Grußwort für die Ostseeanrainerkonferenz der Militärseelsorger im Rahmen des Empfangs im Rathaus, Stralsund

Wolfgang Huber

Vor zehn Jahren fand in Kiel die Ostseeanrainerkonferenz der Evangelischen Militärgeistlichen zum ersten Mal statt. 1998 war das auch ein Ausdruck der nach dem Fall des „Eisernen Vorhangs“ sich wandelnden Verhältnisse rund um die Ostsee. Verbindet das „baltische Meer“ doch Länder miteinander, die spätestens seit den Zeiten der Hanse kulturell und religiös eng miteinander verbunden sind. Seit den Tagen der Reformation ist die Ostseeregion tief geprägt durch die gemeinsame lutherische Tradition.

An diese Geschichte konnte nach 1989 mit dieser Konferenz wieder neu und zukunftsträchtig angeknüpft werden. Die evangelischen Seelsorgen für die Soldatinnen und Soldaten sind durch die regelmäßigen Treffen zusammengewachsen. Die Zusammenarbeit der Geistlichen in den Einsatzgebieten ist so erleichtert worden – zugunsten der Soldatinnen und Soldaten.

„Eingebunden und doch frei“ - mit Ihrem diesjährigen Tagungsthema zeigen Sie an, dass das Selbstverständnis der evangelischen Seelsorge unter den Soldaten sich in einem Spannungsfeld bewegt und immer wieder neu bestimmt werden muss. Im Rahmen dieser Konferenz wird das auch an der unterschiedlichen Art und Weise, wie die Seelsorge in den verschiedenen Ländern organisiert ist, sichtbar.

Ich bin gebeten, etwas zu der neuen Friedensdenkschrift der EKD zu sagen. Das kann in diesem Rahmen nur so geschehen, dass ich zunächst die Grundentscheidungen dieses Textes benenne und dann zeige, welche Konsequenzen daraus für die Frage des Einsatzes von Soldatinnen und Soldaten gezogen werden. Dabei wird deutlich, dass auch die Frage, wie denn für den Frieden in der Welt in der Verantwortung vor Gott und den Menschen gesorgt werden kann, immer wieder neu gestellt und beantwortet werden muss.

„Friede ist keine Selbstverständlichkeit. Ihn zu wahren, zu fördern und zu erneuern, ist eine immerwährende Aufgabe.“ Dieser Satz ist zentral schon in der Friedensdenkschrift von 1981. Und er kehrt wieder in der Denkschrift von 2007. Diese zentrale friedensethische Aussage hat zeitlose Gültigkeit. Sie fordert zwar nicht nur Christinnen und Christen, aber auch ganz besonders die christlichen Kirchen und ihre Mitglieder zu immer neuem Beten und Arbeiten für den Frieden heraus.

Zur Wahrung, Förderung und Erneuerung des Friedens können und sollen alle Staatsbürger beitragen - jede und jeder an seinem Ort. Diese Aufgabe steht aber ganz besonders im Blick von Menschen, die sich entweder in zivilen Friedens- und Entwicklungsdiensten oder aber als Angehörige der Bundeswehr für den Frieden einsetzen. Früher sprachen wir von „Komplementarität“ im Blick auf diese zwei unterschiedlichen Ansätze und Weisen, den Frieden zu sichern. Dieser aus der Physik entlehnte Begriff trägt durchaus auch die Gefahr des Missverständnisses in sich. Aber so viel sagen wir heute: Für den Frieden eintreten und sorgen können Christen und Christinnen in sehr unterschiedlichen Funktionen, Weisen und Berufen - als Angehörige der Streitkräfte ebenso wie in zivilen Friedens- und Entwicklungsdiensten. In den Achtzigerjahren haben beide Gruppen einander bisweilen bekämpft und einander manchmal sogar den Friedenswillen und die Friedensfähigkeit abgesprochen. Gott sei Dank sind diese Zeiten vorbei. Ich hoffe, endgültig. Die im vergangenen Jahr veröffentlichte Friedensdenkschrift des Rates der EKD dokumentiert die veränderte politische Lage seit dem Ende des Ost-West-Konflikts, aber auch den Lernprozess und die Erkenntnisfortschritte, die viele von uns seit den Achtzigerjahren zurückgelegt haben. Dass dabei nicht die Vorstellung leitend sein kann, dass die Gefährdung des Friedens – auch durch den Einsatz militärischer Gewalt – einfach der Vergangenheit angehört, wird uns gerade in diesen Tagen im Konflikt um Südossetien auf bedrängende Weise vor Augen geführt. Auch dass das Ende des Ost-West-Konflikts nicht mit einem Ende von Machtkonflikten zwischen den großen Mächten gleichzusetzen ist, wird an der Auseinandersetzung zwischen Russland und Georgien sowie an der Parteinahme der USA für Georgien deutlich.

Solche Vorgänge unterstreichen, wie dringlich es ist, für den Frieden Verantwortung wahrzunehmen. Freilich nicht für irgendeinen Frieden, sondern für den gerechten Frieden, wie wir heute einvernehmlich sagen. Wenn wir vom gerechten Frieden sprechen, deuten wir damit ebenfalls einen Lernprozess an. Mit der viel zitierten Kurzformel „gerechter Friede“ ist nämlich die Einsicht gemeint, dass Friede, Recht und Gerechtigkeit zwar voneinander unterschieden werden können, sachlich aber untrennbar miteinander zusammen gehören. Wer nachhaltig Frieden schaffen will, muss sich daher für eine vernünftige Weltfriedensordnung als internationale Rechtsordnung einsetzen und sich zugleich für weltweite soziale Gerechtigkeit engagieren. Solche Gerechtigkeit schließt Verteilungsgerechtigkeit ein, beschränkt sich aber nicht auf sie. Auf dem Wege zu einer vernünftigen Weltfriedensordnung kommen wir nur voran, so die Denkschrift, wenn wir Frieden, Recht und Gerechtigkeit als untrennbar zusammengehörig und interdependent verstehen. Wenn Friede nachhaltig sein soll, dann muss er von Anfang an und in jedem Stadium seines Wachstums mit Recht und Gerechtigkeit verbunden sein. Daher müssen Friedensprozesse stets begleitet sein vom Kampf gegen Armut und Hunger auf der Welt und vom Eintreten gegen die wachsende materielle Ungleichheit. Ebenfalls muss der Friede sich im Rahmen einer internationalen Rechtsordnung entwickeln, wie die UNO sie vorgibt.

So viel zum Grundgedanken unserer neuen Denkschrift. Auf die Soldatinnen und Soldaten (und aus deutscher Sicht deshalb) auf die Bundeswehr nimmt sie an mehreren Stellen Bezug. Fünf Gedanken daraus möchte ich hier kurz skizzieren.

Erstens: Die Neuausrichtung der Bundeswehr vorwiegend auf Auslandseinsätze wirft viele ernste Fragen auf.

Die EKD warnt vor einer Ausweitung der Auslandseinsätze und gibt auch zu bedenken, ob die derzeit stattfindenden (zum Beispiel in Afghanistan) nicht eher eingeschränkt oder beendet als ausgebaut und verlängert werden sollten. Weitgehend fehlt in diesem Zusammenhang ein friedens- und sicherheitspolitisches Gesamtkonzept, in das sich militärische Mittel und die Teilnahme an Militäraktionen überzeugend einfügen. Es ist aus der Sicht der EKD problematisch, dass bei der gegenwärtigen „Transformation“ der Bundeswehr eine einseitige Prioritätensetzung zugunsten der Auslandseinsätze erfolgt. Zwar haben die „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ und das Weißbuch von 2006 die in der hergebrachten Form überholte „Landesverteidigung“ durch die Formel „Schutz Deutschlands und seiner Bürgerinnen und Bürger“ ersetzt. Dieser Aufgabe wird zwar ein hoher Stellenwert eingeräumt, sie scheint aber konzeptionell noch wenig ausgestaltet und der Öffentlichkeit nicht ausreichend bewusst zu sein.

Zweitens: Die allgemeine Wehrpflicht ist nicht selbstverständlich. Sie muss immer neu begründet und sachlich gerechtfertigt werden.

Denn mit ihr werden die von ihr erfassten Bürger einer einzigartigen Zwangspflicht, äußerstenfalls zum Einsatz des eigenen Lebens im Kampf unterworfen. Die Wehrpflicht ist mit so tiefen Eingriffen in die Grundfreiheiten, vor allem in das elementare Recht auf Leben, verbunden, dass sie der demokratische Rechtsstaat seinen Bürgern nur zumuten kann, wenn sie ausschließlich auf die Aufgabe der Landesverteidigung bezogen und zu diesem Zweck sicherheitspolitisch erforderlich ist. Falls man die allgemeine Wehrpflicht auch künftig beibehalten will, muss man zwei Gesichtspunkte beachten: 1. Gerechtigkeit bei der Heranziehung zum Wehrdienst, die auch so empfunden werden kann, 2. eine Gestaltung des Wehrdienstes, die den Wehrpflichtigen eine gute Ausbildung vermittelt, angemessene Ausrüstung bereit stellt und das Bewusstsein gibt, gebraucht zu werden. Beides besitzt entscheidende Bedeutung für die weitere grundrechtliche Rechtfertigung wie für die gesellschaftliche Akzeptanz der Wehrpflicht.

Drittens: Die evangelische Kirche die Soldatinnen und Soldaten in ihrem schwierigen Dienst. Die Seelsorge in der Bundeswehr gilt den Wehrdienstleistenden ebenso wie den Zeit- und Berufssoldaten. Er bezieht die Familien der Soldatinnen und Soldaten im Maß des Möglichen mit ein.

Die evangelische Seelsorge in der Bundeswehr erfolgt auf der Grundlage des Vertrages der Bundesrepublik Deutschland mit der EKD zur Regelung der evangelischen Militärseelsorge sowie des Kirchengesetzes über die Seelsorge in der Bundewehr. Zu den Hauptaufgaben der Seelsorger und Seelsorgerinnen in der Bundeswehr gehören das Feiern von Gottesdiensten und die Verwaltung der Sakramente, daneben die Einzel- und die Gruppenseelsorge, die Schärfung und Beratung der Gewissen im Sinn der friedensethischen Urteilsbildung der Kirche und schließlich der von den Seelsorgerinnen und Seelsorgern in der Bundeswehr wahrgenommene Lebenskundliche Unterricht. Sicher ist: Die stark gestiegenen Belastungen, welche die Auslandseinsätze der Bundeswehr für die Soldatinnen und Soldaten mit sich bringen, erfordern seitens der sie begleitenden Geistlichen eine große seelsorgliche und ethische Kompetenz sowie ein hohes Maß an menschlicher Sensibilität.

Viertens: Die EKD unterstreicht die Notwendigkeit der Inneren Führung als demokratischer Organisationsform der deutschen Streitkräfte.

Das ethisch, historisch und rechtlich begründete Konzept der Inneren Führung ist in den vergangenen fünfzig Jahren zum Markenzeichen der deutschen Streitkräfte geworden. Das Leitbild vom Staatsbürger in Uniform, der Primat der Politik, der Grundrechtsschutz, die Gewissensfreiheit, die Bestimmung des Verhältnisses von Befehlsgewalt und Gehorsamspflicht, die Integration der Streitkräfte in die demokratische Ordnung, eine an der Menschenwürde orientierte Ausgestaltung des Dienstes sowie zeitgemäße Menschenführung - all dies ist in der Bundeswehr weitgehend verwirklicht. Dafür sind wir als Evangelische Kirche in Deutschland dankbar; dahinter kann es kein Zurück mehr geben.  Es ist bemerkenswert, dass sich das Parlament im Blick auf diesen Aspekt mit dem Wehrbeauftragten ein eigenes Instrument zur Begleitung und Beobachtung geschaffen hat.

Fünftens: Zu all den hier skizzierten Themen sind eine breite öffentliche Debatte und parlamentarische Erörterung nicht nur aus dem punktuellen Anlass einer Mandatsverlängerung für die Entsendung von Truppen erforderlich.

Man kann die deutsche Sicherheitspolitik nicht mehr vom internationalen Rahmen isolieren. Sie ist in die durch die UNO repräsentierte internationale Rechtsgemeinschaft genauso eingeordnet wie in Entscheidungen der NATO und der europäischen Union. Das bestimmt den Horizont, innerhalb dessen auch spezifische Fragen der deutschen Sicherheitspolitik zu diskutieren sind. Eine breitere gesellschaftliche Diskussion darüber erscheint als durchaus angezeigt.. Auch innerhalb der Bundeswehr werden derartige Diskussionen zu wenig geführt, obwohl diese Themen zentral für das Selbstverständnis einer „Armee im Einsatz“ sind und in engem Zusammenhang mit Aspekten der Legalität und Legitimität, der Rechtssicherheit der Soldaten und ihres politischen Rückhalts bei Auslandseinsätzen stehen. Als Evangelische Kirche in Deutschland leisten wir gerne unseren Beitrag zu dieser Debatte. Die Friedensdenkschrift sollte ein Anlass und Impuls dafür sein. Der Leitbegriff des gerechten Friedens ist Ausgangspunkt unserer Überlegungen und kann sich als ein wichtiger Bezugspunkt für die notwendige breitere Diskussion sein.

Dabei steht die Diskussionslage in Deutschland nur exemplarisch für etwas, was unbedingt in einem breiteren europäischen Rahmen zu diskutieren ist. Dafür bietet die Ostseeanrainerkonferenz der Militärseelsorger eine wichtige Gelegenheit. Ich freue mich darüber, dass diese Plattform für den Austausch von Erfahrungen und Perspektiven geschaffen wurde und wünsche Ihnen gute Begegnungen und ertragreiche Gespräche.