"Rechtsradikalismus" - BZ-Kolumne

Wolfgang Huber

Der deutsch-türkische Politiker Giyasettin Sayan ist das jüngste prominente Opfer einer Gewalttat, bei der es schwer fällt, keine rassistischen Motive zu vermuten. Dieses Mal war es in Berlin-Lichtenberg, wenige Wochen zuvor in Potsdam. Gewiss gibt es Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und nationalistische Einstellungen nicht nur im Osten Deutschlands. Allerdings spitzt sich das Problem hier zu. Bereits in der DDR gab es dies. Offenbar hat sich das niemand deutlich genug bewusst gemacht. Zudem ist in den neuen Bundesländern die jüngere Generation besonders über ihre Lebenssituation und ihre Zukunftschancen verunsichert. In einem solchen Umfeld entsteht leicht Extremismus.

Vor Jahren haben Rechtsradikale verkündet, sie würden bestimmte Stadtbezirke, ja ganze Städte zu „National Befreiten Zonen“ machen. Sie stellten sich vor, dass sich weder Menschen mit anderer Hautfarbe noch Menschen, deren Auftreten einen Mangel an „nationaler Gesinnung“ vermuten lasse, nicht mehr in diese Bereiche wagen würden. Mich hat diese Ankündigung empört. Ich bin davon überzeugt, dass eine freie und demokratische Gesellschaft sich mit einem solchen Vorhaben nie abfinden darf. Deshalb widerstrebt alles in mir dem Gedanken, bestimmte Bereiche zu „No-Go-Areas“ zu erklären. Das klingt so, als sollte das Feld für solchen Extremismus geräumt werden.

In Berlin und Brandenburg bemühen sich viele Initiativen, darunter auch zahlreiche Kirchengemeinden, mit rechtsextremistischer Gewalt und Fremdenfeindlichkeit offen umzugehen. Das habe ich über Jahre aus nächster Nähe miterlebt und mitgestaltet.

Und trotzdem: Es gibt Regionen in Berlin, Brandenburg und anderswo, in denen sich Menschen mit anderer Hautfarbe nur mit Vorsicht bewegen können. Der Staat hat die Pflicht dafür zu sorgen, dass keine Angsträume entstehen. Auch eine deutliche Präsenz der Polizei ist dafür nötig. Straftaten, denn nichts anderes sind Übergriffe mit fremdenfeindlichen Hintergrund, müssen schnell aufgeklärt und die Täter zur Rechenschaft gezogen werden.

Wo Menschen gedemütigt werden, kann sich niemand der Verantwortung entziehen. Jeder sollte das Wort Jesu beherzigen: „Was ihr getan habt einem von diesen meinen geringsten Brüdern, das habt ihr mir getan.“

Damit junge Leute sich nicht in rechtsextreme Haltungen verirren, müssen wir jedem einzelnen nachgehen und versuchen, ihn zu einer verantwortlichen Haltung zu bringen.

Gerade Jugendlichen, die auf einen Hauptschulabschluss zugehen, müssen wir helfen, dass sie eine Chance auf eine Ausbildung erhalten. Vorbildlich finde ich Projekte, in denen Mitarbeiter aus der Wirtschaft Hauptschüler einzeln begleiten und sie auf ihre Bewerbungen vorbereiten. Dort, wo Nachbarn, Lehrer und Politiker hinschauen, kann sich die Atmosphäre zum Besseren verändern. Eltern dürfen nicht schweigend zusehen, wenn ihre Kinder in den Bann einer rechten Jugendkultur geraten. Denn wer in einer Demokratie leben will, muss auch für eine demokratische Kultur kämpfen. Nur durch das Einstehen für die Würde des Menschen im Alltag behält unser Land ein menschliches Gesicht.