Einführung zur Orientierungshilfe „Der Gottesdienst“ auf der Pressekonferenz

Wolfgang Huber

Es gilt das gesprochene Wort.

Der Gottesdienst bildet für jede christliche Gemeinde das Kernstück ihrer Existenz. Deshalb freue ich mich darüber, Ihnen heute einen Text vorzustellen, der sich diesem Kernstück widmet. Es ist eine Orientierungshilfe zu Verständnis und Praxis des Gottesdienstes in der evangelischen Kirche. Wir knüpfen damit an die Orientierungshilfen an, die in den vergangenen Jahren den beiden Sakramenten Abendmahl und Taufe gewidmet wurden. Die erfreuliche Resonanz auf diese beiden Texte hat den Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) dazu ermutigt, ihnen den heute veröffentlichten Text zum Gottesdienst zur Seite zu stellen. Um dessen Erarbeitung hat er eine ad-hoc-Kommission gebeten, der gleich zu Beginn dieser Pressekonferenz für ihre intensive und zügige Arbeit herzlich zu danken ist. Ganz besonders gilt dieser Dank dem Vorsitzenden der ad-hoc-Kommission Professor Michael Beintker und ihrem Sekretär Dr. Vicco von Bülow.

Die Orientierungshilfe gibt in knapper, allgemein verständlicher Weise Grundinformationen zur Geschichte des christlichen Gottesdienstes und verbindet diese mit theologischen Grundlinien seines evangelischen Verständnisses und seiner liturgischen Struktur. Sachgemäß schließt sie mit praktischen Hinweisen zu seiner Gestaltung. Diese Orientierungshilfe soll für Pfarrer und Pfarrerinnen, Prädikanten und Prädikantinnen, Lektoren und Lektorinnen, Kirchenmusiker und Kirchenmusikerinnen genauso eine Hilfe sein wird wie für Kirchenvorstände und Gesprächsgruppen sowie für Einzelne, die sich mit diesem Thema beschäftigen wollen.

Es hat sich gerade vor gut zwei Wochen während der Zukunftswerkstatt in Kassel gezeigt, dass dem Umgang mit dem Gottesdienst für den Reformprozess in der EKD eine zentrale Bedeutung zukommt. Wir wollen uns als Kirche nicht damit abfinden, dass evangelische Gottesdienste häufig nicht die Resonanz finden, die ihrer Bedeutung für das Leben der Gemeinde gemäß wäre. Ausdrücklich haben wir schon im Impulspapier „Kirche der Freiheit“ im Jahr 2006 das Ziel formuliert, die Gottesdienstbeteiligung zu stärken und auf diesem Weg ein gemeinsames Qualitätsbewusstsein im Blick auf den Gottesdienst zu entwickeln. Dafür wurden im weiteren Verlauf des Reformprozesses Liturgie und Kirchenmusik einerseits, die Kultur der Predigt andererseits als besonders wichtige Aufgabenfelder herausgehoben; Kompetenzzentren in Hildesheim und Wittenberg sollen der Beschäftigung mit diesen Aufgabenfeldern neue Impulse verleihen und die Arbeit an der Qualität kirchlichen Handelns in diesen wichtigen Bereichen verstärken.

In Kassel haben wir in der Galerie guter Praxis viele Beispiele gelingenden kirchlichen Lebens gesehen. Es ist kein Zufall, dass der Publikumspreis für das stärkste Praxisbeispiel an ein Projekt ging, das sich der Belebung des Gottesdienstes unter schwierigen Bedingungen widmet. Das Projekt „Gemeindeagende“ des Kirchenkreises Egeln in der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland ist ein echtes Aushängeschild für den einladenden, zuversichtlichen Protestantismus. Dort wurde ein Leitfaden für den Gottesdienst entwickelt, mit dem Ehrenamtliche ohne komplizierte Vorbereitung gemeinsam Gottesdienst feiern können, auch wenn kein Pfarrer und keine Pfarrerin am Ort ist.

In vielen Reforminitiativen wird auf die besonderen Möglichkeiten Bezug genommen, die Kasualgottesdienste und anlassbezogene Gottesdienste bieten. Eine solche Akzentsetzung steht nicht im Widerspruch zu der Einsicht, dass auch weiterhin der verlässlich gefeierte Gottesdienst an Sonn- und Feiertagen von zentraler Bedeutung bleibt. Denn für die Menschen, die regelmäßig an ihm teilnehmen, gehört er zum tragenden Gerüst ihres Lebens. Und auch für die, die nur unregelmäßig oder in größeren Abständen Gottesdienste mitfeiern, haben seine Verlässlichkeit und seine Qualität eine nicht zu unterschätzende Bedeutung. Im einen wie im anderen Fall – bei Gottesdiensten zu besonderen Gelegenheiten wie bei den regelmäßigen Gottesdiensten an Sonn- und Feiertagen –  sehen wir uns dazu verpflichtet, das uns Mögliche dazu beizutragen, dass Gottesdienste missionarisch ansprechend und einladend gestaltet werden.

Die Orientierungshilfe schließt mit einem Plädoyer für eine regelmäßige, ja tägliche Feier des Gottesdienstes, die aus der Quelle der eigenen Frömmigkeit erwächst: „Wovon man täglich lebt, das soll man täglich feiern.“ Diesem Plädoyer schließt sich der Rat der EKD deshalb gerne an, weil wir der Überzeugung sind, dass der Gottesdienst im Zentrum einer „Kirche der Freiheit“ steht, als die sich die evangelische Kirche im 21. Jahrhundert versteht. Diese kirchliche Kernaufgabe ernst zu nehmen, bedeutet, das Handeln der Kirche von ihrem Mittelpunkt her zu verstehen. Es ist deshalb keineswegs ein Zufall, sondern hat einen tiefen inneren Sinn, dass dies der letzte Text ist, den der Rat der EKD in der derzeitigen Amtsperiode  der Öffentlichkeit übergibt. So ist es auch der letzte Text der EKD, den ich in dieser Form vorstelle; natürlich hoffe ich darauf, dass gerade dieser Text eine segensreiche Wirkung entfaltet.