstigen lichte zu erscheinen“ oder auch die „scheu, sich ... eine blösze zu geben durch fehltritte oder versehen“. In ihr äußert sich „eine zurückhaltung, die aus bescheidenheit, aus der furcht, ... aufdringlich zu erscheinen oder ähnlichen beweggründen entspringt.“

Diese Scham ist Deine Sache nicht. Solche Scham verträgt sich nicht mit dem Evangelium.

Deshalb hast du das Evangelium gelebt – im weltlichen wie im kirchlichen Beruf.

Du hast den Lauf des Evangeliums gefördert – als begnadeter Synodaler wie als Liebhaber des Kirchentags.

Du hast den Dienst am Evangelium geordnet – denn das gehört zu den Aufgaben eines Kirchenamts.

Du hast das Evangelium unter die Leute gebracht – ohne gedrückte Empfindung oder falsche Bescheidenheit.

Und Du hast das Evangelium aufleben lassen in Deinem Humor.

Auf den Stationen Deines Lebens hast du gemerkt, wie die „Kraft Gottes“ trägt. Wir beten für Dich, dass Du sie weiterhin spürst, und ‚schamlos’ mit dem Evangelium umgehst: durch Hinaustragen, öffentlich Machen, Bekennen.

Lieber Hermann Barth, lieber Burkard Guntau,

es hat schon manchen Wechsel in der Leitung der Kirchenkanzlei und später des Kirchenamts der Evangelischen Kirche in Deutschland gegeben, in je unterschiedlicher Verteilung. Die Zeit eines Theologen im Amt des Präsidenten liegt freilich ungefähr ein halbes Jahrhundert zurück.

Aber ob es das schon einmal gab: Für die gemeinsame Einführung des Präsidenten und eines Vizepräsidenten wird ein gemeinsames Bibelwort gewählt. Es ist noch einmal ein Pauluswort: „In Demut achte einer den andern höher als sich selbst.“ (Phil 2,3)

Demut steht quer zu jedem Personenkult. Sie rückt den Dienst an dem ins Zentrum, „was dem andern dient“ (Phil 2,4). So heißt es bei Paulus schon im nächsten Satz.

Demut ist ein so geschundenes Wort, dass viele ihm gern aus dem Wege gehen. Gerade deshalb konnte ich der Versuchung nicht widerstehen, der Verwendung dieses Wortes im Buch Jesus Sirach nachzuspüren. Sonst bliebe am Ende dieses Buch ausgerechnet in dem heutigen Gottesdienst ungenannt. Dabei wollen wir doch Hermann Barth fröhlich stimmen, diesen Liebhaber des Siraciden.

Bei ihm lesen wir: „Die Furcht des Herrn ist die rechte Weisheit und Zucht; und Treue und Demut gefallen Gott gut“ (Sir 1,33). Demut ist also eine Haltung des Glaubens. Sie verweist unmittelbar auf Gott. Dies gilt für Theologen und Juristen gleichermaßen.

Und weiter: „Liebes Kind, tu deine Arbeit in Demut; das ist besser als alles, wonach die Welt trachtet“ (Sir 3,19). Es gibt eine Demut der Arbeit, die sich an der Sache orientiert und die Qualität über den Schein stellt.

Ohne Zweifel verbindet eine solche Demut die beiden Menschen, die wir heute in ihre neuen Aufgaben einführen. Es prägt den Weg des Theologen Hermann Barth, der mit 25 Jahren Assistent im Fach Altes Testament in Hamburg wurde, der wichtige Jahre im Pfälzer Gemeindepfarramt verbrachte und nun seit mehr als zwanzig Jahren im Kirchenamt der EKD Dienst tut, als Referent für Fragen der öffentlichen Verantwortung zunächst, dann als theologischer Vizepräsident. Und es prägt den Weg des Juristen Burkard Guntau, dessen Stationen in der Justiz der Länder Niedersachsen und Sachsen-Anhalt in das Amt des Vizepräsidenten des Oberverwaltungsgerichts und des Landesverfassungsgerichts von Sachsen-Anhalt mündete. Aber das diensteifrige Mitglied des Landesjustizprüfungsamtes für die Zweite Juristische Staatsprüfung war zugleich ein ebenso verlässliches Mitglied des Kirchensenats der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche von Hannover. Die Demut des Dienstes ist eine große Gabe.

Noch einmal Jesus Sirach: „Mein Kind, in aller Demut achte dich doch selbst, und halte dich nicht für weniger, als du bist“ (Sir 10,31). Von einer Demut ist hier die Rede, die zur Selbstachtung nicht im Widerspruch steht, sondern sie gerade möglich macht. Diese Demut des aufrechten Gangs, des offenen Auges, des fröhlichen Antlitzes war und bleibt ein evangelisches Markenzeichen.

Und schließlich: „Er hat ihn auserkoren um seiner Treue und Demut willen und aus allen Menschen erwählt“ (Sir 45,4). Um dieser Erwählung willen feiern wir an diesem Tag Gottesdienst. Darum verlassen wir uns auf Gott, der uns aus allen Menschen jeweils zu besonderen Aufgaben wählt, uns die Gaben gibt, die wir dafür brauchen, und sich jedes Mal, wenn wir den anderen höher achten als uns selbst, an unserer Demut freut. Amen.