„Marktwirtschaft und Werte – Unternehmer in der Verantwortung“ - Impulsvortrag beim Wirtschaftstag des Wirtschaftsrates der CDU

Wolfgang Huber

Die Evangelische Kirche in Deutschland hat sich mit der Veröffentlichung ihrer Denkschrift „Unternehmerisches Handeln in evangelischer Perspektive“ im Sommer 2008 zu einem schöpferischen, freien und zugleich sozial verantwortlichen Unternehmertum als Basis einer florierenden Wirtschaft, die Teilhabechancen für die Menschen in unserem Lande sichert, bekannt. Diese Denkschrift hat ein breites, teilweise auch kontroverses Echo ausgelöst. Das Ziel, die große Bedeutung unternehmerischen Handelns herauszustellen, wurde so erreicht. Aber ohne Zweifel stellen sich schon heute, ein Jahr später, zusätzliche Fragen im Blick auf die ethische Verantwortung unternehmerischen Handelns. Verantwortung, Vertrauen und Nachhaltigkeit sind die drei Stichworte, unter denen ich das beschreiben will. Dabei wende ich mich dem ersten dieser drei Stichworte am ausführlichsten zu.

I. Verantwortung

Die heftige Krise der Finanzmärkte in den letzten Monaten noch weit mehr als vorher auf die große Bedeutung eines freien und verantwortlichen unternehmerischen Handelns aufmerksam gemacht. Auch schon vor der Veröffentlichung unserer Denkschrift deuteten sich  Zeichen der Krise an. Wir haben deshalb ausdrücklich festgestellt, dass gut geregelte und funktionierende Kapitalmärkte nicht nur zum Nutzen aller sind, sondern auch eine Vorbedingung für ein nachhaltiges Wirtschaften bilden. Sie können aber ein entsprechendes unternehmerisches Handeln auch nicht ersetzen.

Die irrige Vorstellung, dass sich auf den Finanzmärkten mit komplizierten neuen Produkten, deren Risiken nicht mehr durchschaubar waren, sehr schnell sehr viel Geld verdienen ließe, ist in sich zusammengebrochen. Entscheidend war, dass sehr hohe Risiken eingegangen werden konnten, ohne dass mit ihnen noch wirklich zurechenbare Verantwortlichkeit verbunden war. Wo es zur Entkoppelung der Übernahme von Risiken von der persönlichen oder gemeinschaftlichen Verantwortung kommt, sind Krisen von vornherein vorprogrammiert. Insofern gilt für die Zukunft, insbesondere der Finanzmärkte, dass  die Wahrnehmung von Risiken verbessert und – insbesondere in systemisch relevanten Bereichen – ihre Übernahme verringert werden muss.

Der Nobelpreisträger Paul Krugman hat das, was hier ansteht, sehr schön in dem wunderbaren Satz zusammengefasst: „Banking has to be boring again!“ – zu deutsch: das Banking muss wieder langweiliger werden; es muss weniger vom Risikoappetit angetrieben sein.

Freilich gilt zugleich: Ohne Risikoübernahme ist modernes Wirtschaften überhaupt nicht möglich und käme vollkommen zum Stillstand. Nur muss eben solche Risikoübernahme in einer verantwortlichen Weise geschehen und das heißt, dass stets Folgen kalkuliert werden, und zwar nicht nur für denjenigen, der die Risiken selbst übernimmt, sondern auch für andere, die gegebenenfalls durch die Risikoübernahme tangiert oder sogar geschädigt werden können. Zudem wird es in Zukunft gar nicht anders gehen, als dass die stete Möglichkeit von Krisen – anders als in der Vergangenheit – in die Risikoschätzung mit hinein gehört. Wechselseitigkeit, Reziprozität ist ein ethisches Grundprinzip, das auch in der Wirtschaft nicht vernachlässigt werden darf, wenn es nicht zu einem Schaden für alle kommen soll – im schlimmsten Fall in einem Umfang, wie wir ihn gegenwärtig erleben. Solche Wechselseitigkeit hat ihren tiefsten Grund im Gebot der Nächstenliebe. Sie findet ihren plastischen Ausdruck in der Goldenen Regel: „Was ihr wollt, dass euch die Leute tun sollen, das tut ihnen auch.“ Oder plastischer, weil gereimt: „Was du nicht willst, dass man dir tu, das füg auch keinem andern zu.“

Vier Funktionen unternehmerischen Handelns will ich unter diesem Gesichtspunkt der Verantwortung in aller Kürze unterscheiden.

1) Unternehmer sind in besonderer Weise zunächst einmal als Träger von Risiken anzusehen – ja sie sind Spezialisten für ein Handeln unter den Bedingungen von Ungewissheit. Weil sie für den Markt produzieren, müssen sie ihre Entscheidungen an künftigen Nachfragesituationen ausrichten. Das Korrelat zum Gewinn, den ein Unternehmer erzielen kann, ist, wenn sie sich mit ihren Erwartungen getäuscht haben, der Verlust. Sobald der Verlust ausgeschaltet wird, ist verantwortliches Handeln nicht mehr darstellbar. Dies war es eben, was man auf den Finanzmärkten, im Handeln der Investmentbanker, erleben konnte. Es ist aber hoffentlich nicht das, was zurzeit durch die Übernahme von Verlusten durch den Staat erreicht wird.

2) Eine zweite wichtige Funktion des Unternehmers ist das Nutzen von Gewinnchancen. Unternehmer sind diejenigen, die ein Gespür dafür haben, mit welchen Wegen, mit welchen Produkten, mit welchen Dienstleistungen sie Gewinne erzielen können, und die hierfür die Produktionsfaktoren entsprechend kombinieren.

(3) Eine dritte Funktion besteht darin, dass der Unternehmer als Innovator auftritt. Unternehmer finden neue Wege, die sie ausbauen können. Ein freies schöpferisches Unternehmertum ist etwas anderes ist als reines Verwalten und Erhalten der bestehenden Beziehungen. Gerade in der jetzigen Krise zeigt sich, wie wichtig solches Unternehmertum ist, das sich eben gerade in der Krise nicht von der vorhandenen Faktizität deprimieren lässt, sondern versucht, aus eigenem Antrieb und eigener Kraft Wege aus ihr heraus zu entwickeln. Es ist diese Bereitschaft zu Innovation und Initiative, deretwegen wir in unserer Unternehmerdenkschrift den ethischen Wert des Unternehmertums für die Gesellschaft im Ganzen so kräftig hervorheben. An unternehmerischem Handeln kann sich exemplarisch zeigen, was es bedeutet, die Gaben, die einem Menschen anvertraut sind, einzusetzen. Es kommt allerdings darauf an, ob das nur zum Eigennutz geschieht, oder ob dabei Eigennutz und Gemeinwohl zueinander in einem ausgewogenen Verhältnis stehen. Indikatoren dafür liegen in der Frage, ob der Unternehmenszweck nur in der Renditesteigerung oder ebenso in dem Wert des Unternehmens für seine Beschäftigen, im ethischen Sinn seiner Produkte und in der Bereitschaft zur Übernahme von sozialer Verantwortung im Unternehmen wie in der Gesellschaft liegen. Für die Frage der ethischen Verantwortbarkeit unternehmerischen Handelns haben die Fragen von Corporate Social Responsibility und Corporate Citizenship deshalb herausragende Bedeutung. Ein wichtiger Indikator ist in diesem Zusammenhang auch die Transparenz und die soziale Plausibilität des Verdienstes von Eigentümern und Managern. Die symbolische wie die tatsächliche Bedeutung dieses Faktors ist lange Zeit unterschätzt worden.

(4) Schließlich ist der Unternehmer ein Koordinator, der die Produktionsfaktoren – die Natur, die Arbeit, das Kapital – zusammenbringt und sie so kombiniert, dass sich daraus Produkte und Dienstleistungen entwickeln lassen, die für alle oder für möglichst viele nützlich sind. Der Unternehmer ist in dieser Sicht derjenige, der darauf spezialisiert ist, Entscheidungen über die Koordination knapper Ressourcen zu treffen. Voraussetzung der entsprechenden Entscheidungen ist stets die Gewinnung und die Verarbeitung von Informationen. Aber auch das beste Sammeln und Interpretieren von Informationen und Wissen aller Art entlastet nicht davon, zu irgendeinem Zeitpunkt Entscheidungen zu treffen, ob diese oder jene Investition denn nun gewagt werden soll oder nicht. Die Aufgabe der Koordination bezieht sich aber nicht nur auf die Allokation knapper Ressourcen. Von besonderer Bedeutung ist vielmehr die jedem Unternehmer gestellte Aufgabe der Personalführung. Der ethische Sinn dieser Aufgabe zeigt sich in der zentralen unternehmerischen Leistung, die man als Wertschöpfung durch Wertschätzung bezeichnet hat. Die Wahrnehmung von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nicht nur in ihrer Arbeitskraft und Produktivität, sondern in ihrer eigenen Würde und deshalb auch in ihrer persönlichen Lebenssituation bildet ein zentrales Element in der ethischen Qualität unternehmerischen Handelns. Personalförderung unter Berücksichtigung der Geschlechtergerechtigkeit, Berücksichtigung familiärer Situationen und das Eintreten für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, das Bemühen um die Erhaltung von Arbeitsplätzen und um die Förderung der Mitarbeiterschaft sind konkrete Beispiele für das besondere Gewicht dieser Aufgabe.

II. Vertrauen

In all diesen Funktionen ist unternehmerisches Handeln auf Vertrauen angewiesen. Dieses Vertrauen hängt davon ab, dass Unternehmerinnen und Unternehmern, Managerinnen und Manager als öffentliche Personen in ihrem alltäglichen Handeln selbst grundlegende ethische Werte und Tugenden vertreten. Verlässlichkeit, Transparenz, Ehrlichkeit gelten dabei als Werte, von denen das Vertrauen, das Unternehmern entgegengebraucht wird, in besonderem Maß abhängt. Dieser Umgang mit öffentlichen Tugenden ist deshalb von besonderer Bedeutung. So kann kein Unternehmen der Welt lange existieren, wenn von den leitenden Personen öffentlich zerstörerische Werte wie Gier oder Neid vertreten werden, weil diese Werte jede Form des Zusammenhalts in einem Unternehmen zersetzen würden. Die Unterscheidung zwischen berechtigtem Eigeninteresse, das es braucht, damit Selbstverantwortung möglich ist und die Wirtschaft überhaupt in Gang kommt, und zerstörerischer Gier ist von fundamentaler Bedeutung. Die Grenze zwischen beiden lässt sich nicht ein für allemal endgültig oder gar zahlenmäßig fixieren. Die Selbstverantwortlichkeit aller Beteiligten aber dafür freizuhalten, über diese Grenze immer wieder nachzudenken und sie im Blick zu behalten, ist für unsere Wirtschaftskultur von schlichtweg entscheidender Bedeutung.

Nicht allein um Zahlen geht es in der Ökonomie wesentlich, sondern es geht genauso um Vertrauen und Bindung. Das ist ja ein dramatisch unterschätzter Faktor, und ich sehe die wichtigste Lehre der letzten zwölf Monate darin, dass für wirtschaftlichen Erfolg Vertrauen genauso wichtig ist wie Kapital. Richtig ist aber auch, dass Vertrauen noch schwerer wieder aufzubauen ist als Kapital. Das sehe ich als eine der wichtigsten Dimensionen der gegenwärtigen Krise an.

Die Tugend des Maßes spielt in diesem Zusammenhang sowohl im Blick auf die Gewinne von Unternehmen als auch im Blick auf die Bezahlung von Managern eine große Rolle. Grundsätzlich – so formulieren wir in unserer Denkschrift – sollen die höchsten Gehälter in einem Unternehmen vor den Geringsten gerechtfertigt werden können. Und sicherlich muss es in Zukunft stärker so sein, dass zusätzliche Leistungsbezahlungen an die langfristige und nachhaltige Ertrags- und Wertsteigerung eines Unternehmens geknüpft sein muss statt an kurzfristige Renditemaximierung.

III. Nachhaltigkeit

Ein letzter Ausblick: Unternehmerisches Handeln ist in Deutschland fest eingebunden in unser System der Sozialen Marktwirtschaft, bei der wir davon ausgehen, dass ein starker Staat den wirtschaftlichen Wettbewerb effizient gestaltet und auf diese Weise für unternehmerische Freiheit sorgt. Der Staat hat in dieser Funktion nicht die Aufgabe, selbst Wirtschaft zu machen, sondern Wirtschaft zu ermöglichen und auf diese Weise auch der Wirtschaft Grenzen zu setzen. Notwendig ist deswegen eine gewisse Distanz des Staates zur Wirtschaft; gerade in der gegenwärtigen Krisensituation zeigt sich, wie wichtig und schwierig zugleich diese Grenzziehung ist. Zugleich sehen wir heute die Notwendigkeit, bei den staatlichen Rahmensetzungen für wirtschaftliches Handeln und bei den Maßnahmen zur Krisenbewältigung das Gebot der Nachhaltigkeit zum Zuge zu bringen. In diesem Sinn ist es notwendig, die Soziale Marktwirtschaft nicht nur in ihrer, während der letzten Jahre zum Teil sträflich vernachlässigten Bedeutung zur Geltung zu bringen, sondern sie zu einer Nachhaltigen Sozialen Marktwirtschaft weiter zu entwickeln.