Grußwort zum 50. Todestag von Bischof George Bell am 3. Oktober 2008

Wolfgang Huber

Die Evangelische Kirche in Deutschland erinnert sich in Dankbarkeit an Bischof George Bell, den Bischof von Chichester. Dieser große Ökumeniker, Freund Dietrich Bonhoeffer und Botschafter der Versöhnung starb vor fünfzig Jahren. Sein Engagement für den Frieden, seine Bereitschaft zum Neubeginn und seine unbeirrbare Freundschaft zu den Christen in Deutschland, auch in finsterster Zeit, verdienen Achtung und Dank.

„Ihre Arbeit wird in der Geschichte der deutschen Kirche nie vergessen werden“, schrieb Dietrich Bonhoeffer seinem 23 Jahre älteren väterlichen Freund im Jahr 1937. Das war nicht leicht dahingesagt; sondern diese Aussage hatte einen guten Grund. Kaum ein anderer Kirchenführer außerhalb Deutschlands hat die Geschicke der Kirchen und der Christen in Deutschland seit Beginn der zwanziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts so intensiv, freundschaftlich und zugleich kritisch begleitet wie George Bell. Er war ein Kämpfer für den Frieden und für die Wahrheit und hat sich nie gescheut, seine Überzeugungen mit der Autorität seines Amtes und seiner Person nachdrücklich zu vertreten, auch im politischen Raum.

Stets achtete er darauf, dass die Kirche nicht bei sich selbst verharrt, sondern die Botschaft von der Versöhnung in den gesellschaftlichen und politischen Raum hineinträgt. So half er den aus Deutschland nach England geflohenen Opfern des Hitler-Regimes und eröffnete ihnen neue berufliche Perspektiven. Auf seine Initiative wurde die „Christian Fellowship in Wartime“ gegründet. In der „Times“ veröffentlichte Bell regelmäßig Artikel über die politische und kirchliche Situation in Deutschland, schon von 1933 an gut informiert durch Dietrich Bonhoeffer und später durch dessen Schwager Gerhard Leibholz, der wegen seiner jüdischen Herkunft mit seiner Familie in England Zuflucht suchte.

Besonders als Vorsitzender des Ökumenischen Rates für Praktisches Christentum („Life and Work“) unterstützte Bell die Bekennende Kirche und warb für ihre Anerkennung in der Ökumene.

Entschieden verurteilte George Bell die Flächenbombardements deutscher Städte, weil sie strategisch sinnlos seien und vor allem für unschuldige Menschen Leiden oder Tod bedeuteten. Die deutsche Widerstandsbewegung fand in ihm einen mutigen Unterstützer. Bei einem konspirativen Treffen in Schweden 1941 übergab ihm Dietrich Bonhoeffer die Bitte des deutschen Widerstands an die britische Regierung um Rückendeckung. Bells Eintreten für das „andere Deutschland“, insbesondere auch im House of Lords, trug ihm in Kirche und Öffentlichkeit seines Landes manche Kritik ein; im Rückblick haben wir Grund, uns seiner Haltung in großer Dankbarkeit zu erinnern.

Zur Aussöhnung nach dem Zweiten Weltkrieg trug George Bell entscheidend bei, indem er den deutschen Kirchen den Weg zurück in die Ökumene ebnete. Bischof Bell war einer der ersten, die Deutschland wieder besuchten. In einem bewegenden Gottesdienst predigte in der stark zerstörten Marienkirche in Berlin und war tief bewegt von dem Elend der Flüchtlinge, die er z. B.  auf den hoffnungslos überfüllten Bahnsteigen des Lehrter Bahnhofs in Berlin antraf. Mit allem Nachdruck setzte er sich für humanitäre Hilfe ein: Christian Aid (ursprünglich „Christian Reconstruction in Europe“), die große englische Hilfsorganisation, entstand unter seiner Beteiligung.

Noch in seiner Abschiedsrede vor dem Oberhaus im Januar 1958, neun Monate vor seinem Tod, plädierte Bell leidenschaftlich für die Menschenrechte in der DDR. Er wusste genau, wie dort mit der verfassungsmäßig garantierten Religionsfreiheit umgegangen wurde. So hat es einen guten Sinn, wenn wir gerade auch am Tag der Deutschen Einheit seiner gedenken.

Angesichts seiner großen Verdienste ist es nicht verwunderlich, dass George Bell nach dem Krieg zu den in Deutschland bekanntesten und beliebtesten westlichen Kirchenmännern gehörte. Fünfzig Jahre nach seinem Tod wollen wir die Erinnerung an diesen Botschafter der Versöhnung und den Dank für seinen Dienst am Frieden erneuern.

Die letzten Worte Dietrich Bonhoeffers vor seinem Tod, die uns durch seinen Mitgefangenen Payne Best überliefert sind, waren ein Gruß an George Bell. „Sagen Sie ihm, dass dies für mich das Ende ist, aber auch der Anfang. Mit ihm glaube ich an unsere universale christliche Bruderschaft, die alle nationalen Interessen übersteigt.“

Bischof Bell hielt  im Juli 1945 in der Holy Trinity Church in London einen Gedenkgottesdienst für Dietrich Bonhoeffer, der durch die BBC übertragen wurde. Erst dadurch erhielt die Familie Bonhoeffer die Gewissheit, dass Dietrich Bonhoeffer den Krieg nicht überlebt hatte.

Gerade durch die tiefe Freundschaft mit Dietrich Bonhoeffer ist George Bell auf das Innigste mit der Geschichte der Evangelischen Kirche in Deutschland verbunden. Deshalb grüßen wir unsere Schwesterkirche in England in tiefer Dankbarkeit für ihren großen Sohn, den Bischof von Chichester und ökumenischen Vordenker George Bell.