"Mit Bildung Zukunft gestalten" - Grußwort zur Eröffnung der Bundesakademie für Kirche und Diakonie

Wolfgang Huber

Es ist nicht zu bestreiten: Globalisierung, Zeitverdichtung, Zeitdruck und Flexibilisierung sowie die dafür eingesetzten Technologien dynamisieren unsere Lebensverhältnisse grundlegend.

Ausgehend vom gesellschaftlichen Wandel am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts beschrieb bereits 1995 die Europäische Kommission in ihrem Weißbuch Lehren und Lernen auf dem Weg zur kognitiven Gesellschaft jene großen Umwälzungen, welche die Bedingungen jeglicher wirtschaftlichen Tätigkeit und das Funktionieren unserer Gesellschaft insgesamt auf tiefgreifende und nachhaltige Weise beeinflussen. Umwälzende Auswirkungen hat diese Veränderung zugleich auf die Bildungssysteme, alle Maßnahmen der Fort- und Weiterbildung eingeschlossen. Neben der Herausbildung der Informationsgesellschaft und der wissenschaftlich-technischen Zivilisation ist es seither vor allem die Globalisierung der Wirtschaft mit ihren Auswirkungen auf alle gesellschaftlichen Bereiche, die nahezu alle Aufmerksamkeit auf sich zieht. Dass dabei von der Globalisierung auch oft in einer ideologisch getönten Weise die Rede ist, in welcher das Stichwort „Globalisierung“ nur genannt werden muss, um alle möglichen Grausamkeiten zu rechtfertigen, und dass diese Art der Instrumentalisierung eine entsprechende, oft auch ideologisch getönte Gegenwehr auslöst, ist uns allen vertraut.

Der entstehende Anpassungsdruck soll - so sagt es eine verbreitete Hoffnung - vor allem durch Bildung bewältigt werden. Im Hintergrund steht dabei unverkennbar die Befürchtung, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland andernfalls den Anschluss an die globale Entwicklung verliert. Wissen und Lernen wurden in diesem eher angstbestimmten Kontext zu Schlüsselbegriffen unserer Gesellschaft.

Nun stehen Bildung und Beschäftigung zweifellos in einem unlösbaren Zusammenhang. Es ist somit verständlich, dass auch gegenwärtig eine primär ökonomische Wahrnehmung die Fragerichtung bestimmt: Welche Bildung benötigen wir, um die Zukunft wirtschaftlich zu bestehen? Bei dieser Ausgangsposition muss sich eine brauchbare Antwort gezwungenermaßen an einem wirtschaftlich erfolgreichen Beitrag zu dem notwendigen Wandel beurteilen und messen lassen.

Nachdem in Deutschland, ebenfalls zur Jahrhundertwende, im politischen Raum Bildung zum Megathema erklärt wurde und die Bund-Länderkommission ein Forum Bildung gründete, wurde der Versuch unternommen, die vielfältigen Aspekte der Bildungsdebatte unter das Motto Wissen schafft Zukunft zu stellen. Zur Gründungsveranstaltung der Bundesakademie für Kirche und Diakonie haben Sie mich nun gebeten einen offensichtlich anderen Akzent zu setzen: Mit Bildung Zukunft gestalten! Damit lässt sich eine Linie kritisch abgrenzend fortsetzen, die die beiden Kirchen während ihrer Mitwirkung beim Forum Bildung begonnen haben.

Es ging den Akteuren des Forum Bildung mehrheitlich darum, die Menschen für die beschleunigte Veränderungsgesellschaft und deren Wirtschaftsdynamiken fit zu machen. Die gesellschaftliche, vor allem die ökonomische Verwertung der Bildung stand im Zentrum. Das zeigte sich übrigens nicht nur in der deutschen Bildungsdebatte, sondern ebenso stark auch in der europäischen Diskussion, die mit dem Lissabon-Prozess der Europäischen Union verbunden ist. In deutlichem Kontrast zu dieser Betrachtungsweise, bei der die gesellschaftspolitische, genauer noch die wirtschaftspolitische Funktion von Bildungsmaßnahmen zum ausschließlichen Zweck erklärt wird, haben die Kirchen den Menschen als Gottes Ebenbild, das Subjekt, zu ihrem systematischen Ausgangspunkt gemacht und orientieren an diesem ihre Überlegungen und Perspektiven. Sie tun das nicht, weil sie wirtschaftliche Notwendigkeiten und Herausforderungen leugnen würden. Aber sie treten einer Engführung entgegen, in welcher der Mensch nur noch als Wirtschaftsfaktor, als Teil des Humankapitals also, betrachtet wird.

In einem von der katholischen und evangelischen Kirche gemeinsam veranstalteten Kongress im Jahr 2000 hier in Berlin wurde unter dem Thema tempi – Bildung im Zeitalter der Beschleunigung ein eigener Weg gesucht und beschrieben – ein Weg zwischen Beschleunigungskonformismus und Konzentration auf das jetzt Dringliche einerseits und dem Verlangen nach Entschleunigung und  dem Achten auf das bleibend Wichtige andererseits. Im Januar 2003 hat die Evangelische Kirche mit ihrer Denkschrift Maße des Menschlichen Perspektiven zur Wissens- und Lerngesellschaft für den kirchlichen und gesellschaftlichen Diskurs beigesteuert. Auf vielfältige Weise ist seither die evangelische Kirche auf dem Feld bildungspolitischer Auseinandersetzungen präsent. Immer sind ihre Beiträge von einem ganzheitlichen Ansatz geprägt. Sie nehmen den ganzen Menschen in den Blick, der zum Subjekt seiner eigenen Lebensgeschichte werden soll. Bildung wird deshalb als ein lebensgeschichtliches Geschehen betrachtet, das in jeder Phase der persönlichen Biographie seinen Ort hat.

Genauso wichtig wie solche konzeptionellen Überlegungen ist die Art und Weise, wie aus den bildungspolitischen Positionen und der entschiedenen Übernahme der Bildungsverantwortung auch organisatorische und praktische Konsequenzen gezogen wurden. Die heutige Gründung der Bundesakademie für Kirche und Diakonie kann als entscheidende Stufe und vorläufiger Abschluss eines mehrjährigen Prozesses gesehen werden, der für einen bestimmten Bereich die vorhandenen institutionellen Ressourcen planvoll und zielgerichtet bündelt. Nur so war es aussichtsreich, sich der Erwartung zu stellen, systematisch und konzeptgeleitet an der Gestaltung von Kirche und Diakonie mitzuwirken. Mit dem klaren Fokus auf der Fort- und Weiterbildung beruflicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich von Diakonie und Kirche wird dadurch ein wichtiger Beitrag zum Bildungsgeschehen in unserer Kirche insgesamt geleistet.

Nachdem die Herkunftsinstitutionen in Ost und West im diakonischen Bereich, die Diakonische Akademie Deutschland und das Diakonische Aus- und Weiterbildungszentrum in dem Gemeinsamen Programmangebot der Diakonischen Akademie hier in Berlin zusammengeführt worden waren, vollzog sich Vergleichbares auch im Bereich der EKD. In einem ersten Schritt wurden die überregional arbeitenden Bildungseinrichtungen der EKD unter dem Dach des Comenius Instituts zu einem erziehungs- bzw. bildungswissenschaftlichen Kompetenzzentrum zusammengeführt; es will mit wissenschaftlichen Analysen und Konzepten für den Bildungsbereich nicht zuletzt auch für die neu gegründete Bundesakademie als Dienstleister tätig sein. Andererseits wurde mit der ausdrücklichen Absicht, dem Burckhardthaus auf der Plattform der Bundesakademie eine intensivere Breitenwirkung zu ermöglichen, eine Bündelung auch der Fort- und Weiterbildungsangebote an zentraler Stelle erreicht. Dass die Weiterbildung, insbesondere auch die Weiterbildung für Führungsaufgaben in Diakonie und Kirche, als gemeinsame Aufgabe anerkannt wurde und dass diese gemeinsame Einsicht eine institutionelle Form findet, ist der entscheidende Impuls, der in der Bundesakademie für Kirche und Diakonie Ausdruck findet. Inspiriert und kritisch begleitet vom bildungswissenschaftlichen Kompetenzzentrum in Münster soll die neue Bundesakademie für Kirche und Diakonie in Berlin, insbesondere die ihr angeschlossene Führungsakademie, den Wandel der Bildungseinrichtungen in Diakonie und Kirche wie auch den institutionellen Wandel von Kirche und Diakonie insgesamt durch Qualifizierungsangebote auf spezifische Weise begleiten und gestalten. Sie soll überregional die Initiativen der Landeskirchen und der diakonischen Einrichtungen und Werke unterstützen.

Hierbei sind die eingangs genannten Merkmale des gesellschaftlichen Wandels im Blick auf die spezifisch kirchlichen Herausforderungen zu erweitern und zu vertiefen. Neben Globalisierung und Technologieschub mit all den Folgen der Ausformung einer wissenschaftlich-technischen Zivilisation sind es der demographische Umbruch und die mit ihm verbundenen neuen Aufgaben, die finanziellen Einbußen und die damit verbundene Herausforderung, neue Finanzierungsformen zu finden, und nicht zuletzt die Spätfolgen der hohen Austrittswellen mitsamt der Aufgabe, die Bindung an den christlichen Glauben neu zu begründen, deren Bewältigung im Pflichtenbuch der Mitarbeitenden in Diakonie und Kirche stehen.

Analysen und Konzepte zum Weg und zur Gestalt dieses Wandels sind zahlreich. Die EKD selbst hat mit einem Impulspapier von wenigen Wochen der Neuorientierung kirchlichen Handelns einen neuen Anstoß verliehen. Aber wir wissen – auch angesichts mancher stecken gebliebener Versuche – , dass ein solcher Wandel nur gelingt, wenn er mit den Menschen vollzogen wird, die in einer Organisation wirken. Nur sie können neue Strukturen mit Leben erfüllen.

Gerade im Blick auf die Aktivierung von qualifizierten Ehrenamtlichen im Raum von Kirche und Diakonie üben Organisationsmodelle mit flachen Hierarchien einen großen Reiz aus. Verschiedentlich wurden ganze Hierarchiestufen ersatzlos gestrichen und Organisationen so umgestaltet, dass überschaubare durchgängige Verantwortungsbereiche geschaffen wurden.

Bisweilen war dies ein Kunst- und ein Fehlgriff zugleich. Neue Strukturen allein schaffen noch keine neuen Menschen. Und die Ergebnisse von Tagungen und Kongressen müssen eingängig gemacht und von den Mitarbeitenden angeeignet werden. Es ist auch nicht auszuschließen, dass Mitarbeitende neue Strukturen mit alten Mentalitäten füllen. Oft hält die innere Einstellung mit dem äußeren Wandel nicht Schritt. Eine Entwicklung, wie sie exemplarisch in den zwölf Leuchtfeuern beschrieben wird, die im Impulspapier der EKD enthalten sind, hat einen Wandel der inneren Haltung und ein neues Zutrauen zur Qualität der eigenen Arbeit zur Voraussetzung. Denn nur so lassen sich solche Leuchtfeuer entzünden und zu großer Flamme bringen. In einer strukturversessenen Zeit wird die Bedeutung solcher Prozesse häufig unterschätzt. Aber es ist kein Zweifel daran: Die Motivation der Mitarbeitenden, ihre Identifikation mit der eigenen Aufgabe wie mit der Institution, für die sie tätig sind, ihre Bereitschaft, Neues zu wagen: das sind Schlüsselanforderungen an eine zukunftsgerichtete Fort- und Weiterbildung.

Auf dem Boden einer Fort- und Weiterbildungsakademie erfährt darum das gestellte Thema eine Zuspitzung: Durch Fortbildung Zukunft gestalten. Wer sein Handeln bisher nur konsequent danach ausgerichtet hat, ja ausrichten musste, keine Verfahrensfehler zu machen, der kann sich nicht so ohne weiteres zu einer Führungspersönlichkeit entwickeln, deren Hauptsorge es ist, für anfallende Probleme Konzepte zu entwickeln und Lösungen zu realisieren. Dabei korrespondiert den spezifischen Aufgaben auf kirchlichen und diakonischen Handlungsfeldern eine ebenso spezifische Fort- und Weiterbildung. Die zukünftige Gestalt der evangelischen Kirche und ihrer Diakonie muss nicht nur in den Strukturen, sondern im Leben und Arbeiten ein erkennbar protestantisches Profil haben. Deshalb kann es keineswegs darum gehen, Managementkonzepte aus anderen gesellschaftlichen Bereichen unverändert zu übernehmen. Vielmehr geht es darum, evangelisch geprägte und am christlichen Menschenbild orientierte Führungskonzepte zu entwickeln und ihre praktische Anwendbarkeit deutlich zu machen. Es ist der Mühe wert, den Nachweis zu führen, dass solche Konzepte Kirche und Diakonie gut tun, aber auch der Konkurrenz auf dem Fort- und Weiterbildungsmarkt standhalten. Dass die Angebote der neu gegründeten Bundesakademie für Kirche auf diese Weise reizvoll sind, darauf richten sich meine Hoffnungen und die vieler anderer auch. In diesem Sinn begleite ich den Weg, der heute beginnt, mit meinen herzlichen Segenswünschen.