Grußwort bei der Verabschiedung von Thomas Wipf als Präsident des Schweizerischen Evangelischen Kirchenbunds

Wolfgang Huber

Thomas Wipf hat die Präsidentschaft im Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund während des apostolischen Zeitraums von zwölf Jahren wahrgenommen. Ich ahne, was seine Arbeit für die evangelischen Kirchen in der Schweiz bedeutet hat: die Bereitschaft zum Aufbruch, die vernehmbare Präsenz in der Gesellschaft, die Gesprächsbereitschaft über Grenzen hinweg. Er hielt sich an den biblischen Auftrag: „Suchet das Beste für Stadt (und Land) und betet für sie zum Herrn!“ Dabei ist hier in der Schweiz manches entstanden, wonach wir uns in Deutschland nur sehnen können. Ich nenne beispielhaft die eigenständige kirchliche Plattform für wirtschaftsethische Fragen im Rahmen des Weltwirtschaftsforums in Davos und den schweizerischen Rat der Religionen. Das sind weitsichtige Einrichtungen, auf die etwas neidvoll schaut, wer Vergleichbares im eigenen Land vermisst.

Doch es ist heute nicht meine Aufgabe, Ihnen, meine sehr verehrten Damen und Herren, zu erläutern, worum ich Sie beneide. Meine Aufgabe besteht vielmehr darin, Ihnen die Grüße Ihrer nördlich angrenzenden evangelischen Nachbarkirche zu bringen, insbesondere ihres heute noch lediglich amtierenden und morgen hoffentlich gewählten Ratsvorsitzenden Nikolaus Schneider. Während wir hier im schönen Rathaus von Bern beisammen sind, tagt nämlich die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland in Hannover. Bei der letztjährigen Synode, die in Ulm zusammenkam, waren sowohl Thomas Wipf als auch ich selbst anwesend. Er machte mir die Freude, an meiner letzten Amtshandlung als Ratsvorsitzender der EKD teilzunehmen. Mir ist es eine selbstverständliche Pflicht und eine wichtige Aufgabe, ihm heute namens der Evangelischen Kirche in Deutschland für eine ebenso fruchtbare wie freundschaftliche Zusammenarbeit während der letzten zwölf Jahren zu danken.

Thomas Wipf hat uns vor einem Jahr in Ulm drei Gedanken mitgegeben, auf die ich ihm am heutigen Tag antworten will. Dabei erfülle ich die von ihm damals erhobene Forderung, dass ein Grußwort kurz sein, aber dennoch einen vernünftigen Gedanken enthalten soll. Denn die drei Gedanken, auf die ich mich beziehe, stammen ja von ihm; es ist deshalb nicht unbescheiden, wenn ich sie vernünftig nenne.

Erstens hat Thomas Wipf uns ins Stammbuch geschrieben, die evangelische Zusammenarbeit in Europa zu intensivieren und ihr theologisch-gottesdienstliche Tiefe zu verleihen. Dazu hat er in den letzten Jahren wie wenige andere beigetragen. Und es ist für uns alle außerordentlich ermutigend, dass er dieser Aufgabe treu bleibt und das Präsidentenamt in der Gemeinschaft evangelischer Kirchen in Europa weiterführt. Was dieser Bund evangelischer Kirchen heute bedeutet, wird Bischof Michael Bünker gleich vertiefend darstellen. Aus der Sicht der Evangelischen Kirche in Deutschland will ich für die kraftvolle Art danken, in der Thomas Wipf für die ökumenische Vision des Protestantismus eingetreten ist, für versöhnte Verschiedenheit, für das dankbare Wahrnehmen des Gemeinsamen, das uns in unserer Verschiedenheit anvertraut ist. Ich selbst habe unser ökumenisches Leitbild als eine Ökumene des Imperativs bezeichne. „Ein Herr, ein Glaube, eine Taufe, ein Gott und Vater aller, der da ist über allen und durch alle und in allen“ – mit dieser ökumenischen Grundaussage des Neuen Testaments, die sich im Epheserbrief findet, ist ja nicht ein fernes Zukunftsziel beschrieben, sondern eine Wirklichkeit, die wir ergreifen sollen, statt sie unseren Mitmenschen zu verbergen. Wenn die Ökumene es mit der vorgegebenen Wirklichkeit des einen Glaubens an Jesus Christus zu tun hat, ergibt sich daraus folgerichtig, dass wir mit unseren Verschiedenheiten in einem Geist wechselseitiger Achtung umgehen. Thomas Wipf ist für mich in den letzten Jahren zur Ökumene des Indikativs in Person geworden.

Zweitens hat er uns gemahnt, die Breite und Vielfalt der reformatorischen Kirchen im Sinn zu behalten. Vor uns allen liegt das 500jährige Jubiläum der Reformation im Jahr 2017. Dabei geht es nicht nur um Martin Luther und Wittenberg. Vielmehr haben wir in diesem Zusammenhang auch die Schweizer Reformation als gesamteuropäisches Ereignis zu würdigen, das in die Welt hinein ausgestrahlt hat. Ich will es so ausdrücken: Zwingli, Bullinger und andere haben die Reformation auf besondere Weise in der Schweiz geerdet, Calvin aber hat die Reformation globalisiert. Das Calvinjahr 2009 hat in Erinnerung gerufen, dass nur durch die Reformatoren der zweiten Generation aus dem reformatorischen Aufbruch eine Bewegung von weltweiter Ausstrahlung wurde. Heute können wir uns der Anfänge der Reformation nur in einem globalen Horizont und in globaler Verantwortung erinnern. Die nationalen Verengungen, die solches Gedenken jedenfalls in Deutschland in früheren Zeiten hatte, wollen wir nicht wiederholen. Nach reformatorischer Verantwortung in weltweiter Perspektive können wir nur fragen, wenn wir die Hauptströmungen der Reformation in einen fruchtbaren Austausch bringen. Thomas Wipf hat uns das in beispielhafter Weise vorgelebt.

Drittens hat Thomas Wipf uns zu einem offenen Austausch über wichtige ethische Fragen aufgefordert. Gerade dann, wenn wir als Kirchen mit unterschiedlichen Regelungen des staatlichen Gesetzgebers und einem unterschiedlichen Gesprächsstand in unseren jeweiligen Gesellschaften konfrontiert sind, ist ein solcher Austausch besonders wichtig. Gerade dann sollten wir nicht übereinander, sondern miteinander reden. Das haben wir in den vergangenen Jahren ganz besonders an den Themen der Sterbebegleitung und des Beistands im Sterben gelernt. Thomas Wipf hat uns gezeigt, dass das auch dann möglich ist, wenn eine anfängliche Missdeutung durchaus auch zu einer ärgerlichen Reaktion hätte Anlass geben können. Für sein Vorbild in geschwisterlicher Großzügigkeit bedanke ich mich am heutigen Tag herzlich.

Dialogfähigkeit ist das Markenzeichen evangelischer Urteilsbildung. Nachdem ich neuerdings wieder Mitglied des Deutschen Ethikrats bin, ist mir der Austausch über solche Fragen noch wichtiger geworden. Wir stehen in Deutschland in großen Debatten – beispielsweise über die Zulässigkeit der Präimplantationsdiagnostik, über die Ausweitung der Organtransplantation und die dafür notwendigen Spenderorgane, über Demenz in einer älter werdenden Gesellschaft und über die Angst der Menschen, die fürchten, die moderne Medizin werde sie nicht sterben lassen, wenn es an der Zeit ist. Sie werden aus Schweizer Perspektive antworten: Diese Fragen kennen wir. Die Folgerung liegt nahe: Dann lasst uns darüber reden; das wird uns allen helfen.

Der Beitrag, den Thomas Wipf zu diesen Aufgaben geleistet hat und den wir weiterhin von ihm erhoffen, wurde vor drei Wochen dadurch besonders gewürdigt, dass die Evangelisch-Theologische Fakultät der Universität Münster ihm die Würde des Doktors der Theologie ehrenhalber verliehen hat. Der Rang dieses Ereignisses kann nicht besser beschrieben werden als durch den Hinweis, dass er der erste Schweizer Theologe nach den berühmten Professoren Karl Barth und Emil Brunner war, der von der Universität Münster mit einem theologischen Ehrendoktor ausgezeichnet wurde. Mir hat das auch als Zeichen dafür gefallen, dass Gelehrsamkeit in der Theologie sich nicht nur dort zeigt, wo des Büchermachens kein Ende ist, sondern auch dort, wo einer  Menschen zusammenführt zum lebendigen Gespräch. Denn „wir sind zum Gespräch geboren“, wie der Reformator Philipp Melanchthon gesagt hat.  Für diese elementare Einsicht ist Thomas Wipf ein gutes Beispiel. Dafür danke ich sehr und wünsche Dir, lieber Thomas, auf allen weteren Wegen Gottes Segen.