Rede des Vorsitzenden des Rates der EKD Präses Nikolaus Schneider anlässlich des Kongresses der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zum Thema „Religionsfreiheit verteidigen – Christen beistehen“, Paul-Löbe-Haus, Berlin

Nikolaus Schneider

Berlin

Sehr geehrter Herr Fraktionsvorsitzender, lieber Herr Kauder, sehr geehrte Damen und Herren,

haben Sie vielen Dank für Ihre Einladung. Ich freue mich, heute bei Ihnen zu sein und mit Ihnen gemeinsam die Lage bedrängter und verfolgter Christinne und Christen zu bedenken. Dieses Thema ist für die Evangelische Kirche in Deutschland eines der vordringlichsten Themen der Gegenwart. Daher begrüßen wir es sehr und wir danken Ihnen ausdrücklich, dass Sie sich als Bundestagsfraktion intensiv mit dieser Thematik beschäftigen.

"Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit",
so lautet der Artikel 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, die von den Vereinten Nationen am 10. Dezember 1948 proklamiert wurde. Mit ihr verband sich die Hoffnung, dass eine Welt möglich wird, „in der den Menschen, frei von Furcht und Not, Rede- und Glaubensfreiheit zuteil wird". Das Schaffen einer solchen Welt wird in der Präambel der UN-Menschenrechtserklärung als „höchstes Bestreben der Menschheit“ genannt. Diese Formulierung macht deutlich, welch hohes Gut der Freiheit eingeräumt wird, den eigenen Glauben offen zu leben.

Das universale Menschenrecht auf Religionsfreiheit schließt ein, dass jeder Mensch "seine Religion oder seine Weltanschauung … wechseln, sowie …seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Unterricht, Ausübung, Gottesdienst und Beachtung religiöser Bräuche … bekunden" kann.

Obwohl die Religionsfreiheit zu den elementaren Menschenrechten zählt, ist die Unterdrückung von Menschen ihrer religiösen Überzeugung oder ihres Glaubens wegen bis heute in vielen Ländern der Welt bittere Realität.
Dabei ist die Liste der Länder, in denen speziell Angehörige christlicher Kirchen und Glaubensgemeinschaften bedrängt werden, erschreckend lang und geht quasi einmal um den ganzen Globus: Ob Nordkorea, Iran, Saudi-Arabien oder Indien, Ägypten, Irak, Malaysia oder die Türkei – in zahlreichen Ländern werden Christinnen und Christen in unterschiedlicher Weise und Intensität an der Ausübung ihres Glaubens gehindert. Dabei spielt es keine Rolle, ob es sich um Lutheraner, Koptinnen oder Katholiken handelt, ob Methodistinnen oder Orthodoxe: als christliche Kirchen und Konfessionen sind wir alle Glieder des einen Leibes Christi, wie es der Apostel Paulus im ersten Korintherbrief so eindrücklich formuliert: „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit“ (1. Kor 12,26).

Unterdrückte Glaubensgeschwister in aller Welt brauchen unsere Aufmerksamkeit und Unterstützung sowohl im Gebet als auch im politischen Engagement auf allen Ebenen. Nur so können wir auf eine Verbesserung der menschenrechtlichen Lage in den betroffenen Ländern hinwirken. Denn hinsichtlich der Menschenrechte gilt ein Satz jedenfalls nicht: „Andere Länder andere Sitten“.
Die Menschenrechte haben einen universellen Status. Man kann und man darf sie nicht im Namen von Kultur, Tradition oder anderer Sitten relativieren. Die Menschenrechte insgesamt sind unteilbar. Sie müssen überall und für alle Menschen verteidigt werden.
Deshalb bin ich für die zahlreichen Initiativen und Reisen von Mitgliedern des Deutschen Bundestages, die sich für die Einhaltung des Menschenrechtes auf Religionsfreiheit im Allgemeinen und für den Schutz von bedrängten Christinnen und Christen im Besonderen einsetzen, ausgesprochen dankbar. Ob in Indien oder in Ägypten: Der persönliche Einsatz einzelner Abgeordneter für die religiösen Minderheiten in diesen Ländern verlangt Klarheit und Mut.

Für die EKD ist es selbstverständliche Praxis, auf grundlegende Menschenrechtsverletzungen und brutale Gewalttaten gegen christliche Glaubensgeschwister in der Welt hinzuweisen. Dies geschieht meistens ohne große Öffentlichkeit, oft durch direkte Interventionen bei Botschaftern und Regierungen der betreffenden Länder oder in Hintergrundgesprächen mit politischen Vertreterinnen und Vertretern und unseren zahlreichen Partnerkirchen vor Ort.

Unser Engagement für die Menschenrechte und für die Religionsfreiheit galt dabei ganz selbstverständlich immer allen religiösen Minderheiten, nicht nur den Christinnen und Christen.


Sie werden in der Vergangenheit selten in einer EKD-Veröffentlichung den Begriff der „Christenverfolgung“ gelesen haben. Das hat seinen Grund: Im Asylrecht wird der juristische Begriff von "Verfolgung" viel enger interpretiert als ein alltagssprachliches Verständnis von "Verfolgung", das relativ unscharf ist und viele Arten von Bedrohungen, Benachteiligung oder Bedrängung meinen kann. Diesen Terminus pauschal für Gefährdungssituationen von Christen zu verwenden, mag zwar auf den ersten Blick hilfreich erscheinen, um damit auf die Dramatik der Situation hinzuweisen und öffentliche Aufmerksamkeit zu erregen.
Unseres Erachtens geht mit ihm jedoch eine Dramatisierung einher, die den Blick für die sehr unterschiedlichen Situationen in einzelnen Ländern und Regionen verstellt. Nicht jeder Konflikt, in dem Christen zu Schaden kommen, hat religiöse Ursachen und nicht jeder Fall von brutaler Gewalt gegen Christinnen und Christen hat seinen Grund im Glauben der Angegriffenen an Jesus Christus. Hier gilt es, die jeweiligen Hintergründe der Konflikte genau zu analysieren, und ihre historischen, sozialen, kulturellen oder geostrategischen Dimensionen zu verstehen, um eine angemessene Bewertung vornehmen zu können. Das ist der Grund, warum sich im Bereich der EKD und auch bei der Bischofskonferenz die Bezeichnung "bedrängte und verfolgte Christen" durchgesetzt hat.

Es ist schwer einzuschätzen, ob die Gewalt gegen Christinnen und Christen in der letzten Zeit tatsächlich zugenommen hat oder ob es vor allem an der gewachsenen öffentlichen Aufmerksamkeit und Sensibilisierung liegt, dass die Nachrichten von Übergriffen auf Christen und Kirchengebäude so zahlreich erscheinen. Dabei kommt es zu Anschlägen gegen Kirchen und Gemeinderäume, aber auch zu Attacken gegen Wohnhäuser, in denen sich Christenmenschen versammeln. Neben solchen gewaltsamen Bedrohungen für Leib und Leben reicht die Bandbreite an Unterdrückung und Benachteiligung noch weiter: Durch ihren Glauben verlieren Christen in manchen Ländern an gesellschaftlicher Anerkennung und wirtschaftlichen Rechten. Behördliche Schikanen, etwa beim Erwerb von Grundbesitz für einen Sakralbau und die Versagung staatsbürgerrechtlicher Gleichbehandlung gehören dazu.

Es gibt aber auch den ganz persönlichen Terror: Wenn plötzlich Fremde vor der Haustür einer christlichen Familie stehen und dieser drohen, sie umzubringen, wenn sie nicht bis zum nächsten Tag weg ist. Deshalb ist es gerade im Nahen Osten zu einem beachtlichen „Exodus“ gekommen ist: In der Türkei ist der Anteil der traditionell dort ansässigen Christen in den letzten 100 Jahren von einem Viertel der Bevölkerung auf nur noch 0,2 Prozent zurückgegangen. Im Irak, immerhin eines der ersten christlich geprägten Länder der Kirchengeschichte, hat sich die Zahl nach Schätzungen von einstmals 1,2 Millionen in den letzten Jahren halbiert. Meist fliehen Christen vor den Repressionen in benachbarte Länder der Region wie Syrien und Jordanien. Durch diese Art von Drangsalierung und Bedrohung werden die besagten Gesellschaften weiter destabilisiert, was terroristischen Gruppen wie beispielsweise den Taliban in die Hände spielt.

Wie viele Menschen es weltweit sind, die wegen ihres Glaubens verfolgt werden, lässt sich nicht leicht ermitteln. Mit Superlativen tue ich mich in solchen Zusammenhängen schwer. In der Frage unseres Einsatzes gegen die Verfolgung von Christinnen und Christen ist es m. E. aber auch  unerheblich, wie viele Menschen aufgrund ihres christlichen Glaubens Opfer von Menschenrechtsverletzungen werden. Jeder einzelne Mensch ist einer zu viel! Denn, mit den schon zitierten Worten des Apostels Paulus gesagt: „Wenn ein Glied leidet, so leiden alle Glieder mit.“

Unabhängig von diesen Zahlen und Schätzungen hat die EKD beschlossen, sich der Nöte von bedrängten und verfolgten Geschwistern auch auf geistliche Weise öffentlich anzunehmen. Bereits der ehemalige Ratsvorsitzende der EKD, Bischof Wolfgang Huber, hat vor der EKD-Synode im November 2008 von Regionen gesprochen, "in denen Menschen Leib und Leben riskieren, wenn sie sich zum christlichen Glauben bekennen".
In der Folge beschloss die Synode der EKD, eine regelmäßige Fürbitte für bedrängte und verfolgte Christen im Kirchenjahr zu verankern. Der Rat und die Kirchenkonferenz – und damit alle drei Leitungsgremien der EKD - haben diesen Beschluss begrüßt und als Tag dieser Fürbitte den Zweiten Sonntag in der Passionszeit, also den Sonntag, der traditionell den Namen „Reminiszere“ – auf Deutsch „Erinnere dich“ - trägt, bestimmt. Allen evangelischen Kirchengemeinden im Bundesgebiet wird empfohlen an diesem Tag für die leidenden Geschwister zu beten und sich mit ihrer Bedrängnis auseinanderzusetzen. Jedes Jahr wird dafür eine Materialhilfe erarbeitet, in der beispielhaft die Situation in einem Land differenziert dargestellt wird. In diesem Jahr stand die Lage der Christen aus dem indischen Orissa im Zentrum.

Wir haben im Zusammenhang mit der Reminiszere-Fürbitte viele positive Rückmeldungen erhalten, die uns ermutigt haben, das Anliegen eines tätigen Gedenkens an bedrängte und verfolgte Christen auch ökumenisch und international stärker zu vernetzen. Es gibt auf der Arbeitsebene mittlerweile einen guten Austausch mit der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Allianz. Erste Gespräche mit kirchlichen Vertretern aus der Schweiz, Österreich und den Niederlanden haben stattgefunden. In Deutschland haben wir uns auch mit der Frage beschäftigt, ob nicht ein gemeinsamer Zeitpunkt im Jahr hilfreicher sei, um die Aufmerksamkeit noch stärker auf die erschreckenden Zustände in manchen Ländern zu lenken. Denn die Deutsche Bischofskonferenz begeht am zweiten Weihnachtsfeiertag traditionell ihren Tag für bedrängte und verfolgte Christen, während die Evangelische Allianz jedes Jahr am 8. November ihre Kampagne startet. Wir sind aber zu dem Ergebnis gekommen, dass unserem gemeinsamen Anliegen auch und vielleicht sogar noch mehr gedient ist, wenn es mehrmals im Jahr Anlässe gibt, zu denen auf die Lage von bedrängten Christen hingewiesen wird.
Angesichts der historischen Entwicklung der Menschenrechte muss es uns Christen heute mit einer gewissen Demut erfüllen, dass weder die Kirchen als Institutionen, noch ihre Leitungsorgane in der Vergangenheit zur Avantgarde politischer Freiheit gehört haben. Die Anerkennung der Religionsfreiheit als Menschenrecht ist auch in den christlichen Kirchen erst das Ergebnis eines langen Lernprozesses. Sie ist zunächst nicht aus theologischer Erkenntnis, sondern aus eigenen bitteren Unrechtserfahrungen erwachsen. Von daher gibt es keinen Grund dafür, aus einer Haltung christlicher Überlegenheit heraus die Lage der Religionsfreiheit weltweit zu betrachten – etwa mit allzu verallgemeinernder Empörung gegen „den“ Islam. Gewiss,  die vielen Verletzungen der Religionsfreiheit in überwiegend muslimisch geprägten Ländern zeugen davon, dass in manchen Traditionen noch großer Nachholbedarf bei der Durchsetzung und Anerkennung der Menschenrechte für alle Teile der Bevölkerung  besteht. Aber bei aller berechtigten und notwendigen Kritik darf nicht vergessen werden, dass an vielen Orten auch muslimische Minderheiten diskriminiert und verfolgt werden.

Grundlegend bleibt die Einsicht, dass Religion sich frei in der Öffentlichkeit entfalten muss. Immer noch wird in der deutschen Asylrechtsprechung unterschieden zwischen der zurückgezogenen und der öffentlichen Religionsausübung. Solange aber im Asylrecht diese Differenz zwischen dem so genannten Forum Internum und dem Forum Externum getroffen wird und nur die Verletzung der Religionsfreiheit bei der inneren Religionsausübung de facto als asylrelevanter Grund anerkannt wird, so lange bleibt auch in Deutschland im Sinne der Religionsfreiheit noch eine Menge zu tun. Wir als Kirchen bitten daher um ihre Hilfe, damit im asylrechtlichen Umgang mit Flüchtlingen die Religionsfreiheit unter allen Aspekten beachtet wird.

Allerdings sind wir Kirchen auch selbst gefordert: Unter dem Dach der modernen freiheitlich-demokratischen Verfassung können Religionsgemeinschaften für sich nichts beanspruchen, was sie nicht auch allen anderen gleichermaßen zugestehen – Christen, Juden, Muslimen, Frommen wie Unfrommen. Daher gibt es zum interreligiösen Dialog in Deutschland keine Alternative. Ich gehe noch einen Schritt weiter: ich bin mit Holger Nollmann, unserem langjährigen  EKD-Pfarrer in Istanbul, der Meinung, dass der interreligiöse Dialog auf allen Ebenen und mit all seinen Facetten für die Weiterentwicklung der Religionsfreiheit in Zukunft von entscheidender Bedeutung ist. Denn nur durch ihn kann wirklich gegenseitiger Respekt und gegenseitiges Verständnis gefördert werden, wenn er denn ein echter, d.h. vertrauensvoller und kritisch-offener Dialog der real existierenden Religionen ist. Dabei müssen sicher auch manche Enttäuschungen verkraftet und eigene idealistische Ansprüche relativiert werden. Aber die Mühe lohnt. Denn echte Verständigung und Respekt der Religionen im Umgang miteinander werden nachhaltig dazu beitragen, dass dem Menschenrecht auf Religionsfreiheit an allen Orten gedient wird. Und das wiederum gereicht auch unseren bedrängten und verfolgten Geschwistern in der Welt zum Wohle.

Ich danke Ihnen herzlich für Ihre Aufmerksamkeit.