"Kirchenleitung theologisch verantworten - Überlegungen zum Verhältnis von Kirchenleitung und Theologie" / Vortrag bei der XIV. Konsultation „Kirchenleitung und wissenschaftliche Theologie“ in Bad Herrenalb

Wolfgang Huber

1.

Grundsätzliches zum Verhältnis von Kirchenleitung und Theologie

Seit es den christlichen Glauben gibt, wird er theologisch ausgelegt. Zurecht sprechen wir bereits den ältesten Dokumenten des christlichen Glaubens theologische Qualität zu. Und seit es christliche Kirchen gibt, haben sie sich der Theologie bedient. Mit ihrer Hilfe wurde die kirchliche Lehre geklärt und die Heilige Schrift ausgelegt. Theologie und Kirche stehen von Anfang an in einem Lebenszusammenhang und in einem Verhältnis der gegenseitigen Verantwortung füreinander. Das Angewiesensein der Kirche auf die Theologie hat in unüberbietbarer Weise, Friedrich Daniel Ernst Schleiermacher zum Ausdruck gebracht. Seiner Definition zufolge ist die Theologie der Inbegriff derjenigen wissenschaftlichen Kenntnisse und Kunstregeln, ohne deren Besitz und Gebrauch eine zusammenstimmende Leitung der christlichen Kirche, d.h. ein christliches Kirchenregiment, nicht möglich ist. Unter Kirchenleitung ist dabei nach Schleiermacher umfassend die praktische Tätigkeit zu verstehen, die darauf gerichtet ist, dass die Kirche als ganze ihren Auftrag wahrnimmt – nämlich den Glauben an Gott zu wecken und ihn zu loben und zu ehren. Wer Theologie treibt, nimmt damit eine kirchenleitende Aufgabe und Verantwortung wahr. Theologie ist eine zugleich praktische, nämlich auf kirchenleitendes Handeln ausgerichtete wie auch eine kritische, nämlich alles kirchenleitende Handeln eigenständig prüfende Wissenschaft. Die kirchenleitenden Gremien auf allen Ebenen werden mit den Mitteln theologischer Reflexion auf die Angemessenheit ihres Handelns befragt. Entscheidender Maßstab dieser Prüfung ist die Frage, ob dieses Tun evangeliumsgemäß ist. Schrift und Bekenntnis sind hierfür der alleinige Maßstab.

Wie wichtig dieser Vorgang kritischen Prüfens ist, kann ich aus eigener täglicher Erfahrung berichten. Nach meinem Verständnis als Hochschullehrer wie jetzt als Bischof einer Landeskirche und Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) ist es die primäre Aufgabe der Theologie, für die Freiheit des Glaubens so einzutreten, dass die Vernunft beim Verstehen des Glaubens keinerlei ideologischen Vorgaben unterworfen wird. Und es ist ebenso mein Verständnis, dass es die Aufgabe der Kirchenleitung ist, für die Freiheit der Theologie so einzustehen, dass dies auch der Freiheit des Glaubens dient.

Die konstruktive Verbindung von Theologie und Kirche ist ein Konvergenzpunkt der großen Traditionen evangelischer Theologie im 19. und 20. Jahrhundert. Auf Schleiermacher habe ich hingewiesen. Karl Barth hat dieser Verbindung dadurch programmatischen Ausdruck gegeben, dass er seine Dogmatik im zweiten Anlauf nicht mehr Christliche Dogmatik, sondern Kirchliche Dogmatik nannte. In seinem Gefolge wurde immer wieder betont, dass sich die Theologie auf den Verkündigungsauftrag der Kirche richte und deshalb primär am Worte Gottes zu orientieren habe. Aufgabe der Theologie sei es, in einer sich wandelnden Welt auf das Wort Gottes zu achten und es weiterzugeben. Insofern seien Theologie und Verkündigung eng aufeinander bezogen, so dass nicht das Katheder, sondern die Kanzel der Punkt ist, auf den Lehren und Lernen ausgerichtet sein sollen. Daran schloss sich oft eine Mahnung an alle diejenigen an, die in der theologischen Lehre aktiv sind: Der theologische Lehrer müsse seinen Schüler zu einem Prediger erziehen, aus dessen Verkündigung er selbst seinen Glauben schöpfen könne. Das ist eine Mahnung, die auch ich weiterhin für aktuell halte.

Bei allem konstruktiv-kritischen Miteinander von Theologie und Kirchenleitung ist jedoch auch nicht zu übersehen, dass beide institutionell auseinander treten. Die akademisch-wissenschaftliche Theologie und das gegliederte kirchenleitende Amt sind voneinander unterschieden, um miteinander in einen konstruktiven Dialog eintreten zu können. Gerade durch dieses institutionelle Auseinandertreten kann die Theologie zur unverzichtbaren, weil kritischen Instanz der kirchlichen Praxis werden – und sie wird es hoffentlich auch bleiben. Gerade dadurch kann umgekehrt auch die Kirchenleitung zur kritischen Instanz der Theologie werden – und es hoffentlich bleiben. Die eine Seite gibt über das Resultat ihrer theologischen Überprüfung kirchlichen Handelns Auskunft, die andere Seite gibt zu erkennen, ob und inwieweit jene theologische Überprüfung das jeweilige kirchliche Handeln tatsächlich trifft und es möglicherweise unterstützt. Dabei muss Freiheit die Grundlage dieses gegenseitigen Handelns sein, damit die unlösliche Verbundenheit von Theologie und Kirchenleitung wirklich fruchtbar werden kann. Die Theologie hat die Freiheit, ein anderes kirchliches Handeln vorzuschlagen – die Kirchenleitung hat die Freiheit, sich eine andere Theologie zu wünschen. Nur so kann die Theologie ihre kirchenleitende Aufgabe wahrnehmen, nur so kann die Kirchenleitung ihre theologische Qualität wahren.

Die Verantwortung von Kirchenleitung und Theologie vor- und füreinander sehe ich gegenwärtig vor allem vor drei Herausforderungen gestellt:

2.

Der Bologna-Prozess und die Theologie –  Chancen und Anfragen

Die gewonnene Verhältnisbestimmung von Theologie und Kirchenleitung hat sich zu bewähren in einer hochschulpolitischen Situation in Europa, die gegenwärtig durch den Bologna-Prozeß gekennzeichnet ist, der für Theologie und Kirche eine besondere Herausforderung darstellt.

Die Gremien der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) haben sich in den letzten Jahren intensiv mit dem Bologna-Prozeß und seinen Auswirkungen beschäftigt. Hier hat sich bewährt, was sich - wie oben dargestellt - schon aus dem Selbstverständnis und der Bedeutung der wissenschaftlichen Theologie für die Kirche ergibt, nämlich: in solchen Fragen einvernehmliche Lösungen mit den theologischen Fakultäten anzustreben. Das Ergebnis dieses Beratungsprozesses ist eine gemeinsame Positionsbestimmung von evangelischer Kirche und Evangelisch-theologischem Fakultätentag, die im Januar dieses Jahres vorgelegt und veröffentlicht wurde.

Wir begreifen den Bologna-Prozess als eine Herausforderung und Chance, die bisherigen Reformbemühungen für das Theologiestudium weiter voranzutreiben. Wir wissen also um den Reformbedarf. Das betrifft u.a. das Bemühen, den theologischen Pfarramtsstudiengang effizienter und verbindlicher zu strukturieren. Dadurch soll eine bessere Orientierung für Studierende im Theologiestudium erreicht werden, was auch zur Verkürzung der oftmals zu langen Studienzeiten beitragen kann. Solches wird auch von studentischer Seite gewünscht. Zugleich ist es unser Anliegen, die Übergänge sowohl von der Schule zur Hochschule als auch von der Hochschule in die zweite Ausbildungsphase effektiver zu gestalten.

Zurzeit werden in den gemeinsamen Ausbildungsgremien von Kirche und Fakultäten Modulkonzepte entwickelt, die vor allem das Grundstudium betreffen. Eine Schwierigkeit besteht nun darin, wie das Erlernen der alten Sprachen Hebräisch, Griechisch und Latein sinnvoll in die Studieneingangsphase integriert werden kann. Denn für die reformatorischen Kirchen bleibt das angemessene Beherrschen der alten Sprachen für das Pfarramtsstudium unaufgebbar. Allerdings ist uns auch bewusst, dass immer weniger Studierende Vorkenntnisse in den alten Sprachen mitbringen, so dass verstärkt nach innovativen Modellen für den Sprachenerwerb, kombiniert mit einer ersten Einführung in den methodischen Umgang mit biblischen Texten und Quellen der Kirchengeschichte, gesucht wird.

Interessant ist, dass die Studierenden in der weitaus überwiegenden Mehrzahl Wert darauf legen, dass es weiterhin eine Zwischenprüfung am Ende des Grundstudiums gibt, denn diese helfe ihnen, das Studium besser zu strukturieren, und erleichtere auch den Wechsel des Studienorts.

Es gehört zu den wesentlichen Anliegen des Bologna-Prozesses, die Mobilität der Studierenden wie Lehrenden in Europa zu erhöhen. Leider zeigen die ersten Erfahrungen bei uns in Deutschland, dass dort, wo auf das konsekutive Bachelor-/Mastersystem umgestellt worden ist, genau dieses Ziel nicht erreicht wird. Im Gegenteil: Der Studienortwechsel wird eher erschwert. Die einzelnen Modulsysteme müssen zwar zu Recht universitätsintern entwickelt werden, aber deren Kompatibilität mit anderen Hochschulen bleibt viel zu wenig im Blick. Aus der bisherigen Erfahrung sowohl von Fachhochschulen als auch von Universitäten muss leider gesagt werden, dass die Umstellung auf das konsekutive Studiensystem, das einhergeht mit einer Modularisierung, kaum zu einer größeren Übersichtlichkeit und Vergleichbarkeit von Studienleistungen geführt hat. Dies muss kritisch angemerkt werden, läuft es doch dem politisch geäußerten Willen des Bologna-Prozesses zuwider. Die Einführung von Credit points, die zur Vergleichbarkeit beitragen soll, hilft nicht weiter, wenn beispielsweise bei der Festlegung von Workloads unterschiedliche Parameter zu Grunde gelegt werden. In dieser Hinsicht herrscht gegenwärtig in Deutschland eher eine große Unübersichtlichkeit. Zudem erfordert die Einführung des Modulsystems einen enorm hohen Aufwand an Organisation und Verwaltung. Nach anfänglicher Offenheit und der Bereitschaft, sich auf das neue Studiensystem einzulassen, macht sich bei vielen jetzt eher Ernüchterung breit, da sowohl Studierende als auch Lehrende in ein System gezwängt werden, das ihnen nur noch wenig Freiraum lässt. Nicht zu Unrecht ist von einer zunehmenden und zu weit gehenden Verschulung des Studiums die Rede.

Ein weiteres Problem besteht darin, dass von politischer Seite allzu lang versucht worden ist, den Kirchen den Bachelor als Regelabschluss auch für das Pfarramt nahe zu legen. Was von staatlicher Seite nicht zuletzt als Mittel gedacht war, um die Studienzeiten zu verkürzen und die Hochschulen von Studierenden zu entlasten, wurde zugleich als ein zukunftsträchtiges und innovatives Studienmodell propagiert: der dreijährige berufsqualifizierende Bachelor. Dabei wurde die Einsicht vernachlässigt, dass dieses Modell nicht auf alle Berufsfelder angewandt werden kann. Meine persönliche Überzeugung ist, dass es gerade bei den klassischen Professionen – Pfarrern, Ärzten und Juristen – nicht greift. Deshalb halten wir daran fest, dass die Pfarramtsausbildung – bei allem Reformbedarf - keine Niveauabsenkung verträgt. Insofern sind evangelische wie katholische Kirche zu Recht den Wünschen der staatlichen Seite entgegen getreten und haben damit letztendlich auch Gehör gefunden. Die staatliche Seite, so hat ein Spitzengespräch der beiden großen Kirchen mit den deutschen Kultusministern am 1. Juni 2006 ergeben, besteht nicht auf dem Bachelor als dem berufsqualifizierenden Abschluss für den Pfarrberuf. Wörtlich sagte einer der Kultusminister: „Wir wollen keine Bachelor-Pastoren.“ Dem können wir nur aus vollem Herzen zustimmen.

Ob bei uns in Deutschland eine Modularisierung nicht nur des Grundstudiums, sondern des gesamten Pfarramtsstudiums eingeführt wird, ist derzeit noch offen. Jedoch sind sich alle Beteiligten darin einig, einen angemessenen Freiraum zur eigenen Studiengestaltung zu erhalten. Vor allem im Hauptstudium muss die Möglichkeit zur eigenen Schwerpunktbildung weiterhin gewährleistet sein. Auch werden wir am Abschlussexamen als einem obligatorischen zusammenhängenden Prüfungsgeschehen festhalten. Zwar können bestimmte Prüfungsleistungen, etwa durch Modulprüfungen, schon im Verlauf des Studiums erbracht werden. Aber darüber hinaus bedarf es auch weiterhin einer schriftlichen wie mündlichen, zusammenhängenden Abschlussprüfung. Die Prüflinge sollen zeigen, dass sie nicht nur über theologisches Wissen verfügen, sondern dass sie theologische Zusammenhänge erfassen und formulieren können.

Wichtig ist bei allen Reformvorhaben, dass das Pfarramtsstudium auch zukünftig mit anderen Studiengängen kompatibel bleibt. Dies gilt vor allem für die Lehramtsstudiengänge, hier vor allem die religionspädagogischen, die für die theologischen Fakultäten von großer Bedeutung sind. Was der Bologna-Prozess jedoch nicht bewirken sollte, ist eine Absenkung des Niveaus von theologischer Ausbildung und Forschung. An dieser Stelle ist eine gesunde Skepsis durchaus angebracht.

Eine abschließende Bewertung des Bologna-Prozesses wäre heute verfrüht. Gewiss ist es zu begrüßen, dass ein europäischer Hochschulraum entsteht. Dafür ist die wechselseitige Anerkennung von Studienzeiten und Hochschulabschlüssen unverzichtbar. Dass hier auch die Kirchen mit der gegenseitigen Anerkennung von theologischen Studienabschlüssen mitziehen wollen, hat die Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa (GEKE) jüngst festgehalten. Nachdem die Ordination selbst schon seit längerem wechselseitig anerkannt wird, wird nun auch die wechselseitige Anerkennung von theologischen Studienabschlüssen, die auf das evangelische Pfarramt abzielen, angestrebt. Dazu hat die Vollversammlung der GEKE in Budapest erklärt:

Die Vollversammlung von Belfast hat die kontinuierliche Bearbeitung von Fragen der Bildung und Ausbildung angeregt. In Aufnahme dieser Anregung hat am 23. September 2003 in Berlin eine Konsultation zum Thema „Die Ausbildung zum ordinierten Amt in der Leuenberger Kirchengemeinschaft stattgefunden, die zu dem Ergebnis [führte], dass eine umfassende Verständigung über die Grundsätze und Wege der Ausbildung von Pfarrerinnen und Pfarrern in den Mitgliedeskirchen der GEKE wünschenswert ist. Darüber hinaus stellt der Bologna-Prozess vor eine Fülle von konkreten Einzelfragen.

Darum beauftragt die Vollversammlung den Rat, eine Projektgruppe „Die Ausblidung zum ordinationsgebundenen Amt in der Gemeinschaft Evangelischer Kirchen in Europa einzusetzen.

In der Studie sollten auch der radikale Wandel im Verständnis und Bild des Amtes in den Mitgliedskirchen sowie die missionarischen Herausforderungen berücksichtigt werden. Eine Koordination mit der Lehrgesprächsgruppe über Amt, Ordination und Episkopé ist sicherzustellen.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) und der Evangelisch-theologische Fakultätentag in Deutschland haben gezeigt, dass sie sich dem Anliegen des Bologna-Prozesses nicht verschließen, ihn vielmehr in seinen positiven Aspekten unterstützen und stärken wollen.

3.

Situation Evangelisch-theologischer Fakultäten und Kirchlicher Hochschule im Bereich der EKD

Eine weitere Herausforderung, in der sich die Verantwortung vor- und füreinander von Kirchenleitung und wissenschaftlicher Theologie gegenwärtig besonders zu bewähren hat, ist die Situation Evangelisch-theologischer Fakultäten im Bereich der EKD. Dazu haben der Rat der EKD und die Kirchenkonferenz im Frühjahr diesen Jahres eine Orientierungshilfe verabschiedet.

Für die Entwicklung der Evangelisch-theologischen Fakultäten in den letzten drei Jahrzehnten ist es charakteristisch, dass in der Zeit vom WS 1975/76 bis zum WS 1985/86 mehr als eine Verdoppelung der Zahl der Theologiestudierenden für Lehr- und Pfarramt stattgefunden hat, und zwar von ca. 7.800 auf ca. 16.150 Studierende. Als sich Mitte der achtziger Jahre zeigte, dass für diese große Zahl von Studierenden weder in den Gliedkirchen der EKD noch im schulischen Religionsunterricht eine ausreichende Zahl von Arbeitsplätzen zur Verfügung stand, fielen die Studierendenzahlen zwischen 1985 und 2000 fast so stark wieder ab, wie sie zuvor angestiegen waren.

Die Ausstattung der Theologischen Fakultäten mit Professorenstellen wurde jedoch während des starken Zuwachses an Studierenden bei konstanter Anzahl der Theologischen Fakultäten nicht erhöht, da in den Ministerien die Auffassung vorherrschte, es handle sich nur um einen vorübergehenden Anstieg und dementsprechend auch nur um eine vorübergehende - wenn auch enorme - Mehrbelastung der Fakultäten. Allerdings ging die Erinnerung daran offenbar Ende der neunziger Jahre verloren; denn seitdem wird der Rückgang der Studierendenzahlen auf das Niveau von 1975 permanent als Begründung für geplante oder vollzogene Streichungen von Professorenstellen ins Feld geführt.

Im Blick auf die erforderliche personelle Ausstattung Theologischer Fakultäten ist das Pro-memoria-Papier maßgeblich, das der Kultusministerkonferenz im Jahr 1995 von Seiten der Vorsitzenden des Rates der EKD und der Deutschen Bischofskonferenz übergeben wurde. Es geht im Blick auf die Professuren von einer Mindestausstattung von 10 + x aus. Die darin genannten Gesichtspunkte, Kriterien und Zahlen gelten unverändert bis heute fort und stellen nach wie vor die verbindliche Grundlage im Blick auf die Festlegung der Mindestausstattung Theologischer Fakultäten dar. Die zwischenzeitlich verabschiedete Rahmenordnung für das Erste Theologische Examen bzw. die Diplomprüfung schreibt zusätzlich das Fach Religionswissenschaft bzw. Religionsgeschichte und Missionswissenschaft als obligatorisches Studien- und Prüfungsfach vor. Daher hat eine Reihe von Fakultäten und Landeskirchen die Angabe des Pro-memoria-Papiers zur Mindestausstattung mit Professoren auf in der Regel 11 + x korrigiert.

Die Evangelisch-theologischen Fakultäten haben zusammen mit den zuständigen Organen der EKD eine sach- und zeitgemäße Reform des Theologiestudiums betrieben. Diese war zunächst konzentriert auf die Erarbeitung von Rahmenordnungen für die Zwischenprüfung und die Diplomprüfung bzw. das Erste Theologische Examen, auf die Erstellung eines Stoffplans für das Pfarramtstudium sowie auf die Entwicklung einer umfassenden Konzeption für das Lehramtsstudium aller Schularten. Der Reformprozess wird derzeit weiter vorangetrieben mit der Zielsetzung einer stärkeren Strukturierung vor allem des Grundstudiums durch Modulbildung und einer besseren Integration des Examens in den Studienverlauf. Erste Arbeitsergebnisse wird der nächste Fakultätentag in Marburg diskutieren. Bei allen Reformbemühungen muss die Kompatibilität der Studiengänge für Pfarramt und Lehramt sowie des theologischen Studiengangs mit nicht-theologischen Studiengängen gewährleistet bleiben, was die Studienreform zu einer ausgesprochen komplexen Aufgabe macht.

Neben der theologischen Forschung bleibt eine Hauptaufgabe der Evangelisch-Theologischen Fakultäten, den im Bereich der EKD benötigten Pfarrernachwuchs sowie die für den Religionsunterricht benötigten Lehrkräfte auszubilden. Darüber hinaus haben sie für die Ausbildung und Qualifizierung des wissenschaftlich-theologischen Nachwuchses zu sorgen und verschiedene weitere Studiengänge, Teilstudiengänge und Studienelemente vorzuhalten, die für andere Fakultäten sowie für die Gesellschaft insgesamt von Bedeutung sind. Das gesamte Ensemble dieser Aufgaben wird auch in Zukunft von den Theologischen Fakultäten unreduziert zu erbringen sein.

Dennoch können und wollen sich die evangelische Kirche und die evangelisch-theologischen Fakultäten den Sparzwängen nicht entziehen, wie sie sich zur Zeit gesamtgesellschaftlich darstellen. Aber sie wollen diesen Veränderungsprozess mitgestalten. Deshalb werden in der Orientierungshilfe für alle Planungen und Entscheidungen, durch die Evangelisch-theologische Fakultäten von Reduktionen und Sparmaßnahmen betroffen werden können, folgende Grundsätze geltend gemacht:

Theologie ist ein integraler Bestandteil der Universitas literarum. Die Erhaltung Evangelisch-theologischer Fakultäten ist daher nicht nur aus kirchlicher, sondern auch aus universitärer Sicht ein dringendes Desiderat. Nur dadurch kann bei Berufungsentscheidungen, bei Promotionen und Habilitationen - und damit bei der Ausbildung des wissenschaftlichen Nachwuchses - sowie bei der Verabschiedung von Prüfungs- und Studienordnungen der spezifische Beitrag der Theologie in Forschung, Lehre und in der wissenschaftlichen Selbstverwaltung erhalten werden und zur Wirkung kommen. Wo es sich aus zwingenden Gründen als nicht möglich erweist, eine Evangelisch-theologische Fakultät zu erhalten, sollte dafür Sorge getragen werden, dass Evangelische Theologie an dieser Universität in geeigneter Form - z. B. als Institut für die Religionslehrerausbildung - präsent bleibt, wie dies an anderen Orten auch unabhängig von der Existenz Theologischer Fakultäten der Fall ist.

Die Entscheidung über Reduktionen und Einsparmaßnahmen darf sich zwar nicht allein an der Auslastung einer Fakultät oder eines Instituts orientieren, muss sie aber als einen gewichtigen Faktor berücksichtigen. Der Durchschnittswert für den Auslastungsquotienten der Theologischen Fakultäten in Deutschland liegt zwischen 30 und 35 %. Im Verhältnis zu anderen Fakultäten ist dies, auch wenn es eine Reihe von Fakultäten mit deutlich höherer Auslastung gibt, kein ungewöhnlicher Wert. In Fällen, in denen Theologische Fakultäten dauerhaft und signifikant  eine Unterauslastung aufweisen und auch unter Berücksichtigung übergeordneter Gesichtspunkte ihre Aufrechterhaltung nicht erreichbar ist, ist es kein wünschenswerter Weg, Theologische Fakultäten personell so auszudünnen, dass sie unter das im "Pro-memoria"-Papier genannte Niveau der Mindestausstattung gesenkt werden und nur formell als Fakultäten erhalten bleiben. Stattdessen ist zu prüfen, ob durch Kooperation oder Fusion zwischen geographisch nahe beieinander liegenden Fakultäten leistungsfähige und angemessen ausgelastete Theologische Fakultäten erhalten werden können oder ob durch Umwandlung einer Theologischen Fakultät in eine Institution der Religionslehrerausbildung - mit möglichst 5, mindestens 3 Professuren, die nach Disziplinen unterschieden sind - ein sinnvoller Weg der Weiterentwicklung gefunden werden kann. Die Vertragspartner von Staat und Kirche sind bei solchen Entscheidungen verpflichtet, nach Lösungen zu suchen, die ihrer Verantwortung für eine angemessene Präsenz wissenschaftlicher evangelischer Theologie an deutschen Hochschulen gerecht wird.

Schließlich sind diejenigen Gesichtspunkte zu berücksichtigen, die sich aus der Existenz eigenständiger Landeskirchen und aus dem kulturellen Föderalismus in der Bundesrepublik Deutschland ergeben. Auf Länder- bzw. Landeskirchenebene sind - unter Beteiligung der betroffenen Fakultäten - die erforderlichen Entscheidungen zu treffen und zu verantworten. Dabei ist nicht nur das Moment regionaler Präsenz der Theologie zu beachten, sondern auch der unabweisbare Bedarf aller Landeskirchen an wissenschaftlich-theologischer Forschung und Lehre sowie an Mitarbeit von Vertretern der Universitätstheologie in Examina, Fortbildung, Gremientätigkeit, Beratung und Gutachtertätigkeit.

Im Blick auf  Kirchlichen Hochschulen im Bereich der EKD möchte ich darauf hinweisen, dass die Kirchenkonferenz bereits im März 2003 die Notwendigkeit ihres Erhalts als Ergänzung zu den staatlichen Fakultäten eindeutig bejaht hat. Nach Auffassung der Kirchenkonferenz nehmen die Kirchlichen Hochschulen eine Gemeinschaftsaufgabe in der EKD wahr, weshalb sich die Gliedkirchen zur Beteiligung an ihrer Finanzierung bereit erklärt haben. Mit Interesse verfolgt die Kirchenkonferenz die konzeptionelle Entwicklung einer gemeinsamen Hochschule Wuppertal-Bethel mit unterschiedlichen Schwerpunkten in Forschung und Lehre an beiden Standorten  und begrüßt die Koordination der Ausbildungskonzepte mit der Kirchlichen Hochschule in Neuendettelsau.

In der öffentlichen Diskussion über das Impulspapier der EKD Kirche der Freiheit spielte – neben der heftig debattierten Frage nach der zukünftigen Anzahl und Größe der Landeskirchen – die Annahme eine Rolle, dass in Zukunft nicht mehr alle gegenwärtig eingerichteten Pfarrstellen erhalten werden können. In der Tat, wir werden uns dieser Einsicht nicht verschließen können und das Verhältnis zwischen beruflicher und ehrenamtlicher Arbeit in der Kirche neu bestimmen müssen. Aber diese Notwendigkeit ändert nichts daran, dass auch in Zukunft der Beruf der Pfarrerinnen und Pfarrer der Schlüsselberuf der evangelischen Kirche sein wird, für den ein Höchstmaß an Qualifikation in Aus- und Fortbildung sowie Supervision zu verlangen ist. Daran lässt das Impulspapier jedenfalls keinen Zweifel und es kann keine Rede davon sein, dass es irgendwo versäumen würde, das Gewicht des Pfarrberufs für die evangelische Kirche und ihren Auftrag angemessen zu würdigen.

4.

Die Präsenz der Evangelischen Kirche an der Hochschule

Nachdem sich der Rat bereits im vergangenen Jahr mit der mich bedrängenden Frage befasst hat, wie die Präsenz der Evangelischen Kirche an der Hochschule gestärkt werden kann, hat der Rat soeben in seiner Sitzung am 8./9. September 2006 dazu ein Positionspapier verabschiedet.

Das Positionspapier geht davon aus, dass die evangelische Kirche immer schon eine Kirche gewesen ist, die einen hohen Bildungsanspruch vertritt. Sie hat stets die Auseinandersetzung mit der zeitgenössischen Wissenschaft und den Bildungseliten geführt. Eine qualifizierte Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule erwächst mithin aus dem Selbstverständnis des Protestantismus und ist ein Dienst an unserer Kultur.

Wir wissen: Die Qualität der Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule bestimmt nachhaltig den Einfluss des Protestantismus in Deutschland. Nach Auffassung des Rates kommt der Kirche deshalb an der Hochschule eine zentrale Aufgabe zu, ist doch die Hochschule ein Ort, an dem nach Sinn gefragt wird und Orientierungsangebote gemacht werden, die rein immanente Deutungsangebote übersteigen. An den Hochschulen finden grundlegende Prozesse von Forschung, Bildung und Ausbildung statt. Sie prägen mit ihren Diskursen und Lebensstilen das Selbstverständnis, die Weltsicht und Lebensentwürfe der Menschen, die dort studieren und lehren. Es ist deshalb eine wichtige – ja lebenswichtige -  Aufgabe für die evangelische Kirche, an der Hochschule in vielfältiger Form präsent zu sein und sich an den Diskursen, die dort über Inhalte, Methoden und Ziele der Forschung sowie deren ethische Bedeutung geführt werden, kompetent zu beteiligen. Evangelische Akademikerinnen und Akademiker sollen in ihrem Glauben ermutigt und ihr protestantisches Selbstbewusstsein gestärkt werden, so dass sie zur Übernahme von Verantwortung in Kirche und Gesellschaft auf dem Hintergrund des christlichen Glaubens befähigt werden.

Solche Arbeit der evangelischen Kirche an der Hochschule hat in besonderer Weise eine missionarische Dimension. An Hochschulen lehren und lernen Menschen, die in hervorgehobener Weise Verantwortung in unserer Gesellschaft wahrzunehmen haben. Wenn dem christlichen Glauben in ihrem Leben eine tragende und im Alltag erkennbare Rolle zukommt, wirkt dies in besonders starker Weise nach außen.

Es ist ein großer Reichtum für unsere Kirche, dass sich die Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule in vielfältigen Formen realisiert: Dazu gehören die evangelischen Studierenden- und Hochschulgemeinden, die evangelischen Hochschulpfarrämter, die Universitätsgottesdienste, die Arbeit der Evangelische Akademikerschaft und des Evangelischen Studienwerks Villigst sowie von der Kirche getragene Studienhäuser und Wohnheime. In herausgehobener Weise dienen die theologischen und religionspädagogischen Fakultäten und Fachbereiche bzw. Lehrstühle der Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule. Schon allein ihre Existenz ist ein Hinweis darauf, dass eine Universität sich nicht im Vordergründigen erschöpfen darf. Der Präsident der Humboldt Universität Christoph Markschies hat in diesem Zusammenhang auf den eminent ideologiekritischen Impuls hingewiesen, der von theologischen Fakultäten und Fachbereichen ausgeht: Eine Theologische Fakultät als Ganze bewahrt im besten Fall gemeinsam mit anderen Disziplinen wie der Philosophie eine Universität davor, dass an ihr Vorläufiges als ewig Gültiges und Hypothesen über Wirklichkeit für die Wirklichkeit ausgegeben werden. Eine solche Unterscheidung sichert letztlich die durch finanzielle Knappheit und Zweckrationalismen besonders bedrohte Freiheit der Forschung. Die ideologiekritische Funktion der Theologie vermag außerdem das interdisziplinäre Gespräch zu fördern: Weil die Theologie zwischen Ewigkeit und Vergänglichkeit, zwischen Gott und Mensch zu differenzieren vermag, kann sie jenseits von naturwissenschaftlichem Positivismus und geisteswissenschaftlichem Konstruktivismus für ein Ernstnehmen der aller Erfahrung vorgängigen Wirklichkeit ebenso wie der wirklichkeitskonstituierenden Kräfte des Menschen werben.  Ich kann das Gesagte nur unterstreichen. Und im Sinne der gemeinsamen Verantwortung von Kirchenleitung und Theologie möchte ich im Namen des Rates der EKD für den Beitrag der Fakultäten und Fachbereiche zur Präsenz der evangelischen Kirche an der Hochschule danken. In Verantwortung vor- und füreinander mögen wissenschaftliche Theologie und Kirchenleitung gemeinsam die gegenwärtigen Herausforderungen angehen und bestehen.