Grußwort bei der öffentlichen Vorstellung der Ergebnisse des Studienprojektes „Grund und Gegenstand des Glaubens nach römisch-katholischer und evangelisch-lutherischer Lehre“ in Tübingen

Wolfgang Huber

Es ist mir eine Freude, das anspruchsvolle Studienprojekt zu würdigen, dessen erste Ergebnisse heute vorgestellt werden. Denn es verspricht, der ökumenischen Theologie einen neuen Impuls zu geben. Ein solcher Impuls ist dringend zu wünschen; dem vertieften theologischen Dialog wie einem sich hoffentlich vertiefenden gemeinsamen Zeugnis und Dienst unserer Kirchen kann das nur gut tun.

Im Blick auf die ökumenische Situation sind sehr häufig resignative Töne zu hören. Dafür, ob eine solche Einschätzung die Lage trifft und ob der Stillstand, der eingetreten zu sein scheint, sich überwinden lässt, haben die Beziehungen zwischen der römisch-katholischen Kirche und den Kirchen der Reformation eine paradigmatische Bedeutung. Dabei ist es wichtig, sich darüber zu verständigen, an welcher Stelle des Dialogs wir uns befinden.

Das 20. Jahrhundert hat uns insgesamt den Übergang von einer kontroverstheologischen Debatte zu einem ökumenischen Dialog gebracht. In Deutschland haben dazu die bitteren Erfahrungen und großen Herausforderungen in der Zeit der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft und der deutschen Teilung beigetragen. Im II. Vatikanischen Konzil wurde die ökumenische Aufgabe auch auf der Seite der römisch-katholischen Kirche offiziell anerkannt. Die anschließende theologische Arbeit trug wesentlich dazu bei, dass die wechselseitigen Lehrverurteilungen aus der Anfangszeit der westlichen Konfessionsspaltung überwunden wurden; leider wurde dieses Ergebnis auf römisch-katholischer Seite bisher nicht offiziell rezipiert. Die neunziger Jahre waren durch den Versuch geprägt, in dem zentralen Thema der Reformation, nämlich der Lehre von der Rechtfertigung, zu gemeinsamen Aussagen zu kommen. Auch wenn dieser Prozess – im Unterschied zu der Arbeit über die Interpretation der Lehrverurteilungen – zu einem formellen Abschluss kam, hinterließ er doch gewichtige theologische Fragestellungen, die bis zum heutigen Tage noch nicht gelöst sind.

Vor allem hinterließ er die Aufgabe, auch bei bleibenden Unterschieden in fundamentaltheologischen wie in ekklesiologischen Fragen gleichwohl eine Kultur des wechselseitigen ekklesialen Respekts auszubilden, ohne die ökumenische Fortschritte nicht vorstellbar sind. Immer deutlicher zeigte sich auch die Notwendigkeit, eine Methodik der ökumenischen Theologie zu entwickeln, in der Einheit und Differenz nicht einfach gegeneinander ausgespielt werden, sondern in ihrer Wechselseitigkeit wahrgenommen werden. Denn nur dann kann es zu einem vertieften theologischen Dialog und zu einem sich vertiefenden gemeinsamen Zeugnis und Dienst der Kirchen kommen.

Eine solche Vertiefung in beiden Richtungen ist nur zu erhoffen, wenn beides zusammenkommt: ein präzisiertes Differenzbewusstsein und ein präzisiertes Einheitsbewusstsein. Ein präzisiertes Differenzbewusstsein lässt sich nur aufbauen, wenn beide Seiten einen Sinn für die innere Stimmigkeit des theologischen Denkens der jeweils anderen Seite entwickeln. Ein präzisiertes Einheitsbewusstsein erfordert eine Rechenschaft darüber, inwiefern es sich bei diesen unterschiedlichen theologischen Denkwegen um ein und dieselbe Sache des christlichen Glaubens handelt. Wenn diese doppelte Bewegung gelingt, kann sich die Tür zu einer Phase des ökumenischen Dialogs öffnen, in welcher die beiden Modelle der „versöhnten Verschiedenheit“ und der „wirklichen Einheit“ nicht mehr als Gegensätze verstanden werden. Dass wir zu einer solchen Phase des ökumenischen Dialogs übergehen, ist dringend zu wünschen.

Aus diesem Grund begrüße ich dieses Projekt sehr herzlich. Es stellt, wie heute sicherlich noch im Einzelnen dargelegt wird, eine bemerkenswerte methodische Innovation dar. In klaren Verfahrensschritten soll die Fähigkeit entwickelt werden, das theologische Denken der jeweils anderen Seite aus sich selbst zu verstehen und gerade so zu einem vertieften Verständnis der eigenen theologischen Tradition zu kommen, um auf diesem Weg ein reiferes Verständnis der untersuchten Sache selbst zu entwickeln.

Das heute vorzustellende Projekt führt diese methodische Innovation in sorgfältigen Untersuchungen und Diskussionen durch. Ich danke den Herren Professoren Lorizio, Zak, Serreti, Herms, Härle und Schwöbel sehr herzlich für die mühevolle, ja entsagungsvolle Arbeit, die sie diesem Vorhaben in den letzten sieben Jahren gewidmet haben und in einer zweiten Projektphase auch weiterhin widmen wollen.

Ein derart anspruchsvolles Vorhaben kann sich nicht darauf beschränken, die kirchliche Lehrentwicklung seit der Reformation in den Blick zu nehmen. Denn bereits die Verknüpfung von Evangelium und Vernunftverständnis in der Frühzeit der Christenheit hat eine Tiefe in das Verstehen der Offenbarung und eine Klarheit in das Erfassen des Christusgeschehens gebracht, die alle Kirchen und Konfessionen bis heute prägen – und damit auch den wissenschaftlichen Dialog zwischen römisch-katholischer und evangelischer Theologie. Sie alle sind in einen Traditionszusammenhang gestellt, der die anderthalb Jahrtausende vor der Reformation genauso umfasst wie das halbe Jahrtausend seitdem.

Mit Recht kann man in einem solchen Zusammenhang von den reformatorischen Kirchen sagen, sie seien derjenige Teil der katholischen Kirche, der durch die Reformation gegangen ist. Ihre Wurzeln reichen weiter zurück als bis zum 16. Jahrhundert. So wie alle christlichen Kirchen haben sie ihren entscheidenden Halt in der biblischen Botschaft selbst. Aber sie sind ebenso verwurzelt in der Ausbildung theologischen Denkens im 1. Jahrtausend gemeinsamer Geschichte; eine geringere Herkunftstiefe haben auch sie nicht. Eine Besinnung auf fundamentaltheologische Fragen von Offenbarung und Glauben kann diese gemeinsame Geschichte zum Leuchten bringen.

Der Blick auf das erste Jahrtausend lenkt unsere Aufmerksamkeit auf die Situation vor der Spaltung von östlicher und westlicher Christenheit. Mit Beharrlichkeit entwickeln wir als evangelische Kirche unsere Dialoge mit orthodoxen und altorientalischen Kirchen weiter; zugleich verfolgen wir mit großem Interesse die Neuansätze im Dialog zwischen der römisch-katholischen Kirche und den orthodoxen Kirchen. Dieser Dialog wird neben dem größeren Verständnis der beiden Partner füreinander auch deutlich machen, wie viele Gemeinsamkeiten zwischen den beiden kirchlichen Traditionen des Westens bestehen. Auch wenn dogmatisch die Nähe zwischen orthodoxer und römisch-katholischer Theologie größer sein mag, so bleibt doch die kulturelle Nähe zwischen reformatorischem und römisch-katholischem Geist bemerkenswert. In beidem liegt ein ökumenischer Schatz, der heute zu heben ist.

In der Spiritualität und im Gottesdienstverständnis, in der Theologie und im Verständnis der Moderne gibt es Gemeinsamkeiten zwischen der römisch-katholischen und den evangelischen Kirchen, die wir mitunter erst im Dialog mit einem dritten Partner wahrnehmen. Entsprechendes gilt für Gespräche mit Muslimen, in denen auch zu spüren ist, wie stark das gemeinsam Christliche zwischen uns eine selbstverständliche Voraussetzung ist, um in ein Gespräch mit Vertretern einer anderen Religion einzutreten. In der religiösen Lage der Gegenwart wird uns deutlich, wie stark wir als christliche Kirchen herausgefordert sind, gemeinsam Auskunft zu geben über „die Hoffnung, die in uns ist“ (1. Petrus 3. 15). Unsere Kirchen gewinnen Glaubwürdigkeit nur gemeinsam, nicht gegeneinander oder gar auf Kosten des jeweils anderen.

Aber diese Glaubwürdigkeit setzt beides voraus: ein vertieftes Differenzbewusstsein und ein vertieftes Bewusstsein dessen, was uns eint. Für die Evangelische Kirche in Deutschland danke ich Ihnen von Herzen dafür, dass sie sich dieser doppelten Aufgabe auf eine so eindrückliche Weise stellen.

Hannover / Tübingen, 07. April 2008

Pressestelle der EKD
Christof Vetter